Lucky

Tbird

Mitglied
Martin fuhr schon seit Stunden auf der Autobahn Richtung Norden. Er war in Eile, denn seine Fracht mußte unbedingt morgen Früh im Hafen von Hamburg angekommen sein. Bisher lief alles recht gut; keine Staus, keine Kontrollen durch die blauen Jungs, nur das Wetter, das hielt ihn auf. Nun hatte er Kassel fast erreicht und eine Pause war nötig. Schließlich wollte er den Ärger wegen den Lenkzeiten vermeiden. Es gibt wichtigeres im Leben, als sich mit der Polizei herumzuschlagen. Mit dieser Meinung steht er allerdings bei seinem Chef in keinem guten Licht. Für den gilt nur das Geschäft. Der Truck muß rollen, sonst bringt er kein Geld. Daß er noch in dieser Firma arbeitet, liegt allein daran, daß er zuverlässig ist. Und er hat Erfahrungen auf dem Gebiet der Spezialtransporte, die ihn unentbehrlich machen. Kein Wunder, ist er doch nun seit fast 30 Jahren auf der Straße unterwegs. Allerdings, denkt er, ist das langsam genug. Es macht keinen Spaß mehr. Seine Familie sieht er viel zu wenig, sein Sohn hatte gestern Geburtstag und er war wieder nicht dabei. Lisa, seine Frau, war ihm deswegen sehr böse. Aber was sollte er tun? Er verdient mit seinem Job das Geld, was seine Familie zum Leben braucht. Es war gutes Geld, aber was hatte es ihm gebracht? Kinder, die er kaum sieht, eine Frau die ihn für seinen Job haßt und ein ständiges Leben auf der Straße. Das muß sich ändern. Es würde sich ändern. Nur hätte Martin nie gedacht, wie schnell sowas gehen kann.

Heute war kein guter Tag zum Fahren. Regen wie er ihn schon lang nicht mehr erlebt hat. Die Scheibenwischer schaffen es kaum, die Wassermassen von der Scheibe zu drängen. Der Fahrer vor ihm scheint echte Probleme zu haben, denn er fährt mit seinem BMW wirklich sehr langsam. 60km/h, merkwürdig. Normalerweise gibt es diese Autos doch nur auf der Überholspur. Zumal das ein Prolo-Schlitten war, wie er im Buche steht. Kasseler Kennzeichen, KS-A 1, bestimmt gekauft. Spoiler wohin das Auge auch blickt, verbreitert und natürlich tiefer gelegt. Martin hatte ein Auge für sowas. Breitreifen, tja mein Freund, damit bist Du bei solchem Regen echt aufgeschmissen. Er mußte innerlich grinsen. Regen, ausgerechnet Regen hält diese Heizer auf. "Ha! Geschieht euch recht!" Martin hatte die Nase voll von dieser Schleichfahrt. Schließlich war es nicht sein Auto, was für diesen Regen nicht geeignet war. Er setzte den Blinker und gab Gas. Die 520PS seines neuen MAN packten zu und er schloß rasch auf den Wagen auf. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel zeigte ihm freie Fahrt. Als er gerade ausscherte, beschleunigte der BMW ebenfalls seine Fahrt. "Was zum Teufel soll denn das jetzt?" Er kannte diese Spielchen. Man hatte schon oft versucht, ihn auf diese Weise zu ärgern. Aber Martin hatte den Satz gerade zu Ende gesprochen, als das linke Fenster des BMW aufging. Was nun geschah war für Martin unbegreiflich. Wie in Zeitlupe nahm er jedoch jedes noch so kleine Detail wahr. Ein Sack wurde heraus geschoben. Und dieser Sack zappelte! "Verflucht! Die wollen jemanden umbringen!" Martin nahm den Fuß vom Gas und der Abstand zum Vorderwagen wurde größer. Doch er konnte nicht verhindern, daß der Sack vollends aus dem Fenster geworfen wurde. Er landete hart auf den Asphalt, überschlug sich mehrmals und blieb schließlich auf der 2. Spur liegen. Martin stieg hart in die Bremse. Er trat das Pedal bis zum Boden durch, aber 42 Tonnen brauchen viel Zeit. "Verdammt! Bleib stehen, du blöde Kiste! Halt an!" Quietschend zogen die Reifen über den nassen Asphalt. Qualm und Gischt stiegen auf. Martin zog das Lenkrad herum in der Hoffnung, dem Sack ausweichen zu können. Doch der Sattelauflieger interessierte sich dafür wenig. Er drohte über die Hinterachse zu schieben und den LKW umzukippen. Martin bemerkte fast zu spät sein Dilemma. Er löste kurz die Bremse und steuerte gegen. Schlingernd kam der Truck wieder in die Spur zurück und damit der Sack wieder ins Blickfeld des Truckers. "Himmel noch mal! Halt doch endlich an!" Die Bremsen hatten schon wieder voll gegriffen, so daß der LKW bedeutend an Fahrt verlor. Doch für das arme Wesen da auf der Straße würde es nicht mehr reichen, das wußte Martin lange bevor der Sack unter der Zugmaschine verschwand...

