Vier Rosen

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WildChild

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4 Rosen

Da standen sie. Majestätisch und einzigartig. Man konnte wirklich nicht sagen, welche von ihnen die Schönste war, denn sie waren alle göttlich perfekt. Frisch und jung wiegten sie sich in der Morgensonne. Eine grüne Wiese am Rande eines Berghangs war ihr Zuhause: Viona, Flavia, Barbie und Scarlett - vier wunderschöne Rosen in vier unterschiedlichen Farben. Wie sie dorthin gekommen waren, kann heute niemand mehr sagen.

Viona war eine bezaubernde weiße Rose. Sie genoß ihr Leben und war stets mit allem zufrieden. Sie liebte die Aussicht in das große Tal, die wärmende Morgensonne, die vielen kleinen Insekten, die sie umschwirrten. Vor allem die Schmetterlinge! Es kitzelte, wenn sie auf ihr landeten und in den Blütenkelch krabbelten. Und erst der Regen! Frisches, kühles Wasser, das an ihr hinunterlief... Sie liebte einfach alles. Ja, das Leben war wunderschön.

Flavia, eine leuchtend gelbe Rose, war eitel. Sie fühlte sich zu Höherem berufen. Immer nur auf der Wiese - das konnte es doch nicht sein! Nicht für sie! Die vielen herumschwirrenden Insekten waren ihr lästig, die Schmetterlinge fand sie albern, der Regen war zu naß und die Sonne zu heiß. Sie wollte gepflückt werden, wollte bewundert und bestaunt werden, jeder sollte sehen, wie schön sie war!

Barbie dagegen fühlte sich auf ihrer Wiese sehr wohl. Sie war eine hübsche, pinkfarbene Rose. In ihren Augen war sie die ungekrönte Königin der Wiese, alles hier war nur für sie da. Die Schmetterlinge flogen besonders gern zu ihr, die Sonne schien nur für sie, der Regen spendete sein feuchtes Naß exklusiv für sie - weil sie so wunderschön war. Die Wiese war ihr Zuhause.

Scarlett war eine umwerfend schöne rote Rose. Wie Viona genoß sie einfach nur ihr Dasein. Sie wandte sich freudig der Sonne zu, lud die Insekten zum Nektartrinken ein und weidete ihre Augen an der tollen Aussicht. Alles war in Ordnung so wie es war.

Woher sie plötzlich kam, konnte niemand sagen. Aber auf einmal war sie da: Lilly, ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einem braunen Hund an der Leine. Als sie der Rosen ansichtig wurde, erstrahlten ihre Augen. \"Wow, sind die schön!\" rief sie aus. \"Die muß ich haben!\" Sie rannte auf die Rosen zu. \"Au ja, ich nehme die beiden roten! Mama wird sich freuen!\"

Und da passierte es: Knack! Barbie war gepflückt. Sie fiel vor Schreck in Ohnmacht. Knack! Scarlett fiel. Flavia reckte sich dem Mädchen zu und erwartete ebenfalls ihr Gepflücktwerden.... Aber halt, was war das? Lilly nahm die Hundeleine in die Hand und wandte sich zum Gehen. \"Halt!!\" schrie Flavia, \"Du hast mich vergessen! Ich will auch mit!\" Leider konnte Lilly sie nicht hören. \"Hey! Warte!! Du kannst doch nicht ohne mich gehen!\" Die Worte Flavias gingen in einem Schluchzen unter. \"Ich wollte doch mit\", weinte sie. Ich will weg hier, will was erleben!\" Viona versuchte sie zu trösten: \"Vielleicht kommt sie ja zurück. Bis dahin kannst du dich doch weiter an unserer Wiese erfreuen.\" - \"Pfft, das will ich aber nicht! Die Wiese ist langweilig! Ich will weg!\" Sie sah trotzig dem davoneilenden Kind nach. Lilly sprang vergnügt über die Wiese und war sich nicht bewußt, was sie mit ihrer Wahl ausgelöst hatte. Sie freute sich einfach nur darauf, ihrer Mama die beiden Rosen zu bringen. Sie sang ein Liedchen und blickte nicht zurück....

Flavia war noch immer geschockt. Wieso nur hatte man sie nicht mitgenommen! Sie! Sie war doch eindeutig die Schönste hier! So ein dummes Mädchen. Hatte keine Ahnung von Schönheit. Hat stattdessen diese eingebildete Barbie mitgenommen! Und diese selbstgefällige Scarlett. Einfach unverständlich! Aber vielleicht bemerkt die Kleine ja ihren Irrtum noch und kommt zurück? Flavia straffte sich, richtete sich hoch auf und duftete nochmal so stark, in der Hoffnung, das Mädchen würde zurückkommen.... \"Warum möchtest du denn unbedingt weg von hier? Gefällt es dir hier nicht?\" fragte Viona. \"Du verstehst das nicht!\" entgegnete Flavia. \"Ich bin was Besonderes! Ich möchte, daß die Menschen mich bewundern! Ich bin viel zu schade für Käfer und Schmetterlinge! Ich bin zu etwas Großem geboren. Das hier ist nichts für mich. Die Kleine kommt sicher bald zurück und holt mich. Sie MUSS ihren Irrtum einfach bemerken, sie muß....\" - \"Wenn du ganz fest daran glaubst, dann kann das auch passieren, aber halte dich nicht zu sehr daran fest. Bis dahin kannst du dich doch einfach weiterhin an dem Leben erfreuen, das du hier auf der Wiese hast. Wir haben es doch wirklich sehr schön hier. Und wer weiß, vielleicht ist das Gepflücktwerden ja sogar etwas Unangenehmes.\" - \"Du hast keine Ahnung! Was bitte ist so schön daran, von Käfern bekrabbelt zu werden? Ich verstehe nicht, wie du so denken kannst!\" entrüstete sich Flavia. \"Nun, ich liebe es hier\", entgegnete Viona. \"Den Regen, die Sonne, die Aussicht....\" - \" Naja, wenn du meinst,\" unterbrach Flavia Vionas Schwärmerei. \"Mir reicht das aber nicht, ich habe Ziele! Ich bin etwas Besonderes und kann mein Leben nicht auf einer Wiese vergeuden. Aber das verstehst du nicht.\" Für Flavia war das Gespräch gelaufen. Mit so einem selbstzufriedenen Ding wie Viona konnte man einfach nicht über höhere Ziele sprechen. Sie verfiel in Gedanken, versuchte den Schock zu verdauen...

Auch in Barbie saß der Schock noch tief, aber aus einem anderen Grund. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, wurde ihr erst richtig bewußt, was geschehen war. Etwas Fürchterliches, Nichtwiedergutzumachendes: Sie wurde entwurzelt und sah nun einem schnellen Verwelken entgegen! Das glaubte sie zumindest. Eine Katastrophe! Eine Ungeheuerlichkeit! Was sollte das? Wieso hat man sie von ihrer schönen Wiese entführt? Sie einfach lieblos abgebrochen und weggetragen? Eine schreiende Ungerechtigkeit! Ihr kamen die Tränen... \"Warum weinst du?\" fragte Scarlett. \" Wir erleben grad ein aufregendes Abenteuer, das ist doch spannend!\" - \"Sag mal, hast du sie noch alle?\" entrüstete sich Barbie. \"Wir wurden grade gepflückt! Wir werden gleich sterben! Verstehst du das nicht? Blumen sterben, wenn sie gepflückt werden, das weiß doch jeder. Deswegen haben auch alle Blumen Angst davor.\" - \"Ich weiß nicht, ich denke nicht, daß wir gleich sterben. Ich finde die ganze Sache eher interessant! Wo kommen wir hin? Wie wird unser neues Zuhause aussehen? Also ich habe keine Angst.\" - \"Die wirst du schon noch bekommen, glaub mir!\" Barbie verstand nicht, daß Scarlett so gelassen sein konnte.

Lilly erreichte mit Barbie und Scarlett in den Händen ihr Häuschen. Strahlend lief sie in die Küche. \"Mama, Mama, schau mal die schönen Blumen!\" rief sie. \"Wow, die sind aber schön!\" freute sich ihre Mutter. \"Sind die für mich?\" - \"Ja Mama, die hab ich draußen auf der Wiese gefunden! Riech mal, sie duften ganz toll!\"

Barbie und Scarlett wurden in eine wunderschöne lange Vase gestellt und auf dem Wohnzimmertisch hübsch arrangiert. \"Schau mal die tolle Umgebung! Ist das nicht aufregend?\" freute sich Scarlett. \"Die Kleine ist so lieb, sie hat uns hierher gebracht, damit wir den Menschen Freude bringen.\" - \"Na klar doch\", grunzte Barbie böse, \"Freude bringen für unsere Mörder! Bald sind wir nur noch ein welker Haufen Blütenblätter! Du hast echt keine Ahnung!\" Barbie hatte Angst. Angst vor einem baldigen Tod. Sie sehnte sich nach ihrem alten Leben auf der Wiese zurück. Sie wollte nicht hier sein. Sie weigerte sich verbissen, die neue Situation anzunehmen. Es MUSS einen Weg zurück geben! Es darf nicht so enden. \"Also ich finde es toll hier\", meinte Scarlett. \"Wir haben eine schöne Vase bekommen und frisches Wasser. Und schau nur, wie die Menschen uns bewundern! Sie schnuppern an uns und loben unsere Schönheit. Ich finde, wir sollten uns mit der Situation abfinden und das Schöne daran sehen. Wir sind etwas Besonderes, man hat uns ausgewählt. Wir können es sowieso nicht mehr ändern, Barbie. Selbst wenn wir auf unsere Wiese zurückkämen - wir können ja nicht wieder am Stengel anwachsen. Also warum nicht einfach abwarten was diese neue Zeit bringt und das Beste daraus machen?\" Aber Barbie wollte das nicht. Für sie war es eine echte Qual. Sie vermißte ihre Wiese, ihre Schmetterlinge und den Regen. Sie weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie sehnte sich zurück. Sie konnte rein gar nichts an dem neuen Leben genießen. Und sie versuchte es erst gar nicht. \"Wir werden ganz schnell verwelken, glaub mir\'s.\"

Flavia hätte so gerne mit Barbie getauscht. Sie war todunglücklich darüber, einfach stehengelassen worden zu sein. Auf dieser langweiligen Wiese. Sie konnte es nicht begreifen, daß man sie mißachtet hatte und konnte sich seitdem an nichts mehr erfreuen. Sie wartete auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Chance. Auf ein neues kleines Mädchen. Sie sah die Schmetterlinge in ihrem Tanz nicht mehr, sie spürte weder die Wärme der Sonne noch den sanften Wind - sie dachte nur noch daran, wie es wäre, endlich gepflückt und bewundert zu werden...

