Zwischen “Mondscheinsonate” und “Whole Lotta Love”

GerRey

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Ich hatte Bernhard Grüner in letzter Zeit kaum noch gesehen. Früher waren wir als freie Journalisten für verschiedene Zeitungen tätig gewesen und hatten uns bei dieser Arbeit kennengelernt und Freundschaft geschlossen. Wir trafen uns auch immer wieder in regelmäßigen und weniger regelmäßigen Abständen, um uns auszutauschen. Und manchmal arbeiteten wir auch gemeinsam an Projekten, die wir dann unter unser beider Namen den großen Zeitungen des Landes anboten. Aber hinter diesen Bemühungen stand schon kaum noch Druck; wir waren beide in einem Alter, in dem man sachte in den Ruhestand hinüber gleitet - was sich auch auf unsere Beziehung auswirkte. So war es nach - wenn ich mich recht entsinne, denn mir entschwinden bereits solche Dinge wie Termine aus der alltäglichen Betrachtung - war es bereits zwei Monate her, seit wir zuletzt voneinander gehört oder uns getroffen hatten.

Grüner rief mich also vorgestern an und tat ganz aufgebracht, weil er in einer Kritik abfällige Bemerkungen über seinen Lieblingsgitarristen gelesen hatte. Denn das verband mich ebenfalls noch mit Grüner: Wir liebten beide die Rockmusik aus unseren Jugendtagen. In einer englischsprachigen Zeitung hatte er von Plagiatsvorwürfen gelesen, von Stildiebstahl und ähnlichen schlimmen Dingen.

“Darauf müssen wir antworten”, sagte er am Telefon. “Wir können uns doch von denen, die erst jung wurden, als wir schon alt waren, unsere Ikonen nicht zerpflücken lassen! Und Neider gibt es doch immer. Warum wurden denn die, die hier schreien, nicht so erfolgreich? Er hat mit seiner Band Stadien gefüllt und Millionen Platten verkauft.”

Ich war ein wenig verwirrt. Von wem sprach er da? Bei Grüner war es immer so, dass man erst einen Redeschwall über sich ergehen lassen musste, bevor man mitbekam, was er eigentlich meinte - und dann war dies auch noch nicht gesichert.

“Am besten schreiben wir einen Essay”, meinte Grüner und erging sich in eine Schilderung eines Konzerts, auf dem er 1980 gewesen war und wo besagter Gitarrist, gesondert von den restlichen Bandmitgliedern, allein auf der Bühne sich auf einen Stuhl niederließ, um auf der Akustikgitarre ein Stück zu intonieren, von dem Grüner (der Spezialist) bis heute nicht wusste, um welches es sich dabei gehandelt habe, als ein Kracher auf die Bühne flog, dort detonierte und das Konzert deswegen abgebrochen wurde. Nach einer halben Stunde entschloss man sich dann doch, die Rock-Show weiter zu spielen.

Ach der, dachte ich am Telefon. Mir war dieser Gitarrist immer ein wenig affektiert erschienen (so hätte es mich nicht verwundert, wenn der damalige Konzertabbruch von ihm evoziert gewesen wäre).

“Ich war eher ein Fan von Ritchie Blackmore”, sagte ich dann.

“Die Gegenfraktion”, meinte Grüner, was ich nur bestätigen konnte. Aber ich bot mich trotzdem an, ihm bei dem Essay zur Verfügung zu stehen, weil ich eigentlich recht gerne mit ihm arbeitete. Seine sprunghaften Gedanken schienen mich zu inspirieren. Wir machten also ab, uns heute im Stadtpark zu treffen, wo wir uns ein wenig auslaufen wollten, um hinterher bei einem Mokka (natürlich mit einem kräftigen Schuss Weinbrand) in aller Ruhe die Richtung des Essays zu besprechen und bei welchen deutschsprachigen Zeitungen wir ihn anbieten wollten.

Als ich den Stadtpark vom Ring her betrat, sah ich ihn schon von weitem vor dem Strauß-Denkmal auf und abgehen. Er trug einen aus grauer Wolle gestrickten Mantel, der die Form eines Trenchcoats hatte; dazu eine Bluejeans. Komischerweise hatte er das graue Haar schwarz gefärbt. Was das zu bedeuten hatte, wagte ich mir nicht vorzustellen.

