Egal wie

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Kölle

Mitglied
Egal wie

I
Wie jeden Freitag nach der Arbeit besuchte Bernd Lauer die Cafeteria am Rathaus. Er setzte sich an die Bar, wo ihm mit einem freundlichen Hallo sofort ein Espresso serviert wurde. Er beobachtete - den Zucker in die Tasse umrührend - durch die große Glasfront das Geschehen auf der Terrasse; bei nicht ganz sommerlichen Temperaturen verteilten sich die Gäste gleichmäßig auf den Außen- und Innenbereich des Cafes. Sein Blick wanderte hierhin und dorthin, und blieb aber immer wieder bei einer jungen Frau hängen, die im Innenraum an einem Zweiertisch saß, allein. Bald schon wollte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen. Alles an ihr gefiel ihm: Wie sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, über der Stirn ein Pony. Die dunklen Augen. Wie sie dasaß, wie sie sich mit nur leichten Kopfbewegungen umschaute, wie sie die Hände aufeinanderlegte. Alles gefiel ihm. Bernd Lauer saß im Wohlfühl-Modus an der Theke.

II
Seine gute Stimmung ging abrupt zu Ende, als sein Wunsch, diese Frau kennenzulernen, Taten verlangte. Augenblicklich spürte er seinen Körper kraftlos zusammenfallen, seinen Kopf schwer auf seinem aufgestützten Arm lasten; kraftlose Schwere: das war seine Mutlosigkeit! Fort seine Selbstsicherheit, fort seine Leichtigkeit, alle Natürlichkeit. Das Schlimmste aber war, dass er sich selbst für seine Feigheit verachtete. Egal, redete er sich ein, egal wie er es machen würde, er würde es falsch machen. Entweder würde er verlegen stottern oder peinlich an seinem Hemd herumnesteln. Selbst die anderen Gäste würden seine Hölzernheit bemerken: ihn belächeln, sich quitschend beklatschten und im Chor singen: egal, wie er es macht, er macht es falsch!
Um nicht noch stärker in ein Loch von Mutlosigkeit und Resignation zu fallen, suchten seine Augen immer wieder nach Ablenkung im Gastraum, den sie dort nicht wirklich fanden, und so machte er sich ohne wirkliche Notdurft auf dem Weg zur Toilette. Als er an ihr vorbeiging, schaute sie kurz hoch und er meinte gar ein Lächeln zu sehen. Im Waschraum ließ er sich viel Zeit wohl in der Hoffnung, der Mut würde ihm zufallen wie ein Sechser im Lotto und er würde es wagen, die junge Frau auf dem Rückweg anzusprechen.

III
Als Bernd Lauer in den Gastraum trat, blieb er wie angewurzelt stehen. Ein Mann mit einem unmodischen Trenchcoat hatte der jungen Frau gegenüber Platz genommen. Lauers Herz rutschte in die Hose. Er malte sich die ersparte Blamage aus. Schroff und ohne Erklärung hätte die junge Frau ihn abgewiesen und er hätte sich unter dem Gelächter der anderen Gäste trollen müssen.
Doch noch bevor sich das Entsetzen richtig in seinem Körper festsetzen konnte, überkam ihn gleichzeitig eine unerwartete Erleichterung. Er spürte: er hatte alles richtig gemacht! Die Phrase, er würde sowieso alles falsch machen, was er falsch machen konnte, hatte ihn gelähmt und passiv gemacht, während sein Hirn wie im Leerlauf durchdrehte. Und auch das fast endlose Händewaschen auf der Toilette war genau richtig gewesen. Er hätte keine Sekunde früher oder gar mutiger die Toilette verlassen dürfen.

Entgegen seiner Gewohnheit bestellte Bernd Lauer an diesem Tag einen zweiten Espresso und dazu einen Grappa. Der Barkeeper fragte: “Alles klar?” und er: “Alles klar!”

Angesichts all seiner erlebten Befürchtungen, seiner Mutlosigkeit, und seinen Selbstvorwürfen, ein Feigling zu sein, wirkte auf ihn die Vorstellung, er hätte alles richtig gemacht, absurd! Paradox, und doch stimmig! Wie wäre diese Episode wohl verlaufen, wenn er sich von Anfang an gesagt hätte: Egal, wie du es machst, du machst es richtig?

IV
Eine knappe halbe Stunde später bat Lauer um die Rechnung, zahlte und machte sich auf den Weg nach Hause. Kurz vor dem Ausgang sah er, wie sich der Mann, der seinen Trenchcoat nicht abgelegt hatte, von seinem Platz erhob. Sofort steuerte Bernd Lauer auf den drehbaren Kartenständer neben dem Eingang zu, und blätterte sich mit seine Fingern von Karte zu Karte, ohne die beiden jungen Leute aus den Augen zu verlieren. Die beiden verabschiedeten sich mit einem Handschlag.
Lauers Blick fiel neugierig auf eine fliederfarbene Postkarte mit dem für diese Jahreszeit unpassenden Wort “Schnee”. Er zog die Karte aus ihrem Fach und las: “Der Schnee fällt; jede Flocke auf ihren Platz.” und in kleinerer Schrift leicht abgesetzt: “Zen-Weisheit”.
Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber, die wieder Platz genommen hatte, und da war es ihm, als löste er sich vom Boden und als schwebte er durch den Raum, gewichtslos, getragen von der Gewissheit, alles richtig zu machen, und als er vor der jungen Frau stand, lächelte er selbstbewusst. “Ich würde sie gerne auf einen Drink einladen!” sagte er. “Darf ich?”
Ihre Augen strahlten, und sie zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber: “Sehr gern! Ich hätte gern einen Bitter Lemon! Und sie, was nehmen sie?!”
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Kölle, ein Text, der erst recht schwer daherkommt und ein Ende wie eine schwebende Schneeflocke findet - hat mir gut gefallen.
Angesichts all seiner erlebten Befürchtungen, seiner Mutlosigkeit, und seinen Selbstvorwürfen, ein Feigling zu sein, wirkte auf ihn die Vorstellung, er hätte alles richtig gemacht, absurd! Paradox, und doch stimmig! Wie wäre diese Episode wohl verlaufen, wenn er sich von Anfang an gesagt hätte: Egal, wie du es machst, du machst es richtig?
diesen Absatz würde ich ersatzlos streichen. In der direkten Rede am Schluss ist das "Sie" mehrfach klein geschrieben. LG - herziblatti
 

Kölle

Mitglied
Danke für dein Feedback, Herziblatti.

