Reimende haben es schwer

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Weh, der Euterpe sei`s geklagt,
modernes Dichten ist gefragt.
Metaphern, ja, doch bloß kein Reim.
Mir fällt dazu kaum etwas ein.

Ich glaube, dass so mancher Mann
ganz einfach nicht mehr reimen kann.
Er schreibt ganz wirr, und das sehr gern.
Und jeder sagt: „Der ist modern.“

Verstehen braucht man kein Gedicht.
Das ist heut nicht des Lesers Pflicht.
Man darf, ich muss jetzt leise lachen,
sich seinen eignen Reim drauf machen.

Ein jeder bastelt daran rum.
Wer das nicht kann, den heißt man dumm.
Nachdem der Leser `s kommentiert,
hat es der Dichter selbst kapiert.
 

anbas

Mitglied
Liebe Marie-Luiese,

wie ich sehe, hast Du eine Fortsetzung geschrieben ;) http://www.leselupe.de/lw/titel-Wo-ist-die-Lyrik-nur-geblieben-113609.htm . Technisch in Ordnung und ein Schmunzeln haben mir die Zeilen auch entlockt. Zwar sehe ich das Alles nicht ganz so drastisch, aber in "Deine" Richtung habe ich schon das eine oder andere mal gedacht - vor allem, wenn ich googeln musste, um einzelne Worte oder Zusammenhänge verstehen zu können.

Liebe Grüße

Andreas
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Und auch in diesem sehr schönen Gedicht verstecken sich haufenweise Metaphern - stell dir vor, lauter Metaphern, aber keiner sieht sie.

Bevor ich es aber näher erkläre, ich liebe gut gereimte Lyrik.
Sie spricht mich mehr an, als schlecht zusammengestoppelte magere ungereimte Verse.

Auf der Suche nach Metaphern:


Weh, der Euterpe sei`s geklagt,
"Weh" - als Ausruf des Schmerzes. Erdenjammer, Erdenleid
Euterpe etwas klagen - eine wunderbare Metapher

modernes Dichten ist gefragt.
Dichten - die dichterische Metapher an sich

Metaphern, ja, doch bloß kein Reim.
Metapher - die Übertragung, die Übersetzung

Mir fällt dazu kaum etwas ein.
einfallen - Gedanken fallen ins Gehirn ein

Ich glaube, dass so mancher Mann
glauben - geloben

ganz einfach nicht mehr reimen kann.
Er schreibt ganz wirr, und das sehr gern.
schreiben - ritzen

Und jeder sagt: „Der ist modern.“

Verstehen braucht man kein Gedicht.
Verstehen - solange stehen, bis man es versteht

Das ist heut nicht des Lesers Pflicht.
lesen - war auch Metapher, Fährten lesen, Buchenstäbe auflesen

Man darf, ich muss jetzt leise lachen,
sich seinen eignen Reim drauf machen.

Ein jeder bastelt daran rum.
basteln ist in diesem Sinn klar eine Metapher

Wer das nicht kann, den heißt man dumm.
dumm - war taub, wer nicht gut hören konnte, wurde als dumm betrachtet, vergleiche auch "dumpf"

Nachdem der Leser `s kommentiert,
hat es der Dichter selbst kapiert.

kapieren - in den Kopf kriegen?

----

Und trotz der vielen Metaphern verstehen wir's.
 
Lieber Bernd,
wenn alles stimmt, was du mir erklärt hast, habe ich wohl das Wort Metapher immer falsch verstanden.
Zum Beispiel „Pyrrhussieg =zu teuer erkaufter Erfolg“ würde ich als Metapher ansehen, also Worte, die im übertragenen Sinne gebraucht werden.
Ich danke dir für deine Mühe.
Herzliche Grüße
Marie-Luise
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Bei sehr vielen Wörtern haben wir vergessen, dass es Metaphern sind. Selbst beim Wort "Metapher" selbst.

Sie sind heute "tote" Metaphern.
 
O

orlando

Gast
Hello, Mary-Lou,
das gefällt mir richtig gut.
Vor allem der Anfang. :)
Wenn du beim Klang (+Zeichensetzung) noch etwas Feinschliff nachliefern möchtest, dann vielleicht folgenden?

Weh, der Euterpe sei`s geklagt,
modernes Dichten ist gefragt.
Metaphern, ja, doch bloß kein Reim.
Mir fällt dazu [blue]rein gar nichts [/blue]ein.

