Die Schlange des Verderbens

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Aligator

Mitglied
Mit Aufbackbrötchen, Käseaufschnitt und einer Tüte Chips stand ich an, besser gesagt, in der längsten Schlange aller Zeiten. Weit am Horizont konnte ich das Piepsen der Kasse erahnen, aber nur wenn der Wind gut stand.
Den Unmutsbekundungen meiner Mitkunden zum Trotz setzte ich ein Lächeln auf, um Überlegenheit zu demonstrieren. Nach einer halben Stunde waren meine Mundwinkel auf Schulterhöhe gerutscht. So konnte das nicht weitergehen!
„He, da vorne, können Sie mich hören?“
Anscheinend hörte mich niemand.
„Kann bitte jemand ne zweite Kasse aufmachen?“
Wieder keine Reaktion. Außer die meiner Mitkunden, die ganz meiner Meinung zu sein schienen.
„Ja, machen Sie endlich noch eine auf!“, krähte eine Dame im rosa Jogginganzug, was mir aus der kurzen Distanz einen gehörigen Schreck versetzte.
Durch meine Vorarbeit war jedenfalls der Knoten geplatzt. Das allgemeine Gemurmel steigerte sich zum offenen Protest, man vernahm Begriffe wie „Unverschämtheit“ und „Sauladen“. Eine Mutter zweier, quäkender Kinder hielt mir ihren Lachs unter die Nase. Er sei mittlerweile abgelaufen.
„Warum geht nicht jemand vor?“, hörte ich da ein hohes Stimmchen.
Das Kaugummi kauende Mädchen schaute uns mit erhobenen Brauen an. Schließlich sagte ich:
„Gute Idee, mein Kind. Sei doch so lieb und sag der Tante vorne Bescheid, dass die Kunden gerne hätten, dass eine zweite Kasse aufgemacht wird!“
Das Mädchen rollte die Augen.
„OK, du kriegst einen Euro dafür“, bot ich ihr an.
„Fünf!“
„Da geh ich lieber selbst!“

„Diese Rotzgören heutzutage“, dachte ich mir, während ich mich aufmachte, um die Angelegenheit ein für alle Mal zu klären.
Mir war zuvor nie aufgefallen, wie groß der Supermarkt eigentlich war. Nun erschlossen sich mir erstmals seine wahrhaft gigantischen Ausmaße. Ich lief in Richtung Kasse, hatte aber das Gefühl nicht wirklich vorwärts zu kommen. Irgendwann, es musste eine Viertelstunde vergangen sein, ließ ich mich auf einer Palette mit Waschmittel nieder. Mein rechter Schuh war bereits durchgelaufen.
Ich begutachtete den Inhalt meiner Geldbörse und beschloss, mir ein Taxi zu nehmen.
Endlich hielt eines an.
„Ich möchte zur Kasse, bitte!“
„Wer will das nich“, raunte der Fahrer.
Als ich mit verträumter Miene aus dem Fenster glotzte, bot sich mir ein Bild des Grauens. Menschenmassen schoben sich die Wagen in die Hacken. Etliche Kunden wurden ärztlich versorgt. Manche hatten sich die Beine in den Bauch gestanden, welch grauenhafter Anblick! Da waren auch welche, die scheinbar den Verstand verloren hatten, sie sprangen auf den Regalen umher oder rissen sich büschelweise die Haare aus. Hier und da konnte man ein einsames, weinendes Kind stehen sehen.
Im Radio hörte ich den Innenminister sagen:
„Aufgrund der prekären Lage im Aldi Süd, haben wir beschlossen, den Notstand auszurufen ...“

