15 (Kriminalnovelle) - 4. Adam

xavia

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4. Adam

Der Bahnhof wirkt verlassen. Nur eine Gruppe Jungs steht vor einer Mauer rechts vom Bahnhof, etwa zehn, zwanzig Meter von ihr entfernt. Die Jungs reden offenbar über sie, denn der eine oder andere sieht immer mal betont unauffällig zu ihr herüber während andere auffallend in andere Richtungen sehen. Sie will nichts mit ihnen zu tun haben, sicherlich trinken die auch gerade. Sie sieht Dosen in ihren Händen, wendet sich ab, um nach einer Hinweistafel mit den Abfahrtszeiten der Züge zu suchen und nach einer Uhr. Als sie die Tafel studiert, merkt sie, dass einer der Jungs zu ihr gekommen ist und nun ebenfalls auf die Tafel blickt.
[ 5]»Ich weiß, du kennst mich nicht. – Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
[ 5]»Lass' mich in Ruhe.«
[ 5]»Der Wert von Ruhe wird oft überschätzt. Das Leben ist kurz. Ehe du dich versiehst, bist du alt und hast mehr Ruhe als dir lieb ist. Es wäre doch nett, ein wenig zu gehen und zu plaudern. Ich bin Adam.«
[ 5]»Wer's glaubt …«
[ 5]»Das sagen sie alle, ich heiße aber wirklich so.«
[ 5]Jetzt sieht sie sich den Typen an. Freundlich lächelnd steht er in respektvollem Abstand da und sieht sie mit seinen blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben. Er sieht sehr gut aus und eigentlich ganz harmlos, scheint nicht viel älter zu sein als sie selbst. Ihr kommt es so vor, als wirke er auch ein wenig ängstlich hinter seiner Fassade von Selbstbewusstsein und das findet sie irgendwie rührend. – Warum soll sie sich nicht einen anderen Begleiter suchen, nachdem Frank sie so enttäuscht hat? Dieser scheint ja immerhin nüchtern zu sein.
[ 5]»Ich muss heute noch zurück nach Oldenburg. Mit dem Zug.«
[ 5]»Was für ein Glück, dass du mich getroffen hast. Der nächste Zug kommt in einer Stunde, ich habe eben einen abfahren sehen. Es wäre doch traurig, die Zeit bis dahin allein herumbringen zu müssen. Komm, ich zeig' dir Varel bei Nacht«, sagte er mit verheißungsvollem Tonfall und einer Geste, wie sie bei Zirkusleuten üblich ist.
[ 5]»Ich darf aber den nächsten Zug nicht verpassen«, wendet Sabrina ein.
[ 5]»Gar kein Problem, ich hab' 'ne Uhr dabei. Guck hier, der Zug fährt immer um fünf vor. – Jede Menge Zeit für uns.«
[ 5]Eigentlich müsste sie misstrauisch sein, aber sie fühlt sich erleichtert. Ist froh, dass einer weiß, was er will, wo sie sich so unsicher fühlt. Also ergreift sie vertrauensvoll die angebotene Hand, die sich warm anfühlt und denkt sich nichts dabei, dass Adam wahrscheinlich einer aus der Gruppe an der Mauer ist, die jetzt weniger unauffällig, eher gespannt, herüberschauen. Auch Adam scheint das nicht zu kümmern und er schlendert mit Sabrina scheinbar ziellos davon.
[ 5]Unterwegs fragt er sie, woher sie kommt und mit wem sie hier ist und wo alle sind und sie erzählt ihm von dem misslungenen Ausflug an den Strand. Adam ist beeindruckt von dem weiten Weg, den sie zu Fuß zurückgelegt hat und Sabrina ist ein wenig stolz auf ihre Leistung.
[ 5]»Und nun bist du hier ganz alleine und keiner weiß, dass du hier bist?«, fragt er.
[ 5]»Nicht ganz alleine, du bist ja bei mir.«
[ 5]Er umarmt sie: »Stimmt. Ich bin ja bei dir. – Guck mal, da bin ich zur Schule gegangen.«
[ 5]Er führt sie auf das Gelände der Schule, guckt durch die Glastür hinein. Sabrina tut das auch, es ist aber nichts zu sehen. Alles ist dunkel in dem modernen Schulgebäude. An einem Samstagabend hält sich niemand dort auf. Sie gehen um das Gebäude herum und als sie in einer Art Innenhof sind, umgeben von drei Hauswänden, wechselt Adams Verhalten plötzlich von scheinbar entspannt auf drohend. Er hat ein Springmesser aus der Tasche gezogen und zeigt ihr die Klinge:
[ 5]»Leg dich da hin! Wenn du schreist, stech' ich dich ab!«
[ 5]Sie ist völlig überrumpelt, tut, was er sagt, zittert.
[ 5]Er steckt das Messer wieder ein, beugt sich über sie, öffnet ihre Jeans, zieht sie herunter und zieht sie ihr aus.
[ 5]»Nein, bitte nicht!«
[ 5]»Halt die Klappe!«
[ 5]Was kann sie tun? Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhafen und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Sie kann nur warten, bis es vorbei ist und die ganze Angelegenheit schnell vergessen. Es ist nur mein Körper, sagt sie sich. Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas tun.
[ 5]Jetzt öffnet er auch seine Jeans, kniet sich zwischen ihre Beine.
[ 5]Sie denkt: ›Wenn es nur schon vorbei wäre.‹
[ 5]Aber es dauert lange, viel zu lange. Endlos.
[ 5]Sie versucht, ihren Körper zu verlassen und beiseite zu treten. ›Das ist nur mein Körper, mit dem er das macht. Ich bin das nicht, was hier liegt‹, sagt sie sich immer wieder.
[ 5]Dann ist es endlich vorbei. Sie ziehen sich an und er führt sie zurück zum Bahnhof, ist nun wieder die Freundlichkeit in Person, bietet ihr Fahrgeld an und will sich für das nächste Wochenende mit ihr verabreden. – Sie kann es nicht fassen: Wie kommt er darauf, dass sie ihn wiedersehen will? Aber er sieht sie ganz ernsthaft und erwartungsvoll an.
[ 5]Sie überlegt, dass sie mit der Polizei zu der Verabredung kommen könnte. Wahrscheinlich würden die hinter ihrem Rücken zusammen mit Adam ihre Witze machen über das naive Kind. Später ärgert sie sich, dass sie nicht darauf eingegangen ist: Hätte er doch wenigstens vergeblich auf sie warten sollen! Aber sie lehnt Geld und Verabredung ab.
[ 5]Er nimmt die silberne Kette, die er um den Hals trägt, ab und gibt sie ihr. Es sieht so aus, als glaube er, das Geschehene wieder gutmachen zu können. »Ist echt Silber«, sagt er etwas hilflos. Sie will die Kette nicht, er steckt sie ihr in die Hosentasche.
[ 5]Sie geht zum Bahnsteig, nur weg von ihm. Sie fühlt sich besudelt. Schämt sich. Weint. Steigt in den Zug. – Wie konnte sie nur so dumm sein? – Wie kann dieser Mann nur glauben, dass sie sich mit ihm verabreden würde? Hat er denn gar keine Ahnung, was er ihr angetan hat? Der Schaffner fragt, ob alles in Ordnung sei. Sie versichert ihm, dass sie nur Ärger mit ihrem Freund hätte und weint leise vor sich hin.
[ 5]In Oldenburg am Bahnhof, als sie auf den Bus wartet, spricht ein junger Mann sie an. Er versucht, herauszufinden, warum sie so unglücklich aussieht und warum sie, jung wie sie ist, mitten in der Nacht allein hier herumsteht. Sie versucht, ihn abzuwimmeln, will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Sie weiß, dass sie das, was passiert ist, niemandem sagen kann, nicht mal einem Fremden, der es anscheinend gut mit ihr meint. Es ist sogar zu peinlich, es sich selbst zu erzählen und sie glaubt, niemals mehr jemandem vertrauen zu können.
 

