Landregen

RainerK

Mitglied
Landregen

Ein Probewerk soll er abliefern, von ihm selbst soll es sein, nicht irgendwo auf die Schnelle zusammengeklaut. Löblich, aber wie soll er das anstellen? Er, der schon bei einer simplen E-Mail anfängt zu sinnieren, ob er die richtige Zeitform gewählt hat, er, immer noch derselbe, der seinen Hang zu Schachtelsätzen dann zu bändigen versucht, aber das Stakkato – welches resultiert wenn er seine Lindwurmsätze zerhackt – sechs-, sieben- oder achtwörtriger Sätze nicht mag, das ihm einen unguten Rhythmus aufzwingt, den er mit Kurzatmigkeit, mit Japsen, mit Nichtrichtigluftholenkönnen verbindet, so wie man manchmal im Traum ins Wasser springt und aufzutauchen versucht, aber der Weg nach oben immer länger wird und man sich fragt, ob man das jetzt träumt oder nicht, um dann schweißgebadet wachliegend über Schlafapnoe nachzudenken, einen Schluck Wasser trinkend sich fragt, ob das ein Zeichen ist, dass es aufs Ende zugeht, ob es schnell kommen wird oder nacheinander Etappen erreicht werden müssen. Er weiß es einfach nicht.

Man könnte es ja auch mit Lyrik versuchen, denkt er – Gänseblümchen mein, das du dort standest, dem Rasenmähertod geweiht, Gänseblümchen klein, den Tod du fandest, in der schönen Frühlingszeit – nee, will er nicht, außerdem erst neulich im Radio das Zitat eines Lyrikers welcher sagte, dass die Lyrik die einzige Kunstform sei, bei welcher die Zahl der Produzenten die der Konsumenten übersteigt. Was natürlich Quatsch ist, aber sowas prägt sich eben ein; nicht nur ihm, sondern wahrscheinlich auch anderen. Außerdem: Jamben, Hebungen, Senkungen und Wieauchimmerdasallesheißt hat er noch nie verstanden.

Also bleibt Prosa. Erzählung; boah, zu lang. Horror&Psycho; Geister, Magie und so ein Gedöhns könnte gehen, aber es soll ja trotzdem in sich stimmig sein und dann noch den ganzen Kladderadatsch außen rum, nee. Erotische Geschichten; er lässt doch hier nicht die Hosen seiner Phantasien herunter und das Jadestab-Lotusgrotten-Geschwurbel ist ja wohl eher etwas für Arztromane; chinesische Arztromane wahrscheinlich. Essays und Kolumnen; auch nicht, setzen ja Auseinandersetzung und tiefgründiges Wissen voraus.

Aber wie heißt es doch immer so schön: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Also nach Draußen ins Leben, etwas erleben, das Erlebte aufschreiben und dann winkt endlich die Vollmitgliedschaft; kann doch so schwer nicht sein.

Draußen regnet es. Er fährt mit dem Bus in die Innenstadt, es riecht nach feuchtem Mensch, wahrscheinlich eher nach feuchten Klamotten, aber trotzdem sehr körperlich, da, im Bus. In der Innenstadt riecht es nach Bratwurst, oder Döner, oder Currywurst, oder nach Pisse in den Durchgängen. Ist auch alles viel zu voll; die Cafes sind zu voll, in denen sich Menschen Nahrung einschaufeln, Tassen an Münder führen, Tropfen an den Tassen nach unten laufen und dabei schlammige Spuren auf weißem Porzellan hinterlassen. Jedenfalls wenn es Kaffee war. Er mag keinen Kaffee. Und keine Cafes.
Also wieder in den Bus, raus aufs Land, die Weite spüren, in sich aufnehmen und daraus etwas destillieren und dann die Vollmitgliedschaft.

