Sonnenfinsternis
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Am Hafen
Der alte Mann saß schon lange am Kai. Wie lange genau wusste er nicht. Es war ihm auch egal. Eine sanfte Brise wehte. Leicht flatterte sein graues Haar im Wind. Was hatte Marie gesagt? „Wenn ich dich noch einmal mit einer Flasche sehe, werfe ich dich hinaus.“ Das er zu viel trank war ihm bewusst. Doch was interessierte sie das? Hatte sie sich jemals für ihn interessiert? Wer interessierte sich überhaupt für ihn? Am gegenüberliegenden Ufer blinkten die Anzeigenlichter heimkehrender Schiffe. Überhaupt war recht viel los heute im Hafen. Und das abends. Früher in seiner Jugend war er oft hier gewesen, mit Freunden zum Angeln oder später auch mit Marie. Er konnte sich nicht erinnern, dass früher so viel los war. Kurz dachte er an die Globalisierung, an Pestizide in Kleidungsstücken, an die Hungerlöhne in China, doch seine Gedanken schweiften wieder ab. „Ich halte das nicht mehr länger aus mit dir“, hatte sie gesagt. Das spielte keine Rolle, sowas in der Art sagte sie oft. Und doch war ihm heute etwas aufgefallen, was er noch nicht kannte an ihr. Es hatte ihn zutiefst erschüttert. Sie hatte sich verändert. Doch das war es nicht, jeder Mensch verändert sich. Früher war er der Annahme gewesen das Menschen zumindest ab dem mittleren Alter eine Konstante in ihrem Leben gefunden haben, gewissermaßen einen Fixpunkt um den sie sich drehen, unabänderlich festgelegt, wenn sich auch die Gravitation von Zeit zu Zeit etwas verschob. Doch jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Er dachte wieder an die Schiffe, an die Fracht die sie wohl transportierten. Es schien ihm fast so als ob die sich immer schneller drehenden Uhren den Menschen kleiner machen würden. Er nahm ein paar große Schlucke aus der Flasche. Beim abstellen fiel sie fast um. Er musste aufpassen - seit 22 Uhr gab es keinen Alkohol mehr zu kaufen. Was hatte Bruno gesagt? „Ohne Ferdi und gutes Essen wär ich schon lange nicht mehr auf der Welt“. Ja, er mochte seinen Hund. Bruno war einer der wenigen Freunde die er hatte. Doch seine Hundevernarrtheit hatte er nie verstanden. Er bezweifelte das Bruno ohne essen und Ferdi nicht leben konnte. Wieso hatte er Simone nicht erwähnt? Schließlich war er erst seit kurzem mit seiner neuen Freundin in Urlaub gewesen.
Von weit draußen näherte sich ein großes Containerschiff. Weiß schimmerte der Bug im Mondlicht. Was hatte es wohl geladen? Elektronik? Kleidung? Im Grunde war es auch egal, es gab schließlich für alles einen Abnehmer. Er hat nie verstanden wieso die Waren zig mal um die ganze Welt gekarrt wurden. Früher war er gern auf dem Schiff gewesen. Es bedeutete für ihn Freiheit. Er bemerkte wie der Alkohol seinen Kopf immer mehr benebelte. Auf einmal hatte er wieder ihr Gesicht vor Augen. Die tiefen Furchen an ihren Mundwinkeln, die zusammengekniffen lehmbraunen Augen, die jeden Glanz verloren hatten. Wie gern wäre er jetzt bei ihr und hätte mit ihr geredet. Einfach nur geredet. Vielleicht über das Wetter, vielleicht über das Flugzeug in Australien, das einfach vom Radar verschwunden war. Er konnte sich nicht entsinnen wann er zuletzt mit ihr gesprochen hatte. Bitter legte sich der schottische Whisky um seine Zunge. Seit Jahren trank er die gleiche Marke. Langsam stand er auf und lief ein Stück die Kaimauer entlang. Von weit her hörte er den Lärm der Partygäste in der Altstadt. Er bemerkte nicht wie ein Schein aus seiner Hose fiel. Er bemerkte nicht wie eine Frau sich nach ihm umdrehte. Es war kalt heute Nacht, er fröstelte leicht. Langsam lief er immer weiter in die dunkle Nacht hinein.