„Hier geht‘ s nich weiter“, meldete sich der Fahrer.
„Gut. Was bin ich Ihnen schuldig?“
„Fünfundneunzig Euro, der Herr.“
Ich bezahlte und öffnete die Tür.
Etwa zwanzig Meter vor der Kasse entfernt, hatte sich ein Berg aus Leibern und Einkaufswagen gebildet. Ich beobachtet, wie einige versuchten, den Gipfel zu erklimmen. Manche schafften es - doch wozu? Der Abstieg war noch um einiges haariger und endete in den meisten Fällen eher unglimpflich.
Ein sportlich gekleideter Herr mit Bart hing an der Nordwand, an einem dieser Kettchen der Einkaufswagen. Er versuchte sich rüber zu schwingen, um sich an einer Gesäßspalte fest zu haken, verfehlte diese jedoch und hinunter ging' s ins Tal, wo nichts mehr von ihm zeugte, als das gellende Echo seines letzten Schreis.
Dieser Achttausender war unbezwingbar, das war sicher.
Also blieb nur der Weg mittendurch. Nun gut, zuerst übergoss ich meinen Körper zur Verringerung der Reibung mit zwei Flaschen kalt gepresstem Olivenöl. Dann nahm ich Anlauf, legte die Ohren an und Plopp, war ich inmitten des Berges.
Es war wohl eher Glück als Verstand, dass ich in der Dunkelheit den richtigen Weg durch die Lebensmittel-Körper-Masse fand. Irgendwann vernahm ich einen Lichtschimmer und flutschte an der anderen Seite des Berges heraus.
Jenseits der Verpfropfung ging es noch ruhig und gesittet zu. Die Kunden standen brav in der Schlange und tatsächlich, die anderen beiden Kassen waren nicht geöffnet.
Endlich konnte ich mit letzter Kraft mein „Können Sie noch ne Kasse aufmachen“ loswerden.
Aber wieder geschah – nichts.

Neben dem Förderband standen Wagen, an denen die Skelette einiger Kunden hingen. Ich drängelte mich also ohne Widerstand vor, fragte aber trotzdem höflich, ob ich dürfe. Ich hatte ja nur so wenig: Aufbackbrötchen, Käseaufschnitt und ein Packung Chips.
Endlich kam ich vorne bei der Kassiererin an.
Diese diskutierte mit einer älteren Dame im Pelzmantel.

„Ich kann es nicht!“
„Aber ich bitte Sie! Sie sind doch so ein fesches Mädchen. Jetzt tun Sie mir doch den einen Gefallen!“
„Nein, bitte nehmen Sie es nicht persönlich, ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich nun mal meine Vorschriften habe!“
„Es ist doch nur dieses eine Mal.“
„Ob Sie jetzt bitte, bitte, die verdammte zweite Kasse aufmachen könnten?“, unterbrach ich lautstark das Gespräch.
„Moment, junger Mann“, sagte die Oma, „erst bin ich an der Reihe!“
Die Entschlossenheit in ihrem Blick ließ mich schaudern.
„Also, muss ich arme, alte Frau die Unterhosen jetzt wieder nach Hause schleppen? Sie rutschen!“
„Warum haben Sie es dann erst nach drei Wochen gemerkt?“, fragte die Kassiererin.
Ich blickte auf das gelbe Paar Unterbuchsen, das auf dem Scanner lag.
„Ich bitte Sie, ich bitte sie auf Knien im Namen der Menschlichkeit“, ich kniete wirklich, „machen Sie doch die zweite Kasse auf!“
„Ich kann nicht.“
„Wieso?“
„Weil der Knopf kaputt ist.“
„Welcher Knopf, denn?“
„Hier an der Seite ist ein Knopf, wenn man den drückt, dann macht' s Ding-Dong und die Kollegin kommt.“
„Gibt's da keine andere Möglichkeit, vielleicht anrufen oder so?“
„Nö.“
„Junger Mann!“, mahnte die Oma.
„Dann lassen Sie mich schnell bezahlen und Sie regeln das da hinterher!“, schlug ich vor.
„Eine Unverschämtheit, Sie Flegel, Sie!“ Die alte Dame erhob ihren Regenschirm.
„Also gut“, sagte die Kassiererin und zog meinen Kram schnell drüber.

