Hans

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rothsten

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers. Hans war alt, schon über achtzig. Lange schon plagten ihn Gicht und Rheuma, lange schon brauchte er einen Rollator. Hans war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans würde niemals alleine aufstehen können; er brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte Hans, „schrei so laut du kannst!“. Wenn Hans doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte Hans. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen wird, wenn sein Herrchen erst gestorben ist. Wird Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinkt, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapiert?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmeren. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte Hans. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbenshaus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn sind sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte Hans seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Als Hans sich wieder vor die Tür gewagt hatte, klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindriges Loch. Als Hans nach Heinrich schauen gegangen war, klaffte ein Krater, wo vorher sein Freund gewohnt hatte. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; Hans fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriffe, ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Hans lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Pflegeheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“, Hans ließ die Zeitung fallen. „Martha!“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo rothsten, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Deine Geschichte schlägt einen guten Bogen und greift Martha und Heinrich wieder auf - auch das offene Ende gefällt mir gut. Die Katze wurde allerdings sicher in einem Tierheim und nicht in einem Pflegeheim untergebracht. :)


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

rothsten

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers. Hans war alt, schon über achtzig. Lange schon plagten ihn Gicht und Rheuma, lange schon brauchte er einen Rollator. Hans war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans würde niemals alleine aufstehen können; er brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte Hans, „schrei so laut du kannst!“. Wenn Hans doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte Hans. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen wird, wenn sein Herrchen erst gestorben ist. Wird Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinkt, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapiert?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmeren. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte Hans. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbenshaus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn sind sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte Hans seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Als Hans sich wieder vor die Tür gewagt hatte, klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindriges Loch. Als Hans nach Heinrich schauen gegangen war, klaffte ein Krater, wo vorher sein Freund gewohnt hatte. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; Hans fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriffe, ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Hans lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Tierheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“, Hans ließ die Zeitung fallen. „Martha!“
 

rothsten

Mitglied
Hallo DocSchneider,

vielen Dank fürs warme Willkommen und der Beschäftigung mit meinem Text.

Ich habe den Kater ins Tierheim verfrachtet, wenngleich es aber tatsächlich Pflegeheime für Tiere gibt. Aber alles für die Verständlichkeit, gelle? ;-)

lg
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Rothsten,

kein schlechter Einstand, Du bist auch sicherlich kein Schreibanfänger. Einige kleine Verbesserungsvorschläge hätte ich allerdings:
Schon bald fragte er sich, was Paule machen wird, wenn sein Herrchen erst gestorben ist. Wird Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinkt, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapiert?
Hier rutscht Du ein wenig aus der korrekten Zeit, hier ebenfalls:
Durch dick und dünn sind sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut
Bei dem Wort „zylindrig“ bin ich nicht ganz sicher: Müsste es nicht „zylindrisch“ heißen?
Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn sind sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte Hans seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Als Hans sich wieder vor die Tür gewagt hatte, klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindriges Loch. Als Hans nach Heinrich schauen gegangen war, klaffte ein Krater, wo vorher sein Freund gewohnt hatte. Trümmer überall
Für meinen Geschmack ein paar "als" zu viel, das geht sicher besser.

Ich wünsche Dir viel Spaß und Erfolg bei der Leselupe!

Gruß Ciconia
 

valcanale

Mitglied
Hallo Rothsten,

die paar zeitsprachlichen Ungereimtheiten, die mich irritiert haben und die ich grade thematisieren wollte, hat ja Ciconia bereits (dankenswerterweise) angesprochen.
Darüber hinaus waren es mir persönlich ein paar zu viele "Hans", wo mir ein "er" genügt hätte, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Dadurch wirkt es für mich zusätzlich auch sehr distanziert, was ich schade finde, weil ich gerne näher beim Protagonisten bleiben möchte. Aber das ist Geschmacksache.
Ansonsten ein für mich sehr berührender Text mit einem sehr guten Ende, hab ich gerne gelesen! Freu mich auf weiteres!
LG Valcanale
 

rothsten

Mitglied
Hallo ihr Beiden,

vielen Dank fürs Kommentieren. Wegen solcher Kritik bin ich ja hier. Ich poliere da sicher eure Anregungen ein. ;-)

lg
 

rothsten

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers. Hans war alt, schon über achtzig. Lange schon plagten ihn Gicht und Rheuma, lange schon brauchte er einen Rollator. Hans war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans würde niemals alleine aufstehen können; er brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte er, „schrei so laut du kannst!“. Wenn er doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte er. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen werde, wenn sein Herrchen erst gestorben war. Würde Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinken werde, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapierte?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmeren. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte er. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbenshaus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn waren sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte er seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Hans hatte sich wieder vor die Tür gewagt, dort klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindrisches Loch. Wo vorher sein Freund gewohnt hatte, war nur noch ein Krater. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; er fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriffe, ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Er lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Tierheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“, Hans ließ die Zeitung fallen. „Martha!“
 