FrankK

Mitglied
Hallo, Xavia
Der Höhepunkt im Abschnitt „Sabrina“ nähert sich. In vier Szenen bringst Du den Leser durch die erschreckende Situation, verpasst dabei allerdings die Möglichkit, eindringlich auf den Leser einzuwirken.

Erzählperspektive:
Einheitlich „personal auktorial“. Wir bleiben bei Sabrina, ihrer Gedanken- und Emotionswelt.

Figuren:
Adam tritt in Erscheinung, ansonsten bleiben ein Schaffner und ein besorgter „junger Mann“.

Sprache:
Durchgängig in Ordnung.

Spannungsbogen:
Hätte intensiver ausfallen können – und damit meine ich keine detaillierte Schilderung der Geschehnisse im Hinterhof der Schule.

Szenendetails:
+ Szene 1: Ankunft am Bahnhof
Ihre schüchterne Persönlichkeit kommt nicht zur Geltung, als „Adam“ sie anspricht. Hier könnte (wie bereits erwähnt) noch etwas Alkohol wirksam sein.

+ Szene 2: Spaziergang
Adam wirkt auf Sabrina ein, überredet sie zu einem nächtlichen Spaziergang.

+ Szene 3: Unsägliches Verhalten
Im Hinterhof des Schulgebäudes zeigt Adam sein wahres Gesicht

+ Szene 4: Fort
Sabrina hat es überstanden, Adam tut so, als wäre „doch gar nichts schlimmes“ passiert. Sabrina kommt mitten in der Nacht in Oldenburg an.

Allgemeines:
Hier wird der Leser in die erste schlimme Situation geführt, dies ist der Ausgang für alle nachfolgenden Kapitel.
Der Text schwächelt an zwei Stellen:
Die Gruppe um Adam - niemand folgt dem Pärchen um zu beobachten, was passiert.
Sabrinas verhalten - sie versucht sich einzureden, den Körper „verlassen zu können“ um nicht mit der Realität konfrontiert zu werden. Auf diese Art wird die Situation ziemlich „weich gespült“, auch ohne intensiv den „Akt“ bis ins kleinste zu beschreiben.

