Zweitausend und ein paar Jahre weiter

Zweitausend und ein paar Jahre weiter

Der Mann erhebt sich, läuft in die Küche, macht sich Frühstück. Den Computer hat er angelassen. Er braucht nicht lange zum Essen. Dann läuft er zurück, schaltet den Drucker ein. Mit einem Stapel Papier verlässt er die Wohnung. Jetzt ist der Computer aus. Aber das Licht brennt noch immer. Ein Bus fährt jeden Tag da vorbei, wo der Mann wohnt, und zehn Minuten später dort, wo der Mann arbeitet.
Der Mann geht an der Bushaltestelle vorbei. Er wundert sich nicht, dass es so warm ist. Niemand erlebt mehr kalte Winter. Schnee kommt nur noch aus den Kanonen in den Skigebieten. Das große Auto des Mannes ist am Straßenrand geparkt. Er steigt ein und startet. Kurz darauf steckt er im Stau. Überall um ihn herum Geschäftsleute in ihren großen Autos, dazwischen Studenten in kleinen, dreckigen Autos. Umweltverschmutzer, denkt der Mann, während er das schwarz-graue Gasgemisch betrachtet, das aus dem Auspuff vor ihm kommt. Er ärgert sich, dass er die Busspur nicht benutzen darf. Er hätte sie benutzt, wäre da nicht das zuckende, blaue Licht weit vor ihm.
Endlich geht es weiter. Er fährt an einem Unfall vorbei. Er sieht einen beschädigten Tanker, aus dem Benzin läuft. Der Geruch stört ihn. Er zündet sich eine Zigarette an. Nach zwanzig Minuten hält er auf dem Parkplatz vor dem Hochhaus, in dem er arbeitet. Der Mann wirft seine Zigarettenkippe auf den Beton. In seinem Büro knipst er das Licht an, obwohl durch das Fenster die Sonne scheint. Er zieht die Jalousie zu, weil die Strahlen ihn blenden.
Seine Sekretärin bringt ihm eine Zeitung. Er beginnt zu lesen. Jemand behauptet, Funksendetürme für die Benutzung von Handys störten das Brutverhalten von Vögeln. Der Mann zieht sein Handy aus der Tasche, betrachtet es. Strahlung? Blödsinn!! denkt er, Außerdem sieht man Vögel selten. Er liest „Klimagipfel gescheitert“. Der Artikel interessiert ihn nicht.
In China sind mehrere hundert in den Überschwemmungen umgekommen. Das ist weit weg, denkt sich der Mann. Er macht sich an seine Arbeit. Er kauft die Aktien eines großen Ölkonzerns. Er macht Gewinn. Er ruft Kunden an. Er spricht mit seinem Chef. Er wird belobigt. Seine Sekretärin bringt ihm ein Sandwich. Er isst es zur Hälfte, den Rest wirft er weg. Er streicht einen Kredit. Er telefoniert. Mit dem Computer überwacht er die Börse. Das Geld eines Kunden legt er auf ein Sparbuch.
Auf dem Parkplatz sieht er eine Kollegin, die in den Bus steigt. Er steigt in seinen Wagen. Er kaut Kaugummi. Das Papier wirft er aus dem Fenster, weil sein Aschenbecher voll ist. Er fährt schneller als der Bus. Zwischendurch tankt er. Er beschwert sich über die Preise und verflucht die Ökosteuer.
Zu Hause schaltet er den Fernseher im Wohnzimmer ein. Der Mann sieht zu, wie ein paar Menschen ein Stück Regenwald abbrennen. Demnächst würden sie dort Rinder züchten. Es stört den Mann nicht. Er schaltet um und sieht einen Bericht über die BSE- Seuche. Er beschimpft die, die mit Tiermehl handeln. Er beschließt, in argentinische Rinderzüchtung zu investieren. Es winkt Gewinn.
Der Mann geht in die Küche und kocht. Er schaltet das Radio ein, weil ihm langweilig ist. Der Radiosprecher interviewt einen Wissenschaftler. Dieser sagt, die Menschheit könne auf dem Planeten Erde nicht überleben. Sie wird auswandern müssen. Zwischendurch schnappt der Mann das Wort „HIV“ und ein paar Zahlen aus dem Lautsprecher des Fernsehers auf. Als er gegessen hat, geht er ins Wohnzimmer. Er sieht Tierschützer auf der Mattscheibe, die ölverschmierte Vögel zu reinigen versuchen. Er fragt sich, woher sie die Vögel für Fernsehsendungen bekommen. Bei dem Bericht über das Tankerunglück schläft er ein.

Zwei Jahre später bekommt der Mann einen Brief. Es wird ihm angeboten, auf einen anderen Planeten umzusiedeln. Da braucht man Leute, die Gewinn machen, denkt er. Während der Mann eine frische Brise Sauerstoff aus der Dose saugt, unterschreibt er natürlich sofort.
 

Andrea

Mitglied
6 von 10 Punkten

Inhaltlich sehr schön, sprachlich solide – nur der Spannungsbogen fehlt ein wenig. Das ist einfach die große Gefahr, wenn man einen Tagesablauf beschreibt: durch die kurzen Sätze, die meist recht gleichlautend aneinander gereiht sind, wirkt es monoton, langweilig. Ich glaube nicht, daß das beabsichtigt war, oder?
Jetzt könnte man natürlich einfach sagen, raff die Tätigkeiten, laß ein paar weg, aber dies hielte ich für den falschen Weg. Aber eventuell könntest du die Syntax etwas abwechslungsreicher gestalten. Auf jeden Fall ist das ein gefährlicher Balanceakt, der vielleicht nie gelingen kann – aber einen Versuch wär’s wert, oder?
Vielleicht solltest du auch dieses „der Mann“ durch Er ersetzen. Dadurch bleibt es genauso allgemein, aber „der Mann“ ist immer abstrakt, während sich hinter einem Er ein Mensch verbirgt.
 
Hallo Andrea!
Es ist immer ein bißchen schwierig, wenn man versucht einen Sinn rüberzubringen und sich trotzdem kurzzufassen. Bei dieser Geschichte hatte ich auch noch das Problem, dass sie meinem Literaturlehrer gefallen musste, der eine ziemlich eigene Vorstellung von Kurzgeschichten hat. Ich habe mir den Text noch einmal durchgelesen und finde, du hast recht, irgendwann wird es langweilig, man wartet zu sehr darauf, dass etwas passiert. Vielleicht finde ich ja noch Zeit, dass zu ändern.
 



 
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