Die Vergebung

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TaugeniX

Mitglied
Die Vergebung

Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück rotes Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam das Stück Karton ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte das rote Papier in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens vom Herrn Schmiedinger aus. – Er hatte 2 Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige, erwartungsvolle Gesicht.
 

TaugeniX

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Die Vergebung

Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück rotes Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam das Stück Karton ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte das rote Papier in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens aus. – Herr Schmiedinger hatte 2 Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige, erwartungsvolle Gesicht.
 

TaugeniX

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Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück rotes Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam das Stück Karton ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte das rote Papier in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens aus. – Herr Schmiedinger hatte zwei Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige, erwartungsvolle Gesicht.
 

Ji Rina

Mitglied
Ein interessanter Text, der zum Nachdenken anregt, über Opfer und Täter, Schuld und Sühne. Der „symbolische“ Stein hat mir gut gefallen.
Der „Täter“ „kann sich nicht mehr recht an das Geschehne erinnern“ und verdrängt es. Er kommt aber 21 Jahrenlang immer wieder an den Tatort zurück; er hofft und malt sich einen Traum aus;
Auch das „Opfer“ kommt zurück. Stillschweigend betrachten sie sich. Man hofft... irgendetwas in ihrem Inneren würde sich doch noch zum guten wenden; eine Aussprache, ein Ende setzen.
Aber leider, wie so oft im Leben, geschieht dies nicht. Viel mehr ein 21 Jahrelanges Schweigen, nur um sich zu rächen. Schade.
Sprachlich, sehr schön geschrieben.
Mit liebem Gruss,
Ji
 

TaugeniX

Mitglied
Danke für das Mitgefühl! Ich machte mir sehr Sorgen, ob das hoffnungslose bittere Ende bei Lesern ankommt!

Und Danke natürlich für die positive Bewertung der Sprache: sie ist ja sowieso meine größte Unsicherheit und mein Sorgenkind. Da fürchtete ich, dass die Geschichte zu schlicht und irgendwie "spracharm" geworden ist.
 

TaugeniX

Mitglied
Nö, Rina, leider nicht. Deutsch ist eine Fremdsprache für mich und sie wird es bleiben. Die Illusion, eine Blutsverwandschaft in einem Gewaltakt zu erzwingen, habe ich aufgegeben: eine Stiefmuttersprache kann man sich erarbeiten, echte Mutter wird sie aber niemals.

Die Selbstverständlichkeit, der natürliche familiäre und intime Umgang mit eurer Sprache bleibt mir verwehrt.
 

Wipfel

Mitglied
Schuld und Sühne. Wie gut es da die Katholiken haben, einmal Beichten gehen - alle Schuld auf Null gedreht. Dass es doch nicht ganz so einfach ist, zeigt dein Text.

einige Anmerkungen:
und ein ausgeschnittenes Stück rote[strike]s[/strike][blue]r[/blue] Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam [strike]das Stück Karton[/strike] [blue]es[/blue] ohne Foto.
Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte das rote Papier in eine Schuhschachtel.
Warum jetzt Papier? Von Karton war doch die Rede, nicht?
las er zwar im Gerichtsakt
Möglich, dass es den Sprachgebrauch in Ö gibt, da wird ja auch der Laden nicht geöffnet sondern aufgesperrt. In D gibt es nur Gerichtsakten - und die sind weiblich. Der Akt selbst gehört an die Wand oder ins Theater. (ja es gibt auch Skulpturen und Opernhäuser...) Ich fand es dennoch nett, das so zu lesen.

Und so weiter...

Letzter Satz:
Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige[strike], erwartungsvolle[/strike] Gesicht.
Geschmackssache - ich würde nur ein Adjektiv stehenlassen.

Feinarbeit die also bleibt, wie immer bei einem guten Text.

Grüße von wipfel
 

TaugeniX

Mitglied
Die Vergebung

Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück roter Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam das Stück Karton ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte das rote Papier in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens aus. – Herr Schmiedinger hatte zwei Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige, erwartungsvolle Gesicht.
 