Erbsenzählerei:
Echt nicht viel in diesem Kapitel. ;)

Er [blue]umarmt[/blue] sie[red]:[/red]
Sie schlendern „Hand in Hand“ nebeneinander her, ins Bild würde besser passen
Er legte einen Arm um ihre Schultern.
Kein Doppelpunkt, dies ist keine Einleitung zur wörtlichen Rede, eine Umarmung „sagt“ nichts.

alle Einzelheiten dieses [red]ekelhafen[/red] und entwürdigenden
Korrektur: „ekelhaften“

Was kann sie tun? Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhafen und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Sie kann nur warten, bis es vorbei ist und die ganze Angelegenheit schnell vergessen. Es ist nur mein Körper, sagt sie sich. Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas tun.
Hier, in dieser Passage, an Stelle der gewünschten und erzählten Flucht aus dem Körper, sollte eine Schilderung ihrer Empfindungen erfolgen, sie sollte Details registrieren. (Die nichts mit dem Akt zu tun haben: der Geruch seines Atems, eine kleine Narbe am Ohr ...)


Grüßend
Frank
 

xavia

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4. Adam

Der Bahnhof wirkt verlassen. Nur eine Gruppe Jungs steht vor einer Mauer rechts vom Bahnhof, etwa zehn, zwanzig Meter von Sabrina entfernt. Die Jungs reden offenbar über sie, denn der eine oder andere sieht immer mal betont unauffällig zu ihr herüber während andere auffallend in andere Richtungen sehen. Sie will nichts mit ihnen zu tun haben. Sicherlich trinken die auch gerade. Sie sieht Dosen in ihren Händen, wendet sich ab, um nach einer Hinweistafel mit den Abfahrtszeiten der Züge zu suchen und nach einer Uhr. Als sie die Tafel studiert, merkt sie, dass einer der Jungs zu ihr gekommen ist und nun ebenfalls auf die Tafel blickt.
[ 5]»Ich weiß, du kennst mich nicht. – Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
[ 5]»Lass' mich in Ruhe.«
[ 5]»Der Wert von Ruhe wird oft überschätzt. Das Leben ist kurz. Ehe du dich versiehst, bist du alt und hast mehr Ruhe als dir lieb ist. Es wäre doch nett, ein wenig zu gehen und zu plaudern. Ich bin Adam.«
[ 5]»Wer's glaubt …«
[ 5]»Das sagen sie alle. Ich heiße aber wirklich so.«
[ 5]Jetzt sieht sie sich den Typen an. Freundlich lächelnd steht er in respektvollem Abstand da und sieht sie mit seinen blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben. Er sieht sehr gut aus und eigentlich ganz harmlos, scheint nicht viel älter zu sein als sie selbst. Ihr kommt es so vor, als wirke er auch ein wenig ängstlich hinter seiner Fassade von Selbstbewusstsein und das findet sie irgendwie rührend. – Warum soll sie sich nicht einen anderen Begleiter suchen, nachdem Frank sie so enttäuscht hat? Dieser scheint ja immerhin nüchtern zu sein.
[ 5]»Ich muss heute noch zurück nach Oldenburg. Mit dem Zug.«
[ 5]»Was für ein Glück, dass du mich getroffen hast. Der nächste Zug kommt in einer Stunde, ich habe eben einen abfahren sehen. Es wäre doch traurig, die Zeit bis dahin allein herumbringen zu müssen. Komm, ich zeig' dir Varel bei Nacht«, sagte er mit verheißungsvollem Tonfall und einer Geste, wie sie bei Zirkusleuten üblich ist.
[ 5]»Ich darf aber den nächsten Zug nicht verpassen«, wendet Sabrina ein.
[ 5]»Gar kein Problem, ich hab' 'ne Uhr dabei. Guck hier, der Zug fährt immer um fünf vor. – Jede Menge Zeit für uns.«
[ 5]Eigentlich müsste sie misstrauisch sein, aber sie fühlt sich erleichtert, ist froh, dass einer weiß, was er will, wo sie sich so unsicher fühlt. Also ergreift sie vertrauensvoll die angebotene Hand, die sich warm anfühlt und denkt sich nichts dabei, dass Adam wahrscheinlich einer aus der Gruppe an der Mauer ist, die jetzt weniger unauffällig, eher gespannt, herüberschauen. Auch Adam scheint das nicht zu kümmern und er schlendert mit Sabrina scheinbar ziellos davon.
[ 5]Unterwegs fragt er sie, woher sie kommt und mit wem sie hier ist und wo alle sind und sie erzählt ihm von dem misslungenen Ausflug an den Strand. Adam ist beeindruckt von dem weiten Weg, den sie zu Fuß zurückgelegt hat und Sabrina ist ein wenig stolz auf ihre Leistung.
[ 5]»Und nun bist du hier ganz alleine und keiner weiß, dass du hier bist?«, fragt er.
[ 5]»Nicht ganz alleine, du bist ja bei mir.«
[ 5]Er legt einen Arm um sie: »Stimmt, ich bin ja bei dir. – Guck mal, da bin ich zur Schule gegangen.«