Vor ihm sitzt ein Alter. Mit Hut und speckigem Kragen, sitzt da und liest Zeitung, aber vielleicht liest er sie auch gar nicht, sondern beobachtet, wartet, sinniert, phantasiert. Weiß man ja alles nicht, wenn man hinter einem Zeitungsleser im Bus sitzt. Im Bus aufs Land bei Regen.
Dort wo sich die Straße gabelt steht ein Wartehäuschen aus Stein, aus einer früheren Zeit, der Putz bröckelt an manchen Stellen, das Beige des Anstrichs von Schlammspritzern und Graffitis unterbrochen. Der Alte steht auf, er folgt ihm zur Tür, der Alte drückt den Haltewunschknopf und sieht ihn kurz an. Einen Haltwunschknopf sollte auch das Leben haben, denkt er. Den man einfach drückt wenn es schön ist. Wann es am schönsten war, weiß man ja erst später, wenn das Leben mit einem bereits weiter gefahren ist, also auch blöd. Aber egal, er muss sich an der Haltestange festhalten, denn der Bus bremst, hält an, die Türen gehen auf, von draußen weht feuchte Luft herein, er steigt hinter dem Alten aus. Ist ja schließlich auch Land hier draußen.

Er geht in das Wartehäuschen um zu warten, auf die Geschichte aus dem Leben zu warten, sie dann später aufzuschreiben. Der Alte verschwindet in Richtung der Straße, die der Bus nicht genommen hat. Die Geschichte kommt nicht. Um ihn herum Müll, aber zärtlicher Müll, keine Glasscherben sondern hauptsächlich Snackverpackungen, etwas zusammengeknülltes Stanniol, Kaugummis, Zigarettenkippen. A.J. liebt K.M, Gordon ist schwul (na bei dem Namen kein Wunder) und Für immer der erste EffZeh steht an der Wand. Wahrscheinlich in der dritten Liga denkt er. Wann hier der nächste Bus kommt ist nicht in Erfahrung zu bringen; der Busfahrplan ist teilweise abgefetzt oder mit Edding beschmiert. Also geht er los, dem Alten hinterher, denn der wird ja nicht im Wald bei der Hexe wohnen und falls doch, wird er eine Geschichte daraus machen.

Ziemlich rasch holt er ihn ein, so drei oder vier Minuten braucht er dafür, vielleicht, der Regen kommt jetzt von vorn und läuft ihm in den Ausschnitt der Jacke, die er daraufhin kinnhoch schließt. Der Alte bleibt stehen als er ihn überholt, er selbst bleibt auch stehen, dreht sich um. Sie schauen sich an, der Alte hebt die Hand zum Gruß, murmelt Unverständliches, seine Augen sind wässrig, die Nase großporig und feucht. Feucht wie bei einem Hund, denkt er. Als Kind hätte er gern einen Hund gehabt, einen richtig großen, der ihn beschützt hätte. Der ihn vielleicht sogar vor seiner Mutter beschützt hätte, wenn die von Kneipentour nach Hause kam und nörgelte. Seinen Vater hat er nicht gekannt, seinen Hund hat er nicht bekommen, seine Mutter ist dann meist irgendwann eingeschlafen. Egal ob sie allein nach Hause kam oder jemanden mitbrachte. Irgendwann hat er verstanden, dass keiner der Männer die seine Mutter mitbrachte sein Vater war oder sein wollte, keiner. Der hier vor ihm wahrscheinlich auch nicht, wäre nicht interessiert gewesen an ihm. Hätte ihm keinen Hund gegeben, hätte ihm nicht die Hand gegeben, hätte die Mutter weiterschlafen lassen als er ging, hätte ihm keine Geschichte gegeben.

Jetzt könnte der hier ihm eine Geschichte geben, eine überraschende, aufrührende, tragische, blutrünstige Geschichte. Er könnte ihm die Fresse einschlagen, die Rippen zertreten, seinen Kopf immer wieder auf den Asphalt knallen bis er keinen Ton mehr von sich gäbe und dann noch zwanzig Mal. Er könnte den toten Alten in den Straßengraben rollen zu all dem Müll und dem fleischig satten Gras, er könnte zurück gehen und auf den Bus warten, wieder in die Stadt fahren und hätte eine Geschichte, vom Land bei Regen.