Unnötig zu erwähnen, dass wegen der Taxirechnung das Geld nicht reichte.
 
A

aligaga

Gast
Ehrlich gestanden, Aligator, kann ich die Geschichte bei allem sprachlichen Aufwand, den du da getrieben hast, nicht wirklich lustig finden.

Jeder von uns, der schon mal in einer Mall war, weiß, dass das Bild, das du uns hier zeichnest, vom Grundsatz her nicht stimmt. Warteschlangen derart archaischen Ausmaßes gibt es heutzutage weder in den Großsortimentern Deutschlands, noch in denen Frankreichs, Italiens oder der Schweiz, um nur ein paar Länder zu nennen. Was es allerorten gibt, ist ungeduldige Kundschaft, für die sich drei Minuten queuing zu einer gefühlten halben Stunde dehnen. Deinen Text lese ich daher nicht als Satire, sondern eher als fantasy, die witzig sein will.

Das wäre eigentlich nicht so schlimm, denn es liest sich ja flüssig, und manches klingt richtig lustig.

Dummerweise sehe ich neben deinem Text Anna Sams „Les tribulations d’une caissière“, ein Bücherl, in dem die Wirklichkeit abgebildet wird und in der die kleine Kassiererin tagein, tagaus den Demütigungen, den Gemeinheiten und der Willkür ausgesetzt ist, die ihr von Seiten der Kundschaft und der Vorgesetzten widerfährt. Annas Bücherl will nicht bloß wie eine Satire aussehen – sie ist eine; mit ironischer Lässigkeit und scharfer Beobachtungsgabe beschreibt sie uns diese Welt so, dass uns ab und zu das Lachen im Halse stecken bleibt.

Du hast dein Kassenmädchen auf Piepstöne reduziert; sie scheint kein menschliches Wesen zu sein, sondern ein Scanner, mechanischer Bestandteil eines Terminals, der keine Identität hat und zu beschränkt zu sein scheint, die Kollegin auf andere Weise als durch einen Knopfdruck herbeizuholen.

Da ich auch für ganz kleine Tiere zu bremsen pflege, stört mich an deiner Geschichte die völlige Absenz von Mitgefühl für das last girl standing, das sich der Meute tapfer entgegenstemmt und das der Protagonist am Ende noch schamlos ausnutzt.

Tipp: geh nochmal drüber und mach aus dem Mädel den gunner, der sie ist. Dann muss sich der Leser nicht fremdschämen.

Gruß

aligaga
 

Aligator

Mitglied
Hallo aligaga

Ein herzliches Dankeschön für deinen Kommentar und dass du dich mit dem Text beschäftigt hast!
Warteschlangen derart archaischen Ausmaßes gibt es heutzutage weder in den Großsortimentern Deutschlands, noch in denen Frankreichs, Italiens oder der Schweiz, um nur ein paar Länder zu nennen.
Ähm, warst du schon mal in Dänemark einkaufen?
Nee, is klar:
Was es allerorten gibt, ist ungeduldige Kundschaft, für die sich drei Minuten queuing zu einer gefühlten halben Stunde dehnen
Genau. Hier geht es um den Umgang mit diesen drei bis fünf Minuten. Außerdem, wie sich unsere Einkaufstempel immer gewaltiger werden. Kennst du noch den Tante Emma Laden?
Wenn wir einkaufen, dann muss alles wie geschmiert laufen. "Waren Sie mit dem Einkauf zufrieden?" "Ja, es hätte noch ein weniger schneller, billiger und professioneller ablaufen können." Und wehe, die Kassiererin sagt nicht "schönes Wochenende", dann gibt's ne Abmahnung, das wird getestet.
Du hast dein Kassenmädchen auf Piepstöne reduziert; sie scheint kein menschliches Wesen zu sein, sondern ein Scanner, mechanischer Bestandteil eines Terminals, der keine Identität hat und zu beschränkt zu sein scheint, die Kollegin auf andere Weise als durch einen Knopfdruck herbeizuholen.
Genau. Es soll schon Läden gegeben haben, wo es nur noch diesen Scanner gibt. Und wehe, die Technik funktioniert nicht. Dann bricht alles zusammen.
Dies alles ist auf die gesamte Dienstleistung in Deutschland übertragbar. Im Grund wurdem die Arbeitskräfte in den letzten 10, 20 Jahren auf die Hälfte reduziert, bei ansteigenden Anforderungen versteht sich.

