Marder Marten
Mitglied
Angst habe ich schon lange nicht mehr. Ich habe mich meinem Schicksal gefügt und warte auf das Ende. Aber vielleicht kommt doch noch die Rettung. Ich habe Hoffnung. Hoffnung auf Rettung. Wie bin ich nur hier gelandet? Wie konnte das passieren? Alles begann so friedlich. Es war doch so ein schöner Tag. Ich schließe meine Augen und lasse die letzten Stunden Revue passieren.
Mein Sohn und ich holten einmal tief Luft, bevor wir langsam in den Ozean eintauchten. Während das blaue Nass langsam an uns vorbei rauschte, erblühte die Welt um uns herum zum Leben.
Die Sonnenstrahlen schimmerten im Wasser und tanzten auf unserer Haut in all nur erdenklichen Farben. Doch als ich kurz herunter blickte, bemerkte ich, wie die drohende Dunkelheit langsam näher kam. Während wir tiefer tauchten, sahen wir ein paar Fischschwärme an uns vorbeiziehen und je tiefer wir kamen, desto dunkler wurde der Ozean. Ein ungutes Gefühl überkam mich. Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich diese Dunkelheit sah.
Ich habe dort unten viel Schreckliches erlebt und musste viel zu viel Zeit dort verbringen. Wir waren ziemlich genau sechzig Meter tief als meine Frau mit besorgniserregender Stimme zu uns rief: \"Taucht nicht zu tief ihr Lieben, dort unten wird es gefährlich.\"
Mein Sohn schaute mich mit seinen neugierig funkelnden Augen an, als würde er ein Abenteuer wittern. \"Was ist denn da unten? Wie sieht es dort aus?\", fragte er mich mit seinen strahlenden Augen, während seine Stimme vor Aufregung leicht am zittern war.
Langsam tauchten wir wieder auf und ich schaute ihn grinsend aber auch nachdenklich an.
Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich ernsthaft, ob er schon so weit wäre.
Doch die Antwort kam schnell mit einer sehr klar hörenden und strengen Stimme aus meinem Kopf. NEIN!
Ich versuchte ihm auf diplomatische Weise zu erklären, wieso ich es ihm noch nicht sagen konnte. Gleichzeitig musste ich versuchen meine eigene Angst zu überspielen.
Denn irgendwann musste ich ihn dort herunter schicken. Irgendwann muss auch er ein Mann werden. Auch für ihn wird es irgendwann lebenswichtig werden, dort unten hinzugehen.
\"Mein Sohn, das werde ich dir später einmal erzählen. Nicht mehr lange, dann werden deine Mutter und ich dich nach dort unten mitnehmen. Solange bis du eine eigene Familie hast und mit denen tauchen wirst.\" Ich konnte ihm ansehen, wie er sich freute. Endlich wieder ein Abenteuer, dachte er sich sicher. In dem Moment dachte ich mir, dass die Jugend nun mal so ist. Sie sind neugierig, sie wollen alles probieren und sind immer auf der Suche nach Abenteuern. Ich war ja damals nicht anders. Ganz im Gegenteil ich glaube, ich habe meinen Eltern mehr Probleme bereitet als mein Sohn mir. Mein Sohn muss nach seiner Mutter kommen. So dachte ich zumindest bis jetzt.
Wir schwammen nun eine relativ lange Zeit an der Oberfläche. Doch dann sah ich unter uns einen Schatten vorbei huschen. Ich hatte ihn nicht lange gesehen. Gerade so lange, um ihn kurz wahrzunehmen. Ich wusste nicht einmal genau, ob mein Geist mir einen Streich spielte oder, ob es real war. Ich musste wissen, ob dort Etwas war. Ich schaute nach unten, in der Hoffnung noch etwas zu sehen. Dieser Schatten bekam meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Mein Blick verharrte und ich fixierte die unendlich wirkende Dunkelheit des Ozeans. Ja, ich schien mich darin zu verlieren. Die Dunkelheit war hypnotisierend. Ich musste wissen, was das für ein Schatten war. Doch dann war das alles nicht mehr so wichtig, denn plötzlich holte mein Sohn tief Luft und tauchte, lachend und freudestrahlend in die Tiefen des Ozeans herab. Als ich das realisiert hatte, war es schon zu spät. Ich sah noch, wie er mit seinen Gliedmaßen in die Dunkelheit verschwand.
Blitzschnell holte ich Luft und versuchte ihn noch einzuholen. Was hat ihn nur dazu getrieben plötzlich abzutauchen? Ich rief nach ihm, doch er blieb stumm.
