Zweikampf an der Frankfurter Allee, abgebrochen

Wie oft hatte er die Türme von Tangermünde aus der Ferne gesehen, immer nur kurz aus dem Zugfenster. Heute ist A. endlich da gewesen – Tangermünde ist schön.

Zurück in Berlin will er rasch im Ring-Center essen, es liegt am Heimweg. Im SB-Restaurant ist er gegen halb sechs mit zwei einzelnen Alten allein. Dann kommt ein junges Paar mit Söhnchen, vielleicht vier. Sie verstellen mit dem Kinderwagen den Ausgang und setzen sich weit ab davon nieder. Der alte Mann vom Nebentisch, stark gehbehindert, zwängt sich beim Aufbruch mühsam am Kinderwagen vorbei.

Der Kleine brüllt die meiste Zeit. Während seine Eltern ruhig weiteressen, stapft er im Lokal herum. Die alte Frau neben ihnen, noch stärker gehbehindert, belädt ihren Rollator mit dem Geschirr und schiebt ihn in Richtung Ablage. Dabei kommt ihr der Junge immer wieder in die Quere. Seine Eltern greifen nicht ein. Erst als der Kleine einen Stuhl besteigt und an der Wandbespannung herumfingert, holt ihn die Mutter zurück. A. beobachtet alles von seiner entfernten Ecke aus.

Das Söhnchen ist schon wieder vom Tisch der Eltern weggelaufen und steuert erwartungvoll den letzten anderen Gast an. - „Du, bleib da weg, komm nicht hierher … Holen Sie Ihren Sohn zurück, ich will ihn nicht am Tisch haben!“ - A. ist laut geworden und die Eltern erheben sich sofort, kommen empört, drohend herüber. Man sagt sich kurz die Meinung, die Mutter bewirft den fremden Gast mit ihrer benutzten Serviette. Dann trinken alle rasch im Stehen aus, räumen ab und brechen gleichzeitig auf. Gott sei Dank, das Trio zieht Richtung Möllendorffstraße.

A. hat die Unterführung passiert und will eben auf der Friedrichshainer Seite zur U-Bahn hinunter, als ihm von hinten der Hut weggerissen wird. Der junge Vater ist ihm doch nachgegangen und schreit: „Du hast meinen Sohn beleidigt!“ - „Er hat genervt, ich wollte in Ruhe essen, tut mir leid. Gib mir bitte meinen Hut zurück.“ - Sie wiederholen das mehrmals, dann: „Ich geb dir deinen Hut nicht zurück, ich schmeiß ihn auf die Frankfurter Allee!“ Er hat die Hand schon über dem Absperrgitter. A. greift sich mit der Rechten den Arm des anderen und zieht mit der Linken am festgehaltenen Hut, vergeblich. Mit gegenseitigem Armdrücken scheint sich ein Ringkampf anzubahnen, und dabei könnte der eine der Enkel des anderen sein …

Passanten treten dazu. Der Ältere ruft nach der Polizei, der Griff um den Hut lockert sich, er hat ihn wieder. Einer sagt zu A.: „Gehen Sie einfach rasch runter.“ Dem kommt er gern nach, sich dabei vergewissernd, ob er nicht wieder verfolgt würde. Ein Glück, dass die nächste Bahn gerade einläuft - schnell hinein! Und lieber wieder an anderes denken: Tangermünde!
 

petrasmiles

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Man mag sich gar nicht vorstellen, dass dies kein Phantasieprodukt ist; ist es nicht, natürlich nicht.
Das sind so die Alltagserlebnisse, die die Begrenztheit der Wokeness bei gleichzeitiger Respektlosigkeit der Belange anderer so vortrefflich demaskieren.

Für manche Eltern gilt das Kind als eine Art Waffenschein oder Paragraph 20.
Nicht der Hauch einer Ahnung, dass dieses Verhalten die Demokratie aushöhlt - oder vielmehr dokumentiert, wie verhunzt sie schon ist.
 

Bo-ehd

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Es ist nur der Anfang. Man stelle sich mal vor, welche Verhältnisse wir haben, wenn diese Kinder selbst einmal Kinder haben.
 
Danke, Petra und Bo-ehd, fürs Lesen und Verständnis. Ja, der Ablauf war wie geschildert. Weggelassen habe ich zweierlei, um den Text nicht mit Details zu überladen: 1. Der Restaurantausgang war bei Eintreffen der Kleinfamilie bereits zur Hälfte mit dem Rollator der erwähnten alten Frau blockiert. In die Restlücke stellten sie dann den Kinderwagen, obwohl zu der Zeit näher an ihrem Tisch auch Platz gewesen wäre. - 2. Später saß noch eine junge Frau an meinem Nebentisch. Sie hat sofort der Kindesmutter deutlich gesagt, es gehe nicht an, andere hier mit Abfall zu bewerfen.

Es ist nur der Anfang. Man stelle sich mal vor, welche Verhältnisse wir haben, wenn diese Kinder selbst einmal Kinder haben.
Die Problematik wirkt sich heute schon in den Grundschulen aus. Neulich erklärte eine Lehrerin in der Berliner Zeitung, sie komme lange gar nicht zum Unterrichten, da sie erst die von den Eltern versäumte Erziehungsarbeit nachholen müsse.

