Die Wand und das Mädchen

5,00 Stern(e) 1 Stimme

Eleonore F.

Mitglied
Die Wand und das Mädchen

Tagelang war sie wachgelegen, hatte die Vorhänge zugezogen, den Mund verbogen, den Tod zurückgekämmt. Nichts hatte ihr geholfen, und überhaupt war niemand im Haus gewesen, als der Schornsteinfeger kam und sie noch im Bett lag, der Traum noch haftend wie ein klebriger Brei. Sie hatte aufstehen wollen, den Mann hereinlassen; ein Wort hören, in ein Aug schauen. Ihr Haar ungekämmt, blieb sie liegen; und auch die gelben Vorhänge ließen das Licht der Sonne verblassen. Eine Bewegung machen, dachte sie, ein Schritt um das Haus.
Die Wand, mit Taubenmustern übersät, schaute belustigt zu ihr aufs Bett. Was machst du da, fragte sie? Lass mich liegen, sagte das Mädchen. Ich habe die Notwendigkeit noch nicht erkannt. Gedulde dich. Schieb dich derweilen an mich heran, schütze mich. Und die Wand breitete sich um sie aus wie ein warmer Mantel.
Dann klagte ihr Gewissen und sie machte Anstalten zurückzuweichen. Sie sah das Mädchen, blass und kaltfüßig. Möchtest du reden, fragte sie. Ich bin eine gute Zuhörerin.
Dass ich nicht lache, sagte das Mädchen. Du verschlingst doch alles, ohne es weiterzugeben, saugst es in jede Ritze, bis es stirbt. Ich gebe dir nichts ab.
Erzähl mir doch, was du denkst, schmeichelte die Wand.
Jetzt hättest du mich fast gehabt, sagte das Mädchen. Mit deiner Güte, deinem scheinbaren Schutz. Ich falle nicht mehr darauf rein. Ich sehe doch, wo es hin gerät. Siehst du nicht, dass ich es satt habe.
Der Himmel draußen: eine gleißende Verheißung. Die Wiesen am Wald ein Bett für Stunden. Nur aufbrechen, dachte sie, nur die 4 Wände verlassen. Sie lag noch immer, die Decke über ihre Glieder gebreitet.
Bleib doch, sagte die Wand. Hier ist es sicher.
Da wurde das Mädchen böse, stand auf und schlug auf die Wand ein: Sicher nennst du das? Alleinsein ist doch nicht sicher. Wer wird sich um mich kümmern, wenn ich krank bin?
Aber du hast deine Ruhe, sagte die Wand; niemand wird dich stören.
Meine Ruhe, dachte das Mädchen, ja die hab ich. Aber was soll ich damit machen? Wenn ich krank werde, hörst du, wenn ich krank werde!
Die Wand trat näher an das Bett heran, strich dem Mädchen über die Schultern. Aber du bist schon krank, sagte die Wand, und du siehst doch, es ist nicht schlimm.
Nicht schlimm, begann das Mädchen an zu wimmern, das nennest du nicht schlimm? Wer trägt mich dann zum Grab, wenn ich in der Ecke liege? Sag, wer hält meine Hand?
Die Wand wich erschrocken zurück: Ich nicht, sagte sie. Das verstehst du doch. Ich kann das nicht übernehmen.
Wer macht es dann, schluchzte das Mädchen. Irgendjemand muss es doch tun!
Dafür bin ich nicht zuständig, gab die Wand kühl zurück. Dafür war ich noch nie zuständig.
Dann sag mir, wer ist es, fragte das Mädchen.
Die Wand zog sich bedrückt zusammen. Sie sah plötzlich alt aus; Falten legten sich hilflos über ihr Gesicht. Es tut mir leid, sagte sie, ich war noch niemals draußen. Zum ersten Mal hatte sie es ausgesprochen, und sie schämte sich.
Siehst du, sagte das Mädchen, du kannst mir nicht helfen.
Doch, sagte die Wand, doch ich kann es. Aber ihr fehlten die Argumente.
Dann werde ich jetzt gehen, sagte das Mädchen, rupfte an ihrem blauen Rock und stand mit einer unsicheren Bewegung auf.
Wenn du schon gehst, flehte die Wand, dann öffne mir wenigstens noch die Fenster und schiebe die Vorhänge zur Seite.
Wenn du das möchtest, natürlich. Und sie stolperte halb dorthin und riss die Fenster auf.
Kannst du mich nicht mitnehmen, fragte die Wand?
Nein, sagte das Mädchen, du bist zu groß, wo sollte ich dich denn hinmachen?
Das versteh ich, gab die Wand traurig zu. Ich bin einfach zu groß. Aber – und die Wand hielt inne - besuchst du mich dann wenigstens einmal?
Natürlich, sagte das Mädchen. Du gehörst dazu. Ich brauche dich. Aber ich kann nicht bleiben. Sie band ihr Haar zu einem Zopf und blickte noch einmal in den Spiegel. Bis bald, rief ihr die Wand noch nach. Komm bald vorbei und erzähl mir, was es Neues gibt.
Ja bis bald, verabschiedete sich das Mädchen und zog die Zimmertür hinter sich zu.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Eleonore F., herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Eine rätselhafte Geschichte, die aber zum Weiterlesen einlädt. Sie hat mich an den Roman "Die Wand" von Marlen Haushofer erinnert. Einige kleine Flüchtligkeitsfehler solltest Du noch verbessern.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 
A