Es wurde dunkler und dunkler und ich konnte mit bloßem Auge kaum noch was sehen, bis plötzlich ein paar Umrisse aus der Dunkelheit zu sehen waren.
Ich versuchte ihnen langsam und unauffällig näher zu kommen. Erst als ich diese als meinen Sohn erkennen konnte, wurde ich wieder schneller. Ich hatte einen Gefühlscocktail im Blut. Einerseits war ich außer mir vor Wut, andererseits war ich glücklich, dass er wohl auf war und ich ihn wieder bei mir hatte. Diese Gefühle zerrissen mich innerlich und sorgten dafür, dass ich unaufmerksam wurde. Schlussendlich konnte ich ihn einholen und schwamm neben ihm. Natürlich schimpfte ich: \"Wie kannst du uns nur solch einen Schrecken einjagen! Tauch sofort wieder auf und geh zu deiner Mutter! Was nicht alles hätte passieren können... \" Mürrisch und beleidigt glitt mein Sohn langsam in Richtung Oberfläche. Als er eine Körperbreite aufgetaucht war, wurden die Umrisse des Monsters sichtbar, dessen Schatten ich zuvor von der Oberfläche aus gesehen hatte. Es war ein Hai. Ein monströser, gigantischer Hai! Mindestens vier Meter lang mit weit aufgerissenem Maul. Er schwamm direkt auf meinen Sohn zu. Ich reagierte blitzschnell. Ich bummpte meinen Sohn von unten an und schubste ihn so ein paar Meter höher. Nun war ich zwischen dem Hai und meinem Sohn. Ich konnte die messerscharfen Zähne sehen und bildete mir bereits ein, wie sie in meinem Fleisch eindringen würden. Die Stelle hatte bereits gekribbelt.
\"Schnell, tauch auf!\", schrie ich meinen Sohn an, der nun ebenfalls das Monster sah und nach Mama schreiend und wimmernd so schnell, wie es nur ging, auftauchte. Nun kam der Hai direkt auf mich zu. Ich versuchte mich nach rechts wegzudrehen, doch er traf meinen Körper ca. dreißig Centimeter neben dem Auge. Der Treffer war so heftig, dass ich ein paar Sekunden ohnmächtig wurde. Sicher hatte man den Knall noch Hunderte von Metern entfernt gehört.
Als ich wieder zu mir kam, war ich ca. fünfzig Meter tiefer gesunken. Langsam öffnete ich meine Augen. Ich konnte nur sehr wenig sehen und von dem Hai fehlte jede Spur. Zumindest sah ich ihn nicht. Ich erholte mich nur langsam von dem Aufprall und die Kopfschmerzen waren unerträglich. Ich sah alles verschwommen und zitterte von dem Adrenalinschub. Doch das war alles unwichtig. Das Einzige, was mir zu dem Zeitpunkt durch den Kopf ging, war mein Sohn.
Ich rief so laut ich konnte in Richtung Oberfläche: \"Wo bist du? Bist du oben mein Sohn?\" Ich drehte meinen Körper so, dass ich langsam auftauchen konnte. Ich sah immer noch alles verschwommen, lediglich das Zittern hatte etwas nachgelassen. \"Ich bin bei Mama. Papa, wo bist du?\" ertönte eine wimmernde Stimme. \"Es tut mir alles so leid! Ich werde nie wieder...\" Ich unterbrach ihn und erwiderte \"Alles wird wieder gut! Bin gleich bei dir mein Schatz\", als ich plötzlich merkte, wie mich irgendwas an meinen Gliedmaßen gepackt hatte. Nicht lange und ich bemerkte, wie mich etwas nicht nur an meinen Gliedmaßen, sondern auch an meinem Oberkörper packte. In dem Moment geriet ich in Panik und versuchte so schnell wie möglich an die Oberfläche zu gelangen. Doch dann merkte ich, wie sich Hunderte von Saugnäpfen an meiner Haut befestigten. Das Schlimme waren jedoch nicht die Saugnäpfe, sondern die Stacheln, die sich in der Mitte der Saugnäpfe befanden und sich zu Hunderten in mein Fleisch bohrten und mich so festhielten. Ich schrie vor Schmerzen! \"WUAHHHHHHHHHHHH!!!!!\"
Der Schrei muss so grausam gewesen sein, dass selbst die Tore der Hölle zu Eis erstarrten. Die Stacheln machten jede Bewegung zu einer so schmerzhaften Angelegenheit, dass die einzige Option das regungslose Dasein wurde.