Das Wetter war trüb, und es sah nach Schnee oder Schneeregen aus, der auch schon in den letzten Tagen gefallen war. Jedenfalls war es gottlob nicht windig, und so gingen sich vielleicht noch einige Runden des Auslaufs im Stadtpark aus, bevor der tatsächliche Niederschlag begann und wir uns in ein Kaffeehaus (in das wir sowieso wollten) flüchten mussten.

“Gestern Nacht machte ich einen Spaziergang auf dem Rennweg hinaus”, sagte Grüner, nachdem ich nähergetreten war und wir uns begrüßt hatten. “Ich glaube, es war schon nach Mitternacht, als ich am Zentralfriedhof entlangging und mich langsam zur Umkehr gemahnte. Schließlich war ich schon eine Stunde unterwegs und hatte den Heimweg noch vor mir. Aber als zwischen den Wolken milchig der Mond hervorblickte, überfiel mich eine romantische Anwandlung, sodass ich ein paar Takte der Mondscheinsonate am 2. Tor zu pfeifen begann, bevor ich mich tatsächlich auf den Rückweg machte.”

Wir gingen noch ein paar Schritte, in denen ich sinnierte, ob er mit diesen Worten den Essay vielleicht einleiten wollte - aber Mondscheinsonate? Doch erst nach einer kleinen Pause begann er den Gedanken zu vollenden:

“Ich weiß auch nicht”, sagte er ratlos, “seither fühle ich mich nicht wohl. Andauernd ist mir, als ginge jemand hinter mir her, und wenn ich mich umwende, ist da nichts - aber da war zuvor sicher etwas, das aus dem Blickfeld des Augenwinkels huschte. Ich schwöre es!”

Da ich ihn lange genug kannte, wusste ich, wie sehr er zu Übertreibungen neigte. Und weil er es gerne hatte, wenn man mitspielte, fragte ich:

“Was hat Sie denn bewogen, zu so später Stunde auf den Friedhof zu gehen?”

“Ich ging nicht auf den Friedhof; ich ging daran vorbei!”

“Nach Mitternacht?”

Er schwieg eine Weile, dann sagte er:

“Am Abend hatte ich einen Brief geschrieben, den ich zum Postkasten trug. Und da die Luft nach dem Schneeregen so frisch und - ich noch so voller Worte war, wollte ich ein paar Schritte laufen … In die Stille und Lichter der Nacht hinein. Darum kam ich zum Zentralfriedhof..”

Ich bemühte mich erneut, ihm eine Frage zu stellen, mit der er nicht rechnete. (Diese Methode hatte ich in meiner aktiven Zeit als junger Journalist entwickelt, um in den großen Zeitungsinterviews, welche ich beispielsweise für Sonntagsbeilagen machte, die Leute beim Reden zu halten, sodass sie von sich aus erzählten, wonach sie gerne gefragt werden wollten. Aber damals war die Zeitungswelt noch in Ordnung. Von Setzmaschinen in Bleisätze gegossen, zu Seiten zusammengestellt und von riesigen Druckmaschinen auf Papier gedruckt erschienen zwei Ausgaben pro Tag. Noch immer hatte ich das mechanische Klappern der Setzmaschinen in den Ohren, wenn ich mich beispielsweise mit einem Artikel in die Setzerei begeben hatte, um etwas zu besprechen. Und natürlich hatte ich auch noch den Geruch von Druckerschwärze in der Nase. Dass mir dieses Gewerbe abging, war nicht zu leugnen.)

“War das ein so schwieriger Brief?” fragte ich Grüner.

“Nein, wieso?”, entgegnete er verwirrt.

“Also wollten Sie doch nur zum Friedhof?!”

Er gab ein verbales Geräusch von sich, das mir anzeigen sollte, wie lästig ihm das Gespräch durch meine rotierenden Fragen zu werden begann. Aber dann fügte er sich wieder und sagte in etwas übertriebenem Stolz:

“Ich habe momentan drei junge Damen zur Auswahl, denen ich meine Verehrung und Bewunderung ausspreche.”

“Und die liegen alle drei schon auf dem Friedhof draußen?” gelang es mir, mit einiger Verwunderung im Ton, zu fragen.

“Aber nein”, erwiderte er ärgerlich. “Was haben Sie ständig mit dem Friedhof?”

“Dann haben Sie sich diesen Dreien nun genähert?”

“Schriftlich”, entgegnete er.

