In einer agrarischen Produktionszelle angesiedelte SF-Kurzgeschichte, deren (eigentlich belangloser) Held Peter nervös auf einen Besucher und dessen Entscheidung wartet. Lesespannung baut sich auf, weil erst nach und nach klarer wird, was das für ein merkwürdiges Landarbeiter-Kollektiv ist, dem Peter hier offenbar vorsteht, und welche Funktion darin dem sechsten Mann, dem Neuankömmling zukommen könnte. Schließlich begreift man, dass es sich um einen „satirischen“ bzw. „gesellschaftskritischen“ bzw. „ökologisch engagierten“ Text handelt, der Auswüchse der modernen Landwirtschaft und der industriell durchrationalisierten Nahrungsmittelproduktion für Milliarden Erdbewohner kritisch beleuchten will.
Gut, okay, als spannende SF-Geschichte ist das sauber aufgezäumt und funktioniert auch. Aber ich persönlich interessiere mich für SF gar nicht – und finde auch Spannung in der Literatur längst nicht so wichtig, wie oft angenommen wird.
Vor allem würde mich der belehrende Impuls an der Sache stören, das „Bewusstsein wecken Wollen“, welches dann immer am leichtesten geht, wenn man fürs erhoffte „neue Bewusstsein“ sein eigenes privates Leben gar nicht groß umwerfen müsste. Würde mich stören, wenn er mehr rauskäme, dieser Impuls, was er glücklicherweise aber nicht tut, weil der Leser diese Story gar nicht versteht, sofern er sie sich nicht weitgehend selbst zusammenreimt. Nun, das ist wirklich nicht übel aufgezogen!
Das Beste am Ganzen ist aber wahrlich nicht der SF-Klimbim von virtuellem Leben und winzigen Bit-Handwerkern und auch nicht das Aufrüttelnde vom Leben, das sich freiwillig in Maschinen einbauen lässt, sondern dass hier jemand weiß, was auf Bauernhöfen getan wird, wie es dort aussieht, wie es dort riecht, wie dort die Gegenstände heißen. Heute sind es nur noch wenige Menschen, die uns das zur Literatur machen könnten. (War mal ganz, ganz anders.) Darum schön, wenn einer, der das kann, es dann auch tut für uns.
Aber, oho! Auf der Ebene der Details hat mir hier vieles überhaupt nicht gefallen:
„Im Live-Room“: Ein Wohnzimmer wäre „Living Room“. Raum für Lebendes wäre vielleicht ein „Life Room“. „Live Room“ muss wohl etwas mit dem Fernsehen zu tun haben, wo gewisse Übertragungen gerne mal „live“ sind. „Life is live, la la la la la“, sang, tief schürfend, einst ganz Österreich.
Zweimal lese ich das Wörtlein „nachher“ sehr weit hinten in einem Satz. Und beide Male verdirbt es diese Sätze: „Doch sie sagten nichts über sein Gespräch nachher.“ „Vielleicht gab es ja etwas zu feiern nachher.“
„Peter, dessen Magen einen Sprung machte und sich irgendwo im Innern mit dem wild schlagenden Herz traf.“ Boing! Die bildhaft denkende Sprache des Lyrikers. Aber hier wird sie unfreiwillig komisch. Und das muss nicht sein.
„Bang öffnete Peter das Gatter und winkte seinen Gast herein.“ Dass jemand eine Türe „bang“ öffnet, ist nach Hermann Bang in der Literatur wahrscheinlich nur noch selten vorgekommen. In der Zukunft wird dann aber wohl wieder mehr gebangt und gebarmt und verstohlen geseufzt werden als heute in diesen prosaischen Tagen.
„Das bohrende Gefühl in seinem Bauch, das er für Hunger gehalten hatte, ist Angst, stellte Peter plötzlich fest.“ War Angst. Das (raunende) Imperfekt ist das Präsens der Prosa. Und ist man erst mal auf dieser Zeitebene, dann bleibt man es meistens besser auch. Ausnahmen bestätigen jede Regel. Aber nicht hier!
„Schmale Schultern, bleich und merkwürdig verschwommen.“ Schultern, die bleich sind und verschwommen, kann ich mir aber echt schwer vorstellen, dachte ich sogleich. Dann erst ging mir auf, dass „bleich“ und „verschwommen“ sich nicht auf die Schultern, sondern den ganzen geschulterten und geschundenen Mann beziehen wollen.
„Die Kaninchen stoben lautlos durch ihre Käfige.“ Der schwarze Rappe stob wild wiehernd davon durchs hohe Gras der argentinischen Savanne. Stieben braucht, denke ich, mehr Platz, als im Hasenstall ist.
„Ein jeder von ihnen [lag] in einem eigenen kleinen Zentrum aus Licht und geheimnisvoller Starre.“ Ich lag beim Lesen auch in einem „Zentrum aus geheimnisvoller Starre“. Das geht natürlich nicht. Gemeint ist vielleicht: „Sie lagen in geheimnisvoller Starre.“ Die von ihrem Sinngehalt her zueinander schlecht passenden Wörter „Zentrum“ und „Starre“ aber mit einer einzigen Präposition „in“ zu verbinden im Rahmen der Satzkonstruktion, das ist schlechter Stil.