Natürlich hatten diesen Schrei mein Sohn und meine Frau gehört. \"Vater, Vater, was ist passiert?\" rief mein Sohn beängstigend.
Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich konnte ihm zu diesem Zeitpunkt nicht antworten.
War ich doch von einer Kreatur gefangen worden, die von der Natur nur zum Töten geboren wurde.
Vor Millionen von Jahren wandelte sie bereits in den Ozeanen und machte diese zu einer der gefährlichsten Orte auf der Erde. Es ist eines der ältesten Lebewesen auf der Erde und wurde in den letzten Jahrmillionen von der Evolution vergessen. Ich war in den Klauen eines dreißg Meter langem Riesenkalmars.
Auch wenn die Schmerzen noch so unerträglich waren, ich musste einfach versuchen zu entkommen. Ich dachte an meinen Sohn, meine Familie. Diese Gedanken gaben mir Kraft es zu versuchen. Also versuchte ich es. Ich machte schnelle ruckartige Bewegungen. Nach rechts, links, oben, unten. Immer und immer wieder bis ich plötzlich einen Schmerz spürte, als würde mir ein Stück Fleisch herausgerissen. Und wieder schrie ich vor lauter Schmerzen, während langsam mein Kampfeswillen schwandt und ich mich meinem Schicksal fügen musste. Der Schmerz war so stark, dass ich aufhören musste mich zu bewegen. Ich konnte die Schmerzen nicht ertragen. Seine zehn kräftigen Arme zogen sich immer enger um meinen Körper, sodass spätestens jetzt keine Gegenwehr mehr möglich war. Der Druck war so stark, dass es sich anfühlte, als würden meine Knochen bersten. Mein Herz hämmerte so stark, dass ich es in meiner Brust fühlen konnte. Es war grausam. Doch jetzt ist es in Ordnung und ich verstehe es.
Ich hörte meinen Sohn an der Oberfläche weinen und immer wieder dieses schreien: \"Vater? Vater! Vaaaaaaater!\" Ich versuchte meine schmerzverzerrte Stimme zu verstecken und antworte ihm zögerlich: \"Schwimm! Schwimm so schnell du kannst! Bring dich in Sicherheit!\" Ich wusste, dass das er in Sicherheit war, denn der Kalmar war mit mir beschäftigt. Doch mein Sohn sollte das alles nicht mitbekommen. Jetzt,wo der Kalmar sich sicher war, dass ich nicht mehr fliehen könnte, zog er mich langsam weiter in die unendliche Dunkelheit der Tiefsee. Es kam mir ein bisschen so vor, als wolle er seinen Triumph genießen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es fast sechzig Minuten dauern sollte, bis wir am Ziel unserer Reise sein würden. Aber selbst wenn ich es gewusst hätte, ich hätte ja doch nichts dagegen unternehmen können.
Wir tauchten immer tiefer, während das blaue Nass an uns vorbei zog. Ich bemerkte die Strömung auf meiner Haut. Ein wenig Plankton zog an uns vorbei und ich sah, wie uns einige Fische für ein paar Meter folgten. Sie schauten anteillos zu, als wären sie froh, dass es mich erwischt hatte und nicht sie.
Schon zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich damit abgefunden, bald sterben zu müssen. Doch dann schoss mir, wie aus heiterem Himmel, wieder mein Sohn in den Kopf. Plötzlich waren alle vorangegangen Schmerzen vergessen. Ich sah ihn plötzlich vor mir, wie er lacht, wie er spielt, wie wir gemeinsam die Welt erkunden. Ich konnte ihn nicht alleine lassen! Ich wollte ihn nicht alleine lassen! Plötzlich zitterte ich am ganzen Körper. Ich stieß einen Schrei aus, damit das Winden, Rütteln und Zucken noch Kräftiger sein würde. Die Schmerzen waren kaum erträglich, doch ich sah immer wieder meinen Sohn vor meinem inneren Auge. Er ließ mich weiter machen, weiter diese schrecklichen Schmerzen ertragen. Ich wollte nicht, dass er ohne Vater aufwächst. Doch vergeblich.
Ich konnte mich nicht befreien. Nicht mal lockern konnte ich den tödlichen Griff. Der Kalmar reagierte kein bisschen auf meinen Versuch. So sicher war er sich, dass ich nicht fliehen konnte.
Unbeirrt setze er seinen Weg in die dunkle Tiefe fort.