Der Alte gibt ihm die Hand; er schüttelt sie.
Der Alte gibt ihm Auskunft wann der Bus in die Stadt zurück fährt; heute Abend.
Der Alte gibt ihm sein Handy, damit er sich ein Taxi rufen kann, denn sein Telefon hat er beim euphorischen Aufbruch zu Hause liegen lassen.
Der Alte gibt ihm eine Geschichte.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo RainerK, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Dein Text zeigt sehr gut, wie sich eine Geschichte entwickeln kann, ohne dass der Autor eine Idee hat. Dass das Leben die besten Geschichten schreibt ist ein Klischee, aber es stimmt.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

RainerK

Mitglied
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Ein Probewerk soll er abliefern, von ihm selbst soll es sein, nicht irgendwo auf die Schnelle zusammengeklaut. Löblich, aber wie soll er das anstellen? Er, der schon bei einer simplen E-Mail anfängt zu sinnieren, ob er die richtige Zeitform gewählt hat, er, immer noch derselbe, der seinen Hang zu Schachtelsätzen dann zu bändigen versucht, aber das Stakkato – welches resultiert wenn er seine Lindwurmsätze zerhackt – sechs-, sieben- oder achtwörtriger Sätze nicht mag, das ihm einen unguten Rhythmus aufzwingt, den er mit Kurzatmigkeit, mit Japsen, mit Nichtrichtigluftholenkönnen verbindet, so wie man manchmal im Traum ins Wasser springt und aufzutauchen versucht, aber der Weg nach oben immer länger wird und man sich fragt, ob man das jetzt träumt oder nicht, um dann schweißgebadet wachliegend über Schlafapnoe nachzudenken, einen Schluck Wasser trinkend sich fragt, ob das ein Zeichen ist, dass es aufs Ende zugeht, ob es schnell kommen wird oder nacheinander Etappen erreicht werden müssen. Er weiß es einfach nicht.

Man könnte es ja auch mit Lyrik versuchen, denkt er – Gänseblümchen mein, das du dort standest, dem Rasenmähertod geweiht, Gänseblümchen klein, den Tod du fandest, in der schönen Frühlingszeit – nee, will er nicht, außerdem erst neulich im Radio das Zitat eines Lyrikers welcher sagte, dass die Lyrik die einzige Kunstform sei, bei welcher die Zahl der Produzenten die der Konsumenten übersteigt. Was natürlich Quatsch ist, aber sowas prägt sich eben ein; nicht nur ihm, sondern wahrscheinlich auch anderen. Außerdem: Jamben, Hebungen, Senkungen und Wieauchimmerdasallesheißt hat er noch nie verstanden.

Also bleibt Prosa. Erzählung; boah, zu lang. Horror&Psycho; Geister, Magie und solches Gedöhns könnte gehen, aber es soll ja trotzdem in sich stimmig sein und dann noch den ganzen Kladderadatsch außen rum, nee. Erotische Geschichten; er lässt doch hier nicht die Hosen seiner Phantasien herunter und das Jadestab-Lotusgrotten-Geschwurbel ist ja wohl eher etwas für Arztromane; chinesische Arztromane wahrscheinlich. Essays und Kolumnen; auch nicht, setzen ja Auseinandersetzung und tiefgründiges Wissen voraus.

Aber wie heißt es doch immer so schön: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Also nach Draußen ins Leben, etwas erleben, das Erlebte aufschreiben und dann winkt endlich die Vollmitgliedschaft; kann doch so schwer nicht sein.

Draußen regnet es. Er fährt mit dem Bus in die Innenstadt, es riecht nach feuchtem Mensch, wahrscheinlich eher nach feuchten Klamotten, aber trotzdem sehr körperlich, da, im Bus. In der Innenstadt riecht es nach Bratwurst, oder Döner, oder Currywurst, oder nach Pisse in den Durchgängen. Ist auch alles viel zu voll; die Cafes sind zu voll, in denen sich Menschen Nahrung einschaufeln, Tassen an Münder führen, Tropfen an den Tassen nach unten laufen und dabei schlammige Spuren auf weißem Porzellan hinterlassen. Jedenfalls wenn es Kaffee war. Er mag keinen Kaffee. Und keine Cafes.
Also wieder in den Bus, raus aufs Land, die Weite spüren, in sich aufnehmen und daraus etwas destillieren und dann die Vollmitgliedschaft.

