Zwölf Uhr mittags

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Ofterdingen

Mitglied
Das folgende Texterl widme ich Tommy Sechsundachtzig. Tommy, ich habe ziemlich viel von dir geklaut. Betrachte es bitte als Ehre, dass ich dein Werk als Vorlage, als Anregung genutzt habe. Nur Wenige schaffen es, mich zum Schreiben anzuregen. Die Überschrift habe ich inzwischen geändert. Diese Änderung ist aber, soviel ich weiß, nur hier innen möglich.


AUFZUG ZUM 13. STOCK

Die Tür schließt sich mit einem altmodischen „Bing“. Ledersohlen latschen auf Verbundmetallboden. Lackierte Gesichter reflektieren gelbes Licht. Ich drücke den Knopf neben der Abbildung eines Dreizahns und spüre, wie in mir der Groll gegen den erzwungenen Bittgang wächst.
Die Glasaugen da oben sind Videokameras. Junge, die wollen es aber genau wissen. Misstrauen aus einem halben Dutzend Aufnahmewinkeln. Der Aufzug hält im zweiten Stock. Alle Anderen raus. Ich bleibe mit Strunki allein.
Wir rasen weiter nach oben. Fünf Meter die Sekunde. Gut, dass Hosenträger wieder in Mode sind. Das Geschoss hätte mir sonst die Bermudas runtergerissen.
„Wieso trägst du überhaupt so ein bescheuertes Textil, jetzt im Winter?“
„Hä?“
„Sperr gefälligst die Ohren auf, wenn ich mit dir rede! Ich sag´s nicht nochmal.“
„Mann, ich muss jugendlich und dynamisch wirken, kapiert? Ich muss meine Chance nutzen. Vielleicht ist es die letzte.“
„Träum weiter! Du hast keine mehr. Die werden dich in fünf Sekunden fertigmachen, rupfen wie ein Hühnchen und rauskatapultieren bis zum dritten Jupitermond. Deine Erben werden lachen: Du brauchst keinen verdammten Sarg mehr.“
„Und?“
„Ach nix. Vergiss es.“
Mit einem Ruck bleibt der Lift stehen. Als die Türflügel aufsurren, steht da ein Kerl im blauen Anzug. Er rückt seinen Hut zurecht und dreht das Gesicht zur Seite, als ob nichts wäre. Bleibt einfach stehen. Versperrt den Ausgang. Ich schau nach unten, auf seine Lackschuhe. Zwei tiefe Atemzüge später surren die Türen zu und wir zwei Hansel sind wieder allein mit dem Metall des Aufzugs.
Die gute Nachricht ist, dass ich den Blauen nicht mehr sehe, die schlechte, dass ich zu spät komme. Ich muss raus. Vielleicht gibt es eine Nottreppe. Ich schaue auf die Leuchtanzeige mit der Etagennummer und drücke den Knopf neben der Zwölf. Es gibt eine Treppe. Rohe Betonwände.
Der dicke rote Teppich der dreizehnten Etage wirkt wie ein Schalldämpfer. Er saugt alle Geräusche auf. Der Kerl ist verschwunden. Alle Anderen scheinbar auch. Aus keinem der Büros ist das übliche Ticken arbeitender Menschen zu vernehmen, im Korridor ist niemand.
Bin ich hier falsch? Aber nein! Alle paar Meter starrt mich die Abbildung eines Dreizahns an. Das Logo der Company.
Ich wickle mir ein Taschentuch um die Hand, damit ich keine Fingerabdrücke hinterlasse und drücke die blankpolierten Türklinken. Alle Türen sind verschlossen. An den Wänden hängen Porträts der verstorbenen Vorsitzenden der Firma. Daneben eines vom amerikanischen Präsidenten. Mir wäre es lieber, wenn die Typen alle am Galgen hängen würden, aber auf mich hört ja keiner. Durch die riesigen Fenster am Ende des Korridors dringt gedämpft das Hupen der Stadt. Neben mir ein großer Spiegel. Ich sehe mit Schrecken, dass ich mich allmählich auflöse.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 19299

Gast
Hallo Ofterdingen,

dein Text erinnert mich an Heiner Müllers "Der Mann im Fahrstuhl", da er sich auch wie eine Traumsequenz liest.

Gruß
Keram
 
G

Gelöschtes Mitglied 22242

Gast
Was mich am meisten verwirrt hat ist, dass es auf den Namen der Dusch Geschichte hindeutet und dann ist es der Fahrstuhl
 



 
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