An diesem Punkt hatte ich aufgegeben und an diesem Punkt zog die Verzweiflung ein, dass ich absolut nichts dagegen tun könnte, was auf mich zukommen würde.
Ich war gefangen und es gab keinen Ausweg. Ich würde meinen Sohn, meine Frau, ja meine ganze Familie nie mehr wiedersehen. Nun tat es mir mehr als leid, dass die letzten Worte, die ich an meinen Sohn geentrichtet hatte, das Schimpfen einen von Angst zerfressenen Vaters waren. Erschöpft schloss ich ein wenig die Augen.
Nach etwa weiteren dreihundert Metern öffnete ich meine Augen erschrocken wieder. Ich musste eingenickt sein. Ich wachte aus einem Albtraum auf und steckte mitten in einem anderen.
Ich sah, wie wir an einem Feld aus Quallen vorbei zogen. Faszinierende Tiere wie ich immer wieder feststellen musste.
Mit ihrem fluoreszierenden Licht locken sie in der Dunkelheit ihre Beute an.
Wenn dann ein Opfer ihre Nesseln berührt, schießen torpedoartig kleine Dornen aus ihren Nesseln und injizieren dem Opfer ein betäubendes Gift. Sobald das Gift wirkt, wird ein Verdauungsenzym injiziert und das Opfer wird bei lebendigem Leib verdaut.
Beim Vorbeigleiten hatte ich ein paar Fische gesehen, die sich in deren Nesseln gefangen hatten. Mir kam das doch irgendwie sehr bekannt vor. Als ich das sah, wurde ich wütend! Ich brüllte den Kalmar an: \"LOS, BRING ES HINTER DICH! TÖTE MICH ENDLICH\". Doch wieder passierte nichts. Er sank einfach weiter. Ich flehte und wimmerte ihn an: \"Bitte, bitte töte mich endlich...\" Doch er setze unbeirrt seinen Weg fort. Nach ein paar Metern rüttelte es an mir. Die Schmerzen waren unerträglich. Es schien so, als würden wir nicht mehr sinken, sondern nur in eine Richtung schwimmen. Ich fragte mich immer wieder, wo er denn nur hinwolle. Ich hatte die Orientierung verloren. Zu allem Überfluss merkte ich, wie langsam meine Luft knapp wurde. Es gab kein Zurück mehr, denn der Großteil meiner Luft war bereits verbraucht.
Unter normalen Umständen würde ich nun auftauchen. Aber da hätte mein Freund sicher etwas gegen. Ein paar Meter weiter hielten wir an und der Kalmar begab sich auf den Meeresgrund, wo wir, bis jetzt, immer noch liegen.
Wir scheinen am Ziel zu sein. Ich denke so vor mich hin und bemerke das meine Luft in den Lungen immer weniger und weniger wird. Ich öffne wieder meine Augen. Lange kann es nicht mehr dauern. Der Kalmar hat seinen ganzen Körper in flackerndes Licht getaucht und erhellt somit den Boden. Gerade so viel, dass ich wieder meine Augen nutzen kann und nicht mein Sonar. Irgendwas kommt da aus der Dunkelheit auf mich zu. Es gleitet über den Meeresboden. Doch was ist es? Es ist nicht groß, vielleicht einen Meter.
Je näher die Schatten in meine Richtung gleiten, desto mehr erkenne ich von der mysteriösen Gestalt. Fühler und Tentakeln kommen zum Vorschein. Langsam aber beständig sehe ich immer mehr von den Wesen, das auf mich zukommt. Jetzt kenne ich den ganzen Schrecken. Es sind seine Kinder. Jetzt weiß ich, warum er mich so lange am Leben ließ. Sein Nachwuchs sollte eine Lektion bekommen, die sie so schnell nicht vergessen werden. Sie lernen zu jagen. Sie lernen an einer lebenden großen Beute zu jagen. Das ist die Erklärung, warum er mich so lange am Leben ließ. Nun ist es also soweit. Ich werde die letzte Reise antreten, ein weiteres Abenteuer, das ich zu bestehen gedenke. Wenn ich mich nun wehren würde, dann wird er mich sicher schnell töten. Denn er wird dann seine Kinder schützen wollen. Besser so, als von seinen Kleinen immer wieder gebissen zu werden. Aber wenn ich schon gehen muss, dann mit Würde! Wenn ich schon gehen muss, dann mit Radau! Ein letztes Mal werde ich meine Kräfte mobilisieren. Ein letztes Mal wird meine Stimme in der Tiefe des Ozeans ertönen! Ein letztes Mal werde ich versuchen meine Schwanzflosse zu befreien. Ich werde ihm zeigen, wozu ich im Stande bin. Mit lauter Stimme schreie ich: „Denn ich bin ein Pottwal!“
Mein Sohn und ich holten einmal tief Luft, bevor wir langsam in den Ozean eintauchten. Während das blaue Nass langsam an uns vorbei rauschte, erblühte die Welt um uns herum zum Leben.
