Vom Himmel her kamen sie

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MiauKuh

Mitglied
Ich ging durch die Gassen der düsteren Wälder
im Mondschein der gestrigen, nebligen Nacht.
Da hört ich von fern her ein Wuscheln der Felder,
gleich schaurigem Grunzen das fürchterlich lacht.

Ich wandte mich zu ihm und schlich durch den Nebel
im Rücken ein kräftiger, mächtiger Stock.
Da sprang es, ich zuckte und schwang meinen Flegel
genau in die Richtung vom schreckenden Bock.

Der Bock fiel zu Boden und röchelte liegend,
mein Herz pochte hämmernd vor Schreck und vor Angst.
Vom Himmel her kamen sie krähend und fliegend
und labten am Wild ihren fedrigen Wanst.

Sie schmatzten und schlangen die Stücke in Schlunden
hinunter, im Hunger nach wärmenden Fleisch.
Ihr Picken glich Ticken von Pickeln in Wunden,
im Taktschlag vom kauzigen Krähengekreisch.

Dann flogen sie fort und ich sah zum Kadaver
und sah was geblieben vom toten Getier.
Nicht viel war es leider und dennoch und aber
die Hörner des Bockes die nahm ich zu mir.

Ich zieh durch die Gassen der düsteren Wälder,
im Mondschein der heutigen, nebligen Nacht.
Ein Jäger vom fernen, vom fernsten der Felder,
sieht nur meine Hörner – Was er da wohl macht?
 

whitepaper

Mitglied
Da mich einiges aus Deinem Gedicht 'irgendwie anmacht', gefällt, wage ich es mal, Dir etwas dazu zu schreiben.
Das fällt mir alles andere als leicht.
Zunächst und wichtig:
Zeigst Du mit diesem wie auch mit anderen Gedichten für mich, dass Du in ihnen sehr stark erzählen kannst. Du baust etwas auf und bringst am Schluss etwas rein, das greift und/oder wendet.
So hast Du mich auch hierbei wieder mit eben etwas dadurch anziehend abholen können.

So will ich für mich 2 Höhepunkte nennen:

1) Mal wieder der Schluss! Passt, knockt, für mich sehr gelungen.

2) Du beweist für mich in grossen Passagen sehr gutes Sprach- und Bildgefühl
eine von vielen für mich herausragend:
Ihr Picken glich Ticken von Pickeln in Wunden
Kongruenz von Inhalt & Form aufs Schärfste, finde ich.
Ich höre beim Lesen monoton-gnadenloses Picken vom lieben Krähengeviehchs ... und es tut auch praktisch körperlich weh in dieser Zeile.

Daneben 2 Schwierigkeiten:

1) An anderen Stellen gelingt es Dir gar nicht so, das nachvollziehend aufzubauen - aber eben vielleicht auch nur für mich ... sowas ist natürlich immer sehr subjektiv.
Ganz gefährlich gerade am Anfang wirkt für mich:
ein Wuscheln der Felder,
gleich schaurigem Grunzen das fürchterlich lacht.
Da komme ich weder mit dem 'Wuscheln der Felder' klar noch mit dem 'schaurigen Grunzen, das fürchterlich lacht' in bezug auf einen (dann auch noch eher leicht durch einen Hieb zu erlegenden) "Bock".

2) So sehr mir der Schluss auch gefällt, munkelt in mir, dass das Gesamtbild des Gedichts nur in einer zugänglichen Übertragung so Sinn ergeben würde. Es beschreibt ja in der Vorgehensweise und v.a. Geschwindigkeit des gefrässigen Vollverschlingens ohne Überbleibsel in den Tieren eine ehe non-reale Szenerie. Zumindest für die gemeine Krähe. Was an sich nicht schlimm ist, wenn die Übertragung des Bildes eben eingeht.
Mir ist es so nicht zugänglich/klar.
Ich könnte mir eben selbst auch sehr phantasievolle Reime anschliessend bilden, wofür es stehen könnte. Irgendwie sagt es das für mich aber nicht, bzw. es findet sich nicht einmal eine Andeutung darin, was in dem alles beherrschenden Federvieh von oben gesehen werden sollte.
So steh ich armer Tor am Ende da und denk mir eben "wieder ein sehr feiner Schluss ... aber: wohin? was meint es/deutet es an?"
Es kann eben auch sein, dass sich das für andere Leser viel besser/einfacher erschliesst. Vielleicht passt dann sogar die Stelle mit "Wuscheln und fürchterlich lachendem Grunzen" rein.
... Nur: Ich blick's einfach nicht. Das ist durchaus möglich und wäre mir auch nicht peinlich.

So steh ich einfach da. Und schreib etwas dazu. Vielleicht, damit das, was mich daran anmacht, nicht untergeht, vielleicht, weil ich doch noch etwas Erleuchtung zum anderen erhoffe, die anderen Lesern leichter von der Hand gehen kann.