Eigentlich ist das, was du meinst fallen zu lassen, für mich das Herzstück der Geschichte. Aber vielleicht hast du recht und es sollte draußen bleiben.
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es beim Leser wie eine Erklärung riecht, die hier nichts zu suchen hat.

Na ja, vielleicht gibt es ja noch einen weiteren Kommentar dazu, und dann probier ich es mal aus mit dem Raus!

LG Kölle
 
C

cellllo

Gast
Bitte nichts weglassen bzw. streichen !
Aber wirklich dringend :
....Und [red]S[/red]ie, was nehmen [red]S[/red]ie ?

Diese Schneeflocken-Weisheit ist WUNDERSCHÖN !
Darf ich sie als Signatur verwenden ??????????????????????????

Die "Erleuchtung" durch die Zen-Weisheit ist schön beschrieben :)
und die Geschichte endet an der genau richtigen Stelle !

( Trotzdem denke ich mir aus, dass er die Karte ganz sicherlich kauft, dass der Spruch im Verlauf ihrer Unterhaltung vielleicht sogar mal Gesprächsthema wird und wenn sie sich dann verabschieden, notiert er seinen Namen mit Handynummer auf der Karte und schenkt sie ihr... )

cellllo
 

Kölle

Mitglied
Egal wie

I
Wie jeden Freitag nach der Arbeit besuchte Bernd Lauer die Cafeteria am Rathaus. Er setzte sich an die Bar, wo ihm mit einem freundlichen Hallo sofort ein Espresso serviert wurde. Er beobachtete - den Zucker in die Tasse umrührend - durch die große Glasfront das Geschehen auf der Terrasse; bei nicht ganz sommerlichen Temperaturen verteilten sich die Gäste gleichmäßig auf den Außen- und Innenbereich des Cafes. Sein Blick wanderte hierhin und dorthin, und blieb aber immer wieder bei einer jungen Frau hängen, die im Innenraum an einem Zweiertisch saß, allein. Bald schon wollte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen. Alles an ihr gefiel ihm: Wie sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, über der Stirn ein Pony. Die dunklen Augen. Wie sie dasaß, wie sie sich mit nur leichten Kopfbewegungen umschaute, wie sie die Hände aufeinanderlegte. Alles gefiel ihm. Bernd Lauer saß im Wohlfühl-Modus an der Theke.

II
Seine gute Stimmung ging abrupt zu Ende, als sein Wunsch, diese Frau kennenzulernen, Taten verlangte. Augenblicklich spürte er seinen Körper kraftlos zusammenfallen, seinen Kopf schwer auf seinem aufgestützten Arm lasten; kraftlose Schwere: das war seine Mutlosigkeit! Fort seine Selbstsicherheit, fort seine Leichtigkeit, alle Natürlichkeit. Das Schlimmste aber war, dass er sich selbst für seine Feigheit verachtete. Egal, redete er sich ein, egal wie er es machen würde, er würde es falsch machen. Entweder würde er verlegen stottern oder peinlich an seinem Hemd herumnesteln. Selbst die anderen Gäste würden seine Hölzernheit bemerken: ihn belächeln, sich quitschend beklatschten und im Chor singen: egal, wie er es macht, er macht es falsch!
Um nicht noch stärker in ein Loch von Mutlosigkeit und Resignation zu fallen, suchten seine Augen immer wieder nach Ablenkung im Gastraum, den sie dort nicht wirklich fanden, und so machte er sich ohne wirkliche Notdurft auf dem Weg zur Toilette. Als er an ihr vorbeiging, schaute sie kurz hoch und er meinte gar ein Lächeln zu sehen. Im Waschraum ließ er sich viel Zeit wohl in der Hoffnung, der Mut würde ihm zufallen wie ein Sechser im Lotto und er würde es wagen, die junge Frau auf dem Rückweg anzusprechen.

III
Als Bernd Lauer in den Gastraum trat, blieb er wie angewurzelt stehen. Ein Mann mit einem unmodischen Trenchcoat hatte der jungen Frau gegenüber Platz genommen. Lauers Herz rutschte in die Hose. Er malte sich die ersparte Blamage aus. Schroff und ohne Erklärung hätte die junge Frau ihn abgewiesen und er hätte sich unter dem Gelächter der anderen Gäste trollen müssen.
Doch noch bevor sich das Entsetzen richtig in seinem Körper festsetzen konnte, überkam ihn gleichzeitig eine unerwartete Erleichterung. Er spürte: er hatte alles richtig gemacht! Die Phrase, er würde sowieso alles falsch machen, was er falsch machen konnte, hatte ihn gelähmt und passiv gemacht, während sein Hirn wie im Leerlauf durchdrehte. Und auch das fast endlose Händewaschen auf der Toilette war genau richtig gewesen. Er hätte keine Sekunde früher oder gar mutiger die Toilette verlassen dürfen.

