Schnittpunkt

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Walther

Mitglied
Schnittpunkt


Du denkst, das bisschen Leben endet hier
Und willst es irgendwie zu Ende bringen.
Du hörst die Wintervögel fröhlich singen
Und wünschtest, du wärst auch ein Federtier,

Das singt und frisst, um sich dann aufzuschwingen,
Die Himmel hoch, das jauchzt und jubiliert,
Die Tore weit, bis es erstarrt, erfriert,
Als Eiseshände es dann doch bezwingen.

Es dächte nicht und kennte auch kein Sehnen,
Es hätte Worte nicht, es zu erwähnen.
Ein leichtes Leben, einfach federleicht:

Es meinte nicht, sich wütend aufzulehnen.
Die Welt ist jetzt ganz müd. Der Mond will gähnen.
Der Schnittpunkt allen Seins ist hier erreicht.
 

Walther

Mitglied
Schnittpunkt


Du denkst, das bisschen Leben endet hier,
Und willst es irgendwie zu Ende bringen.
Du hörst die Wintervögel fröhlich singen
Und wünschtest, du wärst auch ein Federtier,

Das singt und frisst, um sich dann aufzuschwingen,
Die Himmel hoch, das jauchzt und jubiliert,
Die Tore weit, bis es erstarrt, erfriert,
Als Eiseshände es dann doch bezwingen.

Es dächte nicht und kennte auch kein Sehnen,
Es hätte Worte nicht, es zu erwähnen.
Ein leichtes Leben, einfach federleicht:

Es meinte nicht, sich wütend aufzulehnen.
Die Welt ist jetzt ganz müd. Der Mond will gähnen.
Der Schnittpunkt allen Seins ist hier erreicht.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Hi Walther -

für mich holperts etwas - und zweimal Ende in den ersten zwei Zeilen?
Die letzte Strophe gefällt mir gut :)

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Lb. Rhea-Gift,

das "Enden" ist in der Tat und absichtlich doppelt. Man hätte in der Tat auch dies schreiben können:
Du denkst, das bisschen Leben endet hier,
Und willst es irgendwie zum Abschluß bringen.
Das ist aber nicht ganz das Gleiche. Denn ein Abschluß ist kein richtiges Ende.

Es mag in dieser Strophe noch eine zweite Formulierung geben, die sich nicht so einfach daherliest: die Verse
Du hörst die Wintervögel fröhlich singen
Und wünschtest, du wärst auch ein Federtier,
Diese könnte man auch so formulieren:
Du hörst die Wintervögel fröhlich singen
Und wünschst, du wärest auch ein Federtier,
Aber das ist auch nicht genau das Gleiche. In meiner obigen Variante ist der Konjunktiv verdoppelt, also der Inhalt noch relativierter formuliert.

Ich habe mir beide anderen Formulierungen innerlich angehört und sie dann zugunsten der jetzt hier aufgeführten verworfen. Die Gründe dafür habe ich gerade genannt.

Danke für Deinen Hinweis und lieber Gruß W.
 

Rhea_Gift

Mitglied
verstehe... und genau die Holperzeilen meinte ich - verstehe aber die Gründe.

Aber wie wärs in den ersten beiden Zeilen mit:

du denkst, das bisschen Leben läuft hier aus
und willste es irgendwie zu Ende bringen

Was meinste?

LG, Rhea
 

Walther

Mitglied
Lb. Rhea_Gift,

das würde sicherlich gehen, gäbe es nicht das Thema "Reim". :D So aber funktioniert die Idee leider nicht.

LG W.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Wieso - wenn du aus dem Federtier ne Fledermaus machst... :D

Nee, Quatsch, bin soviel in den Ungereimten Foren unterwegs, dass mir das Faktum Reim glatt entfallen ist... ;)

Wie wärs dann mit "versandet hier"? Ich weiß, auch net das Gleiche... hmm.... deine kecken Recken inspirieren mich auch grad....da funkelt schon was... gleich dann später im Forum vielleicht... ;)

LG, Rhea
 
Hallo Walther,

nie werde ich auch nur ansatzweise an deine Dichtkunst herankommen! Ich bin beeindruckt von deinem Gedicht.

Lieber Gruß,
Estrella
 

Walther

Mitglied
Lb. Estrella,

danke für Deinen Eintrag. Ehrlich, ich komme an meine Dichtkunst auch nicht heran. :)

Spaß beiseite: Das, was ich schreibe, ist ordentliche Gebrauchslyrik, zum Rest fehlt das Talent. Alles andere ist geduldige Übung, viel Lesen von Lyrik und, "...with a little help from my friends..." of Lupe etc., Zuhören bei kritischen Anmerkungen, besonders, wenn diese gar nicht schmecken wollen.

Dranbleiben heißt die Devise, besser werden wollen. Und die eigenen Grenzen erkennen, egal, was geschrieben wird. Der Boden muß in der Nähe der Füße bleiben.