Da ich auch für ganz kleine Tiere zu bremsen pflege, stört mich an deiner Geschichte die völlige Absenz von Mitgefühl für das last girl standing, das sich der Meute tapfer entgegenstemmt und das der Protagonist am Ende noch schamlos ausnutzt.
Tipp: geh nochmal drüber und mach aus dem Mädel den gunner, der sie ist. Dann muss sich der Leser nicht fremdschämen.
Danke für den Tipp. Dein Mitgefühl in Ehren. Und deine Treue zur Realität auch.

Liebe Grüße,
Aligator
 

Maribu

Mitglied
Hallo Al(l)igator,

Glückwunsch zu diesem skurrilen Text!

Supermärkte, in denen Angestellte und Kunden mit Rollschuhen unterwegs sind, kennt man ja bereits. Dieser, und denn auch noch 'Aldi-Süd', ist ja etliche Dimensionen größer.
Dass die Taxi-Rechnung höher als der Preis für die Ware ist,
kann man sich vorstellen.
Ich nehme an, dass da noch mehr Lebensmittel "umgekippt" sind, als der abgelaufene Lachs.
Du hättest es noch mehr auf die Spitze treiben können, wenn die Dame im roten Jogginganzug ihren Einkaufswagen hätte in der Schlange stehen lassen ( es lagen sowieso nur eine Ananas und ein linksdrehender Joghurt darin.) und wäre ein paar Runden zwischen der Käsetheke und dem riesigen Stapel Toilettpapier
gejoggt.
Im Sommer habe ich auch viele Männer in Shorts und Badelatschen, mit eingekremten Gesichtern, gesehen, die ihrer Frau schwitzend den überladenen Einkaufswagen geschoben haben; wahrscheinlich als Alternative zum Schwimmen.

Hoffentlich bleibt uns das erspart und deine ausufernde Phantasie belustigt die Leser der LL, und dient nicht als Anregung für Investoren, die Edeka, Lidl, Penny usw. nachziehen lassen!
L.G.Maribu
 

Aligator

Mitglied
Servus Maribu!

Hui, da werd ich ja ganz rot :) Freut mich, dass ich deinen Geschmack getroffen habe. Solche Übertreibungen sind ja nicht jedermanns Sache. Der Text ist auch schon älter und wurde gehörig entschärft. Ich gestehe auch, dass ich die Urform schon in einem anderen Forum gestellt habe. Aber es ist einfach geil, wenn man immer wieder dran tüftelt und dazulernt.
Inspiriert wurde ich von "Die Bluse" von Hermann Harry Schmitz. Ich hatte es als Hörspiel im Radio gehört. Das solltest du dir unbedingt mal ankucken, wenn du' s nicht schon kennst. Köstlich!
Ich nehme an, dass da noch mehr Lebensmittel "umgekippt" sind, als der abgelaufene Lachs.
Deshalb auch der Titel, hhhhhh!

Grüße,
Aldigator
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Aligator, klasse Text. Die bekannte Alltagssituation schön ins vollkommen Verrückte verzerrt. Vor allem die Skelette an den Wagen haben es mir angetan. :)


Bitte mehr davon.

LG Doc, A..di-Süd geschädigt
 

Paloma

Mitglied
Guten Morgen Aligator,

ich liebe es :D – ich mag diese Übertreibungen und überhaupt den ganzen Text. Mit dem armen P. bin ich durch die Reihen gehuscht, bin Taxi gefahren und hab ums Überleben gekämpft. Ganz, ganz prima.