Hätte Lilly das alles geahnt, sie hätte sich sicher anders entschieden.

Die Tage gingen dahin. Viona blühte auf und erfreute die kleine Wiese und deren Bewohner mit ihrem Duft. Flavia jedoch verbitterte. Die Blütenblätter verloren ihre Anmut und ihr Nektar wurde bitter. Die Schmetterlinge mieden sie. Viona versuchte sie stets aufzumuntern, aber es war vergeblich. Flavia wollte nicht verstehen. Sie war unzufrieden und sehnte sich nach einem besseren Morgen. WENN sie doch endlich gepflückt wurde, dann ginge es ihr viel besser! WENN die Menschen endlich ihren Duft und ihre Schönheit lobten, dann würde sie aufblühen wie noch nie! WENN Lilly endlich wiederkäme und sie mitnähme... Aber Lilly kam nicht. Keiner kam vorbei und bewunderte sie. Und so versäumte sie einen freudvollen Tag nach dem anderen.

Sie war nicht allein in ihrem Schmerz. Barbie fühlte sich genauso elend. Nichts war mehr schön - alles war nur noch düster. Die Vase ist hübsch? Blödsinn - sie war einfach nur eine Todesfalle! Die Menschen bewundern sie? Quatsch, sie waren dumme Mörder, die nicht verstanden, daß sie hier nicht hergehörte. Und so bohrte sie ihre Dornen bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, in die Finger der Menschen. \"Ich muß sie bekämpfen\", dachte sie, \"vielleicht geben sie mich dann zurück. Ich bin nicht wie Scarlett. Wie kann man nur so dumm sein. Sie ist hier gefangen und dem Tode preisgegeben, aber sie sieht das einfach nicht und ist den Menschen auch noch dankbar! Mein Leben ist verwirkt. Nie wieder kann ich einem Schmetterling Nektar schenken, nie wieder werde ich den warmen Sommerregen erleben! Oh mein Gott - ich ertrage das nicht!\" Sie verzweifelte von Tag zu Tag mehr. Ihre Blütenblätter wurden braun und fielen ab, eins nach dem anderen. Ihr Herz blutete. Sie empfand Scarletts Verhalten als Hochverrat, aber insgeheim beneidete sie sie um ihre Gelassenheit und daß sie das alles einfach so annehmen konnte. Und Scarlett wurde immer schöner. Ihr gefiel es, bewundert zu werden und sie liebte die Menschen dafür. Und die Menschen liebten sie.

Flavia und Barbie verwelkten. Viel zu schnell. Die eine auf ihrer Wiese, die andere in ihrer Vase. Beide aus Kummer über die Situation, in der sie sich befanden. Sie konnten sich nicht mehr freuen und wurden ihres Lebens müde. Sie fühlten sich von Gott betrogen. Die schöne gelbe Flavia und die hübsche pinkfarbene Barbie wurden unansehnlich und ihr einstmals lieblicher Duft verkehrte sich ins Gegenteil.

Viona und Scarlett dagegen blühten noch lange und bezauberten ihre Umwelt mit ihrem Duft und ihren Farben.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo WildChild, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Ralph Ronneberger

Redakteur in diesem Forum
 

WildChild

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4 Rosen

Da standen sie. Majestätisch und einzigartig. Man konnte wirklich nicht sagen, welche von ihnen die Schönste war, denn sie waren alle göttlich perfekt. Frisch und jung wiegten sie sich in der Morgensonne. Eine grüne Wiese am Rande eines Berghangs war ihr Zuhause: Viona, Flavia, Barbie und Scarlett - vier wunderschöne Rosen in vier unterschiedlichen Farben. Wie sie dorthin gekommen waren, kann heute niemand mehr sagen.

Viona war eine bezaubernde weiße Rose. Sie genoß ihr Leben und war stets mit allem zufrieden. Sie liebte die Aussicht in das große Tal, die wärmende Morgensonne, die vielen kleinen Insekten, die sie umschwirrten. Vor allem die Schmetterlinge! Es kitzelte, wenn sie auf ihr landeten und in den Blütenkelch krabbelten. Und erst der Regen! Frisches, kühles Wasser, das an ihr hinunterlief... Sie liebte einfach alles. Ja, das Leben war wunderschön.

Flavia, eine leuchtend gelbe Rose, war eitel. Sie fühlte sich zu Höherem berufen. Immer nur auf der Wiese - das konnte es doch nicht sein! Nicht für sie! Die vielen herumschwirrenden Insekten waren ihr lästig, die Schmetterlinge fand sie albern, der Regen war zu naß und die Sonne zu heiß. Sie wollte gepflückt werden, wollte bewundert und bestaunt werden, jeder sollte sehen, wie schön sie war!

Barbie dagegen fühlte sich auf ihrer Wiese sehr wohl. Sie war eine hübsche, pinkfarbene Rose. In ihren Augen war sie die ungekrönte Königin der Wiese, alles hier war nur für sie da. Die Schmetterlinge flogen besonders gern zu ihr, die Sonne schien nur für sie, der Regen spendete sein feuchtes Naß exklusiv für sie - weil sie so wunderschön war. Die Wiese war ihr Zuhause.

Scarlett war eine umwerfend schöne rote Rose. Wie Viona genoß sie einfach nur ihr Dasein. Sie wandte sich freudig der Sonne zu, lud die Insekten zum Nektartrinken ein und weidete ihre Augen an der tollen Aussicht. Alles war in Ordnung so wie es war.

Woher sie plötzlich kam, konnte niemand sagen. Aber auf einmal war sie da: Lilly, ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einem braunen Hund an der Leine. Als sie der Rosen ansichtig wurde, erstrahlten ihre Augen. \"Wow, sind die schön!\" rief sie aus. \"Die muß ich haben!\" Sie rannte auf die Rosen zu. \"Au ja, ich nehme die beiden roten! Mama wird sich freuen!\"

Und da passierte es: Knack! Barbie war gepflückt. Sie fiel vor Schreck in Ohnmacht. Knack! Scarlett fiel. Flavia reckte sich dem Mädchen zu und erwartete ebenfalls ihr Gepflücktwerden.... Aber halt, was war das? Lilly nahm die Hundeleine in die Hand und wandte sich zum Gehen. \"Halt!!\" schrie Flavia, \"Du hast mich vergessen! Ich will auch mit!\" Leider konnte Lilly sie nicht hören. \"Hey! Warte!! Du kannst doch nicht ohne mich gehen!\" Die Worte Flavias gingen in einem Schluchzen unter. \"Ich wollte doch mit\", weinte sie. Ich will weg hier, will was erleben!\" Viona versuchte sie zu trösten: \"Vielleicht kommt sie ja zurück. Bis dahin kannst du dich doch weiter an unserer Wiese erfreuen.\" - \"Pfft, das will ich aber nicht! Die Wiese ist langweilig! Ich will weg!\" Sie sah trotzig dem davoneilenden Kind nach. Lilly sprang vergnügt über die Wiese und war sich nicht bewußt, was sie mit ihrer Wahl ausgelöst hatte. Sie freute sich einfach nur darauf, ihrer Mama die beiden Rosen zu bringen. Sie sang ein Liedchen und blickte nicht zurück....

Flavia war noch immer geschockt. Wieso nur hatte man sie nicht mitgenommen! Sie! Sie war doch eindeutig die Schönste hier! So ein dummes Mädchen. Hatte keine Ahnung von Schönheit. Hat stattdessen diese eingebildete Barbie mitgenommen! Und diese selbstgefällige Scarlett. Einfach unverständlich! Aber vielleicht bemerkt die Kleine ja ihren Irrtum noch und kommt zurück? Flavia straffte sich, richtete sich hoch auf und duftete nochmal so stark, in der Hoffnung, das Mädchen würde zurückkommen.... \"Warum möchtest du denn unbedingt weg von hier? Gefällt es dir hier nicht?\" fragte Viona. \"Du verstehst das nicht!\" entgegnete Flavia. \"Ich bin was Besonderes! Ich möchte, daß die Menschen mich bewundern! Ich bin viel zu schade für Käfer und Schmetterlinge! Ich bin zu etwas Großem geboren. Das hier ist nichts für mich. Die Kleine kommt sicher bald zurück und holt mich. Sie MUSS ihren Irrtum einfach bemerken, sie muß....\" - \"Wenn du ganz fest daran glaubst, dann kann das auch passieren, aber halte dich nicht zu sehr daran fest. Bis dahin kannst du dich doch einfach weiterhin an dem Leben erfreuen, das du hier auf der Wiese hast. Wir haben es doch wirklich sehr schön hier. Und wer weiß, vielleicht ist das Gepflücktwerden ja sogar etwas Unangenehmes.\" - \"Du hast keine Ahnung! Was bitte ist so schön daran, von Käfern bekrabbelt zu werden? Ich verstehe nicht, wie du so denken kannst!\" entrüstete sich Flavia. \"Nun, ich liebe es hier\", entgegnete Viona. \"Den Regen, die Sonne, die Aussicht....\" - \" Naja, wenn du meinst,\" unterbrach Flavia Vionas Schwärmerei. \"Mir reicht das aber nicht, ich habe Ziele! Ich bin etwas Besonderes und kann mein Leben nicht auf einer Wiese vergeuden. Aber das verstehst du nicht.\" Für Flavia war das Gespräch gelaufen. Mit so einem selbstzufriedenen Ding wie Viona konnte man einfach nicht über höhere Ziele sprechen. Sie verfiel in Gedanken, versuchte den Schock zu verdauen...