aligaga

Gast
Das ist ein sehr, sehr schön geschriebenes Stückerl über das Gesund- oder Erwachsenwerden, @Eleonore, das mit Frau Haushofers Roman ungefähr so viel gemeinsam hat wie eine der Mauern von Jericho.

Die Idee, eine Wand könnte kommunzieren und stellvertretend stehen für Schutz ebenso wie für Eingesperrtsein, ist ziemlich genial - Leser mit Fantasie können alles an ihr aufhängen, was sie wollen.

Winzige Kritik am Rande: Mach doch den Perspektivenwechsel deutlicher. Bei
Schieb dich derweilen an mich heran, schütze mich. Und die Wand breitete sich um sie aus wie ein warmer Mantel.
Dann klagte ihr Gewissen und sie machte Anstalten zurückzuweichen. Sie sah das Mädchen, blass und kaltfüßig. Möchtest du reden, fragte sie.
spannt man erst im zweiten Anlauf, dass das Gewissen der "Wand" gemeint ist. Das mindert den Lesegenuss. TTip: Keinen Absatz und "Aber dann ...", und schon wär alles klar.

Gruß

aligaga
 

Eleonore F.

Mitglied
Die Wand und das Mädchen

Tagelang war sie wachgelegen, hatte die Vorhänge zugezogen, den Mund verbogen, den Tod zurückgekämmt. Nichts hatte ihr geholfen, und überhaupt war niemand im Haus gewesen, als der Schornsteinfeger kam und sie noch im Bett lag, der Traum noch haftend wie ein klebriger Brei. Sie hatte aufstehen wollen, den Mann hereinlassen; ein Wort hören, in ein Aug schauen. Ihr Haar ungekämmt, blieb sie liegen; und auch die gelben Vorhänge ließen das Licht der Sonne verblassen. Eine Bewegung machen, dachte sie, ein Schritt um das Haus.
Die Wand, mit Taubenmustern übersät, schaute belustigt zu ihr aufs Bett. Was machst du da, fragte sie? Lass mich liegen, sagte das Mädchen. Ich habe die Notwendigkeit noch nicht erkannt. Gedulde dich. Schieb dich derweilen an mich heran, schütze mich. Und die Wand breitete sich um sie aus wie ein warmer Mantel. Aber dann klagte ihr Gewissen und sie machte Anstalten zurückzuweichen. Sie sah das Mädchen, blass und kaltfüßig. Möchtest du reden, fragte sie. Ich bin eine gute Zuhörerin.
Dass ich nicht lache, sagte das Mädchen. Du verschlingst doch alles, ohne es weiterzugeben, saugst es in jede Ritze, bis es stirbt. Ich gebe dir nichts ab.
Erzähl mir doch, was du denkst, schmeichelte die Wand.
Jetzt hättest du mich fast gehabt, sagte das Mädchen. Mit deiner Güte, deinem scheinbaren Schutz. Ich falle nicht mehr darauf rein. Ich sehe doch, wo es hin gerät. Siehst du nicht, dass ich es satt habe.