Als Mensch mit exorbitanter Schwäche beim „Dämmerungssehen“, wie es der Augenarzt nennt, möchte ich Rumpelsstilzchen widersprechen. Von der Gewöhnung wird es wesentlich besser! Und deshalb habe ich mich selbst zu anderen Leuten oft sagen hören: „Erst hab ich überhaupt nichts gesehen. Ich hab nur Schwarz gesehen überall. Aber als die Augen sich gewöhnt hatten, ging es einigermaßen und ich habe begriffen, dass das seltsame Geräusch von ... her kam.“ Ich denke, man redet so, also kann man es auch schreiben innerhalb von Literatur. Was natürlich nicht stimmt, ist, dass die Dunkelheit wegginge, wenn der Mensch seine Wahrnehmungsfähigkeit ändert. Sie sieht nur anders aus. (Ha! Sehe grade, das ist mittlerweile wohl zu „Augen reagierten langsam“ verändert worden. Meine Anmerkungen beziehen sich auf die Version, wie sie in der pdf-Datei mit sämtlichen Storys bis Herbst 2008 steht. Kriege ich einen Hinweis, Werk des Monats sei etwas, was im April 2008 veröffentlicht worden ist, schlage ich zum Lesen sofort mein Festplatten-pdf auf, weil ich es irgendwie übersichtlicher, „handlicher“ oder stabiler oder, ich weiß nicht, finde als das Internet.)
Auch ich finde es überhaupt nicht gut, stilistisch gesehen, wenn die Sonne sich auf einen Menschen niederlässt. Die Sonne hat keinen Hintern, der Mensch ist kein Stuhl. Aber rein grammatisch betrachtet, ginge der Satz von Lapismont so halbwegs an. Frage ich, wo etwas IST, kommt Dativ: auf dem Hof. Frage ich, wohin sich etwas BEWEGT, kommt Akkusativ: bis in die Milchstraße. Ächzend geht das auch bei „sich setzen“: Das Sonnenlicht setzte sich auf den Herrn Dombrowsky drauf. Ließ sich nieder auf ihn.
Ich hoffe, ich komme nicht selber auch so rüber, bezüglich Jons Kritik aber meine ich, dass die Schulmeisterei hier durchgegangen ist. Jon amüsiert sich allzu gerne über kleine, nicht besonders entscheidende Punkte, die man dem Autor als individuelle Eigenheiten, lokale Färbung (In Max Frischs „Stiller“ wimmelt es von an sich ja „falschem“ Schweizerdeutsch – und kein Lektor scheint ihm damals drein geredet zu haben) oder literarische Freiheit durchaus zugestehen könnte. Ein Beispiel: Es sei ein grober Schnitzer, wenn der Duft von Kamillen Lust auf Mittagessen wecke. Aber vielleicht trinkt Peter zu jeder Mahlzeit eben eine Tasse Kamillentee, dann ist das wie bei den Madeleines, die andernorts im Tee zerfallen, gewisse Gedanken steigen dann auf, wenn es danach riecht. Oder er ernährt sich ausschließlich von Kamillenpastillen, da alles auf dem Hof Erzeugte in der Stadt gebraucht wird.
Übrigens finde ich gerade das gut, wenn (z.B. per „Seuchenschutzfeld“) der Autor in der Schnitzeljagd, die er dem Leser zum „Verstehen“ des Gelesenen aufnötigt, eher nebenbei und wie absichtslos auch einmal ein Schnitzelchen einstreut, von dem er doch ganz genau weiß, dass er das an keiner Stelle weiter „erklären“ wird. Kann man sich doch schön was denken! Geht natürlich nicht, wenn so ein einziger kurzer Hinweis das Verständnis der ganzen Gesichte völlig umkippen würde, so man ihn überhaupt bemerkte. Ist hier aber nicht der Fall. Wann und wo diese Seuchen waren, ob nun innerhalb des Hofes oder draußen in der übrigen Welt, muss man notwendig gar nicht wissen.
Dennoch wäre ich schon dankbar, wenn jemand erklären könnte, warum es in einer Welt, in welcher unsichtbare, unkommunikative Handwerker durch Netzverbindungen ins Haus gelangen, um Probleme zu richten, in der, aber wundern wir uns darüber nicht, immerhin die gute alte Agrarbürokratie von Brüssel noch fröhlich Urständ feiert, mit einem Mal so etwas unglaublich Altmodisches wie ein schwarzes Taxi um die Ecke biegt. Ging’s nicht mit dem Fliegenden Bügeleisen, mit Beamen, mit Energie-Bit-Transfers per www?
Ach so, noch: Ich habe nebendran mit dem Kuli notiert, aus welchen Namen die 5-er-Gruppe besteht: Also, da waren Lisa und Samantha und Hans und Mia, die Jüngste. Ich atmete auf, als mit dem Auftauchen von Frank meine Spannung sich löste, da nun alle im Kästchen lagen. Da fragte ich mich aber, warum kommt der Frank denn so spät erst dazu? Und anschließend fragte ich mich: Warum muss ich überhaupt wissen, wie die heißen, welches Geschlecht sie haben, wie alt sie sind, wenn sie am Ende in der ganzen Geschichte ihre fünf Nebenfiguren-Auftritte eigentlich niemals bekommen haben? (Im Gegensatz zu Lars, dem Seehund. Äh, den Sehhund?)