Auch in Barbie saß der Schock noch tief, aber aus einem anderen Grund. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, wurde ihr erst richtig bewußt, was geschehen war. Etwas Fürchterliches, Nichtwiedergutzumachendes: Sie wurde entwurzelt und sah nun einem schnellen Verwelken entgegen! Das glaubte sie zumindest. Eine Katastrophe! Eine Ungeheuerlichkeit! Was sollte das? Wieso hat man sie von ihrer schönen Wiese entführt? Sie einfach lieblos abgebrochen und weggetragen? Eine schreiende Ungerechtigkeit! Ihr kamen die Tränen... \"Warum weinst du?\" fragte Scarlett. \" Wir erleben grad ein aufregendes Abenteuer, das ist doch spannend!\" - \"Sag mal, hast du sie noch alle?\" entrüstete sich Barbie. \"Wir wurden grade gepflückt! Wir werden gleich sterben! Verstehst du das nicht? Blumen sterben, wenn sie gepflückt werden, das weiß doch jeder. Deswegen haben auch alle Blumen Angst davor.\" - \"Ich weiß nicht, ich denke nicht, daß wir gleich sterben. Ich finde die ganze Sache eher interessant! Wo kommen wir hin? Wie wird unser neues Zuhause aussehen? Also ich habe keine Angst.\" - \"Die wirst du schon noch bekommen, glaub mir!\" Barbie verstand nicht, daß Scarlett so gelassen sein konnte.

Lilly erreichte mit Barbie und Scarlett in den Händen ihr Häuschen. Strahlend lief sie in die Küche. \"Mama, Mama, schau mal die schönen Blumen!\" rief sie. \"Wow, die sind aber schön!\" freute sich ihre Mutter. \"Sind die für mich?\" - \"Ja Mama, die hab ich draußen auf der Wiese gefunden! Riech mal, sie duften ganz toll!\"

Barbie und Scarlett wurden in eine wunderschöne lange Vase gestellt und auf dem Wohnzimmertisch hübsch arrangiert. \"Schau mal die tolle Umgebung! Ist das nicht aufregend?\" freute sich Scarlett. \"Die Kleine ist so lieb, sie hat uns hierher gebracht, damit wir den Menschen Freude bringen.\" - \"Na klar doch\", grunzte Barbie böse, \"Freude bringen für unsere Mörder! Bald sind wir nur noch ein welker Haufen Blütenblätter! Du hast echt keine Ahnung!\" Barbie hatte Angst. Angst vor einem baldigen Tod. Sie sehnte sich nach ihrem alten Leben auf der Wiese zurück. Sie wollte nicht hier sein. Sie weigerte sich verbissen, die neue Situation anzunehmen. Es MUSS einen Weg zurück geben! Es darf nicht so enden. \"Also ich finde es toll hier\", meinte Scarlett. \"Wir haben eine schöne Vase bekommen und frisches Wasser. Und schau nur, wie die Menschen uns bewundern! Sie schnuppern an uns und loben unsere Schönheit. Ich finde, wir sollten uns mit der Situation abfinden und das Schöne daran sehen. Wir sind etwas Besonderes, man hat uns ausgewählt. Wir können es sowieso nicht mehr ändern, Barbie. Selbst wenn wir auf unsere Wiese zurückkämen - wir können ja nicht wieder am Stengel anwachsen. Also warum nicht einfach abwarten was diese neue Zeit bringt und das Beste daraus machen?\" Aber Barbie wollte das nicht. Für sie war es eine echte Qual. Sie vermißte ihre Wiese, ihre Schmetterlinge und den Regen. Sie weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie sehnte sich zurück. Sie konnte rein gar nichts an dem neuen Leben genießen. Und sie versuchte es erst gar nicht. \"Wir werden ganz schnell verwelken, glaub mir\'s.\"

Flavia hätte so gerne mit Barbie getauscht. Sie war todunglücklich darüber, einfach stehengelassen worden zu sein. Auf dieser langweiligen Wiese. Sie konnte es nicht begreifen, daß man sie mißachtet hatte und konnte sich seitdem an nichts mehr erfreuen. Sie wartete auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Chance. Auf ein neues kleines Mädchen. Sie sah die Schmetterlinge in ihrem Tanz nicht mehr, sie spürte weder die Wärme der Sonne noch den sanften Wind - sie dachte nur noch daran, wie es wäre, endlich gepflückt und bewundert zu werden...

Hätte Lilly das alles geahnt, sie hätte sich sicher anders entschieden.

Die Tage gingen dahin. Viona blühte auf und erfreute die kleine Wiese und deren Bewohner mit ihrem Duft. Flavia jedoch verbitterte. Die Blütenblätter verloren ihre Anmut und ihr Nektar wurde bitter. Die Schmetterlinge mieden sie. Viona versuchte sie stets aufzumuntern, aber es war vergeblich. Flavia wollte nicht verstehen. Sie war unzufrieden und sehnte sich nach einem besseren Morgen. WENN sie doch endlich gepflückt wurde, dann ginge es ihr viel besser! WENN die Menschen endlich ihren Duft und ihre Schönheit lobten, dann würde sie aufblühen wie noch nie! WENN Lilly endlich wiederkäme und sie mitnähme... Aber Lilly kam nicht. Keiner kam vorbei und bewunderte sie. Und so versäumte sie einen freudvollen Tag nach dem anderen.

Sie war nicht allein in ihrem Schmerz. Barbie fühlte sich genauso elend. Nichts war mehr schön - alles war nur noch düster. Die Vase ist hübsch? Blödsinn - sie war einfach nur eine Todesfalle! Die Menschen bewundern sie? Quatsch, sie waren dumme Mörder, die nicht verstanden, daß sie hier nicht hergehörte. Und so bohrte sie ihre Dornen bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, in die Finger der Menschen. \"Ich muß sie bekämpfen\", dachte sie, \"vielleicht geben sie mich dann zurück. Ich bin nicht wie Scarlett. Wie kann man nur so dumm sein. Sie ist hier gefangen und dem Tode preisgegeben, aber sie sieht das einfach nicht und ist den Menschen auch noch dankbar! Mein Leben ist verwirkt. Nie wieder kann ich einem Schmetterling Nektar schenken, nie wieder werde ich den warmen Sommerregen erleben! Oh mein Gott - ich ertrage das nicht!\" Sie verzweifelte von Tag zu Tag mehr. Ihre Blütenblätter wurden braun und fielen ab, eins nach dem anderen. Ihr Herz blutete. Sie empfand Scarletts Verhalten als Hochverrat, aber insgeheim beneidete sie sie um ihre Gelassenheit und daß sie das alles einfach so annehmen konnte. Und Scarlett wurde immer schöner. Ihr gefiel es, bewundert zu werden und sie liebte die Menschen dafür. Und die Menschen liebten sie.

Flavia und Barbie verwelkten. Viel zu schnell. Die eine auf ihrer Wiese, die andere in ihrer Vase. Beide aus Kummer über die Situation, in der sie sich befanden. Sie konnten sich nicht mehr freuen und wurden ihres Lebens müde. Sie fühlten sich von Gott betrogen. Die schöne gelbe Flavia und die hübsche pinkfarbene Barbie wurden unansehnlich und ihr einstmals lieblicher Duft verkehrte sich ins Gegenteil.

Viona und Scarlett dagegen blühten noch lange und bezauberten ihre Umwelt mit ihrem Duft und ihren Farben.
 

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Da standen sie. Majestätisch und einzigartig. Man konnte wirklich nicht sagen, welche von ihnen die Schönste war, denn sie waren alle göttlich perfekt. Frisch und jung wiegten sie sich in der Morgensonne. Eine grüne Wiese am Rande eines Berghangs war ihr Zuhause: Viona, Flavia, Barbie und Scarlett - vier wunderschöne Rosen in vier unterschiedlichen Farben. Wie sie dorthin gekommen waren, kann heute niemand mehr sagen.

Viona war eine bezaubernde weiße Rose. Sie genoß ihr Leben und war stets mit allem zufrieden. Sie liebte die Aussicht in das große Tal, die wärmende Morgensonne, die vielen kleinen Insekten, die sie umschwirrten. Vor allem die Schmetterlinge! Es kitzelte, wenn sie auf ihr landeten und in den Blütenkelch krabbelten. Und erst der Regen! Frisches, kühles Wasser, das an ihr hinunterlief... Sie liebte einfach alles. Ja, das Leben war wunderschön.

Flavia, eine leuchtend gelbe Rose, war eitel. Sie fühlte sich zu Höherem berufen. Immer nur auf der Wiese - das konnte es doch nicht sein! Nicht für sie! Die vielen herumschwirrenden Insekten waren ihr lästig, die Schmetterlinge fand sie albern, der Regen war zu naß und die Sonne zu heiß. Sie wollte gepflückt werden, wollte bewundert und bestaunt werden, jeder sollte sehen, wie schön sie war!

Barbie dagegen fühlte sich auf ihrer Wiese sehr wohl. Sie war eine hübsche, pinkfarbene Rose. In ihren Augen war sie die ungekrönte Königin der Wiese, alles hier war nur für sie da. Die Schmetterlinge flogen besonders gern zu ihr, die Sonne schien nur für sie, der Regen spendete sein feuchtes Naß exklusiv für sie - weil sie so wunderschön war. Die Wiese war ihr Zuhause.

Scarlett war eine umwerfend schöne rote Rose. Wie Viona genoß sie einfach nur ihr Dasein. Sie wandte sich freudig der Sonne zu, lud die Insekten zum Nektartrinken ein und weidete ihre Augen an der tollen Aussicht. Alles war in Ordnung so wie es war.

Woher sie plötzlich kam, konnte niemand sagen. Aber auf einmal war sie da: Lilly, ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einem braunen Hund an der Leine. Als sie der Rosen ansichtig wurde, erstrahlten ihre Augen. "Wow, sind die schön!" rief sie aus. "Die muß ich haben!" Sie rannte auf die Rosen zu. "Au ja, ich nehme die beiden roten! Mama wird sich freuen!"

Und da passierte es: Knack! Barbie war gepflückt. Sie fiel vor Schreck in Ohnmacht. Knack! Scarlett fiel. Flavia reckte sich dem Mädchen zu und erwartete ebenfalls ihr Gepflücktwerden.... Aber halt, was war das? Lilly nahm die Hundeleine in die Hand und wandte sich zum Gehen. "Halt!!" schrie Flavia, "Du hast mich vergessen! Ich will auch mit!" Leider konnte Lilly sie nicht hören. "Hey! Warte!! Du kannst doch nicht ohne mich gehen!" Die Worte Flavias gingen in einem Schluchzen unter. "Ich wollte doch mit", weinte sie. Ich will weg hier, will was erleben!" Viona versuchte sie zu trösten: "Vielleicht kommt sie ja zurück. Bis dahin kannst du dich doch weiter an unserer Wiese erfreuen." - "Pfft, das will ich aber nicht! Die Wiese ist langweilig! Ich will weg!" Sie sah trotzig dem davoneilenden Kind nach. Lilly sprang vergnügt über die Wiese und war sich nicht bewußt, was sie mit ihrer Wahl ausgelöst hatte. Sie freute sich einfach nur darauf, ihrer Mama die beiden Rosen zu bringen. Sie sang ein Liedchen und blickte nicht zurück....