Auf jeden Fall auch hier wieder viel drin, was gefällt - neben eben einigen Fragezeichen.
 

MiauKuh

Mitglied
Hallo whitepaper,

für diesen Kommentar möchte ich mich herzlich bedanken, er ist einer der präzisesten, die ich je bekommen habe.

Du hast das in dem Gedicht zwei Schwierigkeiten markiert:

1)
ein Wuscheln der Felder,
gleich schaurigem Grunzen das fürchterlich lacht.
Diese Zeilen dienten der Stimmungsuntermalung, es sollte ein Schaudern erzeugt werden. Tatsächlich würde ein Feld nie schaurig Grunzen und fürchterlich lachen.

Gefiele dir, um es besser zu verstehen, die folgende Variante besser?

"Da hört ich von fern her ein Wuscheln der Felder
und darin ein Grunzen das fürchterlich lacht."

Es würde das Geräusch vom Feld entkoppeln und auf etwas anderes hindeuten (den Bock)?

2) Der Schluss, beziehungsweise das Krähenfest:
die Krähen sollen einen Schrecken erzeugen, zum Gruseln anregen, sie picken und klackern und ticken im Fleisch herum, fressen es de facto komplett auf und lassen nichts über, außer die Hörner, was wirklich sehr unreal ist, wie du ja auch empfunden hast.

Was den Schluss angeht: ich wollte die Frage aufwerfen was passiert, wenn man sich im Nebel mit Hörnern, die aus dem Weiß hervorstehen, bewegt und ein Jäger die Hörner sieht, es ist wirklich nicht mehr als genau das, dass man dann erschossen werden kann. Es ist ein bisschen, dass ich auch ausdrücken wollte das man sich nicht mit Trophäen "Schmücken" sollte. Wer weiß, was dann passiert?

Für deine scharfsinnige Analyse möchte ich dir jedenfalls nochmal danken whitepaper, für das Lob natürlich auch, es ist schön zu lesen, dass dir meine Gedichte und meine Sprache zusagen. Du kannst mich auch immer anschreiben, oder Kommentieren, ich werde mir sehr gerne die Zeit nehmen und dir ausführlich erklären was ich mir so gedacht habe (sofern es denn so war) und sofern du das möchtest. Ich bin allerdings nicht der tiefsinnigste :)

Mich hat übrigens etwas gewundert, du schreibst: der Text hat dich angemacht. Im Sinne von gefallen, oder im Sinne von erotisch gefallen? Im letzteren Sinne ist es vielleicht, dass er sehr rau ist, harsch und das durchaus durchgeschlagen hat, diese Sprache habe ich in manchen Gedichten drauf. Vielleicht liest du ja noch etwas mehr von mir, und du machst dir dann ein paar Bilder darüber, was dir hier gefallen hat / dich angemacht hat und du verstehst dich selber vielleicht besser und ich es auch, denn ich möchte gerne wissen warum es das tut, wenn es so ist. Was mir auch wirklich hilft sind kritische Kommentare und Anmerkungen, die mir zeigen, wo ich ungenau war oder besser werden kann. Scheu dich bei mir wirklich nicht, es lohnt sich für mich und bestimmt auch für dich. Denn ich bin dir für deine ehrliche Einschätzung dankbar.

Liebe Grüße,
MiauKuh
 

whitepaper

Mitglied
Also ich komm dabei mit dem Wuscheln immer noch nicht so zurecht.

Wenn die zweite Zeile mit allem so stehen bleiben soll, würde ich vielleicht

Da wurd aus fernem Hauch sich wiegender Felder
ein schauriges Grunzen, das fürchterlich lacht.
oder
Da wurde der ferne Hauch sich wiegender Felder
zu einem schaurig Grunzen, das fürchterlich lacht.

drüberstellen. Aber keine Ahnung, ob das dann für Dich / für andere nicht auch eine Verschlimmbersserung wäre. Das ist doch alles oft sehr subjektiv.

(Nein, ich habe eher ein sehr umgangssprachliches 'angemacht' wahrscheinlich zu salopp hineingebracht. Einfach recht neutrales 'gefällt', keine erotische Ebene.)
 

Sidgrani

Mitglied
Hallo MiauKuh,

eine schrecklich schöne Ballade hast du uns da vorgesetzt. Sie lässt sich flüssig lesen und bietet einen Spannungsboden, der sich am Schluss in einer kleinen Pointe auflöst.

Ich hatte die Pointe allerdings völlig anders verstanden. Du hast die Hörner und in der Ferne weilt der Jäger, der dir, während du wanderst, Hörner aufsetzt - völlig daneben, aber ich finde es lustig.

Sie schmatzten und schlangen die Stücke in Schlunden
hinunter, im Hunger nach wärmende[red]m[/red] Fleisch.
Ich meine, da gehört ein "m" hin.

Ich habe deine Ballade mehrfach mit viel Spaß gelesen, so etwas gefällt mir.

Liebe Grüße
Sidgrani
 



 
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