Kalypso

4,30 Stern(e) 3 Bewertungen

Tula

Mitglied
Kalypso


es können nur die götter sein dass mich
ein jeder tag aufs neue zu dir treibt
in diese höhle deren wände man
aus feinstem regelwerk gepflichtet hat

die last der plauderei sei nicht viel wert
glaubst du und dass die winde günstig stehn
doch ahnst nichts von der wilden see in die
poseidons wut apotheosisch schlägt

ich folgte der bestimmung und dem rat
den du mir vorwurfsvoll in blicken gabst
doch wirft die brandung in mir jede nacht
das floß das ich mit zweifeln band zurück

der bote lügt! - was nützt mir die vernunft
wenn sie das ruder bricht und mich der strom
bei ithaka an land als treibgut spült?
ach! sieben jahre nur blieb' ich bei dir …
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Grüß Dich, Tula,

ein hübsches neoklassizistisches Gedicht.
aber Du meinst doch "geflochten", oder?
das bedeutet, daß Poseidon zur Erscheinung kommt, indem er in die Wogen schlägt. Klingt merkwürdig, weil man es sich innerlich konstruieren muß, was es denn heißt. Nun ja, warum nicht, Seltsamkeiten gehören in die Dichtung.
ach! sieben jahre nur blieb' ich bei dir …
feine Ironie, denn eigentlich müßte er sich zu seiner Gattin und seinem Sohn zurückwünschen, sich nach ihnen sehnen, und so ist es auch bei Homer. Natürlich witzeln alle Altphilologen darüber, daß er so gerne so lange bei der Nymphe geblieben ist. Wer würde nicht!

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
Hallo Mondnein

Danke für dein Interesse am Gedicht. Um die Stellen zu verstehen sei vermerkt, dass die hier dargestellte Szene ja in der neuzeitlichen Höhle des Büros stattfindet, da schien mir die neologistische Anspielung auf die Pflichten passend.
In der Zeile Poseidons findest du zweimal den Po :) aber auch ohne Frivolitäten, es geht um den inneren Sturm beim aufpeitschenden Anblick der Kalypso.

Ja, sieben Jahre könnte sie Lyri schon gewähren ...

LG
Tula
 

Willibald

Mitglied
Büro?

Hm, ohne Spielverderberei:

Reicht der knappe Hinweis von "Regelwerk" und gepflichtet für die Lesart "Bürohöhle"?

Und: Ist die Spielart Odysseus will nicht weg.. die Brandung findet in ihm selber statt .... der Götterbote "lügt" und göttlich (Zeile 1) sei der Ursprung seines Verharrens ... ist diese Spielart nicht auch durchaus ergiebig und mythisch-entmythisierend fein?

Man beachte dann - unabhängig - von der klassischen bürofernen Lesart so schöne Details wie das "Treiben" (2) (15), als Meereselement und als Triebelement des psychischen Apparates, auf jeden Fall Hinweis auf ein willenloses Odysseus-LI. Das dies dann als Götterwillen interpretiert. Der Jambus mag tatsächlich in der 8. Zeile in "apotheosisch" den Po markieren, bei "poseidons" eben nicht. Die erotische Lesart in dieser Zeile? Hm.

Schön das kataphorische "es" in Zeile 1 und der damit verknüpfte "Dass-Satz" mit einem schlussfolgernden "können", fast wie das kognitive "müssen" (Es muss geregnet haben, es kann nur geregnet haben: Die Straße ist nass). Ein argumentativer Zug in der Bleiben-Rhetorik.

Die Internalisierung des Vorgangs scheint in der Betonung von "in mir" markiert. Ein Nebenakzent zumindest liegt in "Treibgut" vor, wieder das willenlose Ich, seine Versächlichung und die verblasste Bedeutung von "Gut". Ähnlich spielerisch und den schlauen Leser amüsierend der leichte Hebungsprall in "ach!sieben jahre.."

Kurz:

Ein listiger Odysseus mit erotischer Bindung an Kalypso, den Götterauftrag nicht negierend, sondern drehend.
Ein Odysseus keineswegs traurig vermummt, weil er weg will/weg wollen würde zu Weib und Kind nach Ithaka.
Ein Odysseus, der Götter und Brandung und alles vor allem als inneren Vorgang präsentiert gegenüber einem Du, das eben nun mal weiblich-attraktiv ist.

https://upload.wikimedia.org/wikipe..._Böcklin_008.jpg/300px-Arnold_Böcklin_008.jpg

Vale

ww
 

Tula

Mitglied
Lieber Willibald

habe mich wirklich sehr über deine ausführliche Interpretation gefreut, wie du auf einige Einzelheiten eingegangen bist und die widersprüchliche und zum Teil tragikomisch erscheinende Hauptfigur herausgearbeitet hast.

