Aus dem Rahmen gefallen

4,50 Stern(e) 4 Bewertungen

Stierfrau

Mitglied
Gleißend hell strömte die Sonne in das kahle Krankenzimmer. Staubteilchen flimmerten vor ihren Augen durch den Raum, nur ein schmatzendes Geräusch störte die ansonsten heilsame Stille.

Der alte Mann im frisch bezogenen Krankenhausbett bewegte die Lippen. Seine linke Hand krampfte sich zusammen, als wollte er mit den Händen erzählen, da ja seine Stimme versagte.
Kein Laut kam aus seinem sich hilflos öffnenden Mund.

Und sie stand da und frohlockte. Wie herrlich war es anzusehen. Hilflos lag er da und quälte sich im Inneren. Und sie war versucht, ihm zu sagen, wie sehr sie diese Hilflosigkeit nachempfinden konnte.
Aber das wäre ihm wahrscheinlich sogar noch eine Genugtuung. Und so schwieg sie weiter und genoss den Anblick. Wie ein kahler Fisch lag er da herum. Verkabelt und angeschnallt noch dazu.
Jetzt wäre der Moment, ihm endlich ins Gesicht zu schlagen.
Sie merkte, wie sich ihre Hand leise bewegte, hielt jedoch inne, weil ihre Schwester den Raum betrat.

Mit Tränen in den Augen, die alte Heuchlerin. Wahrscheinlich wie immer pragmatisch, das konnte die gut. Sogar bei sichtbaren Gefühlsausbrüchen.
Die würde lieber die Hand aufhalten, anstatt den Alten ins Gesicht zu schlagen.
Mit ihr in einem Raum zu sein war in diesem Moment unmöglich, Tine merkte, wie sich ihr Magen verkrampfte, presste ihre Lippen aufeinander, damit denen ja kein Wort entschlüpfen konnte, und ging hinaus.

Ganz hinaus, in den Park zuerst, wo sie sich auf eine Bank setzte und sich am liebsten eine Zigarette angesteckt hätte, wenn denn eine in der Nähe gewesen wäre. War sie aber glücklicherweise nicht, das fehlte noch, wegen den Idioten sich selbst untreu zu werden, dachte sie.

In diesem Moment erschien am Ende des Weges die Silouette ihrer Mutter.
Klein, zusammengefallen, den Rollator vor sich her schiebend.
Die hatte ihr jetzt noch gefehlt. Mit ihrem Schöngetue und der Heuchelei, mit ihrem Unterdenteppichkehren, bis man über die Kante flog.

Tine drehte sich um und ging zur Bushaltestelle.
Nach Hause. Endlich konnte sie ein Zuhause ohne diese Bilder haben.
Sie würde sie alle verbrennen. Auf einem großen Scheiterhaufen im Garten. Egal, was die Nachbarn sagen würden.

Ein Bild jedoch hatte sie im Kopf an diesem Nachmittag. Das des Alten, wie er hilflos da lag, unfähig, noch irgendwelchen Schaden anzurichten. Nicht einmal mit Worten, geschweige denn mit seinen Händen.
Sie merkte, wie sich der Ring um ihre Brust öffnete, ihre Hände aufhörten zu zittern, und wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit machte.

Und obwohl sie wusste, dass noch lange nicht alles vorbei war, das Schlimmste war ausgestanden. Das war das Einzige, was zählte.

Diese Hilflosigkeit jedoch, die sie jahrelang gespürt hatte, die war nicht mehr da. Fast wäre sie an der Haltestelle auf und ab gehüpft vor Freude und Erleichterung, und am liebsten hätte sie laut gesungen. Was, das wäre egal. Hauptsache laut.

Und sie rief ihre liebste Freundin an. Und sagte nur:“Er stirbt. Was für ein Glück!“ Sie hörte, wie ihre Freundin am anderen Ende tief ein-und ausatmete und berührte das rote Hörersymbol ihres Handys. Mehr musste nicht gesagt werden, sie würden sich morgen treffen.
Sie schloss kurz die Augen, um das Bild noch einmal zu sehen. Wie er da hilflos lag, ausgeliefert und unfähig jedweder Regung. Und sah einen fetten Rahmen rund um das Bild. Fest, dunkel, unzerbrechlich anscheinend.