Vor ihm sitzt ein Alter. Mit Hut und speckigem Kragen, sitzt da und liest Zeitung, aber vielleicht liest er sie auch gar nicht, sondern beobachtet, wartet, sinniert, phantasiert. Weiß man ja alles nicht, wenn man hinter einem Zeitungsleser im Bus sitzt. Im Bus aufs Land bei Regen.
Dort wo sich die Straße gabelt steht ein Wartehäuschen aus Stein, aus einer früheren Zeit, der Putz bröckelt an manchen Stellen, das Beige des Anstrichs von Schlammspritzern und Graffitis unterbrochen. Der Alte steht auf, er folgt ihm zur Tür, der Alte drückt den Haltewunschknopf und sieht ihn kurz an. Einen Haltwunschknopf sollte auch das Leben haben, denkt er. Den man einfach drückt wenn es schön ist. Wann es am schönsten war, weiß man ja erst später, wenn das Leben mit einem bereits weiter gefahren ist, also auch blöd. Aber egal, er muss sich an der Haltestange festhalten, denn der Bus bremst, hält an, die Türen gehen auf, von draußen weht feuchte Luft herein, er steigt hinter dem Alten aus. Ist ja schließlich auch Land hier draußen.

Er geht in das Wartehäuschen um zu warten, auf die Geschichte aus dem Leben zu warten, sie dann später aufzuschreiben. Der Alte verschwindet in Richtung der Straße, die der Bus nicht genommen hat. Die Geschichte kommt nicht. Um ihn herum Müll, aber zärtlicher Müll, keine Glasscherben sondern hauptsächlich Snackverpackungen, etwas zusammengeknülltes Stanniol, Kaugummis, Zigarettenkippen und etwas vorjähriges Laub. A.J. liebt K.M, Gordon ist schwul (na bei dem Namen kein Wunder sagt er laut) und Für immer der erste EffZeh steht an der Wand. Wahrscheinlich in der dritten Liga denkt er. Wann hier der nächste Bus kommt ist nicht in Erfahrung zu bringen; der Busfahrplan ist teilweise abgefetzt oder mit Edding beschmiert. Also geht er los, dem Alten hinterher, denn der wird ja nicht im Wald bei der Hexe wohnen und falls doch, wird er eine Geschichte daraus machen.

Ziemlich rasch holt er ihn ein, so drei oder vier Minuten braucht er dafür, vielleicht, der Regen kommt jetzt von vorn und läuft ihm in den Ausschnitt der Jacke, die er daraufhin kinnhoch schließt. Der Alte bleibt stehen als er ihn überholt, er selbst bleibt auch stehen, dreht sich um. Sie schauen sich an, der Alte hebt die Hand zum Gruß, murmelt Unverständliches, seine Augen sind wässrig, die Nase großporig und feucht. Feucht wie bei einem Hund, denkt er. Als Kind hätte er gern einen Hund gehabt, einen richtig großen, der ihn beschützt hätte. Der ihn vielleicht sogar vor seiner Mutter beschützt hätte, wenn die von ihren Kneipentouren nach Hause kam und nörgelte. Seinen Vater hat er nicht gekannt, seinen Hund hat er nicht bekommen, seine Mutter ist dann meist irgendwann eingeschlafen. Egal ob sie allein nach Hause kam oder in Begleitung. Irgendwann hat er verstanden, dass keiner der Männer die seine Mutter mitbrachte sein Vater war oder sein wollte, keiner. Der hier vor ihm wahrscheinlich auch nicht, wäre nicht interessiert gewesen an ihm. Hätte ihm keinen Hund gegeben, hätte ihm nicht die Hand gegeben, hätte die Mutter weiterschlafen lassen als er ging, hätte ihm keine Geschichte gegeben.

Jetzt könnte der hier ihm eine Geschichte geben, eine überraschende, aufrührende, tragische, blutrünstige Geschichte. Er könnte ihm die Fresse einschlagen, die Rippen zertreten, seinen Schädel immer wieder auf den Asphalt knallen bis er keinen Ton mehr von sich gäbe und dann noch zwanzig Mal. Er könnte den toten Alten in den Straßengraben rollen zu all dem Müll und dem fleischig satten Gras, er könnte zurück gehen und auf den Bus warten, wieder in die Stadt fahren und hätte eine Geschichte, vom Land bei Regen.

Der Alte gibt ihm die Hand; er schüttelt sie.
Der Alte gibt ihm Auskunft wann der Bus in die Stadt zurück fährt; heute Abend.
Der Alte gibt ihm sein Handy, damit er sich ein Taxi rufen kann, denn sein Telefon hat er beim euphorischen Aufbruch zu Hause liegen lassen.
Der Alte gibt ihm eine Geschichte.
 