Die Sonnenstrahlen schimmerten im Wasser und tanzten auf unserer Haut in all nur erdenklichen Farben. Doch als ich kurz herunter blickte, bemerkte ich, wie die drohende Dunkelheit langsam näher kam. Während wir tiefer tauchten, sahen wir ein paar Fischschwärme an uns vorbeiziehen und je tiefer wir kamen, desto dunkler wurde der Ozean. Ein ungutes Gefühl überkam mich. Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich diese Dunkelheit sah.
Ich habe dort unten viel Schreckliches erlebt und musste viel zu viel Zeit dort verbringen. Wir waren ziemlich genau sechzig Meter tief als meine Frau mit besorgniserregender Stimme zu uns rief: \"Taucht nicht zu tief ihr Lieben, dort unten wird es gefährlich.\"
Mein Sohn schaute mich mit seinen neugierig funkelnden Augen an, als würde er ein Abenteuer wittern. \"Was ist denn da unten? Wie sieht es dort aus?\", fragte er mich mit seinen strahlenden Augen, während seine Stimme vor Aufregung leicht am zittern war.
Langsam tauchten wir wieder auf und ich schaute ihn grinsend aber auch nachdenklich an.
Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich ernsthaft, ob er schon so weit wäre.
Doch die Antwort kam schnell mit einer sehr klar hörenden und strengen Stimme aus meinem Kopf. NEIN!
Ich versuchte ihm auf diplomatische Weise zu erklären, wieso ich es ihm noch nicht sagen konnte. Gleichzeitig musste ich versuchen meine eigene Angst zu überspielen.
Denn irgendwann musste ich ihn dort herunter schicken. Irgendwann muss auch er ein Mann werden. Auch für ihn wird es irgendwann lebenswichtig werden, dort unten hinzugehen.
\"Mein Sohn, das werde ich dir später einmal erzählen. Nicht mehr lange, dann werden deine Mutter und ich dich nach dort unten mitnehmen. Solange bis du eine eigene Familie hast und mit denen tauchen wirst.\" Ich konnte ihm ansehen, wie er sich freute. Endlich wieder ein Abenteuer, dachte er sich sicher. In dem Moment dachte ich mir, dass die Jugend nun mal so ist. Sie sind neugierig, sie wollen alles probieren und sind immer auf der Suche nach Abenteuern. Ich war ja damals nicht anders. Ganz im Gegenteil ich glaube, ich habe meinen Eltern mehr Probleme bereitet als mein Sohn mir. Mein Sohn muss nach seiner Mutter kommen. So dachte ich zumindest bis jetzt.
Wir schwammen nun eine relativ lange Zeit an der Oberfläche. Doch dann sah ich unter uns einen Schatten vorbei huschen. Ich hatte ihn nicht lange gesehen. Gerade so lange, um ihn kurz wahrzunehmen. Ich wusste nicht einmal genau, ob mein Geist mir einen Streich spielte oder, ob es real war. Ich musste wissen, ob dort Etwas war. Ich schaute nach unten, in der Hoffnung noch etwas zu sehen. Dieser Schatten bekam meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Mein Blick verharrte und ich fixierte die unendlich wirkende Dunkelheit des Ozeans. Ja, ich schien mich darin zu verlieren. Die Dunkelheit war hypnotisierend. Ich musste wissen, was das für ein Schatten war. Doch dann war das alles nicht mehr so wichtig, denn plötzlich holte mein Sohn tief Luft und tauchte, lachend und freudestrahlend in die Tiefen des Ozeans herab. Als ich das realisiert hatte, war es schon zu spät. Ich sah noch, wie er mit seinen Gliedmaßen in die Dunkelheit verschwand.
Blitzschnell holte ich Luft und versuchte ihn noch einzuholen. Was hat ihn nur dazu getrieben plötzlich abzutauchen? Ich rief nach ihm, doch er blieb stumm.
Es wurde dunkler und dunkler und ich konnte mit bloßem Auge kaum noch was sehen, bis plötzlich ein paar Umrisse aus der Dunkelheit zu sehen waren.