Der alte Mann saß schon lange am Kai. Wie lange genau wusste er nicht. Es war ihm auch egal. Eine sanfte Brise wehte. Leicht flatterte sein graues Haar im Wind. Was hatte Marie gesagt? „Wenn ich dich noch einmal mit einer Flasche sehe, werfe ich dich hinaus.“ Das er zu viel trank war ihm bewusst. Doch was interessierte sie das? Hatte sie sich jemals für ihn interessiert? Wer interessierte sich überhaupt für ihn? Am gegenüberliegenden Ufer blinkten die Anzeigenlichter heimkehrender Schiffe. Überhaupt war recht viel los heute im Hafen. Und das abends. Früher in seiner Jugend war er oft hier gewesen, mit Freunden zum Angeln oder später auch mit Marie. Er konnte sich nicht erinnern, dass früher so viel los war. Kurz dachte er an die Globalisierung, an Pestizide in Kleidungsstücken, an die Hungerlöhne in China, doch seine Gedanken schweiften wieder ab. „Ich halte das nicht mehr länger aus mit dir“, hatte sie gesagt. Das spielte keine Rolle, sowas in der Art sagte sie oft. Und doch war ihm heute etwas aufgefallen, was er noch nicht kannte an ihr. Es hatte ihn zutiefst erschüttert. Sie hatte sich verändert. Doch das war es nicht, jeder Mensch verändert sich. Früher war er der Annahme gewesen das Menschen zumindest ab dem mittleren Alter eine Konstante in ihrem Leben gefunden haben, gewissermaßen einen Fixpunkt um den sie sich drehen, unabänderlich festgelegt, wenn sich auch die Gravitation von Zeit zu Zeit etwas verschob. Doch jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Er dachte wieder an die Schiffe, an die Fracht die sie wohl transportierten. Es schien ihm fast so als ob die sich immer schneller drehenden Uhren den Menschen kleiner machen würden. Er nahm ein paar große Schlucke aus der Flasche. Beim abstellen fiel sie fast um. Er musste aufpassen - seit 22 Uhr gab es keinen Alkohol mehr zu kaufen. Was hatte Bruno gesagt? „Ohne Ferdi und gutes Essen wär ich schon lange nicht mehr auf der Welt“. Ja, er mochte seinen Hund. Bruno war einer der wenigen Freunde die er hatte. Doch seine Hundevernarrtheit hatte er nie verstanden. Er bezweifelte das Bruno ohne essen und Ferdi nicht leben konnte. Wieso hatte er Simone nicht erwähnt? Schließlich war er erst seit kurzem mit seiner neuen Freundin in Urlaub gewesen.
Von weit draußen näherte sich ein großes Containerschiff. Weiß schimmerte der Bug im Mondlicht. Was hatte es wohl geladen? Elektronik? Kleidung? Im Grunde war es auch egal, es gab schließlich für alles einen Abnehmer. Er hat nie verstanden wieso die Waren zig mal um die ganze Welt gekarrt wurden. Früher war er gern auf dem Schiff gewesen. Es bedeutete für ihn Freiheit. Er bemerkte wie der Alkohol seinen Kopf immer mehr benebelte. Auf einmal hatte er wieder ihr Gesicht vor Augen. Die tiefen Furchen an ihren Mundwinkeln, die zusammengekniffen lehmbraunen Augen, die jeden Glanz verloren hatten. Wie gern wäre er jetzt bei ihr und hätte mit ihr geredet. Einfach nur geredet. Vielleicht über das Wetter, vielleicht über das Flugzeug in Australien, das einfach vom Radar verschwunden war. Er konnte sich nicht entsinnen wann er zuletzt mit ihr gesprochen hatte. Bitter legte sich der schottische Whisky um seine Zunge. Seit Jahren trank er die gleiche Marke. Langsam stand er auf und lief ein Stück die Kaimauer entlang. Von weit her hörte er den Lärm der Partygäste in der Altstadt. Er bemerkte nicht wie ein Schein aus seiner Hose fiel. Er bemerkte nicht wie eine Frau sich nach ihm umdrehte. Es war kalt heute Nacht, er fröstelte leicht. Langsam lief er immer weiter in die dunkle Nacht hinein.