Liebe Grüße
Paloma
 

Aligator

Mitglied
Hallo Doc!

Danke für deine ermutigenden Worte (Einer wich ich braucht so was ... ooooooh)
Und ich kann dir ne Selbsthilfegruppe für Discounter-geschädigte empfehlen, wir treffen uns immer sonntags und vergleichen Einkaufszettel.

Grüße,
Aligator

--------------------------------------------------------------

Guten Abend Paloma!

Vielen Dank auch dir für dein Lob! Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll ... :D

Grüße,
Aligator
 

Maribu

Mitglied
Hallo Aligator

Glückwunsch zum "bestbewerteten Prosa-Werk aus zwei Wochen"!

Es freut mich, dass der "One-Hit-Wonder-Autor" und
Groß-Kritiker mit 129 Beiträgen, davon tatsächlich 3 (drei!)
eigenen Werken, keine Resonanz mit seinem Verriss gefunden
hat. - Es ist natürlich befriedigender, Texte anderer zu kritisieren, als selbst kritisiert zu werden; und je weniger
ich selber produziere, um so weniger kann es knallharte, aber durchaus konstruktive Kommentare für mich geben!

Ich kann mich nur "Doc" anschließen: Weiter so!

Lieben Gruß
Maribu
 

Aligator

Mitglied
Hallo Maribu!

Über Glückwunsch und "weiter so" hab ich mich sehr gefreut.
Warum das Schicksal gerade mein "Prosa Werk" (grins) dazu auserwählt hat, wird ein ewiges Mysterium bleiben. Was zählt, sind eure Bewertungen und Kommentare, die mir reichlich Ansporn sind.
Und dazu zähle ich auch aligagas. Ich hab das von ihm übrigens nicht als Verriss betrachtet, da es meist subjektive Eindrücke waren, die er da beschrieben hat. Und die fand ich schon interessant.
Ich find das gut, wenn mir jemand schreibt, wie es auf ihn wirkt oder an was ihn es erinnert hat. Ich find es gut, wenn meins jemanden bewegt seins dazu zu geben.

Liebe Grüße,
Aligator
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Aligator, Deine Schlange bekommt von mir den Stempel, weil sie mir an trüben Regentagen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Außerdem versüßt sie die Wartezeit an der Kasse, wenn ich an sie denke.

:)

LG DS
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Aligator,
mir hat Deine Geschicht gut gefallen, sie hat meine Laune verbessert. Konnte ich heute auch gut gebrauchen. Danke! :D

Der Ausdruck im folgenden Satz
Den Unmutsbekundungen meiner Mitkunden zum Trotz setzte ich ein Lächeln auf,
ist nicht so nach meinem Geschmack. Mir würde Unmutsäußerungen besser gefallen.

Für den Protagonisten ist es ja noch gut gelaufen, ich hätte ihn wieder zum Ende der Schlange geschickt, was ihn wahrscheinlich in den Selbstmord getrieben hätte. ;)

Herzlich Grüße Ilona
 

Aligator

Mitglied
Hi lizza, Doc und Ilona B!

Freu mich über eure Kommentare!

Ich fühle mich auch sehr geehrt, wegen dem Stempel. Ich möchte als erstes meiner Mutter danken, dass sie mich auf diese verrückte Welt gebracht hat, dann meinem Deutschlehrer Hr. Henrich, meiner Frau Sana, meinem Kampffisch, wie hieß der nochmal ... und natürlich der gesamten bekloppten Menschheit, die mir auf immer ein Quell unerschöpflicher Inspiration sein wird, vor allem, wenn ich mal wieder vor der Kasse steh'.

Danke, danke, danke!!!
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hehe, das ist wie bei der Oscarverleihung, da bedanken sich die Stars auf bei allen möglichen Leuten. Vergiss Deinen Vater nicht. :)

Very amused, DS
 

sonah

Mitglied
Mir gefällt dieser leicht surreale Text.

Vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten:

ein Packung Chips
und über den Anfangssatz bin ich etwas gestolpert, vielleicht kann man den noch eleganter formulieren

stand ich an, besser gesagt, in der längsten Schlange aller Zeiten.
Die Ungelduld, das Ausgeliefertsein an die technischen Rahmenbedingungen (Knopf geht nicht) und Personalabbau und die verschiedenen Charaktere sind plastisch dargestellt.

Schönen Gruß,

Sybille
 
Hallo Aligator,
Also, ich habe deine Geschichte gerne gelesen. Was mir besonders gefiel: wie eine alltägliche Situation, die Warteschlange an der Kasse, umkippt ins Irreale bzw. Surreale, ins Groteske und Absurde mit einem Schuss Horror. Das erinnert mich an das französische absurde Theater, aber auch an Filme wie Falling Down – ein ganz normaler Tag mit Michael Douglas oder Der große Stau von Luigi Comencini; in beiden Filmen geht es darum, wie „ganz normale Menschen“ in einer endlosen Wartesituation allmählich durchdrehen und Abgründe von Emotionen, Aggressionen und Egoismus offenbaren.

Du hast du deine Erzählung mit vielen Details lebhaft ausgeschmückt, so dass etwas eigentlich Unmögliches fast realistisch rüberkommt.

Ich will gerne noch eine Facette aus der Warteschlangen- Wissenschaft beisteuern. Es gilt folgendes Gesetz: „In der Schlange, in der du wartest, dauert es immer am längsten.“ Und wechselst du in eine kürzere Schlange, dann wird sich in der neuen Schlange mit Sicherheit eine Verzögerung ergeben: der Kassenautomat geht kaputt, ein Rentner will seine gesammelten 1-Cent-Münzen loswerden oder jemand findet seine EC-Karte nicht. Und du siehst mit Trauer und Wut, dass du in deiner alten Schlange längst durch wärst. Aber wehe, du wechselst die Schlange wieder …
 

Aligator

Mitglied
Mit Aufbackbrötchen, Käseaufschnitt und einer Tüte Chips stand ich an, besser gesagt, in der längsten Schlange aller Zeiten. Weit am Horizont konnte ich das Piepsen der Kasse erahnen, aber nur wenn der Wind gut stand.
Den Unmutsbekundungen meiner Mitkunden zum Trotz setzte ich ein Lächeln auf, um Überlegenheit zu demonstrieren. Nach einer halben Stunde waren meine Mundwinkel auf Schulterhöhe gerutscht. So konnte das nicht weitergehen!
„He, da vorne, können Sie mich hören?“
Anscheinend hörte mich niemand.
„Kann bitte jemand ne zweite Kasse aufmachen?“
Wieder keine Reaktion. Außer die meiner Mitkunden, die ganz meiner Meinung zu sein schienen.
„Ja, machen Sie endlich noch eine auf!“, krähte eine Dame im rosa Jogginganzug, was mir aus der kurzen Distanz einen gehörigen Schreck versetzte.
Durch meine Vorarbeit war jedenfalls der Knoten geplatzt. Das allgemeine Gemurmel steigerte sich zum offenen Protest, man vernahm Begriffe wie „Unverschämtheit“ und „Sauladen“. Eine Mutter zweier, quäkender Kinder hielt mir ihren Lachs unter die Nase. Er sei mittlerweile abgelaufen.
„Warum geht nicht jemand vor?“, hörte ich da ein hohes Stimmchen.
Das Kaugummi kauende Mädchen schaute uns mit erhobenen Brauen an. Schließlich sagte ich:
„Gute Idee, mein Kind. Sei doch so lieb und sag der Tante vorne Bescheid, dass die Kunden gerne hätten, dass eine zweite Kasse aufgemacht wird!“
Das Mädchen rollte die Augen.
„OK, du kriegst einen Euro dafür“, bot ich ihr an.
„Fünf!“
„Da geh ich lieber selbst!“