A

aligaga

Gast
Hallo @rothsten,

indirekte Rede und indirekte Gedanken erforderten den Konjunktiv, wenn's richtig Deutsch sein soll. Im vorliegenden Falle am besten Konjunktiv II (Irrealis):
Schon bald fragte er sich, was Paule machen w[blue]ü[/blue]rde, wenn sein Herrchen erst gestorben w[blue]ä[/blue]r[blue]e[/blue]. Würde Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinken w[blue]ü[/blue]rde [blue](alternativ: stänke)[/blue], dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapierte?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmere[blue]m[/blue].
Wer sich "nur" das Becken oder den Oberschenkelhals und dazu den einen Arm bricht, sollte, wenn auch unter großen Schmerzen, noch robben können. Ich würde es den Hans wenigstens probieren lassen; das wäre plausibler. Er kann ja kurz vor der Korridortüre bewusstlos werden.

Das Ende ist ein wenig arg melodramatisch. Aber gut. Ich würde korrekt und optisch besser so schreiben:

„Heinrich!“

Hans ließ die Zeitung fallen.

„Martha!“
Gruß

aligaga
 

rothsten

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers. Hans war alt, schon über achtzig. Lange schon plagten ihn Gicht und Rheuma, lange schon brauchte er einen Rollator. Hans war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans würde niemals alleine aufstehen können; er brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte er, „schrei so laut du kannst!“. Wenn er doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte er. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen würde, wenn sein Herrchen erst gestorben wäre. Würde Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinken würde, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapierte?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmerem. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte er. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbenshaus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn waren sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte er seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Hans hatte sich wieder vor die Tür gewagt, dort klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindrisches Loch. Wo vorher sein Freund gewohnt hatte, war nur noch ein Krater. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; er fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriffe, ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Er lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Tierheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“, Hans ließ die Zeitung fallen. „Martha!“
 

rothsten

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers. Hans war alt, schon über achtzig. Lange schon plagten ihn Gicht und Rheuma, lange schon brauchte er einen Rollator. Hans war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans würde niemals alleine aufstehen können; er brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte er, „schrei so laut du kannst!“. Wenn er doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte er. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen würde, wenn sein Herrchen erst gestorben wäre. Würde Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinken würde, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapierte?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmerem. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte er. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbenshaus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn waren sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte er seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Hans hatte sich wieder vor die Tür gewagt, dort klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindrisches Loch. Wo vorher sein Freund gewohnt hatte, war nur noch ein Krater. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; er fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriffe, ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Er lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Tierheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“

Hans ließ die Zeitung fallen.

„Martha!“
 

rothsten

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers. Hans war alt, schon über achtzig. Lange schon plagten ihn Gicht und Rheuma, lange schon brauchte er einen Rollator. Hans war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans würde niemals alleine aufstehen können; er brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte er, „schrei so laut du kannst!“. Wenn er doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte er. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen würde, wenn sein Herrchen erst gestorben wäre. Würde Paule ihn vor lauter Hunger anfressen? Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinken würde, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapierte?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmerem. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte er. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbenshaus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn waren sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte er seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Hans hatte sich wieder vor die Tür gewagt, dort klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindrisches Loch. Wo vorher sein Freund gewohnt hatte, war nur noch ein Krater. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; er fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriffe, ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Er lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Tierheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“

Hans ließ die Zeitung fallen.

„Martha!“
 

Clara

Mitglied
Hans war gestürzt. Seit vorgestern Abend lag er zwischen Couchtisch und Wandschrank inmitten seines Wohnzimmers.

Hans [blue](es ist irgendwie keine Erzählung in Ich -form und doch berichtet er von sich - schreibt man dann Hans? Besser vielleicht : er ist Achtzig? [/blue])war alt, schon über achtzig. [blue]Lange schon[/blue] plagten ihn Gicht und Rheuma, [blue]lange schon[/blue] brauchte er einen Rollator. [blue]Hans[/blue] war gebrechlich. Die paar Stufen zu seiner Eingangstür kroch er hoch wie eine Schildkröte im aufrechten Gang, und oft schoss ihm die Sorge durch den Kopf: „Was, wenn ich daheim falle?“