Vielleicht doch noch zwei Bemerkungen meinerseits, d.h. zu den genannten Stellen:

Die erste Strophe sollte in der Tat den Arbeitsbezug herstellen, um das Gedicht und seine Handlung ins Heute zu bringen. Insbesondere 'ein jeder tag aufs neue' sollte bereits darauf hindeuten und 'regelwerk gepflichtet' verstärkend wirken, genau wie die der Kalypso zuweilen zur Last fallende Plauderei in der zweiten Strophe.

Was den Poseidon angeht, liegst du vollkommen richtig. Dieser steht eher für den inneren Sturm, wie schon erwähnt, während 'apotheosisch' auf den 'göttlichen Anblick' der Schönen hindeuten sollte. Erotisch sollte es in der Tat nur sehr andeutungsweise wirken (wäre mir sonst auch viel zu plump für die im Grunde heitere Absicht); dass da zweimal der Po drinsteckt, war eine scherzhafte Bemerkung meinerseits und ist eher ein sprachlicher Nebeneffekt.

Vielen Dank und LG
Tula
 

Willibald

Mitglied
Salute, Tula,

geschuldet dem Interesse an der Wahrnehmung des Kalypsotextes und seinem möglichen Verstehen hier noch (einmal) ein paar Anmerkungen:

Der Bürobezug - so eine wichtige Verstehens-These - soll über "jeder tag aufs neue", "feinstes regelwerk gepflichtet" und "plauderei" installiert werden.

Allerdings:

Der "beflissene", mythografisch sich orientierende Leser steigt in den Odysseus-plot, erkennt in Gesamtext eine Art "Kontrafaktur": Odysseus sehnt sich gar nicht nach Penelope und Telemach, will gegen die hermesvermittelte Botschaft der Götter bei Kalypso bleiben und Kalypso will ihn - Motive nicht ganz klar - weghaben: sei es aus Gehorsam gegenüber den Göttern, sei es aus Überdruss. Who knows.

Nun sind "regelwerk" und "pflichtet" und "plauderei" und "aufs neue" sicherlich erstmal sperrige Elemente. Aber in der Lesart mythosline gegengebürstet sind sie durchaus unterzubringen:

Das Regelwerk mag auf die erotische Indienstnahme und die entsprechenden Liebespflichten als Entgelt für Gastfreundschaft von O durch Kalypso verweisen, die "plauderei" auf den Überdruss an den Erzählungen von O über die 10 Jahre Troja und "aufs neue" dürfte sich integrieren lassen als immer wieder verzögertes Ablegen des Floßes, analog zur immer wieder aufgetrennten Totentuchbrikolage Penelopes in scheinbarer Ehrung von Schwiegervater Laertes und der wirklichen Hinhaltung von Freiern - ganz anders als der aktuelle Odysseus mit seiner Kalypso-Manie.

Der mythosferne und mythosdesinteressierte Leser dürfte mit dem Text wenig anfangen können. Er versteht wohl nicht die Überlappung der Büroszenerie mit der Inselszenerie. Er erkennt wohl kaum in Kalypso, Poseidon und so weiter über die Dechiffriersignale des Büros, dass hier eine Büroszenerie im griechischen Rahmen abgebildet und ummontiert wird. Gerade wenn er die entsprechenden Trägernamen als irgenwie exotisch verbucht, dürfte er wohl erst recht nicht die Isotopie/Lesbarkeitsebene Büroereignisse buchen, sondern achselzuckend sein Floß anderen Strömungen übereignen.

So versperrt bis zu einem gewissen Grad der mythografische Spielrahmen ihm den Genuss.

Und irgendwie schade: Schon das erwähnte Motiv des "Treibens" macht hellhörigen Lesern Erkenntisspaß, wohl den mythografisch interessierten, die ja die Triebstruktur in der Kontrafaktur abtasten können. Da gibt es das transitive "jemanden treiben", hier ist es "ein jeder tag". Und dann gibt es das intransitive, passive "Treiben", das hier in "treibgut" auftaucht.

ach.

https://www.art-galerie-shop.de/med...nelope-and-her-suit_allposters-ag329316ap.jpg
 
T

Trainee

Gast
Hallo Tula,

ich habe mit der ersten Versgruppe Probleme:

es können nur die götter sein dass mich
ein jeder tag aufs neue zu dir treibt
in diese höhle deren wände man
aus feinstem regelwerk gepflichtet hat
auf "es können nur die Götter sein" müsste der Plural folgen. Oder du schreibst "es kann nur Götterwille sein, der mich ..."