„Diese Rotzgören heutzutage“, dachte ich mir, während ich mich aufmachte, um die Angelegenheit ein für alle Mal zu klären.
Mir war zuvor nie aufgefallen, wie groß der Supermarkt eigentlich war. Nun erschlossen sich mir erstmals seine wahrhaft gigantischen Ausmaße. Ich lief in Richtung Kasse, hatte aber das Gefühl nicht wirklich vorwärts zu kommen. Irgendwann, es musste eine Viertelstunde vergangen sein, ließ ich mich auf einer Palette mit Waschmittel nieder. Mein rechter Schuh war bereits durchgelaufen.
Ich begutachtete den Inhalt meiner Geldbörse und beschloss, mir ein Taxi zu nehmen.
Endlich hielt eines an.
„Ich möchte zur Kasse, bitte!“
„Wer will das nich“, raunte der Fahrer.
Als ich mit verträumter Miene aus dem Fenster glotzte, bot sich mir ein Bild des Grauens. Menschenmassen schoben sich die Wagen in die Hacken. Etliche Kunden wurden ärztlich versorgt. Manche hatten sich die Beine in den Bauch gestanden, welch grauenhafter Anblick! Da waren auch welche, die scheinbar den Verstand verloren hatten, sie sprangen auf den Regalen umher oder rissen sich büschelweise die Haare aus. Hier und da konnte man ein einsames, weinendes Kind stehen sehen.
Im Radio hörte ich den Innenminister sagen:
„Aufgrund der prekären Lage im Aldi Süd, haben wir beschlossen, den Notstand auszurufen ...“

„Hier geht‘ s nich weiter“, meldete sich der Fahrer.
„Gut. Was bin ich Ihnen schuldig?“
„Fünfundneunzig Euro, der Herr.“
Ich bezahlte und öffnete die Tür.
Etwa zwanzig Meter vor der Kasse entfernt, hatte sich ein Berg aus Leibern und Einkaufswagen gebildet. Ich beobachtet, wie einige versuchten, den Gipfel zu erklimmen. Manche schafften es - doch wozu? Der Abstieg war noch um einiges haariger und endete in den meisten Fällen eher unglimpflich.
Ein sportlich gekleideter Herr mit Bart hing an der Nordwand, an einem dieser Kettchen der Einkaufswagen. Er versuchte sich rüber zu schwingen, um sich an einer Gesäßspalte fest zu haken, verfehlte diese jedoch und hinunter ging' s ins Tal, wo nichts mehr von ihm zeugte, als das gellende Echo seines letzten Schreis.
Dieser Achttausender war unbezwingbar, das war sicher.
Also blieb nur der Weg mittendurch. Nun gut, zuerst übergoss ich meinen Körper zur Verringerung der Reibung mit zwei Flaschen kalt gepresstem Olivenöl. Dann nahm ich Anlauf, legte die Ohren an und Plopp, war ich inmitten des Berges.
Es war wohl eher Glück als Verstand, dass ich in der Dunkelheit den richtigen Weg durch die Lebensmittel-Körper-Masse fand. Irgendwann vernahm ich einen Lichtschimmer und flutschte an der anderen Seite des Berges heraus.
Jenseits der Verpfropfung ging es noch ruhig und gesittet zu. Die Kunden standen brav in der Schlange und tatsächlich, die anderen beiden Kassen waren nicht geöffnet.
Endlich konnte ich mit letzter Kraft mein „Können Sie noch ne Kasse aufmachen“ loswerden.
Aber wieder geschah – nichts.

Neben dem Förderband standen Wagen, an denen die Skelette einiger Kunden hingen. Ich drängelte mich also ohne Widerstand vor, fragte aber trotzdem höflich, ob ich dürfe. Ich hatte ja nur so wenig: Aufbackbrötchen, Käseaufschnitt und eine Packung Chips.
Endlich kam ich vorne bei der Kassiererin an.
Diese diskutierte mit einer älteren Dame im Pelzmantel.