RainerK

Mitglied
Landregen

Ein Probewerk soll er abliefern, von ihm selbst soll es sein, nicht irgendwo auf die Schnelle zusammengeklaut. Löblich, aber wie soll er das anstellen? Er, der schon bei einer simplen E-Mail anfängt zu sinnieren, ob er die richtige Zeitform gewählt hat, er, immer noch derselbe, der seinen Hang zu Schachtelsätzen dann zu bändigen versucht, aber das Stakkato – welches resultiert wenn er seine Lindwurmsätze zerhackt – sechs-, sieben- oder achtwörtriger Sätze nicht mag, das ihm einen unguten Rhythmus aufzwingt, den er mit Kurzatmigkeit, mit Japsen, mit Nichtrichtigluftholenkönnen verbindet, so wie man manchmal im Traum ins Wasser springt und aufzutauchen versucht, aber der Weg nach oben immer länger wird und man sich fragt, ob man das jetzt träumt oder nicht, um dann schweißgebadet wachliegend über Schlafapnoe nachzudenken, einen Schluck Wasser trinkend sich fragt, ob das ein Zeichen ist, dass es aufs Ende zugeht, ob es schnell kommen wird oder nacheinander Etappen erreicht werden müssen. Er weiß es einfach nicht.

Man könnte es ja auch mit Lyrik versuchen, denkt er –

Gänseblümchen mein,
das du dort standest,
dem Rasenmähertod geweiht,
Gänseblümchen klein,
den Tod du fandest,
in der schönen Frühlingszeit

– nee, will er nicht, außerdem erst neulich im Radio das Zitat eines Lyrikers welcher sagte, dass die Lyrik die einzige Kunstform sei, bei welcher die Zahl der Produzenten die der Konsumenten übersteigt. Was natürlich Quatsch ist, aber sowas prägt sich eben ein; nicht nur ihm, sondern wahrscheinlich auch anderen. Außerdem: Jamben, Hebungen, Senkungen und Wieauchimmerdasallesheißt hat er noch nie verstanden.

Also bleibt Prosa. Erzählung; boah, zu lang. Horror&Psycho; Geister, Magie und solches Gedöhns könnte gehen, aber es soll ja trotzdem in sich stimmig sein und dann noch den ganzen Kladderadatsch außen rum, nee. Erotische Geschichten; er lässt doch hier nicht die Hosen seiner Phantasien herunter und das Jadestab-Lotusgrotten-Geschwurbel ist ja wohl eher etwas für Arztromane; chinesische Arztromane wahrscheinlich. Essays und Kolumnen; auch nicht, setzen ja Auseinandersetzung und tiefgründiges Wissen voraus.

Aber wie heißt es doch immer so schön: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Also nach Draußen ins Leben, etwas erleben, das Erlebte aufschreiben und dann winkt endlich die Vollmitgliedschaft; kann doch so schwer nicht sein.

Draußen regnet es. Er fährt mit dem Bus in die Innenstadt, es riecht nach feuchtem Mensch, wahrscheinlich eher nach feuchten Klamotten, aber trotzdem sehr körperlich, da, im Bus. In der Innenstadt riecht es nach Bratwurst, oder Döner, oder Currywurst, oder nach Pisse in den Durchgängen. Ist auch alles viel zu voll; die Cafes sind zu voll, in denen sich Menschen Nahrung einschaufeln, Tassen an Münder führen, Tropfen an den Tassen nach unten laufen und dabei schlammige Spuren auf weißem Porzellan hinterlassen. Jedenfalls wenn es Kaffee war. Er mag keinen Kaffee. Und keine Cafes.
Also wieder in den Bus, raus aufs Land, die Weite spüren, in sich aufnehmen und daraus etwas destillieren und dann die Vollmitgliedschaft.

Vor ihm sitzt ein Alter. Mit Hut und speckigem Kragen, sitzt da und liest Zeitung, aber vielleicht liest er sie auch gar nicht, sondern beobachtet, wartet, sinniert, phantasiert. Weiß man ja alles nicht, wenn man hinter einem Zeitungsleser im Bus sitzt. Im Bus aufs Land bei Regen.
Dort wo sich die Straße gabelt steht ein Wartehäuschen aus Stein, aus einer früheren Zeit, der Putz bröckelt an manchen Stellen, das Beige des Anstrichs von Schlammspritzern und Graffitis unterbrochen. Der Alte steht auf, er folgt ihm zur Tür, der Alte drückt den Haltewunschknopf und sieht ihn kurz an. Einen Haltwunschknopf sollte auch das Leben haben, denkt er. Den man einfach drückt wenn es schön ist. Wann es am schönsten war, weiß man ja erst später, wenn das Leben mit einem bereits weiter gefahren ist, also auch blöd. Aber egal, er muss sich an der Haltestange festhalten, denn der Bus bremst, hält an, die Türen gehen auf, von draußen weht feuchte Luft herein, er steigt hinter dem Alten aus. Ist ja schließlich auch Land hier draußen.

