Zwei Freunde und zwei Tage Leben

Jou Maveken

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Samstag

Aufstehen!

Der Ruf hallt durch das scheinbar verlassene Lager. Schnell springen alle auf, keiner will sich die Wachen zum Feind machen. Ich huste. Tobias, mein bester Freund mit dem roten Krausehaar, sieht mich beunruhigt an, aber ich versuche, zu lächeln. Er soll sich nicht zusätzliche Sorgen um mich machen. Wir haben eh schon genug und ich mach mir ja auch keine, denn wenn ich sterbe, dann in dem Wissen, dass er mich betrauern wird. Als sich alle auf dem Platz vor der Baracke versammelt haben, zählt der wachhabende Soldat durch und teilt uns in zwei Gruppen. Tobi kommt in eine andere als ich, aber das kümmert mich schon lange nicht mehr. Es gibt gerade eine der spärlichen Mahlzeiten und wer sich nicht beeilt, hat Pech gehabt. Schnell trinke ich die Suppe aus dem Schälchen, weil wir keine Löffel haben und es auch eher Wasser gleicht als wirklichem Essen. Danach werde ich mit sieben anderen zu unserer heutigen Aufgabe gebracht – den Lagerarbeiten. Stundenlang schleppen wir Holzbalken, als mir ein Stück auf den Fuß fällt. Obwohl er blutet, muss ich weitermachen, sonst hätten es vielleicht die Wachen bemerkt und dann würde ich wohl schon bald als arbeitsunfähig vergast werden. Zur Mittagszeit halte ich Ausschau nach Tobias, aber ich kann ihn nirgends sehen; wahrscheinlich muss er heute in einer der Fabriken arbeiten. Bis zum Abend rette ich mich irgendwie durch den Tag, während ich immer stärker humple, auch wenn Martin mir einen Teil der Arbeit abnimmt. Als es schon dunkel ist, entscheide ich, nicht mehr auf Tobi zu warten; oft kommen die Fabriksarbeiter erst spät zurück. Er tut mir leid, weil er morgen trotzdem wieder mit uns anderen aufstehen muss. Ich untersuche meinen Fuß und muss mir eingestehen, dass er gebrochen ist und ich die nächsten Tage nicht mehr durchhalten werde. Vielleicht hat Tobias eine Idee.

Sonntag

Aufstehen!

Der Ruf hallt durch das scheinbar verlassene Lager. Schnell springen alle auf, keiner will sich die Wachen zum Feind machen. Tobi liegt nicht neben mir und so kann er mich auch nicht besorgt anschauen, als ich wieder huste. Beim Frühstück höre ich, dass es einen Unfall gab. Er ist tot. Sie lassen mir keine Zeit zum Trauern, weil wir gleich weiterarbeiten müssen. Nach ein paar Stunden breche ich dann einfach zusammen, mir ist heiß und kalt und ich huste lange. Dann, nach einem besonders lauten Stöhnen, sehe ich einen Soldaten über mir. Er hat eine 0815 in der Hand.

Als ein lauter Knall ertönt, fliegen die Vögel kurz auf, die sich auf dem Zaun niedergelassen haben, und nehmen dann gemächlich wieder Platz. Und ein lebloser Körper wird in eine Grube geworfen, genau neben einen anderen mit roten krausen Haaren.

Und niemand trauert.

Montag

Aufstehen!

Der Ruf hallt durch das scheinbar verlassene Lager. Schnell springen alle auf, keiner will sich die Wachen zum Feind machen. Und zwei neue Männer legen dünne Decken auf die zwei nebeneinanderliegenden Schlafplätze, die gerade erst freigeworden sind.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo @Jou Maveken

was mir stilistisch gefällt, ist der immer kürzere Absatz, das Auslassen, das Verlorene, das Weniger. Passend zum Inhalt.

Doch leider kann ich mit den Personen nicht mitfühlen. Dafür ist der Text zu kurz.
Ich hätte die Datumsangaben weggelassen, durch die Wochentage ersetzt. Der Text funktioniert auch so.

LG und schönen Sonntag,
Franklyn Francis
 



 
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