Flavia war noch immer geschockt. Wieso nur hatte man sie nicht mitgenommen! Sie! Sie war doch eindeutig die Schönste hier! So ein dummes Mädchen. Hatte keine Ahnung von Schönheit. Hat stattdessen diese eingebildete Barbie mitgenommen! Und diese selbstgefällige Scarlett. Einfach unverständlich! Aber vielleicht bemerkt die Kleine ja ihren Irrtum noch und kommt zurück? Flavia straffte sich, richtete sich hoch auf und duftete nochmal so stark, in der Hoffnung, das Mädchen würde zurückkommen.... "Warum möchtest du denn unbedingt weg von hier? Gefällt es dir hier nicht?" fragte Viona. "Du verstehst das nicht!" entgegnete Flavia. "Ich bin was Besonderes! Ich möchte, daß die Menschen mich bewundern! Ich bin viel zu schade für Käfer und Schmetterlinge! Ich bin zu etwas Großem geboren. Das hier ist nichts für mich. Die Kleine kommt sicher bald zurück und holt mich. Sie MUSS ihren Irrtum einfach bemerken, sie muß...." - "Wenn du ganz fest daran glaubst, dann kann das auch passieren, aber halte dich nicht zu sehr daran fest. Bis dahin kannst du dich doch einfach weiterhin an dem Leben erfreuen, das du hier auf der Wiese hast. Wir haben es doch wirklich sehr schön hier. Und wer weiß, vielleicht ist das Gepflücktwerden ja sogar etwas Unangenehmes." - "Du hast keine Ahnung! Was bitte ist so schön daran, von Käfern bekrabbelt zu werden? Ich verstehe nicht, wie du so denken kannst!" entrüstete sich Flavia. "Nun, ich liebe es hier", entgegnete Viona. "Den Regen, die Sonne, die Aussicht...." - " Naja, wenn du meinst," unterbrach Flavia Vionas Schwärmerei. "Mir reicht das aber nicht, ich habe Ziele! Ich bin etwas Besonderes und kann mein Leben nicht auf einer Wiese vergeuden. Aber das verstehst du nicht." Für Flavia war das Gespräch gelaufen. Mit so einem selbstzufriedenen Ding wie Viona konnte man einfach nicht über höhere Ziele sprechen. Sie verfiel in Gedanken, versuchte den Schock zu verdauen...

Auch in Barbie saß der Schock noch tief, aber aus einem anderen Grund. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, wurde ihr erst richtig bewußt, was geschehen war. Etwas Fürchterliches, Nichtwiedergutzumachendes: Sie wurde entwurzelt und sah nun einem schnellen Verwelken entgegen! Das glaubte sie zumindest. Eine Katastrophe! Eine Ungeheuerlichkeit! Was sollte das? Wieso hat man sie von ihrer schönen Wiese entführt? Sie einfach lieblos abgebrochen und weggetragen? Eine schreiende Ungerechtigkeit! Ihr kamen die Tränen... "Warum weinst du?" fragte Scarlett. " Wir erleben grad ein aufregendes Abenteuer, das ist doch spannend!" - "Sag mal, hast du sie noch alle?" entrüstete sich Barbie. "Wir wurden grade gepflückt! Wir werden gleich sterben! Verstehst du das nicht? Blumen sterben, wenn sie gepflückt werden, das weiß doch jeder. Deswegen haben auch alle Blumen Angst davor." - "Ich weiß nicht, ich denke nicht, daß wir gleich sterben. Ich finde die ganze Sache eher interessant! Wo kommen wir hin? Wie wird unser neues Zuhause aussehen? Also ich habe keine Angst." - "Die wirst du schon noch bekommen, glaub mir!" Barbie verstand nicht, daß Scarlett so gelassen sein konnte.

Lilly erreichte mit Barbie und Scarlett in den Händen ihr Häuschen. Strahlend lief sie in die Küche. "Mama, Mama, schau mal die schönen Blumen!" rief sie. "Wow, die sind aber schön!" freute sich ihre Mutter. "Sind die für mich?" - "Ja Mama, die hab ich draußen auf der Wiese gefunden! Riech mal, sie duften ganz toll!"

Barbie und Scarlett wurden in eine wunderschöne lange Vase gestellt und auf dem Wohnzimmertisch hübsch arrangiert. "Schau mal die tolle Umgebung! Ist das nicht aufregend?" freute sich Scarlett. "Die Kleine ist so lieb, sie hat uns hierher gebracht, damit wir den Menschen Freude bringen." - "Na klar doch", grunzte Barbie böse, "Freude bringen für unsere Mörder! Bald sind wir nur noch ein welker Haufen Blütenblätter! Du hast echt keine Ahnung!" Barbie hatte Angst. Angst vor einem baldigen Tod. Sie sehnte sich nach ihrem alten Leben auf der Wiese zurück. Sie wollte nicht hier sein. Sie weigerte sich verbissen, die neue Situation anzunehmen. Es MUSS einen Weg zurück geben! Es darf nicht so enden. "Also ich finde es toll hier", meinte Scarlett. "Wir haben eine schöne Vase bekommen und frisches Wasser. Und schau nur, wie die Menschen uns bewundern! Sie schnuppern an uns und loben unsere Schönheit. Ich finde, wir sollten uns mit der Situation abfinden und das Schöne daran sehen. Wir sind etwas Besonderes, man hat uns ausgewählt. Wir können es sowieso nicht mehr ändern, Barbie. Selbst wenn wir auf unsere Wiese zurückkämen - wir können ja nicht wieder am Stengel anwachsen. Also warum nicht einfach abwarten was diese neue Zeit bringt und das Beste daraus machen?" Aber Barbie wollte das nicht. Für sie war es eine echte Qual. Sie vermißte ihre Wiese, ihre Schmetterlinge und den Regen. Sie weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie sehnte sich zurück. Sie konnte rein gar nichts an dem neuen Leben genießen. Und sie versuchte es erst gar nicht. "Wir werden ganz schnell verwelken, glaub mir's."

Flavia hätte so gerne mit Barbie getauscht. Sie war todunglücklich darüber, einfach stehengelassen worden zu sein. Auf dieser langweiligen Wiese. Sie konnte es nicht begreifen, daß man sie mißachtet hatte und konnte sich seitdem an nichts mehr erfreuen. Sie wartete auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Chance. Auf ein neues kleines Mädchen. Sie sah die Schmetterlinge in ihrem Tanz nicht mehr, sie spürte weder die Wärme der Sonne noch den sanften Wind - sie dachte nur noch daran, wie es wäre, endlich gepflückt und bewundert zu werden...

Hätte Lilly das alles geahnt, sie hätte sich sicher anders entschieden.

Die Tage gingen dahin. Viona blühte auf und erfreute die kleine Wiese und deren Bewohner mit ihrem Duft. Flavia jedoch verbitterte. Die Blütenblätter verloren ihre Anmut und ihr Nektar wurde bitter. Die Schmetterlinge mieden sie. Viona versuchte sie stets aufzumuntern, aber es war vergeblich. Flavia wollte nicht verstehen. Sie war unzufrieden und sehnte sich nach einem besseren Morgen. WENN sie doch endlich gepflückt wurde, dann ginge es ihr viel besser! WENN die Menschen endlich ihren Duft und ihre Schönheit lobten, dann würde sie aufblühen wie noch nie! WENN Lilly endlich wiederkäme und sie mitnähme... Aber Lilly kam nicht. Keiner kam vorbei und bewunderte sie. Und so versäumte sie einen freudvollen Tag nach dem anderen.

Sie war nicht allein in ihrem Schmerz. Barbie fühlte sich genauso elend. Nichts war mehr schön - alles war nur noch düster. Die Vase ist hübsch? Blödsinn - sie war einfach nur eine Todesfalle! Die Menschen bewundern sie? Quatsch, sie waren dumme Mörder, die nicht verstanden, daß sie hier nicht hergehörte. Und so bohrte sie ihre Dornen bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, in die Finger der Menschen. "Ich muß sie bekämpfen", dachte sie, "vielleicht geben sie mich dann zurück. Ich bin nicht wie Scarlett. Wie kann man nur so dumm sein. Sie ist hier gefangen und dem Tode preisgegeben, aber sie sieht das einfach nicht und ist den Menschen auch noch dankbar! Mein Leben ist verwirkt. Nie wieder kann ich einem Schmetterling Nektar schenken, nie wieder werde ich den warmen Sommerregen erleben! Oh mein Gott - ich ertrage das nicht!" Sie verzweifelte von Tag zu Tag mehr. Ihre Blütenblätter wurden braun und fielen ab, eins nach dem anderen. Ihr Herz blutete. Sie empfand Scarletts Verhalten als Hochverrat, aber insgeheim beneidete sie sie um ihre Gelassenheit und daß sie das alles einfach so annehmen konnte. Und Scarlett wurde immer schöner. Ihr gefiel es, bewundert zu werden und sie liebte die Menschen dafür. Und die Menschen liebten sie.

Flavia und Barbie verwelkten. Viel zu schnell. Die eine auf ihrer Wiese, die andere in ihrer Vase. Beide aus Kummer über die Situation, in der sie sich befanden. Sie konnten sich nicht mehr freuen und wurden ihres Lebens müde. Sie fühlten sich von Gott betrogen. Die schöne gelbe Flavia und die hübsche pinkfarbene Barbie wurden unansehnlich und ihr einstmals lieblicher Duft verkehrte sich ins Gegenteil.

Viona und Scarlett dagegen blühten noch lange und bezauberten ihre Umwelt mit ihrem Duft und ihren Farben.
 

WildChild

Mitglied
4 Rosen

Da standen sie. Majestätisch und einzigartig. Man konnte wirklich nicht sagen, welche von ihnen die Schönste war, denn sie waren alle göttlich perfekt. Frisch und jung wiegten sie sich in der Morgensonne. Eine grüne Wiese am Rande eines Berghangs war ihr Zuhause: Viona, Flavia, Barbie und Scarlett - vier wunderschöne Rosen in vier unterschiedlichen Farben. Wie sie dorthin gekommen waren, kann heute niemand mehr sagen.