TaugeniX

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Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück roter Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam es ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte das rote Papier in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens aus. – Herr Schmiedinger hatte zwei Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige, erwartungsvolle Gesicht.
 

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Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück roter Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam es ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte den Karton in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens aus. – Herr Schmiedinger hatte zwei Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige, erwartungsvolle Gesicht.
 

TaugeniX

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Die Vergebung

Auch heute bekam Herr Schmiedinger die gewohnte Post. Sie kam jeden Freitag, - ein Foto vom Mann im Rollstuhl und ein ausgeschnittenes Stück roter Karton, das eine rote Ampel darstellen sollte. An anderen Tagen der Woche kam es ohne Foto. Herr Schiedinger heftete das Foto in ein dickes Album und legte den Karton in eine Schuhschachtel. Dann zählte er die Fotos: 1090 Freitage waren es, seit das Verfahren abgeschlossen wurde und er mit einer bedingten Strafe davonkam. Er betrachtete die Bilder – der Mann im Rollstuhl ist alt geworden… Wie die Zeit vergeht, tja… Dann las er eine Stunde lang in seinem Gerichtsakt und machte sich auf den Weg zum Tatort. Dies tat er auch schon seit Tausend und neunzig Freitagen, - immer zur gleichen Zeit. An anderen Tagen der Woche las er zwar im Gerichtsakt, unterließ jedoch den Gang zur Kreuzung, an der er zum Täter wurde. Die minutiöse Sorgfalt beim Einhalten des täglichen Rituals war es, die ihn am Leben hielt. Auch der Mann im Rollstuhl blieb seiner Rolle immer treu. Er unterließ es nie, seine Briefe abzuschicken und kam auch jeden Freitag an die Kreuzung, an der er zum Opfer wurde. Dort trafen sie sich schweigend, betrachteten einander wenige Minuten, sahen sich die Ampel an und gingen auseinander. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Rendezvous verfestigt, obwohl sie kein Wort miteinander sprachen.

Die rote Ampel machte nur ein Teil des Verschuldens aus. – Herr Schmiedinger hatte zwei Bier getrunken bevor er ins Auto stieg, und fuhr die Kreuzung auch viel zu schnell an für das neblige Wetter. Die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens sah er reumütig ein. Doch die Ampel, - die Ampel sollte auf seiner Seite sein. Er sah sie „Grün“. Die Ampel war grün, als er sich dem Zebrastreifen näherte. Ja, sie war grün! - Beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm lieb und teuer im Leben war, könnte er schwören: die Ampel war grün. Doch Zeugen gab es keine und das Opfer beharrte auf dem Gegenteil: auch der Mann im Rollstuhl wollte schwören, - beim Heil seiner Seele, bei allem, was ihm vom Leben übrig blieb…

Nach 21 Jahren verdrängte die zerschundene Psyche des Herrn Schmiedinger den Augenblick seiner Tat. Mit jeder neuen „roten Ampel“, die er in die Schuhschachtel einräumen musste, wuchsen seine Zweifel. Er erinnerte sich an sein eigenes verzweifeltes Schreien im Gerichtssaal, doch nicht mehr an die Farbe des Lichtleins, wie es damals aus dem dichten Nebel schimmerte. Dafür besuchte ihn immer wieder ein erlösender Traum: da kam er dem Mann im Rollstuhl entgegen und reichte ihm einen Stein. Dieser jedoch warf den Stein nicht auf den reuigen Sünder, sondern viel höher – über seinen Kopf – und zerschlug die verhasste, rot leuchtende Ampel.

Diesem Traum folgte er am heutigen Freitag, - genau eine Woche bevor es volle 21 Jahre werden sollten. Um 17:45 stand er an der ungeraden Seite der Straße und wartete. Der Mann im Rollstuhl kam wie gewohnt um 17:50 und starrte ihn von der anderen Seite an. Nach einundzwanzig Jahren ging Herr Schmiedinger über die Straße. Das Opfer betrachtete entsetzt den Pflasterstein in seiner Hand. Herr Schmiedinger ging vor dem Rollstuhl auf ein Knie und gab dem Mann im Rollstuhl den Stein. Er glaubte an die Vergebung so fest, wie man an Gott glaubt. Doch der Mann im Rollstuhl war nicht der Mann aus seinem Traum. Er holte aus und schlug ihm den Stein ins reuige Gesicht.
 