Er geht in das Wartehäuschen um zu warten, auf die Geschichte aus dem Leben zu warten, sie dann später aufzuschreiben. Der Alte verschwindet in Richtung der Straße, die der Bus nicht genommen hat. Die Geschichte kommt nicht. Um ihn herum Müll, aber zärtlicher Müll, keine Glasscherben sondern hauptsächlich Snackverpackungen, etwas zusammengeknülltes Stanniol, Kaugummis, Zigarettenkippen und etwas vorjähriges Laub. A.J. liebt K.M, Gordon ist schwul (na bei dem Namen kein Wunder sagt er laut) und Für immer der erste EffZeh steht an der Wand. Wahrscheinlich in der dritten Liga denkt er. Wann hier der nächste Bus kommt ist nicht in Erfahrung zu bringen; der Busfahrplan ist teilweise abgefetzt oder mit Edding beschmiert. Also geht er los, dem Alten hinterher, denn der wird ja nicht im Wald bei der Hexe wohnen und falls doch, wird er eine Geschichte daraus machen.

Ziemlich rasch holt er ihn ein, so drei oder vier Minuten braucht er dafür, vielleicht, der Regen kommt jetzt von vorn und läuft ihm in den Ausschnitt der Jacke, die er daraufhin kinnhoch schließt. Der Alte bleibt stehen als er ihn überholt, er selbst bleibt auch stehen, dreht sich um. Sie schauen sich an, der Alte hebt die Hand zum Gruß, murmelt Unverständliches, seine Augen sind wässrig, die Nase großporig und feucht. Feucht wie bei einem Hund, denkt er. Als Kind hätte er gern einen Hund gehabt, einen richtig großen, der ihn beschützt hätte. Der ihn vielleicht sogar vor seiner Mutter beschützt hätte, wenn die von ihren Kneipentouren nach Hause kam und nörgelte. Seinen Vater hat er nicht gekannt, seinen Hund hat er nicht bekommen, seine Mutter ist dann meist irgendwann eingeschlafen. Egal ob sie allein nach Hause kam oder in Begleitung. Irgendwann hat er verstanden, dass keiner der Männer die seine Mutter mitbrachte sein Vater war oder sein wollte, keiner. Der hier vor ihm wahrscheinlich auch nicht, wäre nicht interessiert gewesen an ihm. Hätte ihm keinen Hund gegeben, hätte ihm nicht die Hand gegeben, hätte die Mutter weiterschlafen lassen als er ging, hätte ihm keine Geschichte gegeben.

Jetzt könnte der hier ihm eine Geschichte geben, eine überraschende, aufrührende, tragische, blutrünstige Geschichte. Er könnte ihm die Fresse einschlagen, die Rippen zertreten, seinen Schädel immer wieder auf den Asphalt knallen bis er keinen Ton mehr von sich gäbe und dann noch zwanzig Mal. Er könnte den toten Alten in den Straßengraben rollen zu all dem Müll und dem fleischig satten Gras, er könnte zurück gehen und auf den Bus warten, wieder in die Stadt fahren und hätte eine Geschichte, vom Land bei Regen.

Der Alte gibt ihm die Hand; er schüttelt sie.
Der Alte gibt ihm Auskunft wann der Bus in die Stadt zurück fährt; heute Abend.
Der Alte gibt ihm sein Handy, damit er sich ein Taxi rufen kann, denn sein Telefon hat er beim euphorischen Aufbruch zu Hause liegen lassen.
Der Alte gibt ihm eine Geschichte.
 