Ich versuchte ihnen langsam und unauffällig näher zu kommen. Erst als ich diese als meinen Sohn erkennen konnte, wurde ich wieder schneller. Ich hatte einen Gefühlscocktail im Blut. Einerseits war ich außer mir vor Wut, andererseits war ich glücklich, dass er wohl auf war und ich ihn wieder bei mir hatte. Diese Gefühle zerrissen mich innerlich und sorgten dafür, dass ich unaufmerksam wurde. Schlussendlich konnte ich ihn einholen und schwamm neben ihm. Natürlich schimpfte ich: \"Wie kannst du uns nur solch einen Schrecken einjagen! Tauch sofort wieder auf und geh zu deiner Mutter! Was nicht alles hätte passieren können... \" Mürrisch und beleidigt glitt mein Sohn langsam in Richtung Oberfläche. Als er eine Körperbreite aufgetaucht war, wurden die Umrisse des Monsters sichtbar, dessen Schatten ich zuvor von der Oberfläche aus gesehen hatte. Es war ein Hai. Ein monströser, gigantischer Hai! Mindestens vier Meter lang mit weit aufgerissenem Maul. Er schwamm direkt auf meinen Sohn zu. Ich reagierte blitzschnell. Ich bummpte meinen Sohn von unten an und schubste ihn so ein paar Meter höher. Nun war ich zwischen dem Hai und meinem Sohn. Ich konnte die messerscharfen Zähne sehen und bildete mir bereits ein, wie sie in meinem Fleisch eindringen würden. Die Stelle hatte bereits gekribbelt.
\"Schnell, tauch auf!\", schrie ich meinen Sohn an, der nun ebenfalls das Monster sah und nach Mama schreiend und wimmernd so schnell, wie es nur ging, auftauchte. Nun kam der Hai direkt auf mich zu. Ich versuchte mich nach rechts wegzudrehen, doch er traf meinen Körper ca. dreißig Centimeter neben dem Auge. Der Treffer war so heftig, dass ich ein paar Sekunden ohnmächtig wurde. Sicher hatte man den Knall noch Hunderte von Metern entfernt gehört.
Als ich wieder zu mir kam, war ich ca. fünfzig Meter tiefer gesunken. Langsam öffnete ich meine Augen. Ich konnte nur sehr wenig sehen und von dem Hai fehlte jede Spur. Zumindest sah ich ihn nicht. Ich erholte mich nur langsam von dem Aufprall und die Kopfschmerzen waren unerträglich. Ich sah alles verschwommen und zitterte von dem Adrenalinschub. Doch das war alles unwichtig. Das Einzige, was mir zu dem Zeitpunkt durch den Kopf ging, war mein Sohn.
Ich rief so laut ich konnte in Richtung Oberfläche: \"Wo bist du? Bist du oben mein Sohn?\" Ich drehte meinen Körper so, dass ich langsam auftauchen konnte. Ich sah immer noch alles verschwommen, lediglich das Zittern hatte etwas nachgelassen. \"Ich bin bei Mama. Papa, wo bist du?\" ertönte eine wimmernde Stimme. \"Es tut mir alles so leid! Ich werde nie wieder...\" Ich unterbrach ihn und erwiderte \"Alles wird wieder gut! Bin gleich bei dir mein Schatz\", als ich plötzlich merkte, wie mich irgendwas an meinen Gliedmaßen gepackt hatte. Nicht lange und ich bemerkte, wie mich etwas nicht nur an meinen Gliedmaßen, sondern auch an meinem Oberkörper packte. In dem Moment geriet ich in Panik und versuchte so schnell wie möglich an die Oberfläche zu gelangen. Doch dann merkte ich, wie sich Hunderte von Saugnäpfen an meiner Haut befestigten. Das Schlimme waren jedoch nicht die Saugnäpfe, sondern die Stacheln, die sich in der Mitte der Saugnäpfe befanden und sich zu Hunderten in mein Fleisch bohrten und mich so festhielten. Ich schrie vor Schmerzen! \"WUAHHHHHHHHHHHH!!!!!\"
Der Schrei muss so grausam gewesen sein, dass selbst die Tore der Hölle zu Eis erstarrten. Die Stacheln machten jede Bewegung zu einer so schmerzhaften Angelegenheit, dass die einzige Option das regungslose Dasein wurde.
Natürlich hatten diesen Schrei mein Sohn und meine Frau gehört. \"Vater, Vater, was ist passiert?\" rief mein Sohn beängstigend.