TaugeniX

Mitglied
Vielen Dank für die Korrektur, Kollege! Habe alles eingearbeitet.

Nur den Gerichtsakt lasse ich stehen, - in Österreich darf man es tatsächlich:
Ge|rịchts|akt, der <Pl. -en> (bes. südd., österr.) :)

Schließlich muss ich mich in meiner Wahlheimat integrieren.
 

Ji Rina

Mitglied
@TaugeniX

""Nö, Rina, leider nicht. Deutsch ist eine Fremdsprache für mich und sie wird es bleiben.""

haha, wem erzählst Du es? Ich sprech hier Deutsch nur noch mit meinem Hund (ist aber auch begrenzt).
Na wenigstens lebst Du in Deutschland (oder Oesterreich)
Gruss, Ji
 

TaugeniX

Mitglied
Was ist Deine Muttersprache? Ich bin Russin. Sind wir vielleicht sogar Landsleute?

Oder bist Du selbst Deutsch und wohnst im Ausland?
 

TaugeniX

Mitglied
einmal Beichten gehen - alle Schuld auf Null gedreht

@ Wipfel, in einem russischen - wie sonst? - Buch sagt ein Starez (greiser Mönch, der zu Lebzeiten als Heiliger und Lehrer der Kirche verehrt wird) zu seinem Beichtkind:

"Gott wird dir vergeben, du aber vergebe dir nie! So lebe zwischen Gottes Erbarmen und eigener Zerfleischung." (Бог простит, только ты себе не прощай. Так и живи между Божьим прощением и своим терзанием.)
 

Wipfel

Mitglied
Furchtbar. Das ist der Gott der Strafe - mit diesem Bild hat die Kirche Angst verbreitet und in den Herzen regiert. Nicht Gott, wohlgemerkt, die Kirche.
Jesus: Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Liebe dich selbst, dann kannst du andere lieben. Und
heißt
.

Die Liebe ist das Größte.

Das ist alles. Jetzt höre ich aber auf mit religösen Diskursen in der LL.

Grüße von wipfel
 

Wipfel

Mitglied
Fachfrage: своим терзанием heißt doch wörtlich seiner (und nicht meiner) Wunde. Ich habe keine Ahnung. doch könnte man das auch so übersetzen: So lebe zwischen Gottes Vergebung und seiner Wunde/Qual? Sinnfrei, ich weiß. Die russischen Bilder...

Grüße von wipfel
 

TaugeniX

Mitglied
терзание ist nicht die Wunde, sondern die Qual, bzw. auch das Quälen, - aber nicht das passive Leiden. Das Verb "terzat`" bedeutet primär "zerreißen", - das Raubtier "terzaet" = zerreißt seine Beute.

"своим терзанием" ist das Zerreißen seiner selbst. Man soll sich eben zerreißen vor Reue. Das "svoim" bezieht sich auf den Abgesprochenen. - Wir sagen nicht "vergiss Deine = tvoi Sachen nicht", sondern "vergiss svoi Sachen nicht".

Ach, die Orthodoxie kennt Wörter, die man gar nicht übersetzen kann ins Deutsche! Kennst Du Радостопечалие, die selige Trauer? Unsere Schrisftsprache wurde in einem heiligen Gewaltakt von Kirill und Methodius aus dem Boden gestampft als Mittel zur Verkündung des Evangeliums und der Kirchenlehre. Und diese Sprache formt unser Bewußtsein. Deswegen haben sogar unsere bekennenden Atheisten den gleichen düsteren byzantinischen Geist wie die Einsiedler und Wüstenväter.
 
Gefällt mir, auch sprachlich. Einer kann nicht vergessen,der andere nicht vergeben. Beide Positionen sind gut nachvollziehbar.
Das Ende finde ich gut und passend, wenn auch ein wenig abrupt. Was man sich persönlich ausmalt, muss nicht immer etwas mit der Realität zu tun haben.
 



 
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