RainerK

Mitglied
Landregen

Ein Probewerk soll er abliefern, von ihm selbst soll es sein, nicht irgendwo auf die Schnelle zusammengeklaut. Löblich, aber wie soll er das anstellen? Er, der schon bei einer simplen E-Mail anfängt zu sinnieren, ob er die richtige Zeitform gewählt hat, er, immer noch derselbe, der seinen Hang zu Schachtelsätzen dann zu bändigen versucht, aber das Stakkato – welches resultiert wenn er seine Lindwurmsätze zerhackt – sechs-, sieben- oder achtwörtriger Sätze nicht mag, das ihm einen unguten Rhythmus aufzwingt, den er mit Kurzatmigkeit, mit Japsen, mit Nichtrichtigluftholenkönnen verbindet, so wie man manchmal im Traum ins Wasser springt und aufzutauchen versucht, aber der Weg nach oben immer länger wird und man sich fragt, ob man das jetzt träumt oder nicht, um dann schweißgebadet wachliegend über Schlafapnoe nachzudenken, einen Schluck Wasser trinkend sich fragt, ob das ein Zeichen ist, dass es aufs Ende zugeht, ob es schnell kommen wird oder nacheinander Etappen erreicht werden müssen. Er weiß es einfach nicht.

Man könnte es ja auch mit Lyrik versuchen, denkt er –

Gänseblümchen mein,
das du dort standest,
dem Rasenmähertod geweiht.
Gänseblümchen klein,
den Tod du fandest,
in der schönen Frühlingszeit.

– nee, will er nicht, außerdem erst neulich im Radio das Zitat eines Lyrikers welcher sagte, dass die Lyrik die einzige Kunstform sei, bei welcher die Zahl der Produzenten die der Konsumenten übersteigt. Was natürlich Quatsch ist, aber sowas prägt sich eben ein; nicht nur ihm, sondern wahrscheinlich auch anderen. Außerdem: Jamben, Hebungen, Senkungen und Wieauchimmerdasallesheißt hat er noch nie verstanden.

Also bleibt Prosa. Erzählung; boah, zu lang. Horror&Psycho; Geister, Magie und solches Gedöhns könnte gehen, aber es soll ja trotzdem in sich stimmig sein und dann noch den ganzen Kladderadatsch außen rum, nee. Erotische Geschichten; er lässt doch hier nicht die Hosen seiner Phantasien herunter und das Jadestab-Lotusgrotten-Geschwurbel ist ja wohl eher etwas für Arztromane; chinesische Arztromane wahrscheinlich. Essays und Kolumnen; auch nicht, setzen ja Auseinandersetzung und tiefgründiges Wissen voraus.

Aber wie heißt es doch immer so schön: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Also nach Draußen ins Leben, etwas erleben, das Erlebte aufschreiben und dann winkt endlich die Vollmitgliedschaft; kann doch so schwer nicht sein.

Draußen regnet es. Er fährt mit dem Bus in die Innenstadt, es riecht nach feuchtem Mensch, wahrscheinlich eher nach feuchten Klamotten, aber trotzdem sehr körperlich, da, im Bus. In der Innenstadt riecht es nach Bratwurst, oder Döner, oder Currywurst, oder nach Pisse in den Durchgängen. Ist auch alles viel zu voll; die Cafes sind zu voll, in denen sich Menschen Nahrung einschaufeln, Tassen an Münder führen, Tropfen an den Tassen nach unten laufen und dabei schlammige Spuren auf weißem Porzellan hinterlassen. Jedenfalls wenn es Kaffee war. Er mag keinen Kaffee. Und keine Cafes.
Also wieder in den Bus, raus aufs Land, die Weite spüren, in sich aufnehmen und daraus etwas destillieren und dann die Vollmitgliedschaft.

Vor ihm sitzt ein Alter. Mit Hut und speckigem Kragen, sitzt da und liest Zeitung, aber vielleicht liest er sie auch gar nicht, sondern beobachtet, wartet, sinniert, phantasiert. Weiß man ja alles nicht, wenn man hinter einem Zeitungsleser im Bus sitzt. Im Bus aufs Land bei Regen.
Dort wo sich die Straße gabelt steht ein Wartehäuschen aus Stein, aus einer früheren Zeit, der Putz bröckelt an manchen Stellen, das Beige des Anstrichs von Schlammspritzern und Graffitis unterbrochen. Der Alte steht auf, er folgt ihm zur Tür, der Alte drückt den Haltewunschknopf und sieht ihn kurz an. Einen Haltwunschknopf sollte auch das Leben haben, denkt er. Den man einfach drückt wenn es schön ist. Wann es am schönsten war, weiß man ja erst später, wenn das Leben mit einem bereits weiter gefahren ist, also auch blöd. Aber egal, er muss sich an der Haltestange festhalten, denn der Bus bremst, hält an, die Türen gehen auf, von draußen weht feuchte Luft herein, er steigt hinter dem Alten aus. Ist ja schließlich auch Land hier draußen.