Der Himmel draußen: eine gleißende Verheißung. Die Wiesen am Wald ein Bett für Stunden. Nur aufbrechen, dachte sie, nur die 4 Wände verlassen. Sie lag noch immer, die Decke über ihre Glieder gebreitet.
Bleib doch, sagte die Wand. Hier ist es sicher.
Da wurde das Mädchen böse, stand auf und schlug auf die Wand ein: Sicher nennst du das? Alleinsein ist doch nicht sicher. Wer wird sich um mich kümmern, wenn ich krank bin?
Aber du hast deine Ruhe, sagte die Wand; niemand wird dich stören.
Meine Ruhe, dachte das Mädchen, ja die hab ich. Aber was soll ich damit machen? Wenn ich krank werde, hörst du, wenn ich krank werde!
Die Wand trat näher an das Bett heran, strich dem Mädchen über die Schultern. Aber du bist schon krank, sagte die Wand, und du siehst doch, es ist nicht schlimm.
Nicht schlimm, begann das Mädchen an zu wimmern, das nennest du nicht schlimm? Wer trägt mich dann zum Grab, wenn ich in der Ecke liege? Sag, wer hält meine Hand?
Die Wand wich erschrocken zurück: Ich nicht, sagte sie. Das verstehst du doch. Ich kann das nicht übernehmen.
Wer macht es dann, schluchzte das Mädchen. Irgendjemand muss es doch tun!
Dafür bin ich nicht zuständig, gab die Wand kühl zurück. Dafür war ich noch nie zuständig.
Dann sag mir, wer ist es, fragte das Mädchen.
Die Wand zog sich bedrückt zusammen. Sie sah plötzlich alt aus; Falten legten sich hilflos über ihr Gesicht. Es tut mir leid, sagte sie, ich war noch niemals draußen. Zum ersten Mal hatte sie es ausgesprochen, und sie schämte sich.
Siehst du, sagte das Mädchen, du kannst mir nicht helfen.
Doch, sagte die Wand, doch ich kann es. Aber ihr fehlten die Argumente.
Dann werde ich jetzt gehen, sagte das Mädchen, rupfte an ihrem blauen Rock und stand mit einer unsicheren Bewegung auf.
Wenn du schon gehst, flehte die Wand, dann öffne mir wenigstens noch die Fenster und schiebe die Vorhänge zur Seite.
Wenn du das möchtest, natürlich. Und sie stolperte halb dorthin und riss die Fenster auf.
Kannst du mich nicht mitnehmen, fragte die Wand?
Nein, sagte das Mädchen, du bist zu groß, wo sollte ich dich denn hinmachen?
Das versteh ich, gab die Wand traurig zu. Ich bin einfach zu groß. Aber – und die Wand hielt inne - besuchst du mich dann wenigstens einmal?
Natürlich, sagte das Mädchen. Du gehörst dazu. Ich brauche dich. Aber ich kann nicht bleiben. Sie band ihr Haar zu einem Zopf und blickte noch einmal in den Spiegel. Bis bald, rief ihr die Wand noch nach. Komm bald vorbei und erzähl mir, was es Neues gibt.
Ja bis bald, verabschiedete sich das Mädchen und zog die Zimmertür hinter sich zu.
 

Eleonore F.