Selbst wenn ich es gewollt hätte, ich konnte ihm zu diesem Zeitpunkt nicht antworten.
War ich doch von einer Kreatur gefangen worden, die von der Natur nur zum Töten geboren wurde.
Vor Millionen von Jahren wandelte sie bereits in den Ozeanen und machte diese zu einer der gefährlichsten Orte auf der Erde. Es ist eines der ältesten Lebewesen auf der Erde und wurde in den letzten Jahrmillionen von der Evolution vergessen. Ich war in den Klauen eines dreißg Meter langem Riesenkalmars.
Auch wenn die Schmerzen noch so unerträglich waren, ich musste einfach versuchen zu entkommen. Ich dachte an meinen Sohn, meine Familie. Diese Gedanken gaben mir Kraft es zu versuchen. Also versuchte ich es. Ich machte schnelle ruckartige Bewegungen. Nach rechts, links, oben, unten. Immer und immer wieder bis ich plötzlich einen Schmerz spürte, als würde mir ein Stück Fleisch herausgerissen. Und wieder schrie ich vor lauter Schmerzen, während langsam mein Kampfeswillen schwandt und ich mich meinem Schicksal fügen musste. Der Schmerz war so stark, dass ich aufhören musste mich zu bewegen. Ich konnte die Schmerzen nicht ertragen. Seine zehn kräftigen Arme zogen sich immer enger um meinen Körper, sodass spätestens jetzt keine Gegenwehr mehr möglich war. Der Druck war so stark, dass es sich anfühlte, als würden meine Knochen bersten. Mein Herz hämmerte so stark, dass ich es in meiner Brust fühlen konnte. Es war grausam. Doch jetzt ist es in Ordnung und ich verstehe es.
Ich hörte meinen Sohn an der Oberfläche weinen und immer wieder dieses schreien: \"Vater? Vater! Vaaaaaaater!\" Ich versuchte meine schmerzverzerrte Stimme zu verstecken und antworte ihm zögerlich: \"Schwimm! Schwimm so schnell du kannst! Bring dich in Sicherheit!\" Ich wusste, dass das er in Sicherheit war, denn der Kalmar war mit mir beschäftigt. Doch mein Sohn sollte das alles nicht mitbekommen. Jetzt,wo der Kalmar sich sicher war, dass ich nicht mehr fliehen könnte, zog er mich langsam weiter in die unendliche Dunkelheit der Tiefsee. Es kam mir ein bisschen so vor, als wolle er seinen Triumph genießen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es fast sechzig Minuten dauern sollte, bis wir am Ziel unserer Reise sein würden. Aber selbst wenn ich es gewusst hätte, ich hätte ja doch nichts dagegen unternehmen können.
Wir tauchten immer tiefer, während das blaue Nass an uns vorbei zog. Ich bemerkte die Strömung auf meiner Haut. Ein wenig Plankton zog an uns vorbei und ich sah, wie uns einige Fische für ein paar Meter folgten. Sie schauten anteillos zu, als wären sie froh, dass es mich erwischt hatte und nicht sie.
Schon zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich damit abgefunden, bald sterben zu müssen. Doch dann schoss mir, wie aus heiterem Himmel, wieder mein Sohn in den Kopf. Plötzlich waren alle vorangegangen Schmerzen vergessen. Ich sah ihn plötzlich vor mir, wie er lacht, wie er spielt, wie wir gemeinsam die Welt erkunden. Ich konnte ihn nicht alleine lassen! Ich wollte ihn nicht alleine lassen! Plötzlich zitterte ich am ganzen Körper. Ich stieß einen Schrei aus, damit das Winden, Rütteln und Zucken noch Kräftiger sein würde. Die Schmerzen waren kaum erträglich, doch ich sah immer wieder meinen Sohn vor meinem inneren Auge. Er ließ mich weiter machen, weiter diese schrecklichen Schmerzen ertragen. Ich wollte nicht, dass er ohne Vater aufwächst. Doch vergeblich.
Ich konnte mich nicht befreien. Nicht mal lockern konnte ich den tödlichen Griff. Der Kalmar reagierte kein bisschen auf meinen Versuch. So sicher war er sich, dass ich nicht fliehen konnte.
Unbeirrt setze er seinen Weg in die dunkle Tiefe fort.
An diesem Punkt hatte ich aufgegeben und an diesem Punkt zog die Verzweiflung ein, dass ich absolut nichts dagegen tun könnte, was auf mich zukommen würde.