Entgegen seiner Gewohnheit bestellte Bernd Lauer an diesem Tag einen zweiten Espresso und dazu einen Grappa. Der Barkeeper fragte: “Alles klar?” und er: “Alles klar!”

Angesichts all seiner erlebten Befürchtungen, seiner Mutlosigkeit, und seinen Selbstvorwürfen, ein Feigling zu sein, wirkte auf ihn die Vorstellung, er hätte alles richtig gemacht, absurd! Paradox, und doch stimmig! Wie wäre diese Episode wohl verlaufen, wenn er sich von Anfang an gesagt hätte: Egal, wie du es machst, du machst es richtig?

IV
Eine knappe halbe Stunde später bat Lauer um die Rechnung, zahlte und machte sich auf den Weg nach Hause. Kurz vor dem Ausgang sah er, wie sich der Mann, der seinen Trenchcoat nicht abgelegt hatte, von seinem Platz erhob. Sofort steuerte Bernd Lauer auf den drehbaren Kartenständer neben dem Eingang zu, und blätterte sich mit seine Fingern von Karte zu Karte, ohne die beiden jungen Leute aus den Augen zu verlieren. Die beiden verabschiedeten sich mit einem Handschlag.
Lauers Blick fiel neugierig auf eine fliederfarbene Postkarte mit dem für diese Jahreszeit unpassenden Wort “Schnee”. Er zog die Karte aus ihrem Fach und las: “Der Schnee fällt; jede Flocke auf ihren Platz.” und in kleinerer Schrift leicht abgesetzt: “Zen-Weisheit”.
Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber, die wieder Platz genommen hatte, und da war es ihm, als löste er sich vom Boden und als schwebte er durch den Raum, gewichtslos, getragen von der Gewissheit, alles richtig zu machen, und als er vor der jungen Frau stand, lächelte er selbstbewusst. “Ich würde sie gerne auf einen Drink einladen!” sagte er. “Darf ich?”
Ihre Augen strahlten, und sie zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber: “Sehr gern! Ich hätte gern einen Bitter Lemon! Und Sie, was nehmen Sie?!”
 

Kölle

Mitglied
Egal wie

I
Wie jeden Freitag nach der Arbeit besuchte Bernd Lauer die Cafeteria am Rathaus. Er setzte sich an die Bar, wo ihm mit einem freundlichen Hallo sofort ein Espresso serviert wurde. Er beobachtete - den Zucker in die Tasse umrührend - durch die große Glasfront das Geschehen auf der Terrasse; bei nicht ganz sommerlichen Temperaturen verteilten sich die Gäste gleichmäßig auf den Außen- und Innenbereich des Cafes. Sein Blick wanderte hierhin und dorthin, und blieb aber immer wieder bei einer jungen Frau hängen, die im Innenraum an einem Zweiertisch saß, allein. Bald schon wollte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen. Alles an ihr gefiel ihm: Wie sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, über der Stirn ein Pony. Die dunklen Augen. Wie sie dasaß, wie sie sich mit nur leichten Kopfbewegungen umschaute, wie sie die Hände aufeinanderlegte. Alles gefiel ihm. Bernd Lauer saß im Wohlfühl-Modus an der Theke.

II
Seine gute Stimmung ging abrupt zu Ende, als sein Wunsch, diese Frau kennenzulernen, Taten verlangte. Augenblicklich spürte er seinen Körper kraftlos zusammenfallen, seinen Kopf schwer auf seinem aufgestützten Arm lasten; kraftlose Schwere: das war seine Mutlosigkeit! Fort seine Selbstsicherheit, fort seine Leichtigkeit, alle Natürlichkeit. Das Schlimmste aber war, dass er sich selbst für seine Feigheit verachtete. Egal, redete er sich ein, egal wie er es machen würde, er würde es falsch machen. Entweder würde er verlegen stottern oder peinlich an seinem Hemd herumnesteln. Selbst die anderen Gäste würden seine Hölzernheit bemerken: ihn belächeln, sich quitschend beklatschten und im Chor singen: egal, wie er es macht, er macht es falsch!
Um nicht noch stärker in ein Loch von Mutlosigkeit und Resignation zu fallen, suchten seine Augen immer wieder nach Ablenkung im Gastraum, den sie dort nicht wirklich fanden, und so machte er sich ohne wirkliche Notdurft auf dem Weg zur Toilette. Als er an ihr vorbeiging, schaute sie kurz hoch und er meinte gar ein Lächeln zu sehen. Im Waschraum ließ er sich viel Zeit wohl in der Hoffnung, der Mut würde ihm zufallen wie ein Sechser im Lotto und er würde es wagen, die junge Frau auf dem Rückweg anzusprechen.

III
Als Bernd Lauer in den Gastraum trat, blieb er wie angewurzelt stehen. Ein Mann mit einem unmodischen Trenchcoat hatte der jungen Frau gegenüber Platz genommen. Lauers Herz rutschte in die Hose. Er malte sich die ersparte Blamage aus. Schroff und ohne Erklärung hätte die junge Frau ihn abgewiesen und er hätte sich unter dem Gelächter der anderen Gäste trollen müssen.
Doch noch bevor sich das Entsetzen richtig in seinem Körper festsetzen konnte, überkam ihn gleichzeitig eine unerwartete Erleichterung. Er spürte: er hatte alles richtig gemacht! Die Phrase, er würde sowieso alles falsch machen, was er falsch machen konnte, hatte ihn gelähmt und passiv gemacht, während sein Hirn wie im Leerlauf durchdrehte. Und auch das fast endlose Händewaschen auf der Toilette war genau richtig gewesen. Er hätte keine Sekunde früher oder gar mutiger die Toilette verlassen dürfen.

Entgegen seiner Gewohnheit bestellte Bernd Lauer an diesem Tag einen zweiten Espresso und dazu einen Grappa. Der Barkeeper fragte: “Alles klar?” und er: “Alles klar!”