Es würde der letzte Tag seines armseligen Lebens werden. Das wußte Mistköter zwar nicht, aber das hätte auch nichts geändert, wenn er es wüßte. Vielleicht hätte sich Mistköter wenigstens einmal gefreut während seiner traurigen Zeit in diesem Haus. So blieb alles beim alten. Es blieb, wie es die letzten 2 Jahre gewesen war. Er erhob sich von seinem Schlafplatz und trottete an seine Freßschüssel. Wieder nichts drin. Weiter in die Küche. Hier stinkt es für eine Hundenase wie immer widerlich. Er schnüffelte am Abfalleimer und fand eine alte Wurstpelle, von der er die Reste ableckte. Im Wohnzimmer fand er noch ein paar Chips von der letzten Fete. Zu trinken gab es schales Bier, was er aus einer Flasche schlabberte, die er eben mit der Nase umgeschubst hatte. So ging das die ganze Woche. Bier, Chips und wieder Bier. Seine letzte große Mahlzeit war eine kalte Pizza, die vor zwei Tagen bei der Party liegen gelassen wurde. Die schmeckte unter diesen Umständen gar nicht mal so schlecht. Auch die vielen Menschen, die da waren, sind auf ihre Art richtig nett gewesen. Sie tätschelten ihn und knufften ihn, was im Gegensatz zum Alltag einmal nicht weh tat. Er hatte den Rest des Abends auf dem Schoß einer Frau gelegen, die ihm sein zerzaustes Fell gekrault hatte. Ja, das tat gut. Das war mal eine Abwechslung, die sein Körper dringend nötig hatte. Was die Dame nicht sah, waren die vielen blauen Flecken unter dem Fell. Sie blieben unbemerkt, wie auch die angeschwollene Pfote, die wegen einer vereiterten Schnittwunde nicht abheilte. Er zog sie sich zu, als sein Besitzer ihn mit einem Glas bewarf, nur weil er es sich auf dem guten Leder-Sofa bequem gemacht hatte. Keiner bemerkte es, wie sehr er litt. So blieb er auch an jenem Abend wieder im Haus zurück, während Herr mit den Damen im Arm nach draußen verschwand. Seitdem war Herr nur noch selten zu sehen. Und das war gar nicht mal schlecht. So bekam er wenigstens keine Schläge. Ja, diese Hiebe. Mistköter wußte nie, warum er sie bekam. Manchmal beim Fressen, manchmal beim Spielen, wenn er aus Versehen zubiß, oftmals während er schlief und Herr nachts nach Hause kam. Er war froh, wenn er nicht kam. So wie heute. Langsam und hungrig trottete Mistköter zu seinem Platz zurück. Er legte sich und verfiel in einen leichten Dämmerschlaf. Er träumte. Von seiner Kindheit und einer schönen Zeit, als er noch bei der jungen Familie lebte. Wieso haben sie ihn nur abgegeben? Wieso konnte er nicht ein glückliches Leben haben? Keine Antwort. Statt dessen flog die Türe im Hausflur auf und Herr kam herein. Mistköter erhob sich und lief in den Korridor. Leicht wedelte er mit der Rute, um eine Begrüßung anzudeuten. In Wirklichkeit aber hoffte er, daß er endlich etwas zu fressen bekam. Leise jaulte er, doch Herr schob in nur achtlos beiseite. "Hey Mistköter, bettel hier nich so rum! Hast schon genug gekriegt. Du frißt mir noch mal die Haare vom Kopf, Mistköter!" Als Herr in das Wohnzimmer kam und sich auf das Sofa setzte, bemerkte er die umgekippte Bierflasche. "Oh Du verdammter Mistköter! Du hast meinen guten Teppich ruiniert! Na warte, dafür wirst Du büßen!" Die Tracht Prügel die Mistköter jetzt bekam, stellte alles in den Schatten, was er bis eben erlebt hatte. Es gab nichts, was er dagegen tun konnte, keine Fluchtmöglichkeit. Angekettet mußte er die Schläge hinnehmen, wie sie kamen. Ach wie sehr wünschte er sich endlich das Ende herbei. Das Ende von seinem Leid und dem ganzen Elend, in das er vor zwei Jahren hinein gerutscht war. Er flehte und jaulte und ein Gott hatte Erbarmen. Die Schläge hörten plötzlich auf. Völlig erschöpft und unter großen Schmerzen sank Mistköter auf seine Matte. So sah er nicht, wie Herr mit einem Sack zurück kam. Zu spät bemerkte er das nahende Unheil. Als es dunkel um ihn herum wurde, hatte er sich bereits aufgegeben. Er merkte nicht einmal mehr, wie er zum Auto geschleift wurde...