Es schmerzte furchtbar! Sicher war sein Handgelenk gebrochen, ebenso ein Hüftkochen. Hans/[blue]ICH[/blue] würde niemals alleine aufstehen können; er/[blue]ich brauche[/blue] brauchte Hilfe. „Schrei!“, dachte er, „schrei so laut du kannst!“. Wenn er doch bloß gekonnt hätte! Jahrzehnte hatte er in der Lackiererei gearbeitet, hatte giftige Dämpfe eingeatmet. Arbeitsschutz gab es damals nicht. Nun waren seine Lungen hin, nur flach konnte er noch atmen. Hans schrie nicht, er wimmerte. Niemand würde ihn hören. Die halb taube Nachbarin Hildebrandt merkte nichtmal das Getöse der Bagger und Presslufthämmer nebenan. Der Kanal wurde ausgeschachtet, doch seit vorgestern war es still. „Ungewöhnlich“, dachte er. Auch die anderen Nachbarn würden ihn nicht hören, die wohnten im Nebengebäude. Er wusste: seine Klopfzeichen verhallten unbemerkt, sein Ende naht.

„Was wird nur aus dir, Paule?“, sorgte sich Hans. Sein Kater saß neben ihm und maunzte. Einen Arm konnte Hans ja noch bewegen, und Paule schnurrte, schmiegte sich an ihn und ließ sich kraulen. Der arme Kerl hungerte sicher. Hans hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen; und Zeit zum Nachdenken. Schon bald fragte er sich, was Paule machen würde, wenn sein Herrchen erst gestorben wäre([blue]daran denkt er schmerzgekrümmt?[/blue]). Würde Paule ihn vor lauter Hunger anfressen?([blue]makaber[/blue]) Jeden Tag ein bisschen, eine Futterschale voll Hans, bis sein Kadaver so stinken würde, dass selbst die alte Hildebrandt die Lage kapierte?

Hans lag bereits in seinem Urin und Schlimmerem. Der Kater konnte trinken wie er wollte, der Klodeckel stand offen. Aber er, er hatte Durst, so großen Durst. Der Hunger ging noch, in seinem Alter aß man nicht mehr viel. „Aber Wasser, mein Gott, Wasser!“, flehte er. Seine Zunge war Schleifpapier. Er hätte aus dem Klo gesoffen! Auf dem Couchtisch stand eine Wasserflasche, zu weit. Daneben lag Hans, ein Haufen aus krummen Gliedern, fossiliengleich. Das alte Männlein weinte. Es stirbt sich nicht leicht, und der Durst lag wie Blei auf seinem Körper.

Die Zeiger gingen, und Hans ging mit. „Es kann nicht mehr lange dauern, bald hab ichs geschafft“, wusste er. Dann würde er sie wiedersehen, Martha, seine liebe Frau. Lange vor ihm war sie gestorben. „Schon komisch, wie das Leben so spielt“, dachte er. „Hier ward ich geboren, hier sollt ich sterben.([blue]Phrase aus einem Theaterstück - knackig -a ber was eigenes?)[/blue]“ Sein ganzes Leben hatte er hier gewohnt, in seinem Elternhaus, seinem Geburtshaus, seinem Sterbe[strike]ns[/strike]haus. Als Junge tollte er mit Heinrich durch die Gärten, und was hatten sie für Flausen im Kopf! Durch dick und dünn waren sie gegangen und hatten sich sogar das Versprechen der Apachen gegeben, besiegelt mit Blut. Doch als die Bomber der Alliierten kamen, konnte er seinem besten Freund nicht helfen. In den Kellern ihrer Elternhäuser hatten sie sich versteckt, jeder in seinem. Hans hatte sich wieder vor die Tür gewagt, dort klaffte zwischen seinem Haus und der Straße ein dunkles, zylindrisches Loch. Wo vorher sein Freund gewohnt hatte, war nur noch ein Krater. Trümmer überall.

Noch einmal wachte Hans auf. Er fühlte kaum noch Schmerz, fühlte kaum noch die Luft beim Atmen. Alles dröhnte und drehte sich, von weit her kam ein dumpfes Rauschen; er fiel wieder in tiefen Schlaf und lag, als wolle er sich nie mehr regen...

Von weitem her kam ein dumpfes Rauschen, alles dröhnte und drehte sich. Hans fühlte den Kampf des Einatmens, und es schmerzte. Er wachte auf. Irgendwann nahm er eine Silhouette wahr, dann Konturen, und schließlich merkte Hans, dass er an Apparaten hing. Eine Krankenschwester war im Begriff[strike]e[/strike], ihn ins Diesseits zurück zu sprechen. Er lebte! Er liege im Krankenhaus und hätte nur noch wenige Stunden gehabt, erklärte ihm die Schwester.