Viona war eine bezaubernde weiße Rose. Sie genoß ihr Leben und war stets mit allem zufrieden. Sie liebte die Aussicht in das große Tal, die wärmende Morgensonne, die vielen kleinen Insekten, die sie umschwirrten. Vor allem die Schmetterlinge! Es kitzelte, wenn sie auf ihr landeten und in den Blütenkelch krabbelten. Und erst der Regen! Frisches, kühles Wasser, das an ihr hinunterlief... Sie liebte einfach alles. Ja, das Leben war wunderschön.

Flavia, eine leuchtend gelbe Rose, war eitel. Sie fühlte sich zu Höherem berufen. Immer nur auf der Wiese - das konnte es doch nicht sein! Nicht für sie! Die vielen herumschwirrenden Insekten waren ihr lästig, die Schmetterlinge fand sie albern, der Regen war zu naß und die Sonne zu heiß. Sie wollte gepflückt werden, wollte bewundert und bestaunt werden, jeder sollte sehen, wie schön sie war!

Barbie dagegen fühlte sich auf ihrer Wiese sehr wohl. Sie war eine hübsche, pinkfarbene Rose. In ihren Augen war sie die ungekrönte Königin der Wiese, alles hier war nur für sie da. Die Schmetterlinge flogen besonders gern zu ihr, die Sonne schien nur für sie, der Regen spendete sein feuchtes Naß exklusiv für sie - weil sie so wunderschön war. Die Wiese war ihr Zuhause.

Scarlett war eine umwerfend schöne rote Rose. Wie Viona genoß sie einfach nur ihr Dasein. Sie wandte sich freudig der Sonne zu, lud die Insekten zum Nektartrinken ein und weidete ihre Augen an der tollen Aussicht. Alles war in Ordnung so wie es war.

Woher sie plötzlich kam, konnte niemand sagen. Aber auf einmal war sie da: Lilly, ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einem braunen Hund an der Leine. Als sie der Rosen ansichtig wurde, erstrahlten ihre Augen. "Wow, sind die schön!" rief sie aus. "Die muß ich haben!" Sie rannte auf die Rosen zu. "Au ja, ich nehme die beiden roten! Mama wird sich freuen!"

Und da passierte es: Knack! Barbie war gepflückt. Sie fiel vor Schreck in Ohnmacht. Knack! Scarlett fiel. Flavia reckte sich dem Mädchen zu und erwartete ebenfalls ihr Gepflücktwerden.... Aber halt, was war das? Lilly nahm die Hundeleine in die Hand und wandte sich zum Gehen. "Halt!!" schrie Flavia, "Du hast mich vergessen! Ich will auch mit!" Leider konnte Lilly sie nicht hören. "Hey! Warte!! Du kannst doch nicht ohne mich gehen!" Die Worte Flavias gingen in einem Schluchzen unter. "Ich wollte doch mit", weinte sie. Ich will weg hier, will was erleben!" Viona versuchte sie zu trösten: "Vielleicht kommt sie ja zurück. Bis dahin kannst du dich doch weiter an unserer Wiese erfreuen." - "Pfft, das will ich aber nicht! Die Wiese ist langweilig! Ich will weg!" Sie sah trotzig dem davoneilenden Kind nach. Lilly sprang vergnügt über die Wiese und war sich nicht bewußt, was sie mit ihrer Wahl ausgelöst hatte. Sie freute sich einfach nur darauf, ihrer Mama die beiden Rosen zu bringen. Sie sang ein Liedchen und blickte nicht zurück....

Flavia war noch immer geschockt. Wieso nur hatte man sie nicht mitgenommen! Sie! Sie war doch eindeutig die Schönste hier! So ein dummes Mädchen. Hatte keine Ahnung von Schönheit. Hat stattdessen diese eingebildete Barbie mitgenommen! Und diese selbstgefällige Scarlett. Einfach unverständlich! Aber vielleicht bemerkt die Kleine ja ihren Irrtum noch und kommt zurück? Flavia straffte sich, richtete sich hoch auf und duftete nochmal so stark, in der Hoffnung, das Mädchen würde zurückkommen.... "Warum möchtest du denn unbedingt weg von hier? Gefällt es dir hier nicht?" fragte Viona. "Du verstehst das nicht!" entgegnete Flavia. "Ich bin was Besonderes! Ich möchte, daß die Menschen mich bewundern! Ich bin viel zu schade für Käfer und Schmetterlinge! Ich bin zu etwas Großem geboren. Das hier ist nichts für mich. Die Kleine kommt sicher bald zurück und holt mich. Sie MUSS ihren Irrtum einfach bemerken, sie muß...." - "Wenn du ganz fest daran glaubst, dann kann das auch passieren, aber halte dich nicht zu sehr daran fest. Bis dahin kannst du dich doch einfach weiterhin an dem Leben erfreuen, das du hier auf der Wiese hast. Wir haben es doch wirklich sehr schön hier. Und wer weiß, vielleicht ist das Gepflücktwerden ja sogar etwas Unangenehmes." - "Du hast keine Ahnung! Was bitte ist so schön daran, von Käfern bekrabbelt zu werden? Ich verstehe nicht, wie du so denken kannst!" entrüstete sich Flavia. "Nun, ich liebe es hier", entgegnete Viona. "Den Regen, die Sonne, die Aussicht...." - " Naja, wenn du meinst," unterbrach Flavia Vionas Schwärmerei. "Mir reicht das aber nicht, ich habe Ziele! Ich bin etwas Besonderes und kann mein Leben nicht auf einer Wiese vergeuden. Aber das verstehst du nicht." Für Flavia war das Gespräch gelaufen. Mit so einem selbstzufriedenen Ding wie Viona konnte man einfach nicht über höhere Ziele sprechen. Sie verfiel in Gedanken, versuchte den Schock zu verdauen...

Auch in Barbie saß der Schock noch tief, aber aus einem anderen Grund. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, wurde ihr erst richtig bewußt, was geschehen war. Etwas Fürchterliches, Nichtwiedergutzumachendes: Sie wurde entwurzelt und sah nun einem schnellen Verwelken entgegen! Das glaubte sie zumindest. Eine Katastrophe! Eine Ungeheuerlichkeit! Was sollte das? Wieso hat man sie von ihrer schönen Wiese entführt? Sie einfach lieblos abgebrochen und weggetragen? Eine schreiende Ungerechtigkeit! Ihr kamen die Tränen... "Warum weinst du?" fragte Scarlett. " Wir erleben grad ein aufregendes Abenteuer, das ist doch spannend!" - "Sag mal, hast du sie noch alle?" entrüstete sich Barbie. "Wir wurden grade gepflückt! Wir werden gleich sterben! Verstehst du das nicht? Blumen sterben, wenn sie gepflückt werden, das weiß doch jeder. Deswegen haben auch alle Blumen Angst davor." - "Ich weiß nicht, ich denke nicht, daß wir gleich sterben. Ich finde die ganze Sache eher interessant! Wo kommen wir hin? Wie wird unser neues Zuhause aussehen? Also ich habe keine Angst." - "Die wirst du schon noch bekommen, glaub mir!" Barbie verstand nicht, daß Scarlett so gelassen sein konnte.

Lilly erreichte mit Barbie und Scarlett in den Händen ihr Häuschen. Strahlend lief sie in die Küche. "Mama, Mama, schau mal die schönen Blumen!" rief sie. "Wow, die sind aber schön!" freute sich ihre Mutter. "Sind die für mich?" - "Ja Mama, die hab ich draußen auf der Wiese gefunden! Riech mal, sie duften ganz toll!"

Barbie und Scarlett wurden in eine wunderschöne lange Vase gestellt und auf dem Wohnzimmertisch hübsch arrangiert. "Schau mal die tolle Umgebung! Ist das nicht aufregend?" freute sich Scarlett. "Die Kleine ist so lieb, sie hat uns hierher gebracht, damit wir den Menschen Freude bringen." - "Na klar doch", grunzte Barbie böse, "Freude bringen für unsere Mörder! Bald sind wir nur noch ein welker Haufen Blütenblätter! Du hast echt keine Ahnung!" Barbie hatte Angst. Angst vor einem baldigen Tod. Sie sehnte sich nach ihrem alten Leben auf der Wiese zurück. Sie wollte nicht hier sein. Sie weigerte sich verbissen, die neue Situation anzunehmen. Es MUSS einen Weg zurück geben! Es darf nicht so enden. "Also ich finde es toll hier", meinte Scarlett. "Wir haben eine schöne Vase bekommen und frisches Wasser. Und schau nur, wie die Menschen uns bewundern! Sie schnuppern an uns und loben unsere Schönheit. Ich finde, wir sollten uns mit der Situation abfinden und das Schöne daran sehen. Wir sind etwas Besonderes, man hat uns ausgewählt. Wir können es sowieso nicht mehr ändern, Barbie. Selbst wenn wir auf unsere Wiese zurückkämen - wir können ja nicht wieder am Stengel anwachsen. Also warum nicht einfach abwarten was diese neue Zeit bringt und das Beste daraus machen?" Aber Barbie wollte das nicht. Für sie war es eine echte Qual. Sie vermißte ihre Wiese, ihre Schmetterlinge und den Regen. Sie weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie sehnte sich zurück. Sie konnte rein gar nichts an dem neuen Leben genießen. Und sie versuchte es erst gar nicht. "Wir werden ganz schnell verwelken, glaub mir's."

Flavia hätte so gerne mit Barbie getauscht. Sie war todunglücklich darüber, einfach stehengelassen worden zu sein. Auf dieser langweiligen Wiese. Sie konnte es nicht begreifen, daß man sie mißachtet hatte und konnte sich seitdem an nichts mehr erfreuen. Sie wartete auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Chance. Auf ein neues kleines Mädchen. Sie sah die Schmetterlinge in ihrem Tanz nicht mehr, sie spürte weder die Wärme der Sonne noch den sanften Wind - sie dachte nur noch daran, wie es wäre, endlich gepflückt und bewundert zu werden...

Hätte Lilly das alles geahnt, sie hätte sich sicher anders entschieden.