„Ich kann es nicht!“
„Aber ich bitte Sie! Sie sind doch so ein fesches Mädchen. Jetzt tun Sie mir doch den einen Gefallen!“
„Nein, bitte nehmen Sie es nicht persönlich, ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich nun mal meine Vorschriften habe!“
„Es ist doch nur dieses eine Mal.“
„Ob Sie jetzt bitte, bitte, die verdammte zweite Kasse aufmachen könnten?“, unterbrach ich lautstark das Gespräch.
„Moment, junger Mann“, sagte die Oma, „erst bin ich an der Reihe!“
Die Entschlossenheit in ihrem Blick ließ mich schaudern.
„Also, muss ich arme, alte Frau die Unterhosen jetzt wieder nach Hause schleppen? Sie rutschen!“
„Warum haben Sie es dann erst nach drei Wochen gemerkt?“, fragte die Kassiererin.
Ich blickte auf das gelbe Paar Unterbuchsen, das auf dem Scanner lag.
„Ich bitte Sie, ich bitte sie auf Knien im Namen der Menschlichkeit“, ich kniete wirklich, „machen Sie doch die zweite Kasse auf!“
„Ich kann nicht.“
„Wieso?“
„Weil der Knopf kaputt ist.“
„Welcher Knopf, denn?“
„Hier an der Seite ist ein Knopf, wenn man den drückt, dann macht' s Ding-Dong und die Kollegin kommt.“
„Gibt's da keine andere Möglichkeit, vielleicht anrufen oder so?“
„Nö.“
„Junger Mann!“, mahnte die Oma.
„Dann lassen Sie mich schnell bezahlen und Sie regeln das da hinterher!“, schlug ich vor.
„Eine Unverschämtheit, Sie Flegel, Sie!“ Die alte Dame erhob ihren Regenschirm.
„Also gut“, sagte die Kassiererin und zog meinen Kram schnell drüber.

Unnötig zu erwähnen, dass wegen der Taxirechnung das Geld nicht reichte.
 

Aligator

Mitglied
Hallo sonah!

Danke für dein Kommentar. Deine Vorschläge übernehm ich prompt. Ich wünsch dir noch einen wunderschönen Resttag.

Grüße,
Aligator
 

Aligator

Mitglied
Guten Tag Stefan!

Ich will gerne noch eine Facette aus der Warteschlangen- Wissenschaft beisteuern. Es gilt folgendes Gesetz: „In der Schlange, in der du wartest, dauert es immer am längsten.“ Und wechselst du in eine kürzere Schlange, dann wird sich in der neuen Schlange mit Sicherheit eine Verzögerung ergeben: der Kassenautomat geht kaputt, ein Rentner will seine gesammelten 1-Cent-Münzen loswerden oder jemand findet seine EC-Karte nicht. Und du siehst mit Trauer und Wut, dass du in deiner alten Schlange längst durch wärst. Aber wehe, du wechselst die Schlange wieder …
O mein Gott, du hast es auf den Punkt gebracht! Aber jetzt mal unter uns ... seit ich diese Geschichte reingestellt hab, bin ich von einer Art Fluch betroffen, was das angeht. Ich meine, gestern zum Beispiel, da hab ich mir auch gedacht, als drüben ne neue Kasse aufgemacht wurde: na bleibst du halt bei der Kasse, steht ja nur eine vor dir. Im Endergebnis wurden fünf Kunden bei der anderen vor mir abkassiert ("EC-Karte, hmm, geben Sie die Nummer nochmal ein, ich weiß gar nicht, was das heute ist ..".)und dann hat sich noch eine Kundin illegaler Weise - zwar völlig unbeabsichtigt, aber einen Bekannte der Kassiererin war' s schon ("Hasch jetzt was anners gfunde ...")- vorgedrängelt.
Aber ich bleib mittlerweile gelassen. Die Geschichte hat einen therapeutischen Aspekt.

Zum Gedenken aller Schlangenopfer,
Aligator
 



 
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