Er führt sie auf das Gelände der Schule, guckt durch die Glastür hinein. Sabrina tut das auch, es ist aber nichts zu sehen. Alles ist dunkel in dem modernen Schulgebäude. An einem Samstagabend hält sich niemand dort auf. Sie gehen um das Gebäude herum und als sie in einer Art Innenhof sind, umgeben von drei Hauswänden, wechselt Adams Verhalten plötzlich von scheinbar entspannt auf drohend. Er hat ein Springmesser aus der Tasche gezogen und zeigt ihr die Klinge:
[ 5]»Leg dich da hin! Wenn du schreist, stech' ich dich ab!«
[ 5]Sie ist völlig überrumpelt, tut, was er sagt, zittert.
[ 5]Er steckt das Messer wieder ein, beugt sich über sie, öffnet ihre Jeans, zieht sie herunter und zieht sie ihr aus.
[ 5]»Nein, bitte nicht!«
[ 5]»Halt die Klappe!«
[ 5]Was kann sie tun? Ihr Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhaften und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Da ist er sicherlich klar im Vorteil. ›Es ist nur mein Körper‹, sagt sie sich, ›das bin nicht ich‹. ›Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas. Ich lasse es nicht zu, dass er mich erreicht.‹
[ 5]Jetzt öffnet er auch seine Jeans, kniet sich zwischen ihre Beine.
[ 5]Voller Entsetzen versucht sie, auszublenden, was er da tut, denkt: ›Wenn es nur schon vorbei wäre.‹
[ 5]Aber es dauert lange, viel zu lange. Endlos.
[ 5]Sie hört seinen keuchenden Atem, versucht, auf andere Geräusche zu achten. Weit entfernt ist ein Auto zu hören. ›Das ist nur mein Körper, mit dem er das macht‹, sagt sie sich immer wieder, weigert sich, die Signale ihres Körpers wahrzunehmen und versucht, sich einzureden, dass sie ganz woanders ist.
[ 5]Dann ist es endlich vorbei. Sie ziehen sich an und er führt sie zurück zum Bahnhof, ist nun wieder die Freundlichkeit in Person, bietet ihr Fahrgeld an und will sich für das nächste Wochenende mit ihr verabreden. – Sie kann es nicht fassen: Wie kommt er darauf, dass sie ihn wiedersehen will? Aber er sieht sie ganz ernsthaft und erwartungsvoll an.
[ 5]Sie überlegt, dass sie mit der Polizei zu der Verabredung kommen könnte. Wahrscheinlich würden die hinter ihrem Rücken zusammen mit Adam ihre Witze machen über das naive Kind. Später ärgert sie sich, dass sie nicht darauf eingegangen ist: Hätte er doch wenigstens vergeblich auf sie warten sollen! Aber sie lehnt Geld und Verabredung ab.
[ 5]Er nimmt die silberne Kette, die er um den Hals trägt, ab und gibt sie ihr. Es sieht so aus, als glaube er, das Geschehene wieder gutmachen zu können. »Ist echt Silber, eine Fledermaus«, sagt er etwas hilflos. Sie will die Kette nicht, er steckt sie ihr in die Hosentasche.
[ 5]Sie geht zum Bahnsteig, nur weg von ihm. Sie fühlt sich besudelt. Schämt sich. Weint. Steigt in den Zug. – Wie konnte sie nur so dumm sein? Wie kann dieser Mann nur glauben, dass sie sich mit ihm verabreden würde? Hat er denn gar keine Ahnung, was er ihr angetan hat? Der Schaffner fragt, ob alles in Ordnung sei. Sie versichert ihm, dass sie nur Ärger mit ihrem Freund hätte und weint leise vor sich hin. Jede Erinnerung an das schreckliche Erlebnis, die vor ihen inneren Sinnen hochkommt, kämpft sie sogleich nieder, verschließ sie in einer dunklen Kammer in ihrem Inneren, in die sie nie, nie, nie hineinsehen will.
[ 5]In Oldenburg am Bahnhof, als sie auf den Bus wartet, spricht ein junger Mann sie an. Er versucht, herauszufinden, warum sie so unglücklich aussieht und warum sie, jung wie sie ist, mitten in der Nacht allein hier herumsteht. Sie versucht, ihn abzuwimmeln, will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Sie weiß, dass sie das, was passiert ist, niemandem sagen kann, nicht mal einem Fremden, der es anscheinend gut mit ihr meint. Es ist sogar zu peinlich, es sich selbst zu erzählen und sie glaubt, niemals mehr jemandem vertrauen zu können.
 