Ich war gefangen und es gab keinen Ausweg. Ich würde meinen Sohn, meine Frau, ja meine ganze Familie nie mehr wiedersehen. Nun tat es mir mehr als leid, dass die letzten Worte, die ich an meinen Sohn geentrichtet hatte, das Schimpfen einen von Angst zerfressenen Vaters waren. Erschöpft schloss ich ein wenig die Augen.
Nach etwa weiteren dreihundert Metern öffnete ich meine Augen erschrocken wieder. Ich musste eingenickt sein. Ich wachte aus einem Albtraum auf und steckte mitten in einem anderen.
Ich sah, wie wir an einem Feld aus Quallen vorbei zogen. Faszinierende Tiere wie ich immer wieder feststellen musste.
Mit ihrem fluoreszierenden Licht locken sie in der Dunkelheit ihre Beute an.
Wenn dann ein Opfer ihre Nesseln berührt, schießen torpedoartig kleine Dornen aus ihren Nesseln und injizieren dem Opfer ein betäubendes Gift. Sobald das Gift wirkt, wird ein Verdauungsenzym injiziert und das Opfer wird bei lebendigem Leib verdaut.
Beim Vorbeigleiten hatte ich ein paar Fische gesehen, die sich in deren Nesseln gefangen hatten. Mir kam das doch irgendwie sehr bekannt vor. Als ich das sah, wurde ich wütend! Ich brüllte den Kalmar an: \"LOS, BRING ES HINTER DICH! TÖTE MICH ENDLICH\". Doch wieder passierte nichts. Er sank einfach weiter. Ich flehte und wimmerte ihn an: \"Bitte, bitte töte mich endlich...\" Doch er setze unbeirrt seinen Weg fort. Nach ein paar Metern rüttelte es an mir. Die Schmerzen waren unerträglich. Es schien so, als würden wir nicht mehr sinken, sondern nur in eine Richtung schwimmen. Ich fragte mich immer wieder, wo er denn nur hinwolle. Ich hatte die Orientierung verloren. Zu allem Überfluss merkte ich, wie langsam meine Luft knapp wurde. Es gab kein Zurück mehr, denn der Großteil meiner Luft war bereits verbraucht.
Unter normalen Umständen würde ich nun auftauchen. Aber da hätte mein Freund sicher etwas gegen. Ein paar Meter weiter hielten wir an und der Kalmar begab sich auf den Meeresgrund, wo wir, bis jetzt, immer noch liegen.
Wir scheinen am Ziel zu sein. Ich denke so vor mich hin und bemerke das meine Luft in den Lungen immer weniger und weniger wird. Ich öffne wieder meine Augen. Lange kann es nicht mehr dauern. Der Kalmar hat seinen ganzen Körper in flackerndes Licht getaucht und erhellt somit den Boden. Gerade so viel, dass ich wieder meine Augen nutzen kann und nicht mein Sonar. Irgendwas kommt da aus der Dunkelheit auf mich zu. Es gleitet über den Meeresboden. Doch was ist es? Es ist nicht groß, vielleicht einen Meter.
Je näher die Schatten in meine Richtung gleiten, desto mehr erkenne ich von der mysteriösen Gestalt. Fühler und Tentakeln kommen zum Vorschein. Langsam aber beständig sehe ich immer mehr von den Wesen, das auf mich zukommt. Jetzt kenne ich den ganzen Schrecken. Es sind seine Kinder. Jetzt weiß ich, warum er mich so lange am Leben ließ. Sein Nachwuchs sollte eine Lektion bekommen, die sie so schnell nicht vergessen werden. Sie lernen zu jagen. Sie lernen an einer lebenden großen Beute zu jagen. Das ist die Erklärung, warum er mich so lange am Leben ließ. Nun ist es also soweit. Ich werde die letzte Reise antreten, ein weiteres Abenteuer, das ich zu bestehen gedenke. Wenn ich mich nun wehren würde, dann wird er mich sicher schnell töten. Denn er wird dann seine Kinder schützen wollen. Besser so, als von seinen Kleinen immer wieder gebissen zu werden. Aber wenn ich schon gehen muss, dann mit Würde! Wenn ich schon gehen muss, dann mit Radau! Ein letztes Mal werde ich meine Kräfte mobilisieren. Ein letztes Mal wird meine Stimme in der Tiefe des Ozeans ertönen! Ein letztes Mal werde ich versuchen meine Schwanzflosse zu befreien. Ich werde ihm zeigen, wozu ich im Stande bin. Mit lauter Stimme schreie ich: „Denn ich bin ein Pottwal!“