Ich wohne hier am Rand eines Schulhofs (auch Grundschule) und kriege einiges mit, das für Schulmisere spricht. Es scheinen viele Stunden auszufallen. Die Lernrückstände sollen nun durch Ferienschule aufgeholt werden. Es ist jetzt 52 Wochen im Jahr von Montag bis Freitag die Schule offen. Tatsächlich halten sich die Kinder z.B. jetzt in den umgewidmeten Sommerferien zu 90% auf dem Hof auf und sind davon die allermeiste Zeit sich selbst überlassen. Politik und Schulbehörde können aber der uninformierten Öffentlichkeit weismachen, sie täten mit zusätzlichen Steuergeldern etwas gegen die miserablen Lernerfolge (in Berlin besonders schlecht). Für mich ein Beispiel für reine Symbolpolitik. Begründet wird sie ja noch immer vor allem mit den Schulschließungen in der Corona-Zeit. Die meisten Kinder, die ich hier jetzt sehe, waren aber damals noch nicht schulpflichtig. Es passt gar nichts mehr zusammen. In Deutschand lebten noch nie so viele Menschen wie gegenwärtig und gleichzeitig haben wir einen immensen und sich immer weiter verschärfenden Facharbeitermangel. So wie Erziehung und Bildung heute (nicht) funktionieren, ist keine Aussicht auf Besserung.
 

molly

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Hallo Arno,

ich möchte nur auf Deine Geschichte eingehen.

A.Hat einen schönen Tag erlebt und will diesen mit einem Essen beenden. Leider trifft er nun respektlose Eltern eines kleinen Jungen an, der die anderen Gäste stört. Kinder sollten in einem Gasthaus ruhig auch einmal aufstehen und herum gehen dürfen. Wie das geht, ohne die anderen Gäste zu ärgern, sollten sie von den Eltern lernen.
Leider gibt es auch Erwachsene, die sich gestört fühlen, wenn ein Kind in der Nähe sitzt, es könnte ja laut werden.

Gleichgültig finde ich auch den Betreiber des Lokals. Wieso achtet der nicht darauf, dass der Eingang frei bleibt?

Dass A. seinen Hut erfolgreich verteidigt hat und sich danach an den schönen Ausflug erinnert, finde ich richtig gut.

Mit freundlichen Grüßen

molly
 

Bo-ehd

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Hallo molly,
da kann ich jetzt mal nicht stillsitzen. Kein Mensch hat etwas gegen Kinder, die gelernt haben, sich in der Öffentlichkeit zu benehmen.

Kinder sollten in einem Gasthaus ruhig auch einmal aufstehen und herum gehen dürfen. Wie das geht, ohne die anderen Gäste zu ärgern, sollten sie von den Eltern lernen.
Leider gibt es auch Erwachsene, die sich gestört fühlen, wenn ein Kind in der Nähe sitzt, es könnte ja laut werden.
Es geht hier nicht ums "Herumgehendürfen". Kinder sollen gelernt haben (von den Eltern vorgelebt und abgeschaut haben), dass die höchste Priorität in einer Gesellschaft die Rücksicht aufeinander ist. Kind hin oder her. Sie kapieren ja auch, dass sie nicht den Fernseher mit einem Hammer zertrümmern dürfen.

Gruß Bo-ehd
 
Danke, Molly, für deine Reaktion. Zur Frage:

Gleichgültig finde ich auch den Betreiber des Lokals. Wieso achtet der nicht darauf, dass der Eingang frei bleibt?
Ein- und Ausgang sind getrennt. Die Angestellten hinterm Tresen haben nur zugeschaut.

Mir kam es bei der Niederschrift weniger auf den Jungen als auf seine Eltern an. Gerade aus ihrem späteren aggressiven Verhalten wird deutlich, wes Geistes Kind sie sind und wie sich das auf die Erziehung auswirken muss. Das Verhalten des Kindes war nicht so außerordentlich und ungewöhnlich - die Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit der Eltern und ihre spätere Aggressivität sind der Kern der Geschichte.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

molly

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Wie das geht, ohne die anderen Gäste zu ärgern, sollten sie von den Eltern lernen.

Hallo Bo-ehd,

Gut, dass Du das auch so siehst. Wir haben hier in der Region viele Gasthäuser. Die Betreiber schreiten ein, wenn Kinder sich nicht benehmen, reden auch mit den Eltern. Sie sprechen aber auch mit Erwachsenen, die sich unnötig über Kinder ärgern.

Freundliche Grüße
molly
 

molly

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Hallo Arno,

mit respektlos habe ich all die Frechheiten dieser Eltern gemeint. Ich hoffe, das Kind hat noch andere gute Vorbilder.
Mir gefiel Dein Schluß so gut. Egal, wie verärgert (zu Recht) A. war, er hat sich wieder an das Gute davor erinnert.

Mit freundlichen Grüßen
molly
 



 
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