Dieses Bild würde sie in ihre Galerie hängen. Zu Hause natürlich. In ihre Galerie der ungemalten Bilder. Diese waren nur nachts zu sehen, wenn Tine die Augen schloss.

Tine allerdings verstand sich selbst nicht mehr.
Wie konnte sie nur solche Gedanken denken. In dem Moment, wo der Alte im Sterben lag. Und wie konnte sie ihn überhaupt in Gedanken den Alten nenne? Und woher kam der Hass auf ihre Schwester und ihre Mutter?
Wie ein Blitz war es eingeschlagen. Und sie wusste nicht, warum.
Was aber das Faszinierendste war – sie fühlte sich gut dabei. Kein bisschen schuldbewusst, wie sonst immer.

Sie stieg in die U-Bahn und genoss das Trubelige um sich herum. So konnte sie sich hinsezten, die Augen schließen und sich von der Geräuschkulisse trostvoll einhüllen lassen.

Diesmal jedoch erschien ihr auch hier ein Bild aus ihrer Galerie. Am hellichten Tage, mitten im Gewusel menschlicher Umgebung. Es überfiel sie sozusagen.

Es war das Bild mit dem fetten, verschnörkelten, prunkvollen, goldenen Rahmen.
Der ist fast größer, als das Bild selbst, auf jeden Fall aber eindrucksvoll, fast furchteinflößend.
Mittendrin zwei Mädchen, vorsichtig lächelnd, dahinter Vater und Mutter, der Vater hat jeweils eine Hand auf eine Schulter der Mädchen gelegt, die Mutter schaut zu ihm auf und lehnt sich an seine linke Schulter. Auch sie lächelt sanft, der Vater jedoch strahlt vor Besitzerstolz.
Sie sah dieses Bild vor sich und konnte sich nicht davon losreißen, nicht die Augen öffnen, nicht ihre Tränen wegwischen.

Dieser schreckliche Rahmen.
Sie spürte ihn förmlich.
Es gab kein Entweichen. Nicht für ein kleines Mädchen. Dafür war der Rahmen viel zu breit, zu stark, zu fest und zu eng.
Und natürlich viel zu schön, wie für eine Prinzessin eigentlich. Golden mit wunderschönen Mustern dazu.
Der gibt doch Halt, passt auf das Mädchen auf, schmückt es sozusagen. Könnte man denken.

Aber sie rüttelte daran. Eine lange Zeit.
Es tat weh, so oft. Aber sie rüttelte weiter.
Bis er an einer ganz kleinen Stelle brüchig wurde.
Und sie herausfiel.
Verletzt.
Du bist ein schreckliches Mädchen, sagte der Vater.
Die Mutter hatte dem nichts entgegen zu setzen.
Die Mutter hatte nie etwas entgegen zu setzen.

Sie war also ein schreckliches Mädchen.
Weil sie aus dem Rahmen gefallen war.
Aus diesem tollen Rahmen dieser tollen Familie.
Sie lebte mit diesem Gedanken, ein schreckliches, undankbares Mädchen zu sein.
Auch, als sie schon kein Mädchen mehr war.

Tine schaffte es doch irgendwie, die Augen zu öffnen, sah, dass sie noch in der U-Bahn war, und wischte sich die Tränen ab.
Und sie versuchte, die Rahmen für´s Erste zu vergessen.

Mit wackeligen Knien stieg sie an der richtigen Station aus, gelangte irgendwie zu ihrer Wohnung, nahm dort ein Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf ihre Couch fallen.
Da saß sie nun. Bemüht, nicht zu denken, nicht zu heulen, nicht umzufallen und nicht zum Telefon zu greifen.
So viel nichts.

Wer war sie überhaupt?
Rein äußerlich betrachtet ein Frau in den besten Jahren – oder sagt man das nur von Männern?