Die Tage gingen dahin. Viona blühte auf und erfreute die kleine Wiese und deren Bewohner mit ihrem Duft. Flavia jedoch verbitterte. Die Blütenblätter verloren ihre Anmut und ihr Nektar wurde bitter. Die Schmetterlinge mieden sie. Viona versuchte sie stets aufzumuntern, aber es war vergeblich. Flavia wollte nicht verstehen. Sie war unzufrieden und sehnte sich nach einem besseren Morgen. WENN sie doch endlich gepflückt wurde, dann ginge es ihr viel besser! WENN die Menschen endlich ihren Duft und ihre Schönheit lobten, dann würde sie aufblühen wie noch nie! WENN Lilly endlich wiederkäme und sie mitnähme... Aber Lilly kam nicht. Keiner kam vorbei und bewunderte sie. Und so versäumte sie einen freudvollen Tag nach dem anderen.

Sie war nicht allein in ihrem Schmerz. Barbie fühlte sich genauso elend. Nichts war mehr schön - alles war nur noch düster. Die Vase ist hübsch? Blödsinn - sie war einfach nur eine Todesfalle! Die Menschen bewundern sie? Quatsch, sie waren dumme Mörder, die nicht verstanden, daß sie hier nicht hergehörte. Und so bohrte sie ihre Dornen bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, in die Finger der Menschen. "Ich muß sie bekämpfen", dachte sie, "vielleicht geben sie mich dann zurück. Ich bin nicht wie Scarlett. Wie kann man nur so dumm sein. Sie ist hier gefangen und dem Tode preisgegeben, aber sie sieht das einfach nicht und ist den Menschen auch noch dankbar! Mein Leben ist verwirkt. Nie wieder kann ich einem Schmetterling Nektar schenken, nie wieder werde ich den warmen Sommerregen erleben! Oh mein Gott - ich ertrage das nicht!" Sie verzweifelte von Tag zu Tag mehr. Ihre Blütenblätter wurden braun und fielen ab, eins nach dem anderen. Ihr Herz blutete. Sie empfand Scarletts Verhalten als Hochverrat, aber insgeheim beneidete sie sie um ihre Gelassenheit und daß sie das alles einfach so annehmen konnte. Und Scarlett wurde immer schöner. Ihr gefiel es, bewundert zu werden und sie liebte die Menschen dafür. Und die Menschen liebten sie.

Flavia und Barbie verwelkten. Viel zu schnell. Die eine auf ihrer Wiese, die andere in ihrer Vase. Beide aus Kummer über die Situation, in der sie sich befanden. Sie konnten sich nicht mehr freuen und wurden ihres Lebens müde. Sie fühlten sich von Gott betrogen. Die schöne gelbe Flavia und die hübsche pinkfarbene Barbie wurden unansehnlich und ihr einstmals lieblicher Duft verkehrte sich ins Gegenteil.

Viona und Scarlett dagegen blühten noch lange und bezauberten ihre Umwelt mit ihrem Duft und ihren Farben.
 

WildChild

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4 Rosen

Da standen sie. Majestätisch und einzigartig. Man konnte wirklich nicht sagen, welche von ihnen die Schönste war, denn sie waren alle göttlich perfekt. Frisch und jung wiegten sie sich in der Morgensonne. Eine grüne Wiese am Rande eines Berghangs war ihr Zuhause: Viona, Flavia, Barbie und Scarlett - vier wunderschöne Rosen in vier unterschiedlichen Farben. Wie sie dorthin gekommen waren, kann heute niemand mehr sagen.

Viona war eine bezaubernde weiße Rose. Sie genoß ihr Leben und war stets mit allem zufrieden. Sie liebte die Aussicht in das große Tal, die wärmende Morgensonne, die vielen kleinen Insekten, die sie umschwirrten. Vor allem die Schmetterlinge! Es kitzelte, wenn sie auf ihr landeten und in den Blütenkelch krabbelten. Und erst der Regen! Frisches, kühles Wasser, das an ihr hinunterlief... Sie liebte einfach alles. Ja, das Leben war wunderschön.

Flavia, eine leuchtend gelbe Rose, war eitel. Sie fühlte sich zu Höherem berufen. Immer nur auf der Wiese - das konnte es doch nicht sein! Nicht für sie! Die vielen herumschwirrenden Insekten waren ihr lästig, die Schmetterlinge fand sie albern, der Regen war zu naß und die Sonne zu heiß. Sie wollte gepflückt werden, wollte bewundert und bestaunt werden, jeder sollte sehen, wie schön sie war!

Barbie dagegen fühlte sich auf ihrer Wiese sehr wohl. Sie war eine hübsche, pinkfarbene Rose. In ihren Augen war sie die ungekrönte Königin der Wiese, alles hier war nur für sie da. Die Schmetterlinge flogen besonders gern zu ihr, die Sonne schien nur für sie, der Regen spendete sein feuchtes Naß exklusiv für sie - weil sie so wunderschön war. Die Wiese war ihr Zuhause.

Scarlett war eine umwerfend schöne rote Rose. Wie Viona genoß sie einfach nur ihr Dasein. Sie wandte sich freudig der Sonne zu, lud die Insekten zum Nektartrinken ein und weidete ihre Augen an der tollen Aussicht. Alles war in Ordnung so wie es war.

Woher sie plötzlich kam, konnte niemand sagen. Aber auf einmal war sie da: Lilly, ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einem braunen Hund an der Leine. Als sie der Rosen ansichtig wurde, erstrahlten ihre Augen. "Wow, sind die schön!" rief sie aus. "Die muß ich haben!" Sie rannte auf die Rosen zu. "Au ja, ich nehme die beiden roten! Mama wird sich freuen!"

Und da passierte es: Knack! Barbie war gepflückt. Sie fiel vor Schreck in Ohnmacht. Knack! Scarlett fiel. Flavia reckte sich dem Mädchen zu und erwartete ebenfalls ihr Gepflücktwerden.... Aber halt, was war das? Lilly nahm die Hundeleine in die Hand und wandte sich zum Gehen. "Halt!!" schrie Flavia, "Du hast mich vergessen! Ich will auch mit!" Leider konnte Lilly sie nicht hören. "Hey! Warte!! Du kannst doch nicht ohne mich gehen!" Die Worte Flavias gingen in einem Schluchzen unter. "Ich wollte doch mit", weinte sie. Ich will weg hier, will was erleben!" Viona versuchte sie zu trösten: "Vielleicht kommt sie ja zurück. Bis dahin kannst du dich doch weiter an unserer Wiese erfreuen." - "Pfft, das will ich aber nicht! Die Wiese ist langweilig! Ich will weg!" Sie sah trotzig dem davoneilenden Kind nach. Lilly sprang vergnügt über die Wiese und war sich nicht bewußt, was sie mit ihrer Wahl ausgelöst hatte. Sie freute sich einfach nur darauf, ihrer Mama die beiden Rosen zu bringen. Sie sang ein Liedchen und blickte nicht zurück....

Flavia war noch immer geschockt. Wieso nur hatte man sie nicht mitgenommen! Sie! Sie war doch eindeutig die Schönste hier! So ein dummes Mädchen. Hatte keine Ahnung von Schönheit. Hat stattdessen diese eingebildete Barbie mitgenommen! Und diese selbstgefällige Scarlett. Einfach unverständlich! Aber vielleicht bemerkt die Kleine ja ihren Irrtum noch und kommt zurück? Flavia straffte sich, richtete sich hoch auf und duftete nochmal so stark, in der Hoffnung, das Mädchen würde zurückkommen.... "Warum möchtest du denn unbedingt weg von hier? Gefällt es dir hier nicht?" fragte Viona. "Du verstehst das nicht!" entgegnete Flavia. "Ich bin was Besonderes! Ich möchte, daß die Menschen mich bewundern! Ich bin viel zu schade für Käfer und Schmetterlinge! Ich bin zu etwas Großem geboren. Das hier ist nichts für mich. Die Kleine kommt sicher bald zurück und holt mich. Sie MUSS ihren Irrtum einfach bemerken, sie muß...." - "Wenn du ganz fest daran glaubst, dann kann das auch passieren, aber halte dich nicht zu sehr daran fest. Bis dahin kannst du dich doch einfach weiterhin an dem Leben erfreuen, das du hier auf der Wiese hast. Wir haben es doch wirklich sehr schön hier. Und wer weiß, vielleicht ist das Gepflücktwerden ja sogar etwas Unangenehmes." - "Du hast keine Ahnung! Was bitte ist so schön daran, von Käfern bekrabbelt zu werden? Ich verstehe nicht, wie du so denken kannst!" entrüstete sich Flavia. "Nun, ich liebe es hier", entgegnete Viona. "Den Regen, die Sonne, die Aussicht...." - " Naja, wenn du meinst," unterbrach Flavia Vionas Schwärmerei. "Mir reicht das aber nicht, ich habe Ziele! Ich bin etwas Besonderes und kann mein Leben nicht auf einer Wiese vergeuden. Aber das verstehst du nicht." Für Flavia war das Gespräch gelaufen. Mit so einem selbstzufriedenen Ding wie Viona konnte man einfach nicht über höhere Ziele sprechen. Sie verfiel in Gedanken, versuchte den Schock zu verdauen...

Auch in Barbie saß der Schock noch tief, aber aus einem anderen Grund. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, wurde ihr erst richtig bewußt, was geschehen war. Etwas Fürchterliches, Nichtwiedergutzumachendes: Sie wurde entwurzelt und sah nun einem schnellen Verwelken entgegen! Das glaubte sie zumindest. Eine Katastrophe! Eine Ungeheuerlichkeit! Was sollte das? Wieso hat man sie von ihrer schönen Wiese entführt? Sie einfach lieblos abgebrochen und weggetragen? Eine schreiende Ungerechtigkeit! Ihr kamen die Tränen... "Warum weinst du?" fragte Scarlett. " Wir erleben grad ein aufregendes Abenteuer, das ist doch spannend!" - "Sag mal, hast du sie noch alle?" entrüstete sich Barbie. "Wir wurden grade gepflückt! Wir werden gleich sterben! Verstehst du das nicht? Blumen sterben, wenn sie gepflückt werden, das weiß doch jeder. Deswegen haben auch alle Blumen Angst davor." - "Ich weiß nicht, ich denke nicht, daß wir gleich sterben. Ich finde die ganze Sache eher interessant! Wo kommen wir hin? Wie wird unser neues Zuhause aussehen? Also ich habe keine Angst." - "Die wirst du schon noch bekommen, glaub mir!" Barbie verstand nicht, daß Scarlett so gelassen sein konnte.

