Zweimal in Heidelberg

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G

Gelöschtes Mitglied 23708

Gast
Ich weiß noch, wie ich letztes Jahr in Heidelberg war. Auch wenn das vielleicht schon übertrieben gesagt ist. Ich kann mich noch gut daran erinnern wie ich durch die verwinkelten Gässchen der Altstadt gelaufen bin, mich ab und zu auf ein schattiges Plätzchen gesetzt um einen Capuccino zu trinken und den hübschen Mädchen dabei hinterher geschaut habe. Jedoch kann ich mich nicht mehr so recht an die Emotionen erinnern, die ich dabei hatte. Ich versuche mich zu konzentrieren. In machen Sekunden, oft kurz vor dem Einschlafen bekomme ich einen Hauch der Gefühle wieder hoch. Jede neue Biegung, die ich entlanglief und die eine neue Aussicht freigab erfüllte mich damals mit Freude, als ob ein Geheimnis nach und nach aufgedeckt wurde. Jedes Mädchen das vorbeilief, auch die weniger hübschen, erweckten in mir etwas eigenes. Oft dachte ich "Wie schön ist es auf der Welt zu sein!
Als ich frühabends auf den Mauern der Stadt spazierenging, wurde die Luft plötzlich von Kirchenglocken erfüllt. Ich blickte hinab auf die gemütlichen großen Bürgershäuser , die von kräftigen grünen Bäumen eingerahmt waren, in denen Vögel zwitscherten. Es war die Tageszeit um die es weder zu heiß noch zu kalt war und die Sonne einem angenehm den Nacken wärmte. In diesem Moment fing ich an zu singen.
Das ist jetzt ein Jahr her. Heute bin ich wieder in Heidelberg. Eine tiefgreifende Veränderung hat sich scheinbar mit der Stadt vollzogen. Da sind immer noch die verwinkelten Gässchen und gemütlichen Straßencafes. Aber die Gassen scheinen kein Geheimnis mehr zu verbergen. Die Gesichter der Mädchen sind stumpf und maximal hübsch, aber sie sagen meiner Seele nichts mehr. Der Fluss, der sich durch die Stadt zieht, ist hübsch, aber es scheint nichts mehr hinter dem Fluss zu geben, nichts Verborgenes, nichts was er meiner Seele hätte sagen können. Der Capuccino schmeckt wie früher, nur er schmeckt mir nicht mehr. Und die Kirchenglocken klingen hübsch, aber sie wecken in meiner Seele keine Hoffnung mehr. Ihnen fehlt jedes Gefühl der Erhabenheit und es scheint, als hätten sie ihre Fähigkeit die Dinge zu verschmelzen und in die Lüfte zu tragen, verloren.
Nach einer halben Stunde bin ich gegangen und habe mir noch eine Zigaratte angezündet, denn ich rauche jetzt, eine der schalen Freuden, die mir geblieben ist. Ich werde vorerst nicht mehr nach Heidelberg zurückkommen.
 

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Mitglied
Da fragt man sich natürllich: was ist dem Protagonisten widerfahren zwischen seinen zwei Heidelberg-Besuchen, lieber Alex-ey?
Ein Jahr ist nicht allzu lang.

Das Empfinden, das der Text anstößt, ist mir nicht unbekannt. Wenn Dinge, Orte, - ja, auch Menschen - in unseren Leben ihren Zauber verlieren...ich glaube, manchmal liegt das, was da entzaubert, in uns selbst und ist uns nicht unbedingt bewusst oder greifbar. Manchmal aber verändern sich auch die Dinge, Orte und Menschen in eine Richtung, in der wir nicht mitkönnen oder - wollen.

Hier scheint mir eher Ersteres der Fall zu sein. Das erzeugt natürlich mit den Fragen auch Anmutungen von möglichen Geschichten im Kopf. Das mag ich!

Lieber Gruß,
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