Martin hörte den Schlag. Nach weiteren 15 Metern blieb der Sattelzug endlich stehen. Martin spürte eine deutliche Erschütterung seines Trucks und wußte, daß ihm gerade hinten einer drauf gefahren war. Doch dies interessierte ihn jetzt herzlich wenig. Das war das Problem des anderen. Selber schuld, wenn er so dicht auffährt! Er schaltete den Warnblinker ein, atmete noch einmal tief durch und sprang dann aus dem warmen Führerhaus in den Regen. Ein kurzer Blick unter die Frontschürze des Trucks zeigt ihm, daß er den Sack getroffen haben muß. Ein Stück aus der Plastik ist bei dem Aufprall heraus gebrochen worden. "Oh nein, bitte laß dies nicht wahr sein...", stöhnte Martin und lief den LKW entlang, immer einen Blick unter der Maschine. Seine Klamotten waren schon nach 2 Minuten hier draußen vollkommen durchnäßt, so sehr regnete es. Da, unter den Hinterachsen des Sattels erblickte er das Unglückswesen. Der Sack war kleiner als er anfangs aussah. Aber er bewegte sich nicht mehr. So schnell es irgendwie ging, kroch Martin unter den Auflieger und zog ihn hervor. Er war zugeschnürt und so fest zugeknotet, daß Martin ein Messer brauchte, um ihn aufzuschneiden. Er rannte zur Fahrerkabine vor und kam mit einem Dolch zurück. Vorsichtig durchtrennte er die Schnüre und riß den Stoff auseinander. Er erblickte eine Kreatur die vor Angst und Schmerzen zitterte. "Du meine Güte, wie konnte man Dir nur sowas antun! Wer tut so etwas?" Martin zog den Hund aus dem Sack und trug ihn zum Führerhaus. Eigentlich muß das ein sehr schöner Hund sein. So weit seine Kenntnisse reichen, mußte er hier einen Husky vor sich haben. Robuste Hunde, die gerne Laufen und nicht so schnell klein zu kriegen sind. Dieser hier muß Schlimmes durchgemacht haben. Plötzlich wurde er von hinten angebrüllt: "Sagen Sie, sind Sie wahnsinnig?!" Das mußte derjenige sein, welcher ihm hinten drauf gefahren war. Martin ging weiter, bis er grob herum gerissen wurde. "Hey, ich rede mit Ihnen! Sind sie auch noch taub?!" Martin blieb ruhig: "Bitte lassen Sie mich in Ruhe, um Ihre Angelegenheit wird sich die Polizei kümmern. Ich habe hier einen verletzten Hund. Das sehen Sie doch." Er bettete den Husky im Führerhaus auf weiche Tücher. Zwei traurige, blaue Augen schauten ihn an. Mistköter versuchte sich zu bewegen, doch seine Hinterläufe waren von dem Schlag schwer verletzt worden. So hob er nur mühsam den Kopf und leckte dem Mann dankbar über das Gesicht. Wärme spürte er, trotz der Kälte, die durch seinen Körper kroch. Wärme, wie er sie schon lange nicht mehr bekommen hatte. Und sie gab ihm Kraft zurück. Kraft um gegen die Kälte anzukämpfen, ehe sie sein Herz erreichten konnte. Martin packte eines seiner Wurstbrote aus und gab sie dem Hund zu fressen. Gierig schlang jener das Brot hinunter, während es von draußen weiter brüllte: "Sagen sie bloß, Sie haben wegen diesem blöden Köter eine Vollbremsung gemacht. Ich werde sie anzeigen! Sie sind ja eine Gefahr für Leib und Leben!". Martin kümmerte das Geschwätz wenig. Schließlich hatte er gerade ein Leben gerettet. "Ich werde Dich ‚Lucky' nennen. Mann, Du hast wirklich Glück gehabt, mein Freund!" Lucky wedelte als Zustimmung sanft mit der Rute. Und für beide begann heute eine neue Zeit. Ausgerechnet an einem solch verregneten Tag.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Tbird, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Richtig herzerwärmende Geschichte! Kleine Fehler in der Rechtschreibung noch verbessern.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