Angesichts all seiner erlebten Befürchtungen, seiner Mutlosigkeit, und seinen Selbstvorwürfen, ein Feigling zu sein, wirkte auf ihn die Vorstellung, er hätte alles richtig gemacht, absurd! Paradox! Und doch stimmig! Wie wäre diese Episode wohl verlaufen, wenn er sich von Anfang an gesagt hätte: Egal, wie du es machst, du machst es richtig?

IV
Eine knappe halbe Stunde später bat Lauer um die Rechnung, zahlte und machte sich auf den Weg nach Hause. Kurz vor dem Ausgang sah er, wie sich der Mann, der seinen Trenchcoat nicht abgelegt hatte, von seinem Platz erhob. Sofort steuerte Bernd Lauer auf den drehbaren Kartenständer neben dem Eingang zu, und blätterte sich mit seine Fingern von Karte zu Karte, ohne die beiden jungen Leute aus den Augen zu verlieren. Die beiden verabschiedeten sich mit einem Handschlag.
Lauers Blick fiel neugierig auf eine fliederfarbene Postkarte mit dem für diese Jahreszeit unpassenden Wort “Schnee”. Er zog die Karte aus ihrem Fach und las: “Der Schnee fällt; jede Flocke auf ihren Platz.” und in kleinerer Schrift leicht abgesetzt: “Zen-Weisheit”.
Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber, die wieder Platz genommen hatte, und da war es ihm, als löste er sich vom Boden und als schwebte er durch den Raum, gewichtslos, getragen von der Gewissheit, alles richtig zu machen, und als er vor der jungen Frau stand, lächelte er selbstbewusst. “Ich würde sie gerne auf einen Drink einladen!” sagte er. “Darf ich?”
Ihre Augen strahlten, und sie zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber: “Sehr gern! Ich hätte gern einen Bitter Lemon! Und Sie, was nehmen Sie?!”
 

Kölle

Mitglied
Hallo Celllo,

ich habe kein Urheberrecht auf diese Zen-Weisheit, insofern steht es dir ganz frei, sie als Signatur zu nutzten. Und danke, dass du mich trotzdem fragst... Als hättest du es geahnt (!?), habe ich damit liebäugelt, sie als meine Signatur zu nutzen, da ich noch keine habe.

Ich bin davon abgekommen, weil sie für mich zu anspruchsvoll ist. Es geht mir dann ähnlich wie Bernd Lauer in abgewandelter Form: egal wie du schreibst, du schreibst es falsch, sprich die Wörter fallen nicht auf ihren Platz.

Uiuiui, da fällt mir während des Kommentierens auf, dass Bernd Lauer ein Stückchen weiter ist als ich. Mir fehlt das Vertrauen in meine Intuition, (leider) schreibe ich noch viel aus dem Hirn heraus. Mir fehlt die Gewissheit, dass all die Wörter, die aus mir herauskommen, auf ihren Platz fallen...

Naja, ein Schreibgrund ist ja auch, zunächst unerfüllbare Wünsche und Sehnsüchte erst Wort, später vielleicht Tat werden zu lassen.

Und dass diese Geschichte dir so gefällt, wie sie da steht, geht runter wie Butter.

LG Kölle
 
C

cellllo

Gast
Hallo Kölle
DANKE für Deine Antwort !
Ich hab prompt mit Freude meine Signatur verändert.
Einen direkten Link zu Deiner Kurzgeschichte zu setzen
wurde mir leider verweigert :-(
das verstehe ich eigentlich nicht, denn es wäre doch
ein Link INNERHALB der Leselupe und würde
Leslupe-Querverbindungen unterstützen :-(
Nun hab ich die Quelle eben nur mit Worten angegeben
und hoffe, dass sich die Leser die Mühe machen,
die Quelle zu suchen.....
Was meinst Du dazu ???
Bitte sag mir, wenn Du so weit bist,
diese Signatur selbst zu verwenden !
Bis dahin danke ich Dir SEHR !!!
cellllo
 

Kölle

Mitglied
Ich danke dir.

Auch wie du den Hinweis eingebunden hast, ist ok und freut mich (einerseits. Andererseits) finde ich es zuviel als Teil deiner Signatur und das Zitat wird ein bisschen verhunzt; es sollte allein stehen...

Vielleicht können wir es so machen, dass du es eine Weile mit dem Querverweis lässt, und wenn ich dann merke, dass ich das "Ehrgefühl" genug genossen habe, gebe ich dir Bescheid...

Was meine Signatur betrifft, so gehe ich momentan mit Nietzsche schwanger: "Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können."

Mir fehlt wohl im Moment noch der rechte Glaube daran, dass die Dinge/meine Texte sich von selbst richten, "auf ihren Platz fallen", und ich meine noch der Gestalter und Herr über meine Texte sein zu müssen. Und doch sehne ich mich gleichzeitig danach, das Hirnen loszulassen und mein Heil im Chaos zu finden. Vielleicht deshalb dieses Zitat von Nietzsche...

LG Kölle
 

James Blond

Mitglied
Lässt sich eine große philosophische Frage, wie die nach der Schicksalhaftigkeit des Seins, in einer kleinen Episode ausleuchten? Vielleicht ...

Aber das verlangt höchste Konzentration auf den sprachlichen Ausdruck, den ich hier leider nicht sehe. Literarisch wird es zumeist dann sehr anspruchsvoll, wenn eine Handlung sich weitgehend auf den inneren Monolog des Protagonisten stützt, während sich in der Umgebung kaum etwas Beschreibenswertes ereignet. Das verlangt viel Umsicht und Fingerspitzengefühl.