xavia

Mitglied
4. Adam

Der Bahnhof wirkt verlassen. Nur eine Gruppe Jungs steht vor einer Mauer rechts vom Bahnhof, etwa zehn, zwanzig Meter von Sabrina entfernt. Die Jungs reden offenbar über sie, denn der eine oder andere sieht immer mal betont unauffällig zu ihr herüber während andere auffallend in andere Richtungen sehen. Sie will nichts mit ihnen zu tun haben. Sicherlich trinken die auch gerade. Sie sieht Dosen in ihren Händen, wendet sich ab, um nach einer Hinweistafel mit den Abfahrtszeiten der Züge zu suchen und nach einer Uhr. Als sie die Tafel studiert, merkt sie, dass einer der Jungs zu ihr gekommen ist und nun ebenfalls auf die Tafel blickt.
[ 5]»Ich weiß, du kennst mich nicht. – Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
[ 5]»Lass' mich in Ruhe.«
[ 5]»Der Wert von Ruhe wird oft überschätzt. Das Leben ist kurz. Ehe du dich versiehst, bist du alt und hast mehr Ruhe als dir lieb ist. Es wäre doch nett, ein wenig zu gehen und zu plaudern. Ich bin Adam.«
[ 5]»Wer's glaubt …«
[ 5]»Das sagen sie alle. Ich heiße aber wirklich so.«
[ 5]Jetzt sieht sie sich den Typen an. Freundlich lächelnd steht er in respektvollem Abstand da und sieht sie mit seinen blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben. Er sieht sehr gut aus und eigentlich ganz harmlos, scheint nicht viel älter zu sein als sie selbst. Ihr kommt es so vor, als wirke er auch ein wenig ängstlich hinter seiner Fassade von Selbstbewusstsein und das findet sie irgendwie rührend. – Warum soll sie sich nicht einen anderen Begleiter suchen, nachdem Frank sie so enttäuscht hat? Dieser scheint ja immerhin nüchtern zu sein.
[ 5]»Ich muss heute noch zurück nach Oldenburg. Mit dem Zug.«
[ 5]»Was für ein Glück, dass du mich getroffen hast. Der nächste Zug kommt in einer Stunde, ich habe eben einen abfahren sehen. Es wäre doch traurig, die Zeit bis dahin allein herumbringen zu müssen. Komm, ich zeig' dir Varel bei Nacht«, sagte er mit verheißungsvollem Tonfall und einer Geste, wie sie bei Zirkusleuten üblich ist.
[ 5]»Ich darf aber den nächsten Zug nicht verpassen«, wendet Sabrina ein.
[ 5]»Gar kein Problem, ich hab' 'ne Uhr dabei. Guck hier, der Zug fährt immer um fünf vor. – Jede Menge Zeit für uns.«
[ 5]Eigentlich müsste sie misstrauisch sein, aber sie fühlt sich erleichtert, ist froh, dass einer weiß, was er will, wo sie sich so unsicher fühlt. Also ergreift sie vertrauensvoll die angebotene Hand, die sich warm anfühlt und denkt sich nichts dabei, dass Adam wahrscheinlich einer aus der Gruppe an der Mauer ist, die jetzt weniger unauffällig, eher gespannt, herüberschauen. Auch Adam scheint das nicht zu kümmern und er schlendert mit Sabrina scheinbar ziellos davon.
[ 5]Unterwegs fragt er sie, woher sie kommt und mit wem sie hier ist und wo alle sind und sie erzählt ihm von dem misslungenen Ausflug an den Strand. Adam ist beeindruckt von dem weiten Weg, den sie zu Fuß zurückgelegt hat und Sabrina ist ein wenig stolz auf ihre Leistung.
[ 5]»Und nun bist du hier ganz alleine und keiner weiß, dass du hier bist?«, fragt er.
[ 5]»Nicht ganz alleine, du bist ja bei mir.«
[ 5]Er legt einen Arm um sie. »Stimmt, ich bin ja bei dir. – Guck mal, da bin ich zur Schule gegangen.«