“Und deshalb das ungute Gefühl am Friedhof?”

Er schwieg. Und ich bildete mir im gleichen Augenblick ein, einmal gelesen zu haben, dass Pfeifen auf Friedhöfen um Mitternacht Dämonen anlockte - oder gar den Teufel? Abwägend, ob ich dieses Thema in einer der nächsten Fragen einbauen sollte, begann er wieder über den Brief zu sprechen, den er an diesem Abend eingeworfen hatte. Jener war an eine junge Frau aus seiner Nachbarschaft gerichtet, die ihm im Traum erschienen war.

Er hätte nun nicht viel anders mehr zu tun, wich er wieder vom Thema ab, als mit einem Fernglas an seinem Fenster zu hocken und die Leute zu beobachten, wenn sie sich an ihren Fenstern oder im Innenhof zeigten. Mit der Zeit habe er ein Gefühl dafür entwickelt, ihnen anhand der gemachten Beobachtungen, die er in einem Heft festhielt, Persönlichkeiten und Charaktere zu zeichnen. Drei junge Frauen hätten sich dabei herauskristallisiert, wovon zwei alleine lebten. Die dritte wäre mit einem langen Typen liiert, der sich allerhand von ihr gefallen ließ. Für Grüners Geschmack war diese zu kapriziös - aber er liebte ihren Babyspeck und die Schönheit, die sie manchmal, wenn sie mit ihrem Freund ausging, herauszustellen vermochte. Dann war da noch eine, die mit tackenden Schritten ihrer hohen Absätze den Innenhof eilig durchmaß, als hätte sie Order sich in einen Kampfeinsatz zu begeben. Ihre Augen strahlten dabei, als empfände sie dafür die größtmögliche Freude.

“Und dieser haben Sie den Brief geschrieben?” fragte ich, bevor er zu sehr ins Schwärmen geriet.

“Nein”, antwortete er. “Es war die Dritte, der ich an jenem Tag schrieb. Aber die anderen beiden werden auch noch Briefe von mir bekommen, wenn es an der Zeit ist”

“Die Dritte ist also die Erste, der Sie geschrieben haben?”

“Ja”, sagte er, “so kann man das sagen. Sie sieht nicht nur aus wie ein Mod, sondern hat auch das Mod Target als Aufkleber auf dem Motorroller und am Hinterkopf ihres Helms.”

Nun würde er jetzt endlich zum eigentlichen Thema kommen, dachte ich, weil ja dieser Gitarrist, den wir in unserem Essay beschreiben wollten, in seinen Anfängen (1966 - 1968) bei den “Yardbirds” als Bassist und Leadgitarrist gespielt hatte - die mit den “Who” und anderen zu den Mod Bands gehörten.

“Wir langhaarigen Rocker mochten die Mods damals überhaupt nicht und prügelten uns ständig mit ihnen”, sagte ich. “Haben Sie das vielleicht im Zusammenhang mit dem Mädchen geträumt?”

Er brummte abwesend, als überlegte er, ob er sagen sollte, was er gleich von sich gab:

“Nein. Im Traum jagte ich sie in einem hell erleuchteten Auditorium um den Tisch, während von den umschließenden, trichterförmigen Rängen, die im Dunklen lagen, sodass man nicht sehen konnte, wer sich auf ihnen bewegte, uns eine unbekannte Anzahl von Leuten, die sich jedoch still verhielten, zuschauten. Sie war nackt; ich bekam sie zu fassen und warf sie mit dem Rücken auf den Tisch. Dann zog ich einen Stuhl hinzu, setze mich zwischen ihre geöffneten Beine, die über die Tischplatte hinausragten, sodass ich sie mir auf die Schultern legte, beugte mich im Sitzen über sie und senkte mein Gesicht zwischen ihre Schenkel.”

"Und Sie?" fragte ich.

"Was ich?"

"Sie sind nicht nackt?"

"Selbstverständlich nicht! Würden Sie es begrüßen, einen Mann von über sechzig nackt zu sehen?"

"Ich nicht. Aber ihr Auditorium vielleicht? Oder die Dame auf dem Tisch?"

An seinem Gesicht konnte ich ablesen, dass er es bereits bereute, mir von seinem Traum erzählt zu haben. Aber ich war zu sehr in Fahrt und setzte noch eines oben drauf:

"Cunnilingus! - Solcherart Damen gebührt also ihre Verehrung?"