Lilly erreichte mit Barbie und Scarlett in den Händen ihr Häuschen. Strahlend lief sie in die Küche. "Mama, Mama, schau mal die schönen Blumen!" rief sie. "Wow, die sind aber schön!" freute sich ihre Mutter. "Sind die für mich?" - "Ja Mama, die hab ich draußen auf der Wiese gefunden! Riech mal, sie duften ganz toll!"

Barbie und Scarlett wurden in eine wunderschöne lange Vase gestellt und auf dem Wohnzimmertisch hübsch arrangiert. "Schau mal die tolle Umgebung! Ist das nicht aufregend?" freute sich Scarlett. "Die Kleine ist so lieb, sie hat uns hierher gebracht, damit wir den Menschen Freude bringen." - "Na klar doch", grunzte Barbie böse, "Freude bringen für unsere Mörder! Bald sind wir nur noch ein welker Haufen Blütenblätter! Du hast echt keine Ahnung!" Barbie hatte Angst. Angst vor einem baldigen Tod. Sie sehnte sich nach ihrem alten Leben auf der Wiese zurück. Sie wollte nicht hier sein. Sie weigerte sich verbissen, die neue Situation anzunehmen. Es MUSS einen Weg zurück geben! Es darf nicht so enden. "Also ich finde es toll hier", meinte Scarlett. "Wir haben eine schöne Vase bekommen und frisches Wasser. Und schau nur, wie die Menschen uns bewundern! Sie schnuppern an uns und loben unsere Schönheit. Ich finde, wir sollten uns mit der Situation abfinden und das Schöne daran sehen. Wir sind etwas Besonderes, man hat uns ausgewählt. Wir können es sowieso nicht mehr ändern, Barbie. Selbst wenn wir auf unsere Wiese zurückkämen - wir können ja nicht wieder am Stengel anwachsen. Also warum nicht einfach abwarten was diese neue Zeit bringt und das Beste daraus machen?" Aber Barbie wollte das nicht. Für sie war es eine echte Qual. Sie vermißte ihre Wiese, ihre Schmetterlinge und den Regen. Sie weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie sehnte sich zurück. Sie konnte rein gar nichts an dem neuen Leben genießen. Und sie versuchte es erst gar nicht. "Wir werden ganz schnell verwelken, glaub mir's."

Flavia hätte so gerne mit Barbie getauscht. Sie war todunglücklich darüber, einfach stehengelassen worden zu sein. Auf dieser langweiligen Wiese. Sie konnte es nicht begreifen, daß man sie mißachtet hatte und konnte sich seitdem an nichts mehr erfreuen. Sie wartete auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Chance. Auf ein neues kleines Mädchen. Sie sah die Schmetterlinge in ihrem Tanz nicht mehr, sie spürte weder die Wärme der Sonne noch den sanften Wind - sie dachte nur noch daran, wie es wäre, endlich gepflückt und bewundert zu werden...

Hätte Lilly das alles geahnt, sie hätte sich sicher anders entschieden.

Die Tage gingen dahin. Viona blühte auf und erfreute die kleine Wiese und deren Bewohner mit ihrem Duft. Flavia jedoch verbitterte. Die Blütenblätter verloren ihre Anmut und ihr Nektar wurde bitter. Die Schmetterlinge mieden sie. Viona versuchte sie stets aufzumuntern, aber es war vergeblich. Flavia wollte nicht verstehen. Sie war unzufrieden und sehnte sich nach einem besseren Morgen. WENN sie doch endlich gepflückt wurde, dann ginge es ihr viel besser! WENN die Menschen endlich ihren Duft und ihre Schönheit lobten, dann würde sie aufblühen wie noch nie! WENN Lilly endlich wiederkäme und sie mitnähme... Aber Lilly kam nicht. Keiner kam vorbei und bewunderte sie. Und so versäumte sie einen freudvollen Tag nach dem anderen.

Sie war nicht allein in ihrem Schmerz. Barbie fühlte sich genauso elend. Nichts war mehr schön - alles war nur noch düster. Die Vase ist hübsch? Blödsinn - sie war einfach nur eine Todesfalle! Die Menschen bewundern sie? Quatsch, sie waren dumme Mörder, die nicht verstanden, daß sie hier nicht hergehörte. Und so bohrte sie ihre Dornen bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, in die Finger der Menschen. "Ich muß sie bekämpfen", dachte sie, "vielleicht geben sie mich dann zurück. Ich bin nicht wie Scarlett. Wie kann man nur so dumm sein. Sie ist hier gefangen und dem Tode preisgegeben, aber sie sieht das einfach nicht und ist den Menschen auch noch dankbar! Mein Leben ist verwirkt. Nie wieder kann ich einem Schmetterling Nektar schenken, nie wieder werde ich den warmen Sommerregen erleben! Oh mein Gott - ich ertrage das nicht!" Sie verzweifelte von Tag zu Tag mehr. Ihre Blütenblätter wurden braun und fielen ab, eins nach dem anderen. Ihr Herz blutete. Sie empfand Scarletts Verhalten als Hochverrat, aber insgeheim beneidete sie sie um ihre Gelassenheit und daß sie das alles einfach so annehmen konnte. Und Scarlett wurde immer schöner. Ihr gefiel es, bewundert zu werden und sie liebte die Menschen dafür. Und die Menschen liebten sie.

Flavia und Barbie verwelkten. Viel zu schnell. Die eine auf ihrer Wiese, die andere in ihrer Vase. Beide aus Kummer über die Situation, in der sie sich befanden. Sie konnten sich nicht mehr freuen und wurden ihres Lebens müde. Sie fühlten sich von Gott betrogen. Die schöne gelbe Flavia und die hübsche pinkfarbene Barbie wurden unansehnlich und ihr einstmals lieblicher Duft verkehrte sich ins Gegenteil.

Viona und Scarlett dagegen blühten noch lange und bezauberten ihre Umwelt mit ihrem Duft und ihren Farben.
 

Rafi

Mitglied
Hallo, WildChild!

Eine hübsche kleine Parabel hast Du da verfasst. Zwar nicht die neueste aller Erkenntnisse, aber wirklich gut verpackt und sehr schön geschrieben.
Ein kleiner Tipp vielleicht: Die „Wows“ passen irgendwie nicht in den allgemeinen Duktus. Mir würde es wahrscheinlich noch besser gefallen, bliebest Du durchgehend bei der poetischeren, märchenhaften Sprache.

Liebe Grüße
Rafi
 

WildChild

Mitglied
4 Rosen

Da standen sie. Majestätisch und einzigartig. Man konnte wirklich nicht sagen, welche von ihnen die Schönste war, denn sie waren alle göttlich perfekt. Frisch und jung wiegten sie sich in der Morgensonne. Eine grüne Wiese am Rande eines Berghangs war ihr Zuhause: Viona, Flavia, Barbie und Scarlett - vier wunderschöne Rosen in vier unterschiedlichen Farben. Wie sie dorthin gekommen waren, kann heute niemand mehr sagen.

Viona war eine bezaubernde weiße Rose. Sie genoß ihr Leben und war stets mit allem zufrieden. Sie liebte die Aussicht in das große Tal, die wärmende Morgensonne, die vielen kleinen Insekten, die sie umschwirrten. Vor allem die Schmetterlinge! Es kitzelte, wenn sie auf ihr landeten und in den Blütenkelch krabbelten. Und erst der Regen! Frisches, kühles Wasser, das an ihr hinunterlief... Sie liebte einfach alles. Ja, das Leben war wunderschön.

Flavia, eine leuchtend gelbe Rose, war eitel. Sie fühlte sich zu Höherem berufen. Immer nur auf der Wiese - das konnte es doch nicht sein! Nicht für sie! Die vielen herumschwirrenden Insekten waren ihr lästig, die Schmetterlinge fand sie albern, der Regen war zu naß und die Sonne zu heiß. Sie wollte gepflückt werden, wollte bewundert und bestaunt werden, jeder sollte sehen, wie schön sie war!

Barbie dagegen fühlte sich auf ihrer Wiese sehr wohl. Sie war eine hübsche, pinkfarbene Rose. In ihren Augen war sie die ungekrönte Königin der Wiese, alles hier war nur für sie da. Die Schmetterlinge flogen besonders gern zu ihr, die Sonne schien nur für sie, der Regen spendete sein feuchtes Naß exklusiv für sie - weil sie so wunderschön war. Die Wiese war ihr Zuhause.

Scarlett war eine umwerfend schöne rote Rose. Wie Viona genoß sie einfach nur ihr Dasein. Sie wandte sich freudig der Sonne zu, lud die Insekten zum Nektartrinken ein und weidete ihre Augen an der tollen Aussicht. Alles war in Ordnung so wie es war.

Woher sie plötzlich kam, konnte niemand sagen. Aber auf einmal war sie da: Lilly, ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen und einem braunen Hund an der Leine. Als sie der Rosen ansichtig wurde, erstrahlten ihre Augen. "Ui, sehen die toll aus!" rief sie aus. "Die muß ich haben!" Sie rannte auf die Rosen zu. "Au ja, ich nehme die beiden roten! Mama wird sich freuen!"

Und da passierte es: Knack! Barbie war gepflückt. Sie fiel vor Schreck in Ohnmacht. Knack! Scarlett fiel. Flavia reckte sich dem Mädchen zu und erwartete ebenfalls ihr Gepflücktwerden.... Aber halt, was war das? Lilly nahm die Hundeleine in die Hand und wandte sich zum Gehen. "Halt!!" schrie Flavia, "Du hast mich vergessen! Ich will auch mit!" Leider konnte Lilly sie nicht hören. "Hey! Warte!! Du kannst doch nicht ohne mich gehen!" Die Worte Flavias gingen in einem Schluchzen unter. "Ich wollte doch mit", weinte sie. Ich will weg hier, will was erleben!" Viona versuchte sie zu trösten: "Vielleicht kommt sie ja zurück. Bis dahin kannst du dich doch weiter an unserer Wiese erfreuen." - "Pfft, das will ich aber nicht! Die Wiese ist langweilig! Ich will weg!" Sie sah trotzig dem davoneilenden Kind nach. Lilly sprang vergnügt über die Wiese und war sich nicht bewußt, was sie mit ihrer Wahl ausgelöst hatte. Sie freute sich einfach nur darauf, ihrer Mama die beiden Rosen zu bringen. Sie sang ein Liedchen und blickte nicht zurück....