Um es direkt zu sagen: Mir gefällt kein einziger Satz im Text richtig gut. Das liegt weniger am Thema, als am unausgefeilten Sprachstil, der mir recht unbeholfen erscheint. Leider kann ich unmöglich alle Stellen anführen, darum beginne ich nur mit dem Anfang (I):

Wie jeden Freitag nach der Arbeit besuchte Bernd Lauer ...
So fände ich es besser:
Wie jeden Freitag besuchte Bernd Lauer nach der Arbeit ...

Er setzte sich an die Bar, wo ihm mit einem freundlichen Hallo sofort ein Espresso serviert wurde.
Warum passiv? Warum "... an die Bar, wo"? Warum "sofort" und nicht "gleich"?


Er beobachtete - den Zucker in die Tasse umrührend - durch die große Glasfront ...
Abgesehen vom falschen Akkusativ eine umständliche Konstruktion für eigentlich nichts. Warum nicht einfach
"Beim Umrühren seiner Tasse beobachtete ..."

...verteilten sich die Gäste gleichmäßig auf den Außen- und Innenbereich des Cafes.
Das klingt, als würden die Gäste gerade geschlossen hereinströmen und Platz nehmen.

Sein Blick wanderte hierhin und dorthin, und blieb aber immer wieder bei einer jungen Frau hängen
"Hierhin und dorthin"? Das klingt nach einer verzweifelten Suche. Warum nicht einfach "umher"? Blicke bleiben zumeist "an" etwas hängen.


... an einem Zweiertisch saß, allein.
... allein an einem Zweiertisch saß.

Bald schon wollte ...
Schon bald wollte ...

Pferdeschwanz zusammengefasst
Pferdeschwanz gebunden
Alles an ihr gefiel ihm: Wie ... . Wie sie dasaß, wie sie sich ..., wie ... Alles gefiel ihm.
Ja, und wie war "wie"? Sollte hier nicht eine Beschreibung zu finden sein?

Bernd Lauer saß im Wohlfühl-Modus an der Theke.
Der Satz kommt in meine Stilblütensammlung. :)

Diese Auflistung von Beispielen ließe sich beliebig ergänzen, Wortwiederholungen reihen sich, der sprachliche Ausdruck verrät mehr Hilflosigkeit als Stil, obwohl sich in seiner Umständlichkeit zugleich das innere Patt des Protagonisten spiegelt.

Zuviele überflüssige Erklärungen runden den mühsamen Leseeindruck ab: Hier schreibt einer, der's erst noch werden will. Ein bisschen naiv auch die zu plötzliche innere Wandlung des Bernd Lauer. Eine Postkartenweisheit führt ihn zu unmittelbarer Erleuchtung. Als geläuterter Geist schwebt er seinem Schicksal entgegen.

Zur Thematik:

Der Kernsatz "Der Schnee fällt, jede Flocke auf ihren Platz" beschreibt den zentralen Glaubenssatz des Buddhismus (nicht nur den des ZEN): Es gibt keinen Zufall. Alles ist Ordnung, Teil einer Kette aus Ursache und Wirkung. Doch für Bernd Lauer wird die psychologische Wirkung weit auschlaggebender als der philosophische Gedankengang.

Woher aber der plötzliche Mut des Helden vor dem Hintergrund einer drohenden Blamage gekommen ist, bleibt, trotz der vielen anderen Erklärungen, leider im Dunkel. Es geschieht wie auf wundersame Weise allein durch die Kraft eines Zauberspruches. Damit wird allerdings die Philosophie des ZEN verfehlt. Wichtig wäre es gewesen, den Prozess, der sich hinter dem Satz "Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber," verbirgt, ans Licht zu bringen. Insofern hat der Text sein Anliegen eigentlich nicht erfüllt.

Gern kommentiert.

Gruß
JB
 

Maribu

Mitglied
Hallo Kölle,

es tut mir leid, (aber mit Lobhudelei ist dir nicht gedient!),
es ist eine übertrieben negative Beschreibung eines "Angsthasen" oder Depressiven.
Er hat unrealistische Vorstellungen. Er müsste damit rechnen,
dass die "Dame am Zweiertisch" jemanden erwartet und kann deshalb nicht so enttäuscht sein.

...auf den (dem) Weg zur Toilette...

Was ist ein "Wohlfühlmodus"?

Was ist ein quitschendes Beklatschen?

In II ... fort seine Selbstsicherheit... (Die hat er ja nach deiner Beschreibung gar nicht gehabt!)

Den Titel "Egal wie" finde ich nicht so glücklich gewählt.

Und nun zum Schluss mit dem "Happy-End". Sie geht mir zu
schnell, als hätte sie darauf gewartet, auf seine Einladung ein. - Das wirkt mir ein bisschen zu aufgesetzt.
Deine Schreibweise gefällt mir aber.
Also Mut! Ich hoffe, dass du mit dieser konstruktiven Kritik etwas anfangen kannst.

Du kannst mich auch kritisieren! (Titel: Halloween v.Maribu)
Lieben Gruß
M.
 

Kölle

Mitglied
Egal wie

I
Wie jeden Freitag besuchte Bernd Lauer nach der Arbeit die Cafeteria am Rathaus. Er setzte sich an die Bar, wo ihm mit einem freundlichen Hallo sofort ein Espresso serviert wurde. Beim Umrühren seiner Tasse beobachtete er durch die große Glasfront das Geschehen auf der Terrasse; bei nicht ganz sommerlichen Temperaturen hatten sich die Gäste gleichmäßig auf den Außen- und Innenbereich des Cafes verteilt. Sein Blick wanderte hierhin und dorthin, und blieb aber immer wieder bei einer jungen Frau hängen, die im Innenraum an einem Zweiertisch saß, allein. Schon bald wollte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen. Alles an ihr gefiel ihm: Wie sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, über der Stirn ein Pony. Die dunklen Augen. Wie sie dasaß, wie sie sich mit nur leichten Kopfbewegungen umschaute, wie sie die Hände aufeinanderlegte. Alles gefiel ihm. Bernd Lauer saß im Wohlfühl-Modus an der Theke.