Egal, also ein Frau in den besten Jahren, erfolgreich im Beruf, gescheitert in zwei Ehen, in Liebe verbunden mit ihren Kindern und den kleinen Enkelmädchen, und im Moment allein und völlig durcheinander in ihrer gemütlichen Wohnung – mit kleinem Garten sogar - die sie sehr liebte, abgesehen von den Bildern.

Aus dem Rahmen gefallen. Was für ein Glück, denn Tine bekam langsam das Gefühl, dass sie keinen Rahmen mehr brauchte.
Und sie begann, Erleichterung zu spüren.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Stierfrau, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Eine berührende Geschichte. Vielleicht könntest Du noch mehr herausarbeiten, weshalb sie plötzlich Hoffnung spürt.

Es haben sich ein paar kleinere Rechtschreibfehler eingeschlichen.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

Stierfrau

Mitglied
Gleißend hell strömte die Sonne in das kahle Krankenzimmer. Staubteilchen flimmerten vor ihren Augen durch den Raum, nur ein schmatzendes Geräusch störte die ansonsten heilsame Stille.

Der alte Mann im frisch bezogenen Krankenhausbett bewegte die Lippen. Seine linke Hand krampfte sich zusammen, als wollte er mit den Händen erzählen, da ja seine Stimme versagte.
Kein Laut kam aus seinem sich hilflos öffnenden Mund.

Und sie stand da und frohlockte. Wie herrlich war es anzusehen. Hilflos lag er da und quälte sich im Inneren. Und sie war versucht, ihm zu sagen, wie sehr sie diese Hilflosigkeit nachempfinden konnte.
Aber das wäre ihm wahrscheinlich sogar noch eine Genugtuung. Und so schwieg sie weiter und genoss den Anblick. Wie ein kahler Fisch lag er da herum. Verkabelt und angeschnallt noch dazu.
Jetzt wäre der Moment, ihm endlich ins Gesicht zu schlagen.
Sie merkte, wie sich ihre Hand leise bewegte, hielt jedoch inne, weil ihre Schwester den Raum betrat.

Mit Tränen in den Augen, die alte Heuchlerin. Wahrscheinlich wie immer pragmatisch, das konnte die gut. Sogar bei sichtbaren Gefühlsausbrüchen.
Die würde lieber die Hand aufhalten, anstatt den Alten ins Gesicht zu schlagen.
Mit ihr in einem Raum zu sein war in diesem Moment unmöglich, Tine merkte, wie sich ihr Magen verkrampfte, sie presste ihre Lippen aufeinander, damit denen ja kein Wort entschlüpfen konnte, und ging hinaus.

Ganz hinaus, in den Park zuerst, wo sie sich auf eine Bank setzte und sich am liebsten eine Zigarette angesteckt hätte, wenn denn eine in der Nähe gewesen wäre. War sie aber glücklicherweise nicht, das fehlte noch, wegen den Idioten sich selbst untreu zu werden, dachte sie.

In diesem Moment erschien am Ende des Weges die Silouette ihrer Mutter.
Klein, zusammengefallen, den Rollator vor sich her schiebend.
Die hatte ihr jetzt noch gefehlt. Mit ihrem Schöngetue und der Heuchelei, mit ihrem Unterdenteppichkehren, bis man über die Kante flog.

Tine drehte sich um und ging zur Bushaltestelle.
Nach Hause. Endlich konnte sie ein Zuhause ohne Bilder haben.
Sie würde sie alle verbrennen. Auf einem großen Scheiterhaufen im Garten. Egal, was die Nachbarn sagen würden.

Ein Bild jedoch hatte sie im Kopf an diesem Nachmittag. Das des Alten, wie er hilflos da lag, unfähig, noch irgendwelchen Schaden anzurichten. Nicht einmal mit Worten, geschweige denn mit seinen Händen.
Sie merkte, wie sich der Ring um ihre Brust öffnete, ihre Hände aufhörten zu zittern, und wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit machte.

Und obwohl sie wusste, dass noch lange nicht alles vorbei war, das Schlimmste war ausgestanden. Das war das Einzige, was zählte.

Diese Hilflosigkeit jedoch, die sie jahrelang gespürt hatte, die war nicht mehr da. Fast wäre sie an der Haltestelle auf und ab gehüpft vor Freude und Erleichterung, und am liebsten hätte sie laut gesungen. Was, das wäre egal. Hauptsache laut.