Tbird

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Martin fuhr schon seit Stunden auf der Autobahn Richtung Norden. Er war in Eile, denn seine Fracht mußte unbedingt morgen Früh im Hafen von Hamburg angekommen sein. Bisher lief alles recht gut; keine Staus, keine Kontrollen durch die blauen Jungs, nur das Wetter, das hielt ihn auf. Nun hatte er Kassel fast erreicht und eine Pause war nötig. Schließlich wollte er den Ärger wegen den Lenkzeiten vermeiden. Es gibt wichtigeres im Leben, als sich mit der Polizei herumzuschlagen. Mit dieser Meinung steht er allerdings bei seinem Chef in keinem guten Licht. Für den gilt nur das Geschäft. Der Truck muß rollen, sonst bringt er kein Geld. Daß er noch in dieser Firma arbeitet, liegt allein daran, daß er zuverlässig ist. Und er hat Erfahrungen auf dem Gebiet der Spezialtransporte, die ihn unentbehrlich machen. Kein Wunder, ist er doch nun seit fast 30 Jahren auf der Straße unterwegs. Allerdings, denkt er, ist das langsam genug. Es macht keinen Spaß mehr. Seine Familie sieht er viel zu wenig, sein Sohn hatte gestern Geburtstag und er war wieder nicht dabei. Lisa, seine Frau, war ihm deswegen sehr böse. Aber was sollte er tun? Er verdient mit seinem Job das Geld, was seine Familie zum Leben braucht. Es war gutes Geld, aber was hatte es ihm gebracht? Kinder, die er kaum sieht, eine Frau die ihn für seinen Job haßt und ein ständiges Leben auf der Straße. Das muß sich ändern. Es würde sich ändern. Nur hätte Martin nie gedacht, wie schnell sowas gehen kann.