Er führt sie auf das Gelände der Schule, guckt durch die Glastür hinein. Sabrina tut das auch, es ist aber nichts zu sehen. Alles ist dunkel in dem modernen Schulgebäude. An einem Samstagabend hält sich niemand dort auf. Sie gehen um das Gebäude herum und als sie in einer Art Innenhof sind, umgeben von drei Hauswänden, wechselt Adams Verhalten plötzlich von scheinbar entspannt auf drohend. Er hat ein Springmesser aus der Tasche gezogen und zeigt ihr die Klinge:
[ 5]»Leg dich da hin! Wenn du schreist, stech' ich dich ab!«
[ 5]Sie ist völlig überrumpelt, tut, was er sagt, zittert.
[ 5]Er steckt das Messer wieder ein, beugt sich über sie, öffnet ihre Jeans, zieht sie herunter und zieht sie ihr aus.
[ 5]»Nein, bitte nicht!«
[ 5]»Halt die Klappe!«
[ 5]Was kann sie tun? Ihr Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhaften und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Da ist er sicherlich klar im Vorteil. ›Es ist nur mein Körper‹, sagt sie sich, ›das bin nicht ich‹. ›Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas. Ich lasse es nicht zu, dass er mich erreicht.‹
[ 5]Jetzt öffnet er auch seine Jeans, kniet sich zwischen ihre Beine.
[ 5]Voller Entsetzen versucht sie, auszublenden, was er da tut, denkt: ›Wenn es nur schon vorbei wäre.‹
[ 5]Aber es dauert lange, viel zu lange. Endlos.
[ 5]Sie hört seinen keuchenden Atem, versucht, auf andere Geräusche zu achten. Weit entfernt ist ein Auto zu hören. ›Das ist nur mein Körper, mit dem er das macht‹, sagt sie sich immer wieder, weigert sich, die Signale ihres Körpers wahrzunehmen und versucht, sich einzureden, dass sie ganz woanders ist.
[ 5]Dann ist es endlich vorbei. Sie ziehen sich an und er führt sie zurück zum Bahnhof, ist nun wieder die Freundlichkeit in Person, bietet ihr Fahrgeld an und will sich für das nächste Wochenende mit ihr verabreden. – Sie kann es nicht fassen: Wie kommt er darauf, dass sie ihn wiedersehen will? Aber er sieht sie ganz ernsthaft und erwartungsvoll an.
[ 5]Sie überlegt, dass sie mit der Polizei zu der Verabredung kommen könnte. Wahrscheinlich würden die hinter ihrem Rücken zusammen mit Adam ihre Witze machen über das naive Kind. Später ärgert sie sich, dass sie nicht darauf eingegangen ist: Hätte er doch wenigstens vergeblich auf sie warten sollen! Aber sie lehnt Geld und Verabredung ab.
[ 5]Er nimmt die silberne Kette, die er um den Hals trägt, ab und gibt sie ihr. Es sieht so aus, als glaube er, das Geschehene wieder gutmachen zu können. »Ist echt Silber, eine Fledermaus«, sagt er etwas hilflos. Sie will die Kette nicht, er steckt sie ihr in die Hosentasche.
[ 5]Sie geht zum Bahnsteig, nur weg von ihm. Sie fühlt sich besudelt. Schämt sich. Weint. Steigt in den Zug. – Wie konnte sie nur so dumm sein? Wie kann dieser Mann nur glauben, dass sie sich mit ihm verabreden würde? Hat er denn gar keine Ahnung, was er ihr angetan hat? Der Schaffner fragt, ob alles in Ordnung sei. Sie versichert ihm, dass sie nur Ärger mit ihrem Freund hätte und weint leise vor sich hin. Jede Erinnerung an das schreckliche Erlebnis, die vor ihen inneren Sinnen hochkommt, kämpft sie sogleich nieder, verschließ sie in einer dunklen Kammer in ihrem Inneren, in die sie nie, nie, nie hineinsehen will.
[ 5]In Oldenburg am Bahnhof, als sie auf den Bus wartet, spricht ein junger Mann sie an. Er versucht, herauszufinden, warum sie so unglücklich aussieht und warum sie, jung wie sie ist, mitten in der Nacht allein hier herumsteht. Sie versucht, ihn abzuwimmeln, will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Sie weiß, dass sie das, was passiert ist, niemandem sagen kann, nicht mal einem Fremden, der es anscheinend gut mit ihr meint. Es ist sogar zu peinlich, es sich selbst zu erzählen und sie glaubt, niemals mehr jemandem vertrauen zu können.
 

xavia

Mitglied
4. Adam

Der Bahnhof wirkt verlassen. Nur eine Gruppe Jungs steht vor einer Mauer rechts vom Bahnhof, etwa zehn, zwanzig Meter von Sabrina entfernt. Die Jungs reden offenbar über sie, denn der eine oder andere sieht immer mal betont unauffällig zu ihr herüber während andere auffallend in andere Richtungen sehen. Sie will nichts mit ihnen zu tun haben. Sicherlich trinken die auch gerade. Sie sieht Dosen in ihren Händen, wendet sich ab, um nach einer Hinweistafel mit den Abfahrtszeiten der Züge zu suchen und nach einer Uhr. Als sie die Tafel studiert, merkt sie, dass einer der Jungs zu ihr gekommen ist und nun ebenfalls auf die Tafel blickt.
[ 5]»Ich weiß, du kennst mich nicht. – Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
[ 5]»Lass' mich in Ruhe.«
[ 5]»Der Wert von Ruhe wird oft überschätzt. Das Leben ist kurz. Ehe du dich versiehst, bist du alt und hast mehr Ruhe als dir lieb ist. Es wäre doch nett, ein wenig zu gehen und zu plaudern. Ich bin Adam.«
[ 5]»Wer's glaubt …«
[ 5]»Das sagen sie alle. Ich heiße aber wirklich so.«
[ 5]Jetzt sieht sie sich den Typen an. Freundlich lächelnd steht er in respektvollem Abstand da und sieht sie mit seinen blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben. Er sieht sehr gut aus und eigentlich ganz harmlos, scheint nicht viel älter zu sein als sie selbst. Ihr kommt es so vor, als wirke er auch ein wenig ängstlich hinter seiner Fassade von Selbstbewusstsein und das findet sie irgendwie rührend. – Warum soll sie sich nicht einen anderen Begleiter suchen, nachdem Frank sie so enttäuscht hat? Dieser scheint ja immerhin nüchtern zu sein.
[ 5]»Ich muss heute noch zurück nach Oldenburg. Mit dem Zug.«
[ 5]»Was für ein Glück, dass du mich getroffen hast. Der nächste Zug kommt in einer Stunde, ich habe eben einen abfahren sehen. Es wäre doch traurig, die Zeit bis dahin allein herumbringen zu müssen. Komm, ich zeig' dir Varel bei Nacht«, sagte er mit verheißungsvollem Tonfall und einer Geste, wie sie bei Zirkusleuten üblich ist.
[ 5]»Ich darf aber den nächsten Zug nicht verpassen«, wendet Sabrina ein.
[ 5]»Gar kein Problem, ich hab' 'ne Uhr dabei. Guck hier, der Zug fährt immer um fünf vor. – Jede Menge Zeit für uns.«
[ 5]Eigentlich müsste sie misstrauisch sein, aber sie fühlt sich erleichtert, ist froh, dass einer weiß, was er will, wo sie sich so unsicher fühlt. Also ergreift sie vertrauensvoll die angebotene Hand, die sich warm anfühlt und denkt sich nichts dabei, dass Adam wahrscheinlich einer aus der Gruppe an der Mauer ist, die jetzt weniger unauffällig, eher gespannt, herüberschauen. Auch Adam scheint das nicht zu kümmern und er schlendert mit Sabrina scheinbar ziellos davon.
[ 5]Unterwegs fragt er sie, woher sie kommt und mit wem sie hier ist und wo alle sind und sie erzählt ihm von dem misslungenen Ausflug an den Strand. Adam ist beeindruckt von dem weiten Weg, den sie zu Fuß zurückgelegt hat und Sabrina ist ein wenig stolz auf ihre Leistung.
[ 5]»Und nun bist du hier ganz alleine und keiner weiß, dass du hier bist?«, fragt er.
[ 5]»Nicht ganz alleine, du bist ja bei mir.«
[ 5]Er legt einen Arm um sie. »Stimmt, ich bin ja bei dir. – Guck mal, da bin ich zur Schule gegangen.«