Bei deiner bestechenden Idee könntest du den aktuellen Bezug der Odyssee noch besser herausarbeiten. Guckstuhier:

https://www.zeit.de/1979/32/odyssee

Könnte was GroßArtiges werden ...

Liebe Grüße
Heidrun
 

revilo

Mitglied
es können nur die götter sein dass mich
ein jeder tag aufs neue zu dir treibt
in diese höhle deren wände
man gepflichtet hat

die last der plauderei
sei nicht viel wert
die winde stehen günstig
doch du ahnst nichts von der wilden see
in die poseidons wut schlägt

ich folge der bestimmung und dem rat
den du mir vorwurfsvoll gabst
doch wirft die brandung
in mir jede nacht zurück

der bote lügt! - was nützt mir die vernunft
wenn sie das ruder bricht und mich der strom
bei ithaka an land als treibgut spült?
ach! sieben jahre nur blieb' ich bei dir …

Grüß Dich...dieses intellektuelle Geplänkel um Deien Gedicht interessiert mich nicht...

ich habe das Gedicht spontan nach meinem Gusto verändert, wohl wissend, dass es die hehre Intention zerstören möge......

LG revilo
 

Tula

Mitglied
Hallo Willibald

Vielen Dank für deinen zweiten Kommentar. Du hast wohl recht, dass der “mythosferne” Leser mit dem Gedicht unter Umständen wenig anfangen kann. Das sehe ich allerdings nicht als Manko, die Idee des Gedichts beruht nun mal auf der 'Ummontage' wie du es nennst.
Ich sehe jetzt aber ein, dass die erste Strophe in der Tat den Einstieg erschwert. Der Hintergrund 'moderne Arbeitswelt' ist mir wichtig für das Verständnis des Textes und diesen klarer zu benennen, bringt den Leser vielleicht schneller und besser zur gedanklichen Auseinandersetzung mit dem “Wesentlichen”, der Grundidee.

Was diese betrifft, geht es im Gedicht nicht zuletzt um 'echte Liebe', oder besser: um das sich zu einem anderen Menschen “unwiderstehlich hingezogen fühlen”. Die Arbeitswelt ist reich an solchen Szenen und führt zum schicksalhaften Zusammentreffen der Menschen ohne sich zu suchen, ohne absichtliches Planen von Seitensprüngen, hier wirkt der Zufallsgenerator (siehe Götter). Für mich der ideale Hintergrund für das Thema.

In der beschriebenen Situation ist der Mensch seinen Gefühlen mehr oder weniger ausgesetzt, man sieht den anderen halt tagtäglich, was wiederum nicht bedeutet, dass diese vom anderen auch erwidert werden. Daraus erklärt sich der ständige Kampf mit sich selbst; schließlich kann man sein Handeln zwar bewusst steuern, aber die Gefühle nun mal nicht ohne weiteres abstellen. Lyri 'kann nicht anders', muss sich dem Objekt seiner Anbetung immer wieder annähern (harmlose Plauderei ist ja zunächst keine Form ehelicher Untreue), auch wenn er merkt, dass er nicht 'landet'. Opfer seiner selbst, versucht er es dennoch immer wieder, kämpft mit Anfällen von Reue, um schon am nächsten Tag alle guten Vorsätze über Bord zu werfen.
Diesen emotionalen Konflikt wollte ich hier erarbeiten, nicht ohne auf Ironie und tragikomische Elemente zu verzichten.

Das trifft einen weiteren Punkt: In 'meiner Version' soll Odysseus in Form des Lyri's etwas realistischer in seiner menschlichen Fehlbarkeit dargestellt werden. Wie in vielen anderen meiner Gedichte, erscheint der Mann stets als das emotional schwächere Element: er singt, fleht, weint, träumt usw. in der Hoffnung von der Gnädigsten erhört zu werden. Auch deshalb muss es für mich bei der Verdrehung der homerischen Fassung bleiben: dort wird Odysseus umworben, bleibt als 'der Gute' aber erfolgreich standhaft (gleich sieben Jahre bei Kalypso, was natürlich glaubwürdig ist :)). Es sei nebenbei vermerkt, dass bei Odysseus die Frau das 'böse' Element ist, nicht grundsätzlich böse, aber eben als Verführerin, wie das schwarze Yin (weich, aber auch dunkel). In moderner Hinsicht eher eine sexisitische Sichtweise.