Heute war kein guter Tag zum Fahren. Regen wie er ihn schon lang nicht mehr erlebt hat. Die Scheibenwischer schaffen es kaum, die Wassermassen von der Scheibe zu drängen. Der Fahrer vor ihm scheint echte Probleme zu haben, denn er fährt mit seinem BMW wirklich sehr langsam. 60km/h, merkwürdig. Normalerweise gibt es diese Autos doch nur auf der Überholspur. Zumal das ein Prolo-Schlitten war, wie er im Buche steht. Kasseler Kennzeichen, KS-A 1, bestimmt gekauft. Spoiler wohin das Auge auch blickt, verbreitert und natürlich tiefer gelegt. Martin hatte ein Auge für sowas. Breitreifen, tja mein Freund, damit bist Du bei solchem Regen echt aufgeschmissen. Er mußte innerlich grinsen. Regen, ausgerechnet Regen hält diese Heizer auf. "Ha! Geschieht euch recht!" Martin hatte die Nase voll von dieser Schleichfahrt. Schließlich war es nicht sein Auto, was für diesen Regen nicht geeignet war. Er setzte den Blinker und gab Gas. Die 520PS seines neuen MAN packten zu und er schloß rasch auf den Wagen auf. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel zeigte ihm freie Fahrt. Als er gerade ausscherte, beschleunigte der BMW ebenfalls seine Fahrt. "Was zum Teufel soll denn das jetzt?" Er kannte diese Spielchen. Man hatte schon oft versucht, ihn auf diese Weise zu ärgern. Aber Martin hatte den Satz gerade zu Ende gesprochen, als das linke Fenster des BMW aufging. Was nun geschah war für Martin unbegreiflich. Wie in Zeitlupe nahm er jedoch jedes noch so kleine Detail wahr. Ein Sack wurde heraus geschoben. Und dieser Sack zappelte! "Verflucht! Die wollen jemanden umbringen!" Martin nahm den Fuß vom Gas und der Abstand zum Vorderwagen wurde größer. Doch er konnte nicht verhindern, daß der Sack vollends aus dem Fenster geworfen wurde. Er landete hart auf den Asphalt, überschlug sich mehrmals und blieb schließlich auf der 2. Spur liegen. Martin stieg hart in die Bremse. Er trat das Pedal bis zum Boden durch, aber 42 Tonnen brauchen viel Zeit. "Verdammt! Bleib stehen, du blöde Kiste! Halt an!" Jaulend zogen die Reifen über den nassen Asphalt. Qualm und Gischt stiegen auf. Martin zog das Lenkrad herum in der Hoffnung, dem Sack ausweichen zu können. Doch der Sattelauflieger interessierte sich dafür wenig. Er drohte über die Hinterachse zu schieben und den LKW umzukippen. Martin bemerkte fast zu spät sein Dilemma. Er löste kurz die Bremse und steuerte gegen. Schlingernd kam der Truck wieder in die Spur zurück und damit der Sack wieder ins Blickfeld des Truckers. "Himmel noch mal! Halt doch endlich an!" Die Bremsen hatten schon wieder voll gegriffen, so daß der LKW bedeutend an Fahrt verlor. Doch für das arme Wesen da auf der Straße würde es nicht mehr reichen, das wußte Martin lange bevor der Sack unter der Zugmaschine verschwand...