Er führt sie auf das Gelände der Schule, guckt durch die Glastür hinein. Sabrina tut das auch, es ist aber nichts zu sehen. Alles ist dunkel in dem modernen Schulgebäude. An einem Samstagabend hält sich niemand dort auf. Sie gehen um das Gebäude herum und als sie in einer Art Innenhof sind, umgeben von drei Hauswänden, wechselt Adams Verhalten plötzlich von scheinbar entspannt auf drohend. Er hat ein Springmesser aus der Tasche gezogen und zeigt ihr die Klinge:
[ 5]»Leg dich da hin! Wenn du schreist, stech' ich dich ab!«
[ 5]Sie ist völlig überrumpelt, tut, was er sagt, zittert.
[ 5]Er steckt das Messer wieder ein, beugt sich über sie, öffnet ihre Jeans, zieht sie herunter und zieht sie ihr aus.
[ 5]»Nein, bitte nicht!«
[ 5]»Halt die Klappe!«
[ 5]Was kann sie tun? Ihr Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Vielleicht hocken seine Kumpels hinter einer Hecke, aber das nutzt ihr auch nichts. Keine Zeugen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhaften und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Da ist er sicherlich klar im Vorteil. ›Es ist nur mein Körper‹, sagt sie sich, ›das bin nicht ich‹. ›Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas. Ich lasse es nicht zu, dass er mich erreicht.‹
[ 5]Jetzt öffnet er auch seine Jeans, kniet sich zwischen ihre Beine.
[ 5]Voller Entsetzen versucht sie, auszublenden, was er da tut, denkt: ›Wenn es nur schon vorbei wäre.‹
[ 5]Aber es dauert lange, viel zu lange. Endlos.
[ 5]Sie hört seinen keuchenden Atem, versucht, auf andere Geräusche zu achten. Weit entfernt ist ein Auto zu hören. ›Das ist nur mein Körper, mit dem er das macht‹, sagt sie sich immer wieder, weigert sich, die Signale ihres Körpers wahrzunehmen und versucht, sich einzureden, dass sie ganz woanders ist.
[ 5]Dann ist es endlich vorbei. Sie ziehen sich an und er führt sie zurück zum Bahnhof, ist nun wieder die Freundlichkeit in Person, bietet ihr Fahrgeld an und will sich für das nächste Wochenende mit ihr verabreden. – Sie kann es nicht fassen: Wie kommt er darauf, dass sie ihn wiedersehen will? Aber er sieht sie ganz ernsthaft und erwartungsvoll an.
[ 5]Sie überlegt, dass sie mit der Polizei zu der Verabredung kommen könnte. Wahrscheinlich würden die hinter ihrem Rücken zusammen mit Adam ihre Witze machen über das naive Kind. Später ärgert sie sich, dass sie nicht darauf eingegangen ist: Hätte er doch wenigstens vergeblich auf sie warten sollen! Aber sie lehnt Geld und Verabredung ab.
[ 5]Er nimmt die silberne Kette, die er um den Hals trägt, ab und gibt sie ihr. Es sieht so aus, als glaube er, das Geschehene wieder gutmachen zu können. »Ist echt Silber, eine Fledermaus«, sagt er etwas hilflos. Sie will die Kette nicht, er steckt sie ihr in die Hosentasche.
[ 5]Sie geht zum Bahnsteig, nur weg von ihm. Sie fühlt sich besudelt. Schämt sich. Weint. Steigt in den Zug. – Wie konnte sie nur so dumm sein? Wie kann dieser Mann nur glauben, dass sie sich mit ihm verabreden würde? Hat er denn gar keine Ahnung, was er ihr angetan hat? Der Schaffner fragt, ob alles in Ordnung sei. Sie versichert ihm, dass sie nur Ärger mit ihrem Freund hätte und weint leise vor sich hin. Jede Erinnerung an das schreckliche Erlebnis, die vor ihen inneren Sinnen hochkommt, kämpft sie sogleich nieder, verschließ sie in einer dunklen Kammer in ihrem Inneren, in die sie nie, nie, nie hineinsehen will.
[ 5]In Oldenburg am Bahnhof, als sie auf den Bus wartet, spricht ein junger Mann sie an. Er versucht, herauszufinden, warum sie so unglücklich aussieht und warum sie, jung wie sie ist, mitten in der Nacht allein hier herumsteht. Sie versucht, ihn abzuwimmeln, will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Sie weiß, dass sie das, was passiert ist, niemandem sagen kann, nicht mal einem Fremden, der es anscheinend gut mit ihr meint. Es ist sogar zu peinlich, es sich selbst zu erzählen und sie glaubt, niemals mehr jemandem vertrauen zu können.
 