Wir liefen nun den ganzen Stadtpark ab, ohne auf einer der Brücken über den Wienfluß zu wechseln. Zwischendurch blickte er sich einige Male um, so als wollte er jemanden hinter sich bemerken. Mit dieser Art Nervosität begann er auch mich anzustecken, sodass ich ebenfalls von Zeit zu Zeit hinter mich zu blicken begann. Aber da war nichts - auch nicht schemenhaft im Augenwinkel.

In diesem Moment begann das muntere Stakkato von hohen, schlanken Absätzen auf dem Asphalt der Wege vor uns zu erschallen und unsere (oder zumindest meine) Aufmerksamkeit anzuziehen, ausgelöst von zügigen Schritten eleganter Damenschuhe. Eine weibliche Gestalt wurde sichtbar, als sie aus den Büschen hervortrat, die stellenweise die Sicht auf den Verlauf der Wege verdeckten. Sie kam mit scheinbar unbeirrbaren Schritten direkt auf uns zu. Schon begann ich mich äußerst interessiert - wie ein ausgehungerter, alter Wolf, der plötzlich Witterung aufgenommen hatte - zu fragen, welches stolze Herz der Motor dieser aparten Erscheinung sein mochte, als sie auch schon heran war.

“Das ist sie”, zischte plötzlich Grüner mit erstarrtem Blick.

“Was?” fragte ich verwirrt. Mein Blick galt der jungen Frau, deren außergewöhnliche Schönheit mich sofort in ihren Bann zog. Sie hatte eine aufrechte Haltung; ihr langes, dunkles Haar fiel glatt und weit über ihre Schultern, zeigte einen rötlichen Schimmer und war am Kopf durch eine Kappe mit einem breiten Pelz-Rand gefasst, dessen feine Härchen die klaren und gleichmäßigen Züge des Gesichts lieblich umspielten. Der Blick jedoch blieb abweisend und starr geradeaus gerichtet - so als würde sie uns nicht bemerken. Im melodischen Pianoforte ihrer Tatkraft suggerierenden Schritte passierte sie uns rasch und überwand so unseren gemächlichen Gang mit zunehmender Entfernung in den blickverlorenen Raum hinter uns.

“Das ist sie”, wiederholte Grüner, nun etwas lauter.

“Wer - Cunnilingus?!” entfuhr es mir ungläubig.

“Nein, die eine von den Dreien, denen meine Verehrung gilt.”

“Davon scheint sie aber noch nicht viel mitbekommen zu haben”, entgegnete ich bissig, auf Grüners Hobby als Fenstergucker zunehmend neidisch.

Er schwieg wieder und blickte ausdruckslos vor sich hin, als hätte er eine paranormale Erscheinung gehabt. Ich hatte jetzt genug und sagte:

“Sollen wir nicht endlich über den Essay sprechen, den wir über die Rockmusik unserer Jugend schreiben wollen.”

Aber er gab keine Antwort. Ich wusste nicht, warum ich plötzlich so verstimmt war. Irgendetwas kochte in mir. Schrieb ich etwa Briefe an schöne Frauen!

"Ihr Gitarrist war überhaupt nicht authentisch", stieß ich wütend hervor. "Wenn er auf die Bühne kam, wirkte er eher wie ein Clown, den man in ein zu knappes Kostüm gesteckt hat - wahrscheinlich, weil es nicht sein eigenes war!"

“Lassen Sie mich endlich in Ruhe!” schrie Grüner aufgebracht. “Sie sind ja verrückt; mit Ihnen kann man sich nicht vernünftig unterhalten.” Dann ließ er mich stehen und ging davon, während ich, unfähig etwas zu erwidern, ihm nachblickte. Langsam begannen dicke Schneeflocken, sich ungestüm verdichtend (wie ein Rausch in einem jugendlichen Leichtsinn, fiel mir dazu ein), zu Boden zu segeln, in denen Grüner allmählich verschwand. War das nun das Ende unserer Freundschaft? Im Flockengewirr und bei einsetzender Dunkelheit fragte ich mich, ob eine einzelne Flocke ins Gewicht fallen würde, wenn sie im Ganzen fehlte. Mir jedenfalls würde Grüner fehlen, sagte ich mir und fragte mich, ob ich mein Mobiltelefon hervorholen sollte, um ihn anzurufen und mich zu entschuldigen. Aber dann dachte ich, dass man auch der Donau Zeit geben musste, ihre Wellen ins Schwarze Meer zu tragen. Aus dieser Betrachtung im Schneegestöber erwachend, machte ich mich schließlich auf den Weg nach Hause.