Es würde der letzte Tag seines armseligen Lebens werden. Das wußte Mistköter zwar nicht, aber das hätte auch nichts geändert, wenn er es wüßte. Vielleicht hätte sich Mistköter wenigstens einmal gefreut während seiner traurigen Zeit in diesem Haus. So blieb alles beim Alten. Es blieb, wie es die letzten 2 Jahre gewesen war. Er erhob sich von seinem Schlafplatz und trottete an seine Freßschüssel. Wieder nichts drin. Weiter in die Küche. Hier stinkt es für eine Hundenase wie immer widerlich. Er schnüffelte am Abfalleimer und fand eine alte Wurstpelle, von der er die Reste ableckte. Im Wohnzimmer fand er noch ein paar Chips von der letzten Fete. Zu trinken gab es schales Bier, was er aus einer Flasche schlabberte, die er eben mit der Nase umgeschubst hatte. So ging das die ganze Woche. Bier, Chips und wieder Bier. Seine letzte große Mahlzeit war eine kalte Pizza, die vor zwei Tagen bei der Party liegen gelassen wurde. Die schmeckte unter diesen Umständen gar nicht mal so schlecht. Auch die vielen Menschen, die da waren, sind auf ihre Art richtig nett gewesen. Sie tätschelten ihn und knufften ihn, was im Gegensatz zum Alltag einmal nicht wehtat. Er hatte den Rest des Abends auf dem Schoß einer Frau gelegen, die ihm sein zerzaustes Fell gekrault hatte. Ja, das tat gut. Das war mal eine Abwechslung, die sein Körper dringend nötig hatte. Was die Dame nicht sah, waren die vielen blauen Flecken unter dem Fell. Sie blieben unbemerkt, wie auch die angeschwollene Pfote, die wegen einer vereiterten Schnittwunde nicht abheilte. Er zog sie sich zu, als sein Besitzer ihn mit einem Glas bewarf, nur weil er es sich auf dem guten Leder-Sofa bequem gemacht hatte. Keiner bemerkte es, wie sehr er litt. So blieb er auch an jenem Abend wieder im Haus zurück, während Herr mit den Damen im Arm nach draußen verschwand. Seitdem war Herr nur noch selten zu sehen. Und das war gar nicht mal schlecht. So bekam er wenigstens keine Schläge. Ja, diese Hiebe. Mistköter wußte nie, warum er sie bekam. Manchmal beim Fressen, manchmal beim Spielen, wenn er aus Versehen zubiß, oftmals während er schlief und Herr nachts nach Hause kam. Er war froh, wenn er nicht kam. So wie heute. Langsam und hungrig trottete Mistköter zu seinem Platz zurück. Er legte sich und verfiel in einen leichten Dämmerschlaf. Er träumte. Von seiner Kindheit und einer schönen Zeit, als er noch bei der jungen Familie lebte. Wieso haben sie ihn nur abgegeben? Wieso konnte er nicht ein glückliches Leben haben? Keine Antwort. Stattdessen flog die Türe im Hausflur auf und Herr kam herein. Mistköter erhob sich und lief in den Korridor. Leicht wedelte er mit der Rute, um eine Begrüßung anzudeuten. In Wirklichkeit aber hoffte er, daß er endlich etwas zu fressen bekam. Leise jaulte er, doch Herr schob in nur achtlos beiseite. "Hey Mistköter, bettel hier nich so rum! Hast schon genug gekriegt. Du frißt mir noch mal die Haare vom Kopf, Mistköter!" Als Herr in das Wohnzimmer kam und sich auf das Sofa setzte, bemerkte er die umgekippte Bierflasche. "Oh Du verdammter Mistköter! Du hast meinen guten Teppich ruiniert! Na warte, dafür wirst Du büßen!" Die Tracht Prügel die Mistköter jetzt bekam, stellte alles in den Schatten, was er bis eben erlebt hatte. Es gab nichts, was er dagegen tun konnte, keine Fluchtmöglichkeit. Angekettet mußte er die Schläge hinnehmen, wie sie kamen. Ach wie sehr wünschte er sich endlich das Ende herbei. Das Ende von seinem Leid und dem ganzen Elend, in das er vor zwei Jahren hinein gerutscht war. Er flehte und jaulte und ein Gott hatte Erbarmen. Die Schläge hörten plötzlich auf. Völlig erschöpft und unter großen Schmerzen sank Mistköter auf seine Matte. So sah er nicht, wie Herr mit einem Sack zurückkam. Zu spät bemerkte er das nahende Unheil. Als es dunkel um ihn herum wurde, hatte er sich bereits aufgegeben. Er merkte nicht einmal mehr, wie er zum Auto geschleift wurde...