Tine rief ihre liebste Freundin an. Und sagte nur:“Er stirbt. Was für ein Glück!“ Sie hörte, wie ihre Freundin am anderen Ende tief ein-und ausatmete und berührte das rote Hörersymbol ihres Handys. Mehr musste nicht gesagt werden, sie würden sich morgen treffen.
Sie schloss kurz die Augen, um das Bild noch einmal zu sehen. Wie er da hilflos lag, ausgeliefert und unfähig jedweder Regung. Und sah einen fetten Rahmen rund um das Bild. Fest, dunkel, unzerbrechlich anscheinend.


Dieses Bild würde sie in ihre Galerie hängen. Zu Hause natürlich. In ihre Galerie der ungemalten Bilder. Diese waren nur nachts zu sehen, wenn Tine die Augen schloss.

Tine allerdings verstand sich selbst nicht mehr.
Wie konnte sie nur solche Gedanken denken. In dem Moment, wo der Alte im Sterben lag. Und wie konnte sie ihn überhaupt in Gedanken den Alten nenne? Und woher kam der Hass auf ihre Schwester und ihre Mutter?
Wie ein Blitz war es eingeschlagen. Und sie wusste nicht, warum.
Was aber das Faszinierendste war – sie fühlte sich gut dabei. Kein bisschen schuldbewusst, wie sonst immer.

Sie stieg in die U-Bahn und genoss das Trubelige um sich herum. So konnte sie sich hinsezten, die Augen schließen und sich von der Geräuschkulisse trostvoll einhüllen lassen.

Diesmal jedoch erschien ihr sogar hier ein Bild aus ihrer Galerie. Am helllichten Tage, mitten im Gewusel menschlicher Umgebung. Es überfiel sie sozusagen.

Es war das Bild mit dem fetten, verschnörkelten, prunkvollen, goldenen Rahmen.
Der ist fast größer, als das Bild selbst, auf jeden Fall aber eindrucksvoll, fast furchteinflößend.
Mittendrin zwei Mädchen, vorsichtig lächelnd, dahinter Vater und Mutter, der Vater hat jeweils eine Hand auf eine Schulter der Mädchen gelegt, die Mutter schaut zu ihm auf und lehnt sich an seine linke Schulter. Auch sie lächelt sanft, der Vater jedoch strahlt vor Besitzerstolz.
Sie sah dieses Bild vor sich und konnte sich nicht davon losreißen, nicht die Augen öffnen, nicht ihre Tränen wegwischen.

Dieser schreckliche Rahmen.
Sie spürte ihn förmlich.
Es gab kein Entweichen. Nicht für ein kleines Mädchen. Dafür war der Rahmen viel zu breit, zu stark, zu fest und zu eng.
Und natürlich viel zu schön, wie für eine Prinzessin eigentlich. Golden mit wunderschönen Mustern dazu.
Der gibt doch Halt, passt auf das Mädchen auf, schmückt es sozusagen. Könnte man denken.

Aber sie rüttelte daran. Eine lange Zeit.
Es tat weh, so oft. Aber sie rüttelte weiter.
Bis er an einer ganz kleinen Stelle brüchig wurde.
Und sie herausfiel.
Verletzt.
Du bist ein schreckliches Mädchen, sagte der Vater.
Die Mutter hatte dem nichts entgegenzusetzen.
Die Mutter hatte nie etwas entgegenzusetzen.

Sie war also ein schreckliches Mädchen.
Weil sie aus dem Rahmen gefallen war.
Aus diesem tollen Rahmen dieser tollen Familie.
Sie lebte mit diesem Gedanken, ein schreckliches, undankbares Mädchen zu sein.
Auch, als sie schon kein Mädchen mehr war.

Tine schaffte es doch irgendwie, die Augen zu öffnen, sah, dass sie noch in der U-Bahn war, und wischte sich die Tränen ab.
Und sie versuchte, die Rahmen für´s Erste zu vergessen.