LG W.

Lb. Rhea_Gift,

ich bin gespannt, was meine Recken "angezündet" haben. :)

Leider geht Dein Vorschlag nicht, da eine Silbe zuviel.

Danke und Gruß

W.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

"Der Schnittpunkt" ist eine große Sache und ich tatste Deinen Text ab, um herauszufinden, was genau hier in einem Punkt zusammentriftt, um anschließend wieder jedes seinen eigenen Weg zunehmen.

Da ist also der Mensch, und erst bei Beschreibung des Tieres kriegt man mit, was ihn ausmacht, nämlich ein Sehnen, eine Fähigkeit, dieses Sehnen in Sprache zu bringen und die Fähigkeit, sich Gedanken zu machen.

Auf der anderen Seite erfährt man als Leser etwas über die Leichtigkeit des Vogels, der weder denken, noch formulieren muss, sondern (wie ihm der Schnabel gewachsen ist) einfach seine Lebensfreude in die Welt hinausjubiliert. (Ich hatte mal einen sehr begabten Kanarienvogel. Wenn der die Nachtigall nachgeahmt hat, weil ich sie ihm per CD vorgespielt habe, dann zitterte er am ganzen Körper, auch Tiere erleben eine innere Bewegtheit, wenn auch unbewusst nur)

Mensch und Tier ist gleichermaßen das irdische Ende bestimmt. Hier scheint mir der Schnittpunkt zu liegen. Das haben sie kongruent gemeinsam.

Zum Schluss nimmst Du noch das Ende alles Irdischen mit hinein. "Der Mond will gähnen".

Darüber hinaus ließe sich dann noch sagen, dass die Welt momentan an einen Punkt gekommen ist, wo bei aller Mühe und allem ehrlichen Sehnen, sich keine Lösungen mehr finden lassen und deshalb dann Mensch Vogel und Welt im Müdesein und Erstarren einen gemeinsamen Schnittpunkt haben.

Ich lese die letzten Zeilen als zeitkritische Anmerkung, wobei sie sehr behutsam und gut versteckt daherkommt. Ich weiß nicht, ob das Deine Absicht war.

"Du willst es irgendwie zu Ende bringen", kenne ich zur Zeit von mindestens zwei Menschen, die durch das unverantwortliche Handeln Anderer in deratigs Neuland hineingeworfen sind, dass sie sich darin überhaupt nicht zurecht finden.

Also schon diese Textstelle könnte man eigentlich zeitkritisch lesen.

Ich bin jetzt mal gespannt auf Deine Antwort.

Ganz liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
Lb. Vera-Lena,

das Gedicht "Schnittpunkt" bearbeitet die Erkenntnis, daß alles von einem Punkt ausgeht und einem weiteren Punkt, dem Endpunkt, zustrebt. Das LyrIch steht vor einem solchen Ende. Dieses mag das (meta)physische Ende sein; jedenfalls ist es ein harter Schnittpunkt, ein Abschied mit Endgültigkeitscharakter.

Das LyrIch will in der Tat diesen Abschnitt "irgendwie" ehrenhaft zu Ende bringen. In dieser hoffnungslosen Selbstdiagnose erlebt er die Wintervögel, die fröhlich zu sein scheinen, aller Unbill zum Trotz, deren Leben sich in den Grundfunktionen zu bewegen scheint, die sich keine Gedanken machen müssen - und auch keine machen.

Und wenn die Eiseshand kommt, dann kommt sie. Es gibt kein bewußtes Sehnen, kein Aufbegehren. Es gibt ein fröhliches Sichdreinschicken, das kein Fatalismus ist, weil auch dieser ja Denken und Erkennen voraussetzt.

Der Winter ist die manifstierte Müdigkeit der Natur, und wenn der Mond matt durch den winterlichen Hochnebel scheint, dann ist er ermüdet und "gähnt".

Letztlich will dieser Text erinnern, wie relativ das Dasein ist. Und der Schnittpunkt aller Möglichkeiten und gegangenen Wege, das Ende, der Abschied, eben unausweichlich.

Nun kann man in der Tat daran ein kritisches Hinterfragen des neuzeitlichen Hypes des Hier und Jetzt erkennen. Man kann daraus schließen, der Autor meinte, man solle sich im Angesicht des Unausweichlichen weniger wichtig und etwas zurücknehmen. Man kann zur Einsicht kommen, das Federvieh hätte vielleicht das bessere Ende abbekommen; denn manchmal ist zuviel des Grübelns und des Wissens eventuell hinderlich für das kleine Bißchen (Glück im) Leben.

LG W.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

danke für Deine Interpretation! Das ist einfach, zu verstehen, wie Du es erklärst. Allerdings finde ich den Titel "Schnittpunkt" so gesehen irreführend. Schnittpunkt bedeutet doch immer, dass sich Dinge überschneiden.Du schreibst aber in Deiner Interpretation von Ausgangspunkt und Endpunkt. Wenn man von vornheren wüsste, dass gar kein Schnittpunkt gemeint ist, wäre der Text leichter zu verstehen.