Schon bald ging es ihm besser, er konnte sogar etwas frühstücken. Beim Tee blätterte er in der Wochenzeitung, doch im Lokalteil blieb er abrupt stehen. Hans las dort von seiner Wohnung, seinen Nachbarn, die alle evakuiert werden mussten wegen des Blindgängers, einer Fliegerbombe. Man habe sie bei Kanalarbeiten entdeckt, direkt neben seinem Haus. Um sicher zu gehen, dass in der näheren Umgebung alle raus wären, sei das Ordnungsamt von Tür zu Tür gegangen. Man habe einen alten Mann gefunden, der tagelang auf dem Boden seines Wohnzimmers gelegen habe und dem Tode nahe gewesen sei. Seine Katze habe man vorübergehend in einem Tierheim untergebracht. Der Zünder sei zu stark gerostet und hätte daher nicht entfernt werden können. Man habe die Bombe sprengen müssen. Das Haus des Alten gäbe es nicht mehr, nur noch einen großen Krater. Die Trümmer würden derzeit beseitigt.

„Heinrich!“

Hans ließ die Zeitung fallen.

„Martha!“

hm - der Schluss - Heinrich war der beste Freund, Martha seine Frau - und nun stirbt er wohlbehalten im Krankenhaus?
Und, auch rostige Blindgänger werden heutzutage eigentlich nicht so gesprengt - meist besteht doch eine Chance auf Entschärfung - ist er nun gestorben weil die bude weggerummst ist?


Ich komme ins Gehedder wenn du ihn Hans nennst - da ist mir was unstimmig, wer denn eigentlich überhaupt erzählt? Der Erzähler ist?

Die Vorstellung wie das ist, wenn man alt und hinfällig ist, bewegt einen ab einem gewissen Alter. Ähnlich wie ratata denkt hier jemand vor sich hin, wie was wäre wenn - in deinem Fall nichts passiert, was er noch mitbekam.
 

rothsten

Mitglied
Hallo Clara,

vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Text. Er muss Dir nicht gefallen. Mir gefällt auch Deine Kritik nicht.

hm - der Schluss - Heinrich war der beste Freund, Martha seine Frau - und nun [blue]stirbt[/blue] er wohlbehalten im Krankenhaus?
Nein, er stribt nicht, es geht ihm ja schon besser.

Und, auch rostige Blindgänger werden heutzutage eigentlich nicht so gesprengt - [blue]meist[/blue] besteht doch eine Chance auf Entschärfung - ist er nun gestorben weil die bude weggerummst ist?
Eben, meist, eben nicht immer. Damit widerlegst Du Dich selbst.

Im Übrigen beruht die Geschichte auf einer wahren Bebegenheit, sie ist noch nicht sehr lange her.

Ich komme ins Gehedder wenn du ihn Hans nennst - da ist mir was unstimmig, wer denn eigentlich überhaupt erzählt? Der Erzähler ist?
Der Text wird von einem Er-Erzähler gesprochen. Nur im Schlussakord wechselt die Perspektive, Hans wacht auf. Ich finde, das ist ein gelungenes Stilmittel. Nur schade, dass es bislang niemanden aufgefallen ist, aber wir lernen ja alle noch, gelle? ;-)

Die Vorstellung wie das ist, wenn man alt und hinfällig ist, bewegt einen ab einem gewissen Alter. Ähnlich wie ratata denkt hier jemand vor sich hin, wie was wäre wenn - in deinem Fall nichts passiert, was er noch mitbekam.
Hier stellt sich doch niemand was vor, Hans liegt in seiner eigenen Pisse, hat Schmnerzen und solch einen Durst, dass er aus dem Klo saufen würde! Was das mit Deinem Text zu tun haben soll, ist mir unbegreiflich. Die sind schon vom Ansatz her so verschieden wie Sonne und Mond. Bitte erspare uns solche Vergleiche. Hättest Du nicht im Text was markiert, ich hätte unterstellt, Du hättest meinen gar nicht gelesen.

Doch nur ne billige Retourkutsche für meine Kritik? Naja, wers mag.

lg
 

Clara

Mitglied
da du mir so schön geholfen hattest, und ich mich hier allgemein auch mal wieder einbringen wollte, fand ich deine Geschichte

ich bin nie hier gewesen, um jemanden nieder zu machen
ich bin auch nicht so nervös, wie du mir erscheinst.

also Friede bitte.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo rothsten,

Im Übrigen beruht die Geschichte auf einer wahren Bebegenheit, sie ist noch nicht sehr lange her.
Das bedeutet nicht, dass die Geschichte deshalb gut ist, wenn Du sie so aufschreibst. Das ist sie dann aus anderen Gründen, mir hat sie ja gefallen. Außerdem schweigt man besser über seine Quellen. Man wird ja wohl immer irgendwie inspiriert ... Negativer Kritik kann man nicht argumentativ damit begegnen, dass die Geschichte eben so passiert ist.


Liebe Grüße, DS
 



 
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