Mit wackeligen Knien stieg sie an der richtigen Station aus, gelangte irgendwie zu ihrer Wohnung, nahm dort eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf ihre Couch fallen.
Da saß sie nun. Bemüht, nicht zu denken, nicht zu heulen, nicht umzufallen und nicht zum Telefon zu greifen.
So viel nichts.

Wer war sie überhaupt?
Rein äußerlich betrachtet ein Frau in den besten Jahren – oder sagt man das nur von Männern?

Egal, also ein Frau in den besten Jahren, erfolgreich im Beruf, gescheitert in zwei Ehen, in Liebe verbunden mit ihren Kindern und den kleinen Enkelmädchen, und im Moment allein und völlig durcheinander in ihrer gemütlichen Wohnung – mit kleinem Garten sogar - die sie sehr liebte, abgesehen von den Bildern.

Aus dem Rahmen gefallen. Was für ein Glück, denn Tine bekam langsam das Gefühl, dass sie keinen Rahmen mehr brauchte.
Und sie begann, Erleichterung zu spüren.
 

Stierfrau

Mitglied
Hallo Doc Schneider,

danke für die Begrüßung und Deinen Kommentar zu der Geschichte.
Ich hab korrigiert...
Zum weiteren Ausarbeiten mache ich mir noch Gedanken, ich hatte es absichtlich ein wenig bedeckt gehalten, um einfach die Stimmung und das Gefühl mehr im Vordergrund behalten zu können. Aber der Gedanke der weiteren Ausgestaltung gefällt mir auch. Ich denk drüber nach..

Viele Grüße
von der Stierfrau
 

Wipfel

Mitglied
Hi Stierfrau,

mir gefällt dein Text. Nicht alles, aber in seiner Wirkung schon.

Gleißend hell strömte die Sonne in das kahle Krankenzimmer. Staubteilchen flimmerten vor ihren Augen durch den Raum, nur ein schmatzendes Geräusch störte die ansonsten heilsame Stille.
Gleißend ist immer hell - daher gemoppelt. Und kann die Sonne wirklich strömen? Kahl braucht das Krankenzimmer nicht. Usw. Nur ein Vorschlag, wie ich es reduzieren würde:
Gleißend strömte das Licht ins Krankenzimmer. Staubteilchen flimmerten vor ihren Augen. Heilsame Stille - und dieses schmatzendes Geräusch.
 

Stierfrau

Mitglied
Hi wipfel,
es freut mich, dass es Dir in der Wirkung gefällt.
Danke für Deine Anmerkungen - ich bin eh grad beim Verdichten, aber auch beim Ausgestalten, da passt es gut, Vorschläge zu bekommen.

Gleißend hell allerdings soll das Schrille der Situation deutlicher machen. Ich denk drüber nach.

Abendliche Grüße
 

Marker

Mitglied
hallo stierfrau,

dein textlein thront direkt ueber meinem "herr adam ...". aufgrund dieser nachbarschaft moechte ich dir auch noch ein paar hinweise geben. wie wipfel schon angemerkt hat, wuerde ich das hell nach gleissend deleten. das adjektiv hilflos und die hilflosigkeit wird mehrfach erwaehnt, fuer eine kg zu oft, einmal genuegt.
folgender satz ist fuer mich irgendwie nicht stimmig: kein laut kam aus seinem sich hilflos oeffnenden mund.
mein vorschlag: kahl und hilflos, wie ein fisch auf dem trockenen lag er da. stumm oeffnete sich sein maul.
hier noch zwei schreibfehler: silouette anstatt silhouette.
ein(e) frau in den besten jahren ...

ansonsten hat mir deine kg gefallen, ich werde gewiss noch mehr von dir lesen.
lg, marker
 

Stierfrau

Mitglied
Gleißend strömte die Sonne in das kahle Krankenzimmer. Staubteilchen flimmerten vor ihren Augen durch den Raum, nur ein schmatzendes Geräusch störte die ansonsten heilsame Stille.

Der alte Mann im frisch bezogenen Krankenhausbett bewegte die Lippen. Seine linke Hand krampfte sich zusammen, als wollte er mit den Händen erzählen, da ja seine Stimme versagte.