Der Titel "Parallelen" wäre hier für mich einleuchtender oder etwas Ähnliches.

Der [blue]Schlusspunkt[/blue] allen Seins wäre für mich in der letzten Zeile dann auch einleuchtender.

Aber wahrscheinlich sehe nur ich das so und andere Leser haben eine andere Meinung dazu.

Liebe Grüße und noch einen schönen Sonntag! :)
Vera-Lena
 
L

label

Gast
Lieber Walther

ein philosophischer Text also. Ich hätte ihn ohne Deine Erklärung eher als lebensmatt interpretiert.

Du denkst, das bisschen Leben endet hier,
Und willst es irgendwie zu Ende bringen.

Es dächte nicht und kennte auch kein Sehnen,
Es hätte Worte nicht, es zu erwähnen.
Ein leichtes Leben, einfach federleicht:

Es meinte nicht, sich wütend aufzulehnen
das alles klingt für mich nach jemandem, der das Leben nicht annimmt, sondern gestaltet (verkürzt ausgedrückt), mit all den damit verbundenen Mühen und dem es jetzt nicht (mehr) gelingt, sich abgekämpft und müde die W-fragen stellt.

Dein Sonnett ließ mich an Lk 12,24 Seht die Raben an: sie säen nicht, sie ernten auch nicht, sie haben auch keinen Keller und keine Scheune, und Gott ernährt sie doch. Wie viel besser seid ihr als die Vögel! denken.
Danke, für die anregenden Gedanken.

Was den Titel anlangt, bin ich Vera-Lenas Meinung, er führt nicht zum Text.

täglich im Kampf gegen die Erdenschwere grüßt
label ;)
 

Walther

Mitglied
Lb. Vera-Lena,

das Wichtige an Gedichten ist aus meiner Sicht, daß sie anregen, Gedanken weiterzuspinnen, Zwischenräume auszuloten, Textebenen zu analysieren. Es ist interessant, daß die Verarbeitung einiger Versatzstücke aus einem Kirchenlied, etwas verfremdet zwar, bisher nicht "entdeckt" wurde.

Meine Gedichte sind meist nicht nur auf das gemünzt, was an der Oberfläche erkennbar ist. Das Arbeiten mit verfremdeten Versatzstücken und das Verwenden von Formulierungen, die Interpretationen zulassen, ist durchaus manchmal gewünscht. Meine Sonette gehen eigentlich fast immer in diese Richtung.

Das Beschäftigen mit Sinnfragen ist durchaus ein Grundthema jeder Dichtung; ihre diskurse Form, das Sonett, bietet sich als Rahmen dafür geradezu an.

Mich freut es, Deine Gedanken zu Assoziationen und Einschätzungen angeregt zu haben. Das hatte ich mit meinen Versen beabsichtigt. So ist Dein Eintrag für mich ein großes Kompliment. Und dafür danke ich Dir sehr!

LG W.

Lb. Label,

es ist, wie man sieht, nicht alles so klar, wie es scheint, wobei Deine Interpretation durchaus zulässig und im Tenor auch als Verständnisebene beabsichtigt war. Nur steht hinter diesen Versen eben doch, wie ich oben ausführte, mehr.

Ich will jetzt nicht behaupten, hier sei mir ein großer Text gelungen, das wäre einerseits nach den Sternen gegriffen und andererseits durchaus arrogant. Aber man gestatte mir festzuhalten, daß ich versucht habe, diesen Themenkomplex einigermaßen anspruchsvoll und durchaus nicht platt zu behandeln.

Es geht mir bei Gedichten immer darum, Raum für das eigenen Spekulieren und Spintisieren zu schaffen UND zu lassen. Geschlossene, hermeneutische Texte oder das Vorlegen letzter Antworten sind meine Sache nicht. So gerne ich diese manchmal gerne selbst parat hätte!

Danke und lieber Gruß W.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Für mich passt der Schnittpunkt,

erstens als Abschnittspunkt (zu Ende bringen)
zweitens das Sehen von Parallelen (Mensch und Vogel)
die sich gern schneiden würden wollen im unendlichen
alles einerlei der Natur ohne Gefühle & Grübeln des wie anders -
da aber Mensch, auf sich zurück geworfen - und als Mensch ist das seine Natur - da isser denn doch, der Schnittpunkt mal objektiv betrachtet...
Drittens Schnittpunkt in sich selbst, alles Hinausgedachte fällt aufs eigene Sein zurück, micht rauskönnen aus diesem Schnittpunkt...

So würd ich mal frei assoziieren... ob auch so angedacht, wewiß nur Walther ;)

LG, Rhea - und nach begriffenem Ende-Gedoppel wohl das werten vergessen, achja... nachgeholt.
 



 
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