xavia

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Hallo Frank,

abgesehen von dem Alkohol bin ich mit (fast) allem einverstanden. Allerdings widerstrebt es mir, Sabrinas Wahrnehmungen von dem Missetäter zu beschreiben. Sicher hat sie die, aber sie will sie nicht durchlassen und ich schreibe ja aus ihrer Perspektive. Da muss ich mich doch auf das beschränken, das sie bereit ist wahrzunehmen, oder?

Grüßend und dankend
Xavia.
 

FrankK

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Allerdings widerstrebt es mir, Sabrinas Wahrnehmungen von dem Missetäter zu beschreiben. Sicher hat sie die, aber sie will sie nicht durchlassen und ich schreibe ja aus ihrer Perspektive. Da muss ich mich doch auf das beschränken, das sie bereit ist wahrzunehmen, oder?
Ich glaube - ja und nein.

Es könnte zu etwas mehr emotionaler Tiefe und Verbundenheit (Leser / Charakter) führen, wenn du genau diese Bemühungen um das bewusste "Nicht-Wahrnehmen" einbindest.
Vieles läuft dort auf instinktiver Ebene ab.
Wenn sein Atem nach Pfefferminz riecht, könnte sie später ein Aversion gegen alles entwickeln, das mit Pfefferminz zu tun hat. Auch in einem späteren Kapitel, in dem sie bereits die Mutter darstellt. Für sie selbst könnte es eine unerklärliche Antipathie sein, sie hat es ja verdrängt, der Leser weiß aber, woher es kommt, dies sorgt für eine tiefere Bindung.

Es muss auch nicht besonders ausgewalzt sein, ein / zwei Sätze dürften genügen. Der Leser empfängt die Symbolik und kann es später mit ihr wieder verknüpfen. Du gibst dem Leser damit auch eine Möglichkeit in die Hand, die Figuren zu identifizieren.
Es muss auch nicht "Pfefferminzgeruch" sein, irgendetwas anders wäre ebenfalls denkbar ...

Wie schon erwähnt - in dieser Form wird die Szene dadurch ziemlich „weich gespült“, sie nimmt nichts mit (außer natürlich die Schwangerschaft), dass Einfluss auf ihr späteres Leben hat.

Aber letztlich obliegt es deiner Entscheidung. Ich werde nicht darauf beharren. ;)

Schönes Wochenende
Frank
 

xavia

Mitglied
Hallo Frank,

es gibt schon so viele Vergewaltigungen, die genüsslich ausgewalzt werden. Ich habe diese Geschichte geschrieben, um zu sehen, ob es nicht auch ohne das geht. Ich weiß wohl, dass du das verstanden hast.

Für die Leser.innen mit kriminalistischen Ambitionen habe ich jetzt die Kette, die Adam Sabrina gibt, vorgesehen. Sie wird die Rolle des Pfefferminzbonbons spielen, weil ich ihre Weigerung, wahrzunehmen, respektieren will.

Es ist aber nicht so, dass Sabrina außer der Schwangerschaft »nichts mitnimmt«: Ihr Vertrauen in die Menschen ist erschüttert. Sie behütet ihre Tochter übermäßig. Außerdem hat sie kein Interesse mehr an einer Beziehung mit einem Mann. Das sind aus meiner Sicht keine »Weichspüler-Effekte«, sondern harte Realitäten.

Liebe Grüße Xavia.
 

FrankK

Mitglied
Ahh, gut.
Klar, hat sie mehr mitgenommen als "nur" die Schwangerschaft, natürlich ist sie zutiefst verletzt und ernidrigt worden.

Dennoch gehst du auf meinen Vorschlag ein, und sie bekommt eine Kette von ihm zugesteckt. Symbolisch als ein Versuch von seiner Seite, die Tat zu verharmlosen.

Bin schon gespannt, wann die Kette das nächste mal auftaucht ...


Die Umsetzung gefällt mir bisher sehr gut. Ich freue mich schon darauf, das ganze Stück noch einmal in Augenschein zu nehmen, wenn wir mit allem durch sind.


Aufmunternde Grüße
Frank
 



 
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