II
Seine gute Stimmung ging abrupt zu Ende, als sein Wunsch, diese Frau kennenzulernen, Taten verlangte. Augenblicklich spürte er seinen Körper kraftlos zusammenfallen, seinen Kopf schwer auf seinem aufgestützten Arm lasten; kraftlose Schwere: das war seine Mutlosigkeit! Fort seine Selbstsicherheit, fort seine Leichtigkeit, alle Natürlichkeit. Das Schlimmste aber war, dass er sich selbst für seine Feigheit verachtete. Egal, redete er sich ein, egal wie er es machen würde, er würde es falsch machen. Entweder würde er verlegen stottern oder peinlich an seinem Hemd herumnesteln. Selbst die anderen Gäste würden seine Hölzernheit bemerken: ihn belächeln, sich quitschend beklatschten und im Chor singen: egal, wie er es macht, er macht es falsch!
Um nicht noch stärker in ein Loch von Mutlosigkeit und Resignation zu fallen, suchten seine Augen immer wieder nach Ablenkung im Gastraum, den sie dort nicht wirklich fanden, und so machte er sich ohne wirkliche Notdurft auf dem Weg zur Toilette. Als er an ihr vorbeiging, schaute sie kurz hoch und er meinte gar ein Lächeln zu sehen. Im Waschraum ließ er sich viel Zeit wohl in der Hoffnung, der Mut würde ihm zufallen wie ein Sechser im Lotto und er würde es wagen, die junge Frau auf dem Rückweg anzusprechen.

III
Als Bernd Lauer in den Gastraum trat, blieb er wie angewurzelt stehen. Ein Mann mit einem unmodischen Trenchcoat hatte der jungen Frau gegenüber Platz genommen. Lauers Herz rutschte in die Hose. Er malte sich die ersparte Blamage aus. Schroff und ohne Erklärung hätte die junge Frau ihn abgewiesen und er hätte sich unter dem Gelächter der anderen Gäste trollen müssen.
Doch noch bevor sich das Entsetzen richtig in seinem Körper festsetzen konnte, überkam ihn gleichzeitig eine unerwartete Erleichterung. Er spürte: er hatte alles richtig gemacht! Die Phrase, er würde sowieso alles falsch machen, was er falsch machen konnte, hatte ihn gelähmt und passiv gemacht, während sein Hirn wie im Leerlauf durchdrehte. Und auch das fast endlose Händewaschen auf der Toilette war genau richtig gewesen. Er hätte keine Sekunde früher oder gar mutiger die Toilette verlassen dürfen.

Entgegen seiner Gewohnheit bestellte Bernd Lauer an diesem Tag einen zweiten Espresso und dazu einen Grappa. Der Barkeeper fragte: “Alles klar?” und er: “Alles klar!”

Angesichts all seiner erlebten Befürchtungen, seiner Mutlosigkeit, und seinen Selbstvorwürfen, ein Feigling zu sein, wirkte auf ihn die Vorstellung, er hätte alles richtig gemacht, absurd! Paradox! Und doch stimmig! Wie wäre diese Episode wohl verlaufen, wenn er sich von Anfang an gesagt hätte: Egal, wie du es machst, du machst es richtig?

IV
Eine knappe halbe Stunde später bat Lauer um die Rechnung, zahlte und machte sich auf den Weg nach Hause. Kurz vor dem Ausgang sah er, wie sich der Mann, der seinen Trenchcoat nicht abgelegt hatte, von seinem Platz erhob. Sofort steuerte Bernd Lauer auf den drehbaren Kartenständer neben dem Eingang zu, und blätterte sich mit seine Fingern von Karte zu Karte, ohne die beiden jungen Leute aus den Augen zu verlieren. Die beiden verabschiedeten sich mit einem Handschlag.
Lauers Blick fiel neugierig auf eine fliederfarbene Postkarte mit dem für diese Jahreszeit unpassenden Wort “Schnee”. Er zog die Karte aus ihrem Fach und las: “Der Schnee fällt; jede Flocke auf ihren Platz.” und in kleinerer Schrift leicht abgesetzt: “Zen-Weisheit”.
Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber, die wieder Platz genommen hatte, und da war es ihm, als löste er sich vom Boden und als schwebte er durch den Raum, gewichtslos, getragen von der Gewissheit, alles richtig zu machen, und als er vor der jungen Frau stand, lächelte er selbstbewusst. “Ich würde sie gerne auf einen Drink einladen!” sagte er. “Darf ich?”
Ihre Augen strahlten, und sie zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber: “Sehr gern! Ich hätte gern einen Bitter Lemon! Und Sie, was nehmen Sie?!”
 

Kölle

Mitglied
Hallo James Blond,

ich danke dir für dein Bemühen, dir einzelne Sätze des Textes vorzuknöpfen und sie zu untersuchen: grammatikalisch, stilistisch! Ich habe deine Vorschläge dort, wo ich sie ansprechend fand, eingearbeitet. Immerhin hast du dir die Zeit für Teil I genommen...

Mein Feedback zu deinem Kommentar: Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut, ich fühle mich nicht wohlwollend kritisiert und ich habe den Eindruck, hier kritisiert jemand wie persönlich beleidigt.

Wenn die Leselupe ein elitärer Zirkel ist, auf dem nur Leute veröffentlichen sollten, deren einziger Fehler ein Tippfehler ist, dann lass(t) es mich wissen. Ich muss hier nicht veröffentlichen, ich will auch keinen in seiner gepflegten Atmosphäre stören.