Mitglied
Die Wand und das Mädchen

Tagelang war sie wachgelegen, hatte die Vorhänge zugezogen, den Mund verbogen, den Tod zurückgekämmt. Nichts hatte ihr geholfen, und überhaupt war niemand im Haus gewesen, als der Schornsteinfeger kam und sie noch im Bett lag, der Traum noch haftend wie ein klebriger Brei. Sie hatte aufstehen wollen, den Mann hereinlassen; ein Wort hören, in ein Aug schauen. Ihr Haar ungekämmt, blieb sie liegen; und auch die gelben Vorhänge ließen das Licht der Sonne verblassen. Eine Bewegung machen, dachte sie, ein Schritt um das Haus.
Die Wand, mit Taubenmustern übersät, schaute belustigt zu ihr aufs Bett.
Was machst du da, fragte sie?
Lass mich liegen, sagte das Mädchen. Ich habe die Notwendigkeit noch nicht erkannt. Gedulde dich. Schieb dich derweilen an mich heran, schütze mich.
Und die Wand breitete sich um sie aus wie ein warmer Mantel. Aber dann klagte ihr Gewissen und sie machte Anstalten zurückzuweichen. Sie sah das Mädchen, blass und kaltfüßig. Möchtest du reden, fragte sie. Ich bin eine gute Zuhörerin.
Dass ich nicht lache, sagte das Mädchen. Du verschlingst doch alles, ohne es weiterzugeben, saugst es in jede Ritze, bis es stirbt. Ich gebe dir nichts ab.
Erzähl mir doch, was du denkst, schmeichelte die Wand.
Jetzt hättest du mich fast gehabt, sagte das Mädchen. Mit deiner Güte, deinem scheinbaren Schutz. Ich falle nicht mehr darauf rein. Ich sehe doch, wo es hin gerät. Siehst du nicht, dass ich es satt habe.
Der Himmel draußen: eine gleißende Verheißung. Die Wiesen am Wald ein Bett für Stunden. Nur aufbrechen, dachte sie, nur die 4 Wände verlassen. Sie lag noch immer, die Decke über ihre Glieder gebreitet.
Bleib doch, sagte die Wand. Hier ist es sicher.
Da wurde das Mädchen böse, stand auf und schlug auf die Wand ein: Sicher nennst du das? Alleinsein ist doch nicht sicher. Wer wird sich um mich kümmern, wenn ich krank bin?
Aber du hast deine Ruhe, sagte die Wand; niemand wird dich stören.
Meine Ruhe, dachte das Mädchen, ja die hab ich. Aber was soll ich damit machen? Wenn ich krank werde, hörst du, wenn ich krank werde!
Die Wand trat näher an das Bett heran, strich dem Mädchen über die Schultern.
Aber du bist schon krank, sagte die Wand, und du siehst doch, es ist nicht schlimm.
Nicht schlimm, begann das Mädchen an zu wimmern, das nennest du nicht schlimm?
Wer trägt mich dann zum Grab, wenn ich in der Ecke liege? Sag, wer hält meine Hand?
Die Wand wich erschrocken zurück: Ich nicht, sagte sie. Das verstehst du doch. Ich kann das nicht übernehmen.
Wer macht es dann, schluchzte das Mädchen. Irgendjemand muss es doch tun!
Dafür bin ich nicht zuständig, gab die Wand kühl zurück. Dafür war ich noch nie zuständig.
Dann sag mir, wer ist es, fragte das Mädchen.
Die Wand zog sich bedrückt zusammen. Sie sah plötzlich alt aus; Falten legten sich hilflos über ihr Gesicht.
Es tut mir leid, sagte sie, ich war noch niemals draußen. Zum ersten Mal hatte sie es ausgesprochen, und sie schämte sich.
Siehst du, sagte das Mädchen, du kannst mir nicht helfen.
Doch, sagte die Wand, doch ich kann es. Aber ihr fehlten die Argumente.
Dann werde ich jetzt gehen, sagte das Mädchen, rupfte an ihrem blauen Rock und stand mit einer unsicheren Bewegung auf.
Wenn du schon gehst, flehte die Wand, dann öffne mir wenigstens noch die Fenster und schiebe die Vorhänge zur Seite.
Wenn du das möchtest, natürlich.
Und sie stolperte halb dorthin und riss die Fenster auf.
Kannst du mich nicht mitnehmen, fragte die Wand?
Nein, sagte das Mädchen, du bist zu groß, wo sollte ich dich denn hinmachen?
Das versteh ich, gab die Wand traurig zu. Ich bin einfach zu groß. Aber – und die Wand hielt inne - besuchst du mich dann wenigstens einmal?
Natürlich, sagte das Mädchen. Du gehörst dazu. Ich brauche dich. Aber ich kann nicht bleiben.
Sie band ihr Haar zu einem Zopf und blickte noch einmal in den Spiegel.
Bis bald, rief ihr die Wand noch nach. Komm bald vorbei und erzähl mir, was es Neues gibt.
Ja bis bald, verabschiedete sich das Mädchen und zog die Zimmertür hinter sich zu.
 



 
Oben Unten