Ich glaube, dass so mancher Mann
ganz einfach nicht mehr reimen kann! (Ausrufungszeichen)
Er schreibt ganz wirr, und das sehr gern,
und jeder sagt: „Der ist modern.“

Verstehen braucht man kein Gedicht,
ist heute [blue]mehr[/blue] des Lesers Pflicht.
Man darf - ich muss jetzt leise lachen -
sich seinen eignen Reim drauf machen.

Ein jeder bastelt dran herum;
wer das nicht kann, den heißt man dumm.

Nachdem [blue]der Leser [/blue] kommentiert,
[blue]hat selbst der Dichter was kapiert![/blue]
Mein Vorschlägelchen muss natürlich nicht angenommen werden, könnte aber zur Eleganz beirtagen ...

Grinsend gelesen
orlando
(Bitte dringend mein Banner beachten :D:D)
 
Liebe orlando,
ich habe mich sehr über deine positive Beurteilung meines Gedichtes gefreut.
Meistens schätze ich auch deine Veränderungsvorschläge, wie du aus Erfahrung weißt, doch dieses Mal kann ich mich nicht so recht damit anfreunden.
Trotzdem vielen Dank.
Es grüßt Marie-Luise
 
F

Fettauge

Gast
Hallo Marie-Luise,

eine Erfahrung, die schon so mancher machen musste in diesem Meer von Dilettantismus, dem die freien Rhythmen ungewollt Tür und Tor öffnen. Klopstock, der die freien Rhythmen vor mehr als 250 Jahren in die deutsche Lyrik einführte, hätte sich das, was sich heute tut, nicht träumen lassen. Wer reimt, der darf sich beschimpfen lassen: Du bist unmodern, antiquiert, konservativ, du bist von vorvorgestern! Ist mir passiert, deshalb kenne ich die Argumentation unserer Dilettanten so gut.
Sie übersehen schlicht, dass der gedankliche Inhalt das Entscheidende des Gedichts ausmacht, die Form transportiert den Gedanken nur. Beide aber sollten, was oft misslingt, eine Einheit bilden. Da aber nicht nur auf diesem Gebiet eine gehörige Portion Irrationalität herrscht, müssen wir Reimer mit dem Etikett "unmodern" wohl leben.

Dass zunehmend nicht mehr gereimt wird, hängt ja auch damit zusammen, dass man schlicht etwas lernen müsste. Aber heute gibt es mehr Genies, als sich das der Schöpfer träumen ließ, die müssen nichts lernen, die haben das einfach drauf, die haben das Poeten-Gen bei der Geburt mitgekriegt.

Nun habe ich überhaupt nichts gegen freie Rhythmen. Im Gegenteil, sie stehen gleichwertig neben den unzähligen Formen des gereimten Gedichts. Wie dieses haben sie ihre Vor- und Nachteile. Beide Formen des Gedichts sind oder sollten sein Ausdruck der Zeit, wobei es nicht nur einmal vorgekommen ist, dass mit der sogenannt modernen Form höchst konservative oder gar inhumane Gedanken transportiert werden.

Nun aber zu deinem Gedicht: Ja, bis zur dritten Strophe.
Die vierte Strophe wirkt auf mich wie ein Anhängsel, bringt inhaltlich auch nichts Wesentliches, ich hätte sie gestrichen. Ich hätte mir vielleicht auch etwas mehr Ironie gewünscht, weniger Kopf durch die Wand, eben das, was man das Fechten mit dem Degen nennt.

Schöne Grüße, Fettauge

P.S.: Bernd, den Ausruf "Weh!" nennt man nicht Metapher, sondern kann ihn mit gutem Recht zur Wortfigur der Emphase rechnen - wie so manche von dir als Metapher bezeichnete Fügung ebenfalls keine ist. Nichts für ungut. F.
 

Walther

Mitglied
hi marie-luise,

selten stimme ich fettauge zu. hier tue ich es: s4 ist nicht so gut wie der recht und könnte, ohne verlust an aussage, weggelassen werden. beim rest paßt das formale perfekt.

mir hat dein werk gut gefallen. meine gereimte antwort findest du hier:http://www.leselupe.de/lw/titel-Beste-Dichtung-116197.htm

mehr davon!

lg w.
 