Und sie stand da und frohlockte. Wie herrlich war es anzusehen. Hilflos lag er da und quälte sich im Inneren. Und sie war versucht, ihm zu sagen, wie schrecklich bekannt ihr diese Gefühl war.
Aber das wäre ihm wahrscheinlich sogar noch eine Genugtuung. Und so schwieg sie weiter und genoss den Anblick. Wie ein kahler Fisch lag er da, stumm öffnete sich sein maul.
Jetzt wäre der Moment, ihm endlich ins Gesicht zu schlagen.
Sie merkte, wie sich ihre Hand leise bewegte, hielt jedoch inne, weil ihre Schwester den Raum betrat.

Mit Tränen in den Augen, die alte Heuchlerin.
Die würde lieber die Hand aufhalten, anstatt den Alten ins Gesicht zu schlagen.
Mit ihr in einem Raum zu sein war in diesem Moment unmöglich, Tine merkte, wie sich ihr Magen verkrampfte, sie presste ihre Lippen aufeinander, damit denen ja kein Wort entschlüpfen konnte, und ging hinaus.

Ganz hinaus, in den Park zuerst, wo sie sich auf eine Bank setzte und sich am liebsten eine Zigarette angesteckt hätte, wenn denn eine in der Nähe gewesen wäre. War sie aber glücklicherweise nicht, das fehlte noch, wegen den Idioten sich selbst untreu zu werden, dachte sie.

In diesem Moment erschien am Ende des Weges die Silouette ihrer Mutter.
Klein, zusammengefallen, den Rollator vor sich her schiebend.
Die hatte ihr jetzt noch gefehlt. Mit ihrem Schöngetue und der Heuchelei, mit ihrem Unterdenteppichkehren, bis alle anderen über die Kante flogen.

Tine drehte sich um und ging zur Bushaltestelle.

Ein Bild jedoch hatte sie im Kopf an diesem Nachmittag. Das des Alten, wie er lag, unfähig, noch irgendwelchen Schaden anzurichten. Nicht einmal mit Worten, geschweige denn mit seinen Händen.
Sie merkte, wie sich der Ring um ihre Brust öffnete, ihre Hände aufhörten zu zittern, und wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit machte.

Und obwohl sie wusste, dass noch lange nicht alles vorbei war, das Schlimmste war ausgestanden. Das war das Einzige, was zählte.

Diese Hilflosigkeit jedoch, die sie jahrelang gespürt hatte, die war nicht mehr da. Fast wäre sie an der Haltestelle auf und ab gehüpft vor Freude und Erleichterung, und am liebsten hätte sie laut gesungen. Was, das wäre egal. Hauptsache laut.

Tine rief ihre liebste Freundin an. Und sagte nur:“Er stirbt. Was für ein Glück!“ Sie hörte, wie ihre Freundin am anderen Ende tief ein-und ausatmete. Mehr musste nicht gesagt werden, sie würden sich morgen treffen.
Sie schloss kurz die Augen, um das Bild noch einmal zu sehen. Wie er da angeschnallt lag, ausgeliefert und unfähig jedweder Regung. Und sah einen fetten Rahmen rund um das Bild. Fest, dunkel, unzerbrechlich anscheinend.


Dieses Bild würde sie in ihre Galerie hängen. Zu Hause natürlich. In ihre Galerie der ungemalten Bilder. Diese waren nur nachts zu sehen, wenn Tine die Augen schloss.

Und doch erschrak sie.
Wie konnte sie nur so kalt sein. In dem Moment, wo der Alte im Sterben lag. Und wie konnte sie ihn überhaupt in Gedanken den Alten nennen? Und woher kam der Hass auf ihre Schwester und ihre Mutter?
Wie ein Blitz war es eingeschlagen. Und sie wusste nicht, warum.
Was aber das Faszinierendste war – sie fühlte sich gut dabei. Kein bisschen schuldbewusst, wie sonst immer.

Sie stieg in die U-Bahn und genoss das Trubelige um sich herum. So konnte sie sich hinsezten, die Augen schließen und sich von der Geräuschkulisse trostvoll einhüllen lassen.