Nichtsdestotrotz denke ich, kommt der 'mythografisch interessierte' Leser auf seine Kosten, gerade weil das antike Werk kennt, sollte ihm der dargestellte Vergleich durchaus Freude bereiten. Genau so wie du es herausgearbeitest hast :)

In diesem Sinne,
LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Kalypso


es kann nur götterwille sein der mich
fast stündlich hin an deinen schreibtisch treibt
in dieser höhle deren wände man
aus feinstem regelwerk gepflichtet hat

die last der plauderei sei nicht viel wert
glaubst du und dass die winde günstig stehn
doch ahnst nichts von der wilden see in die
poseidons wut apotheosisch schlägt

ich folgte der bestimmung und dem rat
den du mir vorwurfsvoll in blicken gabst
doch wirft die brandung in mir jede nacht
das floß das ich mit zweifeln band zurück

der bote lügt! - was nützt mir die vernunft
wenn sie das ruder bricht und mich der strom
bei ithaka an land als treibgut spült?
ach! sieben jahre nur blieb' ich bei dir …
 

Tula

Mitglied
Liebe Trainee

vielen Dank für deinen Vorschlag. Ich habe ihn angenommen und wie oben begründet, die ersten zwei Zeilen inhaltlich deutlicher gemacht.

Ich habe den Text über das homerische Werk aufmerksam gelesen. Dort wird der Leitfaden – Mensch nimmt sein Schicksal in die Hand, auch gegen den Willen der Götter und dann wieder mit ihrer Hilfe – gut zusammengefasst. Die Standhaftigkeit des Helden Odysseus gegenüber allen Versuchen weiblicher Verführung wird auch klargestellt.

In der Gesamtheit ginge das sehr weit über meine Absicht hinaus, so bleibt es bei der Episode mit Kalypso und der inhaltlichen 'Modernisierung'. Du wirst mir verzeihen :)

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo Kad

Danke für die Bewertung. Nun weiß ich leider nicht, ob du der mythos-begeisterte Leser bist oder nicht.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Hallo revilo

Dank auch dir. Vielleicht zur Form: an Hexameter habe ich mich hier nicht rangetraut (habe mich mit diesen auch noch nie versucht), was allerdings auch einen gewissen Reiz hätte. Ich habe mich deshalb / alternativ für eine jambische und strophenartige Form entschieden, sprachlicher Rhythmus, aber ohne Reim.

LG
Tula
 

Tula

Mitglied
Kalypso


es kann nur götterwille sein der mich
fast stündlich hin an deinen schreibtisch treibt
in dieser höhle deren wände man
aus feinstem regelwerk gepflichtet hat

die last der plauderei sei nicht viel wert
glaubst du und dass die winde günstig stehn
doch ahnst nichts von der wilden see in die
poseidons wut apotheosisch schlägt

ich folgte der bestimmung und dem rat
den du mir vorwurfsvoll in blicken gabst
doch wirft die brandung in mir jede nacht
das floß das ich mit zweifeln band zurück

der bote lügt! - was nützt mir die vernunft
wenn sie das ruder bricht und mich der strom
bei ithaka an land als treibgut spült?
ach! sieben jahre nur blieb' ich bei dir
 

Tula

Mitglied
Hallo Willibald

PS: zum Regelwerk, es geht um die Regeln der Arbeit, genormte Arbeitsprozesse, Vorschriften usw.

Tula
 
T

Trainee

Gast
Hallo Tula,

nachdem du die sperrige Sprache der ersten Versgruppe geändert hast, wirkt das Gedicht anmutiger auf mich.
Der aktuelle Bezug dominiert, ohne jedoch die antike "Odyssee" ganz zu verdrängen; sie schimmert an einigen Stellen apart durch.

Nun kommt auch der hintergründige Witz des Ganzen mehr zum Tragen.
Kurzum: beide Daumen hoch!

Liebe Grüße
Trainee
 

Willibald

Mitglied
Höhlenmenschen

Salute,

deutlich erkennbar nun die zwei Skripte/Frames: Bürowelt-Höhle (frühes Signal: Schreibtisch) und Odysseus-Höhle.

Die Korrespondenz zwischen beiden und die zusätzliche Ummontierung der
Odysseus-Episode, sie sind ästhetisch und kognitiv anregend.

p.s.
Revilo wirft das Boot raus aus dem Text

doch wirft die brandung
in mir jede nacht zurück


greetse

ww
 

Tula

Mitglied
Höhlenängste

oder frohe Ahnungen befallen mich jetzt, lieber Willibald, denn morgen geht es wieder dorthin

Vielen Dank fürs eifrige Kommentieren, so macht die Lupenlese Spaß

LG
Tula
 



 
Oben Unten