Am nächsten Morgen erwachte ich mit ausgedörrtem Mund aus einem wüsten Traum, der mit zunehmender Erleichterung des Erwachens ins Unbewusstsein zurücksank und rasch zu Vergessenheit erblasste, sodass nur noch ein dunkles Gefühl verschiedener Begehrlichkeiten zurückblieb. Als ich mich mit dem Morgenkaffee an den Computer setzte und im Internet die Zeitungsberichte aufsuchte, traf mich fast der Schlag, -nach dem, was ich da zu lesen bekam.

Man hatte den ehemaligen Redakteur Bernhard G. geknebelt, nackt und völlig unterkühlt und entkräftet, in der Nähe des Strauß-Denkmals, an einen Baum gebunden gefunden und ihn zur näheren Untersuchung in die Notaufnahme der Rudolfsstiftung gebracht. Der Tat verdächtigt wurden drei junge Frauen, die in Polizeigewahrsam genommen worden waren und aus dem Umfeld des ehemaligen Zeitungsmannes stammen dürften. Einige Fotos seien von dem Opfer am Baum gemacht worden und anonym auf sozialen Netzwerken erschienen. Manche Berichte spekulierten auch, dass sich G. in seiner aktiven Zeit genügend Feinde gemacht hätte, die ihm auch jetzt noch einen Denkzettel verpassen wollten. Jedenfalls habe für das Opfer keine Lebensgefahr bestanden, weshalb es nicht allzu lange angebunden gewesen sein dürfte. Sobald er sich auf dem Weg der Besserung befände, wollte man ihn in häusliche Pflege entlassen.

Ich überlegte, ob ich Bernhard einen Besuch im Krankenhaus abstatten sollte. Dann beschloss ich aber damit zu warten, bis sich die Sache etwas abgekühlt hätte. Und die drei Damen, von denen Bernhard gesprochen hatte, hatten nun auch mein näheres Interesse geweckt (wieder kam das dunkle Gefühl auf, das ich beim Erwachen gehabt hatte, und dann erinnerte ich mich an die Frau von gestern Abend, kurz bevor ich mich von Bernhard getrennt hatte - oder er sich eigentlich von mir). Um nicht in Bernhards Beispiel zu enden, wollte ich jedoch diesem Interesse nicht weiter nachkommen.

Ich lehnte mich zurück, nahm einen letzten Schluck Kaffee und dachte: Was für eine Geschichte!

Bei diesem kleinen Stück ging es mir darum, als Erzähler ganz in den Hintergrund zu treten. So entwickelt sich eine Geschichte zwischen Bernhard Grüner und einem lyrischen Ich, die beide ihre Farben ins Spiel bringen und die Handlung bestreiten. Als Erzähler bleibt mir eigentlich nur die Rolle, darauf zu achten, dass der Essay nicht zu kurz kommt, ohne dass er tatsächlich jemals geschrieben wird. Bei dem Gitarristen, dessen Namen ich bewusst nicht nenne, um ihm mehr Interesse zu sichern, handelt es sich um eine berühmte Persönlichkeit, die jeder kennt, der die Musikszene von damals miterlebte (für die anderen ist das sowieso ein Punkt, den sie gegebenenfalls nachschlagen wollen - und können dies nun anhand der Spuren, die ich wie bei einer Schnitzeljagd ausgelegt habe, tun). Ob er nun schlampig Gitarre gespielt oder den Stil von Bert Jansch, einem schottischen Folk-Gitarristen aus den frühen 1960er Jahren, abgekupfert hat, tangierte uns damals überhaupt nicht; wir empfanden die Gitarristen unserer Zeit nicht nur gut, sondern sie hatten ihre Eigenarten, sodass man sie lediglich an ihrer Spielart schon erkennen konnte. Bei dem Vorfall auf dem Konzert der Rockgruppe war ich im Alter von 19 Jahren Zeitzeuge (als Konzertbesucher mit meinem Freund Charly, der ein großer Fan dieser Gruppe war) 1980 in der Wiener Stadthalle. Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang noch eruieren, wo sich Bert Jansch zu diesem Zeitpunkt aufgehalten hat?
 
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