Lieber Walther,
vielen Dank für dein Interesse.
Natürlich hätte ich die 4. Strophe weglassen können. Oft habe ich aber bemerkt, dass ein Dichter erst richtig verstanden hat, was er schrieb, wenn er die Kommentare gelesen hat.
Das war meine Intention.
Ich sage auch Danke für das mir gewidmete Gedicht.
Viele Grüße,
Marie-Luise
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Antimodernismen

Auch dieses Gedicht haben offensichtlich fast alle Leser mißverstanden. Denn es wirbt nicht für gereimte Lyrik, sondern zieht gegen moderne Lyrik ins Feld.

Ob man nicht eine eigene Rubrik "Antimodernismen und Antiavantgarde" einrichten sollte? Allein schon, damit man die gereimte Lyrik nicht mit der Gartenlaube verwechelt?
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ein altes Lied

korrigiere: "verwechselt".

Ich denke, hier braucht man der Dichterin nicht zu erklären, wie man ihr Gedicht verstehen kann. Obwohl das ein netter Clou wäre, gerade als rückspiegelnde Anwendung der Schlußpointe.

Sie weiß es ja selbst, wie man daran sehen kann, daß sie gerade unter die gereimten Lieder, wenn sie avantgardistisch experimentieren, ihre Zweier oder gar Einser setzt. Es geht ihr gar nicht um Qualität oder Reime, sondern schlicht und einfach nur um den Kampf gegen moderne Lyrik.
 

James Blond

Mitglied
Lieber mondnein

Der zentrale Kritikpunkt ist hier in der Tat nicht die Reimfreiheit moderner Lyrik, sondern deren Unverständlichkeit. Daran können auch Reime nicht viel ändern. Allerdings ist der Hinweis, auf die Notwendigkeit, sich bei moderner Dichtung "einen eigenen Reim darauf zu machen" eine ausgezeichnete Pointe und trifft diese Art von Dichtung ins Mark.

Fast scheint es so, dass Unverständlichkeit und Beliebigkeit zum Gütesiegel moderner Lyrik geworden ist. Doch scheint mir deren Kryptophilie häufig dem Wunsch zu entspringen, sich nicht in die eigenen Karten schauen zu lassen, sich dem Zugriff einer sinn- und aussagenbezogenen Kritik zu entziehen. Allerdings verkommt damit die Lyrik, die einst auf der Intersubjektivität sprachlich geformten Erlebens basierte, zur Selbstbefriedigung egomaner Autisten, deren Grillenkonzert der Ich-Ich-Ich-Schreie bei Lesern nur noch Tinnitus-Erlebnisse hervorzurufen vermag.

Dieses Gedicht besitzt demgegenüber den unschlagbaren Vorteil, dass sich seine Autorin erfolgreich um eine deutliche Aussage bemüht hat: ein Angriff, der zugleich selbst angreifbar macht. Und das findet meine Anerkennung auch jenseits inhaltlicher Übereinstimmung, mehr als die Sprachtrips durch die Innenwelten überfüllter Hohlorgane. ;)

Danke für Exhumierung!

Grüße
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Wir sind ausgeschlossen vom Club

Gut erklärt, JB.

Natürlich muß ich Dir widersprechen, da ich eine Ästhetik pflege, die mehr an der Musikalität des Gedichtes sowohl in der Klangebene als auch in der Metaphernebene orientiert ist als an irgendeinem "Verstehen". Zum Verstehen haben wir die philosophische Prosa. Da ich ein akademischer Philosoph bin, siehe die Zwölf Körbe, bin ich im Wissenschaftsbereich ein kompromißloser Vertreter des Verstehens, dialogisch sich vermittelnd, kurz: Jede Frage ist einer Antwort wert.

Aber in der Lyrik darf die Sprache in ihren musikalischen Dimensionen erfahren werden. Da kommt es nicht in erster Linie darauf an, daß die Metaphern einen Schlüsselroman bilden (dafür ist der Schlüsselroman besser geeignet), oder satirische Pfeile schießen (dafür habe ich nicht genug Humor, mir sind die Angriffe auf einzelne Personen auch schnurz, es sei denn, es handelt sich um die Feinde moderner Lyrik: denen habe ich noch nicht verziehen, schließlich ist das hier ja ein Lyrikforum, in dem die Freiheit der Kunst absolut gilt) -
sondern in erster Linie kommt es hier darauf an, das die Sprache singt, und auch, daß die Bilder in ihr singen, im "inneren Film" des Lesers. Es ist der große Durchbruch seit Kandinsky und Picasso, daß die Kunst nicht abbildet, sondern schöpferisch wird. Das ist schon seit über hundert Jahren so, und das heißt keineswegs, daß wir alle abstrakt "malen" müssen - aber wir dürfen es - oder nicht reimen dürfen - aber natürlich können wir Klopstocksche Freiheiten nutzen.