Flavia war noch immer geschockt. Wieso nur hatte man sie nicht mitgenommen! Sie! Sie war doch eindeutig die Schönste hier! So ein dummes Mädchen. Hatte keine Ahnung von Schönheit. Hat stattdessen diese eingebildete Barbie mitgenommen! Und diese selbstgefällige Scarlett. Einfach unverständlich! Aber vielleicht bemerkt die Kleine ja ihren Irrtum noch und kommt zurück? Flavia straffte sich, richtete sich hoch auf und duftete nochmal so stark, in der Hoffnung, das Mädchen würde zurückkommen.... "Warum möchtest du denn unbedingt weg von hier? Gefällt es dir hier nicht?" fragte Viona. "Du verstehst das nicht!" entgegnete Flavia. "Ich bin was Besonderes! Ich möchte, daß die Menschen mich bewundern! Ich bin viel zu schade für Käfer und Schmetterlinge! Ich bin zu etwas Großem geboren. Das hier ist nichts für mich. Die Kleine kommt sicher bald zurück und holt mich. Sie MUSS ihren Irrtum einfach bemerken, sie muß...." - "Wenn du ganz fest daran glaubst, dann kann das auch passieren, aber halte dich nicht zu sehr daran fest. Bis dahin kannst du dich doch einfach weiterhin an dem Leben erfreuen, das du hier auf der Wiese hast. Wir haben es doch wirklich sehr schön hier. Und wer weiß, vielleicht ist das Gepflücktwerden ja sogar etwas Unangenehmes." - "Du hast keine Ahnung! Was bitte ist so schön daran, von Käfern bekrabbelt zu werden? Ich verstehe nicht, wie du so denken kannst!" entrüstete sich Flavia. "Nun, ich liebe es hier", entgegnete Viona. "Den Regen, die Sonne, die Aussicht...." - " Naja, wenn du meinst," unterbrach Flavia Vionas Schwärmerei. "Mir reicht das aber nicht, ich habe Ziele! Ich bin etwas Besonderes und kann mein Leben nicht auf einer Wiese vergeuden. Aber das verstehst du nicht." Für Flavia war das Gespräch gelaufen. Mit so einem selbstzufriedenen Ding wie Viona konnte man einfach nicht über höhere Ziele sprechen. Sie verfiel in Gedanken, versuchte den Schock zu verdauen...

Auch in Barbie saß der Schock noch tief, aber aus einem anderen Grund. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, wurde ihr erst richtig bewußt, was geschehen war. Etwas Fürchterliches, Nichtwiedergutzumachendes: Sie wurde entwurzelt und sah nun einem schnellen Verwelken entgegen! Das glaubte sie zumindest. Eine Katastrophe! Eine Ungeheuerlichkeit! Was sollte das? Wieso hat man sie von ihrer schönen Wiese entführt? Sie einfach lieblos abgebrochen und weggetragen? Eine schreiende Ungerechtigkeit! Ihr kamen die Tränen... "Warum weinst du?" fragte Scarlett. " Wir erleben grad ein aufregendes Abenteuer, das ist doch spannend!" - "Sag mal, hast du sie noch alle?" entrüstete sich Barbie. "Wir wurden grade gepflückt! Wir werden gleich sterben! Verstehst du das nicht? Blumen sterben, wenn sie gepflückt werden, das weiß doch jeder. Deswegen haben auch alle Blumen Angst davor." - "Ich weiß nicht, ich denke nicht, daß wir gleich sterben. Ich finde die ganze Sache eher interessant! Wo kommen wir hin? Wie wird unser neues Zuhause aussehen? Also ich habe keine Angst." - "Die wirst du schon noch bekommen, glaub mir!" Barbie verstand nicht, daß Scarlett so gelassen sein konnte.

Lilly erreichte mit Barbie und Scarlett in den Händen ihr Häuschen. Strahlend lief sie in die Küche. "Mama, Mama, schau mal die schönen Blumen!" rief sie. "Oh, die sind ja wirklich schön!" freute sich ihre Mutter. "Sind die für mich?" - "Ja Mama, die hab ich draußen auf der Wiese gefunden! Riech mal, sie duften ganz toll!"

Barbie und Scarlett wurden in eine wunderschöne lange Vase gestellt und auf dem Wohnzimmertisch hübsch arrangiert. "Schau mal die tolle Umgebung! Ist das nicht aufregend?" freute sich Scarlett. "Die Kleine ist so lieb, sie hat uns hierher gebracht, damit wir den Menschen Freude bringen." - "Na klar doch", grunzte Barbie böse, "Freude bringen für unsere Mörder! Bald sind wir nur noch ein welker Haufen Blütenblätter! Du hast echt keine Ahnung!" Barbie hatte Angst. Angst vor einem baldigen Tod. Sie sehnte sich nach ihrem alten Leben auf der Wiese zurück. Sie wollte nicht hier sein. Sie weigerte sich verbissen, die neue Situation anzunehmen. Es MUSS einen Weg zurück geben! Es darf nicht so enden. "Also ich finde es toll hier", meinte Scarlett. "Wir haben eine schöne Vase bekommen und frisches Wasser. Und schau nur, wie die Menschen uns bewundern! Sie schnuppern an uns und loben unsere Schönheit. Ich finde, wir sollten uns mit der Situation abfinden und das Schöne daran sehen. Wir sind etwas Besonderes, man hat uns ausgewählt. Wir können es sowieso nicht mehr ändern, Barbie. Selbst wenn wir auf unsere Wiese zurückkämen - wir können ja nicht wieder am Stengel anwachsen. Also warum nicht einfach abwarten was diese neue Zeit bringt und das Beste daraus machen?" Aber Barbie wollte das nicht. Für sie war es eine echte Qual. Sie vermißte ihre Wiese, ihre Schmetterlinge und den Regen. Sie weigerte sich, das Unabänderliche zu akzeptieren. Sie sehnte sich zurück. Sie konnte rein gar nichts an dem neuen Leben genießen. Und sie versuchte es erst gar nicht. "Wir werden ganz schnell verwelken, glaub mir's."

Flavia hätte so gerne mit Barbie getauscht. Sie war todunglücklich darüber, einfach stehengelassen worden zu sein. Auf dieser langweiligen Wiese. Sie konnte es nicht begreifen, daß man sie mißachtet hatte und konnte sich seitdem an nichts mehr erfreuen. Sie wartete auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Chance. Auf ein neues kleines Mädchen. Sie sah die Schmetterlinge in ihrem Tanz nicht mehr, sie spürte weder die Wärme der Sonne noch den sanften Wind - sie dachte nur noch daran, wie es wäre, endlich gepflückt und bewundert zu werden...

Hätte Lilly das alles geahnt, sie hätte sich sicher anders entschieden.

Die Tage gingen dahin. Viona blühte auf und erfreute die kleine Wiese und deren Bewohner mit ihrem Duft. Flavia jedoch verbitterte. Die Blütenblätter verloren ihre Anmut und ihr Nektar wurde bitter. Die Schmetterlinge mieden sie. Viona versuchte sie stets aufzumuntern, aber es war vergeblich. Flavia wollte nicht verstehen. Sie war unzufrieden und sehnte sich nach einem besseren Morgen. WENN sie doch endlich gepflückt wurde, dann ginge es ihr viel besser! WENN die Menschen endlich ihren Duft und ihre Schönheit lobten, dann würde sie aufblühen wie noch nie! WENN Lilly endlich wiederkäme und sie mitnähme... Aber Lilly kam nicht. Keiner kam vorbei und bewunderte sie. Und so versäumte sie einen freudvollen Tag nach dem anderen.

Sie war nicht allein in ihrem Schmerz. Barbie fühlte sich genauso elend. Nichts war mehr schön - alles war nur noch düster. Die Vase ist hübsch? Blödsinn - sie war einfach nur eine Todesfalle! Die Menschen bewundern sie? Quatsch, sie waren dumme Mörder, die nicht verstanden, daß sie hier nicht hergehörte. Und so bohrte sie ihre Dornen bei jeder Gelegenheit, die sich ergab, in die Finger der Menschen. "Ich muß sie bekämpfen", dachte sie, "vielleicht geben sie mich dann zurück. Ich bin nicht wie Scarlett. Wie kann man nur so dumm sein. Sie ist hier gefangen und dem Tode preisgegeben, aber sie sieht das einfach nicht und ist den Menschen auch noch dankbar! Mein Leben ist verwirkt. Nie wieder kann ich einem Schmetterling Nektar schenken, nie wieder werde ich den warmen Sommerregen erleben! Oh mein Gott - ich ertrage das nicht!" Sie verzweifelte von Tag zu Tag mehr. Ihre Blütenblätter wurden braun und fielen ab, eins nach dem anderen. Ihr Herz blutete. Sie empfand Scarletts Verhalten als Hochverrat, aber insgeheim beneidete sie sie um ihre Gelassenheit und daß sie das alles einfach so annehmen konnte. Und Scarlett wurde immer schöner. Ihr gefiel es, bewundert zu werden und sie liebte die Menschen dafür. Und die Menschen liebten sie.

Flavia und Barbie verwelkten. Viel zu schnell. Die eine auf ihrer Wiese, die andere in ihrer Vase. Beide aus Kummer über die Situation, in der sie sich befanden. Sie konnten sich nicht mehr freuen und wurden ihres Lebens müde. Sie fühlten sich von Gott betrogen. Die schöne gelbe Flavia und die hübsche pinkfarbene Barbie wurden unansehnlich und ihr einstmals lieblicher Duft verkehrte sich ins Gegenteil.

Viona und Scarlett dagegen blühten noch lange und bezauberten ihre Umwelt mit ihrem Duft und ihren Farben.
 

Languedoc

Mitglied
Hallo WildChild,

Stilistisch wirkt der Text stellenweise etwas zu gut gemeint bemüht konstruiert nach meinem Geschmack, auch die Orthografie sitzt nicht immer passend, aber die Geschichte hat mich voll angesprochen. Solche scheinbar einfachen Botschaften gehen direkt in mein weiches Herz :) - habs gern gelesen vorhin.
Würde die Geschichte gerne Mädchen im Alter der Lilly vorlesen...
Viel Freude beim Schreiben
wünscht
Languedoc
 



 
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