Diesmal jedoch erschien ihr sogar hier ein Bild aus ihrer Galerie. Am helllichten Tage, mitten im Gewusel menschlicher Umgebung. Es überfiel sie sozusagen.

Es war das Bild mit dem fetten, verschnörkelten, prunkvollen, goldenen Rahmen.
Der ist fast größer, als das Bild selbst, auf jeden Fall aber eindrucksvoll, fast furchteinflößend.
Mittendrin zwei Mädchen, vorsichtig lächelnd, dahinter Vater und Mutter, der Vater hat jeweils eine Hand auf eine Schulter der Mädchen gelegt, die Mutter schaut zu ihm auf und lehnt sich an seine linke Schulter. Auch sie lächelt sanft, der Vater jedoch strahlt vor Besitzerstolz.
Sie sah dieses Bild vor sich und konnte sich nicht davon losreißen, nicht die Augen öffnen, nicht ihre Tränen wegwischen.

Dieser schreckliche Rahmen.
Sie spürte ihn förmlich.
Es gab kein Entweichen. Nicht für ein kleines Mädchen. Dafür war der Rahmen viel zu breit, zu stark, zu fest und zu eng.
Und natürlich viel zu schön, wie für eine Prinzessin eigentlich. Golden mit wunderschönen Mustern dazu.
Der gibt doch Halt, passt auf das Mädchen auf, schmückt es sozusagen. Könnte man denken.

Aber sie rüttelte daran. Eine lange Zeit.
Es tat weh, so oft. Aber sie rüttelte weiter.
Bis er an einer ganz kleinen Stelle brüchig wurde.
Und sie herausfiel.
Verletzt.
Du bist ein schreckliches Mädchen, sagte der Vater.
Die Mutter hatte dem nichts entgegenzusetzen.
Die Mutter hatte nie etwas entgegenzusetzen.

Sie war also ein schreckliches Mädchen.
Weil sie aus dem Rahmen gefallen war.
Aus diesem tollen Rahmen dieser tollen Familie.
Sie lebte mit diesem Gedanken, ein schreckliches, undankbares Mädchen zu sein.
Auch, als sie schon kein Mädchen mehr war.

Tine schaffte es doch irgendwie, die Augen zu öffnen, sah, dass sie noch in der U-Bahn war, und wischte sich die Tränen ab.
Und sie versuchte, die Rahmen für´s Erste zu vergessen.

Mit wackeligen Knien stieg sie an der richtigen Station aus, gelangte irgendwie zu ihrer Wohnung, nahm dort eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und ließ sich auf ihre Couch fallen.
Da saß sie nun. Bemüht, nicht zu denken, nicht zu heulen, nicht umzufallen und nicht zum Telefon zu greifen.
So viel nichts.

Wer war sie überhaupt?
Rein äußerlich betrachtet ein Frau in den besten Jahren – oder sagt man das nur von Männern?

Egal, also eine Frau in den besten Jahren, erfolgreich im Beruf, gescheitert in zwei Ehen, in Liebe verbunden mit ihren Kindern und den kleinen Enkelmädchen, und im Moment allein und völlig durcheinander in ihrer gemütlichen Wohnung – mit kleinem Garten sogar - die sie sehr liebte, abgesehen von den Bildern.

Aus dem Rahmen gefallen. Was für ein Glück, denn Tine bekam langsam das Gefühl, dass sie keinen Rahmen mehr brauchte.
Und sie begann, Erleichterung zu spüren.
 

Stierfrau

Mitglied
Hallo Marker,
sehr schön, einen Nachbarn kennenzulernen ;-)ich wurschtel mich ja grad hier durchs Forum.

Mein Problem ist, ich hab die Geschichte geändert und sie nimmt jetzt ein Ausmaß an, das mir selbst nicht bewusst war. Das hier war anscheinend nur der Anfang...

Ich hab an der hiesigen Version einiges geändert, danke Dir für Deine Hinweise und freue mich, dass Dir meine Geschichte gefällt.
Nun schau ich mal nach Deinem Herrn Adam.

LG
Ulrike
 



 
Oben Unten