Es ist ja bekannt, daß ich reime, in der Malerei aber völlig abstrakt "werkle", und in meinen gereimten Gedichten an die Grenzen des Sagbaren zu gehen versuche - thematisiert z.B. in
dichter lügen du bist dichter also lügst du
Ich erlaube es mir gelegentlich, scheinbar "gegenständlich", erzählend oder beschreibend, zu schreiben (z.B. "der test", siehe in der Rubrik Ungereimtes).
Aber ich erlaube es mir auch, eine Art synthetischen Kubismus in der Sprache auszuarbeiten. Reine Klanggedichte, mit nur noch assoziativen Spuren, habe ich auch schon hier eingebracht, mit dem entsprechenden Peitschenhieb vom Anonymus, obwohl die Rubrik "Experimentelles" heißt, wo ich das vorgestellt habe.
Ein Zweifrontenkrieg: Marie Luise greift mich von der Reimerseite her an, Hermann Knehr kommentiert nicht einmal meine Großschreibungs-Sonette, Du, James, spielst hier den Antimodernisten - und von der Seite der Liebhaber der Flatterrandprosa "trollt" sich neuerdings der Cellist mit Pseudokommentaren unter meinen Liedern, um mir klarzumachen, daß ich nicht zum Club der wahren Dichter gehöre, der toten, denn die verbieten den Reim. Oh Captain mein Captain!
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Cellist ist immerhin der einzige Nichtreimer, der sich überhaupt hier gemeldet hat.
Und wie - das ist im Brennessellied hier über diesem nachzulesen.

Und die Kriegführung des unmoderaten "Moderators".
 

James Blond

Mitglied
So?

Ist hier denn wirklich ein Krieg am wüten?
Dann wird es vermutlich ein recht kalter sein, dessen Scharmützel unterhalb der Öffentlichkeitsschwelle ausgetragen werden. Dabei ist hier ausdrücklich jeder dazu aufgefordert, seinen Beitrag abzugeben, sowohl, was die kritische Betrachtung fremder Texte, als auch die Vorstellung eigener Beispiele anbelangt.

Wen wundert's, dass es dabei ähnlich zugeht wie in der Musik, wo sich verärgerte Ohren über Krach auslassen? Die Geschmäcker und Erwartungen sind nun mal verschieden, und wer es sich selbst recht zumachen versucht, muss mit Widerspruch rechnen.

Jeder malt sich seine Höllen und seine Himmel.
So wie du ein inhaltliches Verstehen der Philosophie andienst, könnte ich deine lyrischen Gesänge daraufhin zur Musik jagen: Es änderte aber nichts daran, dass Lyrik ein weites Feld ist, dass alle sprachlichen Dimensionen umschließt - und wer sich dabei nur auf die "erste Linie" konzentriert, läuft Gefahr, eindimensional zu werden, die Gefahr jeder programmatischen Kunst.

Sprache dient dazu, Menschen anzusprechen und auf welche Weise das geschieht, lässt sich schwer vorhersagen. Wer sich seiner Zeit voraus glaubt, wird es dabei belassen müssen, dass erst die Nachwelt über sein Werk entscheiden wird. Und die urteilt meist sehr zweischneidig.

Da wir inzwischen in der Postmoderne angelangt sind, gehört auch die moderne Lyrik längst zum alten Eisen, samt ihrer Todesanzeigen herkömmlicher Lyrik. Totgesagte Leben bekanntlich länger, und so feiern die meisten "Leichen" tradierter Kunststile fröhlich Auferstehung, und das nicht nur an Ostern.

Es nützt aber nichts, die Unzufriedenheit über mangelnde Resonanz mit avantgardistischem Nasengerümpfe zu dokumentieren. Wem es hier nicht gelingt, andere mit seiner Kunst anzusprechen, der kann sich darin genügen, zumindest sich selbst anzusprechen oder er muss dorthin sprechen, wo er sich mehr Gehör erhofft.
:)
Grüße
JB
 



 
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