Er geht in das Wartehäuschen um zu warten, auf die Geschichte aus dem Leben zu warten, sie dann später aufzuschreiben. Der Alte verschwindet in Richtung der Straße, die der Bus nicht genommen hat. Die Geschichte kommt nicht. Um ihn herum Müll, aber zärtlicher Müll, keine Glasscherben sondern hauptsächlich Snackverpackungen, etwas zusammengeknülltes Stanniol, Kaugummis, Zigarettenkippen und etwas vorjähriges Laub. A.J. liebt K.M, Gordon ist schwul (na bei dem Namen kein Wunder sagt er laut) und Für immer der erste EffZeh steht an der Wand. Wahrscheinlich in der dritten Liga denkt er. Wann hier der nächste Bus kommt ist nicht in Erfahrung zu bringen; der Busfahrplan ist teilweise abgefetzt oder mit Edding beschmiert. Also geht er los, dem Alten hinterher, denn der wird ja nicht im Wald bei der Hexe wohnen und falls doch, wird er eine Geschichte daraus machen.

Ziemlich rasch holt er ihn ein, so drei oder vier Minuten braucht er dafür, vielleicht, der Regen kommt jetzt von vorn und läuft ihm in den Ausschnitt der Jacke, die er daraufhin kinnhoch schließt. Der Alte bleibt stehen als er ihn überholt, er selbst bleibt auch stehen, dreht sich um. Sie schauen sich an, der Alte hebt die Hand zum Gruß, murmelt Unverständliches, seine Augen sind wässrig, die Nase großporig und feucht. Feucht wie bei einem Hund, denkt er. Als Kind hätte er gern einen Hund gehabt, einen richtig großen, der ihn beschützt hätte. Der ihn vielleicht sogar vor seiner Mutter beschützt hätte, wenn die von ihren Kneipentouren nach Hause kam und nörgelte. Seinen Vater hat er nicht gekannt, seinen Hund hat er nicht bekommen, seine Mutter ist dann meist irgendwann eingeschlafen. Egal ob sie allein nach Hause kam oder in Begleitung. Irgendwann hat er verstanden, dass keiner der Männer die seine Mutter mitbrachte sein Vater war oder sein wollte, keiner. Der hier vor ihm wahrscheinlich auch nicht, wäre nicht interessiert gewesen an ihm. Hätte ihm keinen Hund gegeben, hätte ihm nicht die Hand gegeben, hätte die Mutter weiterschlafen lassen als er ging, hätte ihm keine Geschichte gegeben.

Jetzt könnte der hier ihm eine Geschichte geben, eine überraschende, aufrührende, tragische, blutrünstige Geschichte. Er könnte ihm die Fresse einschlagen, die Rippen zertreten, seinen Schädel immer wieder auf den Asphalt knallen bis er keinen Ton mehr von sich gäbe und dann noch zwanzig Mal. Er könnte den toten Alten in den Straßengraben rollen zu all dem Müll und dem fleischig satten Gras, er könnte zurück gehen und auf den Bus warten, wieder in die Stadt fahren und hätte eine Geschichte, vom Land bei Regen.

Der Alte gibt ihm die Hand; er schüttelt sie.
Der Alte gibt ihm Auskunft wann der Bus in die Stadt zurück fährt; heute Abend.
Der Alte gibt ihm sein Handy, damit er sich ein Taxi rufen kann, denn sein Telefon hat er beim euphorischen Aufbruch zu Hause liegen lassen.
Der Alte gibt ihm eine Geschichte.
 

RainerK

Mitglied
Hallo DocSchneider,

vielen Dank für das herzliche Willkommen und die informativen links.

Und natürlich hast du Recht - der Beitrag ist ohne Idee entstanden, aber man braucht ja ein "Werk" um z.B. bei anderen kommentieren zu können.
Beim nächsten (irgendwann einmal :)) werde ich versuchen, einer Idee Struktur zu geben.

VG
RainerK
 



 
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