Martin hörte den Schlag. Nach weiteren 15 Metern blieb der Sattelzug endlich stehen. Martin spürte eine deutliche Erschütterung seines Trucks und wußte, daß ihm gerade hinten einer drauf gefahren war. Doch dies interessierte ihn jetzt herzlich wenig. Das war das Problem des anderen. Selber schuld, wenn er so dicht auffährt! Er schaltete den Warnblinker ein, atmete noch einmal tief durch und sprang dann aus dem warmen Führerhaus in den Regen. Ein kurzer Blick unter die Frontschürze des Trucks zeigt ihm, daß er den Sack getroffen haben muß. Ein Stück aus der Plastik ist bei dem Aufprall heraus gebrochen worden. "Oh nein, bitte laß dies nicht wahr sein...", stöhnte Martin und lief den LKW entlang, immer einen Blick unter der Maschine. Seine Klamotten waren schon nach 2 Minuten hier draußen vollkommen durchnäßt, so sehr regnete es. Da, unter den Achsen des Sattels erblickte er das Unglückswesen. Der Sack war kleiner als er anfangs aussah. Aber er bewegte sich nicht mehr. So schnell es irgendwie ging, kroch Martin unter den Auflieger und zog ihn hervor. Er war zugeschnürt und so fest zugeknotet, daß Martin ein Messer brauchte, um ihn aufzuschneiden. Er rannte zur Fahrerkabine vor und kam mit seinem Dolch zurück. Vorsichtig durchtrennte er die Schnüre und riß den Stoff auseinander. Er erblickte eine Kreatur, die vor Angst und Schmerzen zitterte. "Du meine Güte, Du armer Kerl, wie konnte man Dir nur sowas antun! Wer tut so etwas?" Martin zog den Hund aus dem Sack und trug ihn zum Führerhaus. Eigentlich muß das ein sehr schöner Hund sein. Soweit seine Kenntnisse reichen, mußte er hier einen Husky vor sich haben. Robuste Hunde, die gerne laufen und nicht so schnell klein zu kriegen sind. Dieser hier muß Schlimmes durchgemacht haben. Plötzlich wurde er von hinten angebrüllt: "Sagen Sie, sind Sie wahnsinnig?!" Das mußte derjenige sein, welcher ihm hinten drauf gefahren war. Martin ging weiter, bis er grob herum gerissen wurde. "Hey, ich rede mit Ihnen! Sind sie auch noch taub?!" Martin blieb ruhig: "Bitte lassen Sie mich in Ruhe, um Ihre Angelegenheit wird sich die Polizei kümmern. Ich habe hier einen verletzten Hund. Das sehen Sie doch." Er lies den aufgebrachten Mann einfach stehen und bettete den Husky im Führerhaus auf weiche Tücher. Zwei traurige, blaue Augen schauten ihn an. Mistköter versuchte sich zu bewegen, doch seine Hinterläufe waren von dem Schlag schwer verletzt worden. So hob er nur mühsam den Kopf und leckte dem Mann mit den sanften, großen Händen dankbar über das Gesicht. Endlich mal keine Schmerzen, wemn er berührt wurde. Wärme spürte er, trotz der Kälte, die durch seinen Körper kroch. Wärme, wie er sie schon lange nicht mehr bekommen hatte. Und sie gab ihm Kraft zurück. Kraft um gegen die Kälte anzukämpfen, ehe sie sein Herz erreichten konnte. Martin packte eines seiner Wurstbrote aus und gab sie dem Hund zu fressen. Vorsichtig schnüffelte jener an dem Brot. „Kann das sein? Eine richtige Mahlzeit? Und gleich so viel?“ Ängstlich blickte der Husky Martin an, schien auf etwas zu warten, beobachtete die Hand. Als nichts passierte schlang er das Brot hinunter, während es draußen wieder brüllte: "Sagen sie bloß, Sie haben wegen diesem blöden Köter eine Vollbremsung gemacht. Ich werde sie anzeigen! Sie sind ja eine Gefahr für Leib und Leben!". Martin kümmerte das Geschwätz wenig. Schließlich hatte er gerade ein Leben gerettet. "Ich werde Dich ‚Lucky' nennen. Mann, Du hast wirklich Glück gehabt, mein Freund!" Lucky wedelte als Zustimmung leicht mit der Rute. Und für beide begann heute, in diesem Moment, eine neue Zeit. Ausgerechnet an einem solch verregneten Tag.
 

Tbird

Mitglied
Hallo,

danke für die Rückmeldung. Und ich freue mich, daß Ihnen die Geschichte gefällt.

Habe sie noch mal durchgearbeitet und kleine Ungereimtheiten geändert, inkl. ein paar gefundener Rechtschreibfehler. Wie kann ich sie jetzt frei schalten? Der Punkt fehlt jetzt.

Grüße.
 



 
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