Und ist es so, dass man sich nur dann mit philosophischen Fragen beschäftigen darf, wenn man sie endgültig beantworten kann? Was muss ich in deinen Augen in die LL mitbringen, damit meine Texte freundlich als das gesehen werden, was sie sind: Anfängertexte.

Ich will dir gerne sagen, warum ich schreibe: Lust, mich schreibend auszudrücken, Lust, das textlich zu verarbeiten, was ich im Alltag erlebe (und nicht in der Bibliothek), es "literarisch" (ich trau es mich kaum vor dir so zu nennen) umzuformen, um vielleicht so Erkenntnisse zu gewinnen, die mir verborgen bleiben, wenn ich meinen Alltag nur ins Tagebuch reinrotze. Die Erkenntnisse sind weder groß noch klein, weder wichtig oder unwichtig, sondern nur ein Teil des Textes, den ich geschrieben habe. Mein Erleben kann auch fiktiv sein oder "real", meine Welt und mein Erleben ist erdacht und gedacht, und alles, was ich schreibe, sind nur Mitteilungen aus meiner von mir und für mich konstruierten Welt. Falscher Gebrauch des Akkusativ?! Na und? Mir nicht so wichtig. Es gibt im Forum immer jemand, der mich dankbarerweise auf sowas aufmerksam macht.

Ich schreibe nicht für dich, sondern über mich in (fast) allen Belangen. Und da passt nicht alles zu dem, wie du es erlebst. Na und? Wenn du schreibst
Wichtig wäre es gewesen, den Prozess, der sich hinter dem Satz "Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber," verbirgt, ans Licht zu bringen.
frage ich mich, woher du das weißt, was mir wichtig ist. Mein Erleben ist nicht dein Erleben. Wenn es dir wichtig ist, nimm doch die Geschichte und schreib sie um...

Ich versuche die hier eingestellten Texte/Gedichte/Kommentare als Botschaften der Menschen zu lesen, die sie schreiben. Interessant, wer was wie erlebt hat und verarbeitet. Wenn seine Texte bei mir möglicherweise Mißverständnisse auslösen, dann mache ich drauf aufmerksam, wie ich es verstehe, ich versuche nicht zu sagen, was besser wäre. Woher weiß ich das denn? Und was der Angesprochene dann mit meiner Antwort macht, ist seine Angelegenheit.

Wer gerne als strahlender Stern am Firmament stehen will, kann alles um sich herum in undurchdringlich dunkle Nacht tauchen. Und was ist dann mit den anderen Sternen?

Danke dafür, dass du gern kommentierst. So regst du an.

LG Kölle
 

Kölle

Mitglied
Hallo Maribu,

das einfachste zuerst: mit dem Titel bin ich auch nicht zufrieden; betrachte es als Arbeitstitel...

Als ich vor gar nicht langer Zeit hier meine ersten Sachen veröffentlicht hatte, bildete ich mir ein, dass sie "fertig" sein müssten. So ein Quatsch. Mittlerweile werfe ich Unfertiges in den Ring, um zu schauen, wie die LL-Gemeinschaft reagiert. Und ich habe erkannt, dass es nichts Fertiges gibt. Es gibt immer wieder Einwände, denen ich gut folgen kann, anderen weniger gut, und mit der eingearbeiteten Kritik verändert sich ja auch der Text. Kein Text ist fertig, es sind nur unterschiedliche Zustände - und manche davon halten sehr lange und machen dann einen auf fertig.

Und was das Aufgesetzte und übereilte Happy-End betrifft, ist es ja auch nur eine Frage der Gewohnheit. Jeder Film, den wir im Kino oder im Fernsehen sehen, enthält Unstimmigkeiten, die einer Überprüfung im "realen" Leben nicht standhalten würde und wir uns - wenn wir uns an den Schwachsinn nicht schon gewöhnt hätten - an den Kopf langen würden. Kommissare, die im Hochsommer bei Dunkelheit jemanden besuchen, um zu fragen, wann der und der wo war, Verbrecher plötzlich auftauchen, als hätten sie sich hinter dem Kameramann versteckt... Wir haben uns an den Schwachsinn gewöhnt als dramaturgische Notwendigkeit.

Hätte hätte hätte Fahrradkätte. Ich hätte natürlich die Geschichte anders bauen können und erzählen, wie Bernd Lauer in den nächsten Wochen damit lebt und wie sich die Welt vor ihm verändert, wenn sich seine Perspektive auf die Welt verändert: "Egal was er macht, er macht es richtig!" Statt falsch. Im Grunde genommen wird die Welt auf den Kopf gestellt und das Leben sieht anders aus, wenn du mit dieser Grundhaltung deiner und der Welt der anderen begegnest. Spannendes Thema, finde ich: deshalb werden sicherlich noch weitere Episödchen zu diesem Thema entstehen. Vielleicht. Wenn ich Lust habe, wenn ich Zeit finde.

Aber da meine Zeit begrenzt ist, und ich nicht rund um die Uhr schreiben kann, und ich aber schreiben will, und ich mich aber nicht wochenlang mit einem Thema beschäftigen will, kommt dann eben so eine Geschichte heraus, deren Ende am Schluss unvorteilhafte Abschnitte zeigt.

Kunst will ja auch komprimieren und eindampfen, neue Perspektiven öffnen. Wenn sie das nicht wollte und wenn unsere physische Welt die Referenzwelt beispielsweise der Malerei wäre, würden die modernen Künstler noch so malen wie zur Zeit des Biedermeier. Wäre nicht mein Ding.

Welches (Er)leben enthält mehr Wahrheit? Mein bewußtes Leben am Tag oder meine Träume? Bei meinen Träumen würde ich niemals sagen: da ist etwas zu schnell passiert. Meine Träume reduzieren auf das Wesentliche. Oder sie blasen auf, was zu klein zu erkennen ist. In dem Sinne... Mit unseren Träumen gehen wir auch eher fragend um: wie ist das zu verstehen? Was hat das zu bedeuten? als erklärend: das kann so nicht sein! Gerne würde ich schreiben, als wäre die Geschichte eine Art Traum. Aber, merke ich gerade, so wirklich trauen tu ich's mich (noch) nicht.

Und danke für deinen Beitrag. So lernte ich mich während des Schreibens ein bisschen mehr verstehen (Stichwort Träume), und ich wünsche mir, du kannst ein bisschen was damit anfangen.

LG Kölle
 

James Blond

Mitglied
Lieber Kölle,

vielleicht klingt meine unverblümte Kritik schärfer als sie gemeint war, doch gehört die Toleranz offener Worte zu den wichtigsten Dingen eines angehenden Schriftstellers. Und gerade hieran erkennt man früh die großen Geister.

Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren bin ich der Meinung, dass die Leselupe weder eine Vitrinenschau noch ein Streichelzoo ist, sondern als ein Workshop Schriftstellern die Möglichkeit bietet, sich zu erproben. Insofern geht nichts über eine Kritik, die sich jenseits oberflächlicher Komplimente und unverbindlicher Danksagungen intensiv mit einem Text auseinandersetzt. Eine mühsame und undankbare Aufgabe, wie sich allein schon an der spärlichen Zahl von echten Kritiken zeigt.

Denn gedankt wird es einem nur selten, im Gegenteil: Dem Kritiker werden unlautere Motive von Bosheit bis Geltungssucht unterstellt. Kein Wunder also, dass die Motivation, einen Text eingehender zu untersuchen, dann auf der Strecke bleibt.

Wichtig wäre es gewesen, den Prozess, der sich hinter dem Satz "Gedankenversunken schaute er zu der Frau hinüber," verbirgt, ans Licht zu bringen.
Ich schreibe nicht für dich, sondern über mich in (fast) allen Belangen.
Diesem Satz wird jeder gute Schriftsteller, der nicht nur Text fabriziert, zustimmen. Wenn Du allerdings nur für Dich schreiben wolltest, dann brauchst Du die Texte auch nicht hier zur Diskussion zu stellen.

Es geht auch darum, den Leser einzufangen, ihn mitzunehmen, ihn teilhaben zulassen, ihm verständlich zu sein. Dazu sollte sich eine Geschichte, ob fiktiv oder real, aus ihrer inneren Logik heraus entwickeln. Ebenso gehört dazu eine angemessene Sprache, die über den korrekten Gebrauch ihrer Regeln hinausgeht. Eigentlich keine Frage, dass hier vorgelegte Texte auf beides hin untersucht werden.

Am Firmament gibt es übrigens genügend Platz für alle Sterne, am Büchermarkt sind die Starplätze längst besetzt, ein Streit um Positionen wäre demnach vollkommen sinnlos.

Grüße
JB
 

Kölle

Mitglied
Liebe James,

mir geht es doch nicht um die offenen Worte und der Toleranz ihnen gegenüber. Gerne habe ich deine technischen Anregungen aufgegriffen und eingearbeitet. Mir geht es um den Ton, wie die so genannten offenen Worte geäußert werden. Um die Spitzen, die hier und da eingestreut werden wie:
... hieran erkennt man früh die großen Geister.
Was soll das? Mit was werde ich denn hier (ungebeten) verglichen? Ist das vielleicht dein Thema?

Ich habe dir weder Bosheit bis Geltungssucht unterstellt, sondern darauf hingewiesen, dass mich deine
unverblümte Kritik
nicht einlädt, Texte auf der LL zu veröffentlichen und ich den Eindruck bekommen habe, Anfängertexte sind in ihrer Unfertigkeit unerwünscht und der Autor wird mit "unverblümter Kritik" weggebissen.

Ist das so eine Art Stählen, was hier praktiziert wird? Ich muss mir eine dicke Haut zulegen, mir einen teilweise beleidigenden Ton anhören, damit man mich schon früh als großen Geist erkennen kann?

Nicht mein Ding.

Was ich hier suche sind offene Worte, die aus Wohlwollen heraus geäußert werden und nicht aus Besserwisserei. Du bist ja ein Mann der bewusst gesetzten Worte: dann gelingt es dir sicherlich auch, deine unverblümte Kritik so zu äußern, dass man sich im Grunde angenommen fühlt.

Dazu fällt mir ein: Mein Sohn wollte eine Lehre als Landschaftsgärtner machen. Kam von der Schule, hatte 6 Wochen Ferien gehabt, und hat am ersten Tag 8 Stunden Steine geschleppt. Der ist am nächsten Tag nicht mehr hin, weil er sich gar nicht mehr bewegen konnte. Er ist nie wieder hin, weil er nicht in die Arbeit und die Tätigkeit des Landschaftsgärtners eingeführt wurde.

Ich freue mich auf einen anregenden Gedankenaustausch mit dir.

Kölle
 

James Blond

Mitglied
Aus dem letzten Satz meines Beitrages sollte eigentlich klar geworden sein, dass es nicht meine Absicht ist, hier jemanden wegzubeißen.

Allerdings trennt eine offene Kritik auch den Spreu vom Weizen: Die einen geben entmutigt auf, die anderen verstärken mit einem "jetzt erst recht" ihre Bemühungen, was ich auch Dir wünsche. Außerdem würde ich Dir mehr Lektüre 'anerkannter Kollegen' empfehlen, um Deinen Stil weiter zu verbessern.

Grüße
JB
 



 
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