xavia
Mitglied
4. Adam
Der Bahnhof wirkt verlassen. Nur eine Gruppe Jungs steht vor einer Mauer rechts vom Bahnhof, etwa zehn, zwanzig Meter von ihr entfernt. Die Jungs reden offenbar über sie, denn der eine oder andere sieht immer mal betont unauffällig zu ihr herüber während andere auffallend in andere Richtungen sehen. Sie will nichts mit ihnen zu tun haben, sicherlich trinken die auch gerade. Sie sieht Dosen in ihren Händen, wendet sich ab, um nach einer Hinweistafel mit den Abfahrtszeiten der Züge zu suchen und nach einer Uhr. Als sie die Tafel studiert, merkt sie, dass einer der Jungs zu ihr gekommen ist und nun ebenfalls auf die Tafel blickt.
[ 5]»Ich weiß, du kennst mich nicht. – Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
[ 5]»Lass' mich in Ruhe.«
[ 5]»Der Wert von Ruhe wird oft überschätzt. Das Leben ist kurz. Ehe du dich versiehst, bist du alt und hast mehr Ruhe als dir lieb ist. Es wäre doch nett, ein wenig zu gehen und zu plaudern. Ich bin Adam.«
[ 5]»Wer's glaubt …«
[ 5]»Das sagen sie alle, ich heiße aber wirklich so.«
[ 5]Jetzt sieht sie sich den Typen an. Freundlich lächelnd steht er in respektvollem Abstand da und sieht sie mit seinen blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben. Er sieht sehr gut aus und eigentlich ganz harmlos, scheint nicht viel älter zu sein als sie selbst. Ihr kommt es so vor, als wirke er auch ein wenig ängstlich hinter seiner Fassade von Selbstbewusstsein und das findet sie irgendwie rührend. – Warum soll sie sich nicht einen anderen Begleiter suchen, nachdem Frank sie so enttäuscht hat? Dieser scheint ja immerhin nüchtern zu sein.
[ 5]»Ich muss heute noch zurück nach Oldenburg. Mit dem Zug.«
[ 5]»Was für ein Glück, dass du mich getroffen hast. Der nächste Zug kommt in einer Stunde, ich habe eben einen abfahren sehen. Es wäre doch traurig, die Zeit bis dahin allein herumbringen zu müssen. Komm, ich zeig' dir Varel bei Nacht«, sagte er mit verheißungsvollem Tonfall und einer Geste, wie sie bei Zirkusleuten üblich ist.
[ 5]»Ich darf aber den nächsten Zug nicht verpassen«, wendet Sabrina ein.
[ 5]»Gar kein Problem, ich hab' 'ne Uhr dabei. Guck hier, der Zug fährt immer um fünf vor. – Jede Menge Zeit für uns.«
[ 5]Eigentlich müsste sie misstrauisch sein, aber sie fühlt sich erleichtert. Ist froh, dass einer weiß, was er will, wo sie sich so unsicher fühlt. Also ergreift sie vertrauensvoll die angebotene Hand, die sich warm anfühlt und denkt sich nichts dabei, dass Adam wahrscheinlich einer aus der Gruppe an der Mauer ist, die jetzt weniger unauffällig, eher gespannt, herüberschauen. Auch Adam scheint das nicht zu kümmern und er schlendert mit Sabrina scheinbar ziellos davon.
[ 5]Unterwegs fragt er sie, woher sie kommt und mit wem sie hier ist und wo alle sind und sie erzählt ihm von dem misslungenen Ausflug an den Strand. Adam ist beeindruckt von dem weiten Weg, den sie zu Fuß zurückgelegt hat und Sabrina ist ein wenig stolz auf ihre Leistung.
[ 5]»Und nun bist du hier ganz alleine und keiner weiß, dass du hier bist?«, fragt er.
[ 5]»Nicht ganz alleine, du bist ja bei mir.«
[ 5]Er umarmt sie: »Stimmt. Ich bin ja bei dir. – Guck mal, da bin ich zur Schule gegangen.«
[ 5]Er führt sie auf das Gelände der Schule, guckt durch die Glastür hinein. Sabrina tut das auch, es ist aber nichts zu sehen. Alles ist dunkel in dem modernen Schulgebäude. An einem Samstagabend hält sich niemand dort auf. Sie gehen um das Gebäude herum und als sie in einer Art Innenhof sind, umgeben von drei Hauswänden, wechselt Adams Verhalten plötzlich von scheinbar entspannt auf drohend. Er hat ein Springmesser aus der Tasche gezogen und zeigt ihr die Klinge:
[ 5]»Leg dich da hin! Wenn du schreist, stech' ich dich ab!«
[ 5]Sie ist völlig überrumpelt, tut, was er sagt, zittert.
[ 5]Er steckt das Messer wieder ein, beugt sich über sie, öffnet ihre Jeans, zieht sie herunter und zieht sie ihr aus.
[ 5]»Nein, bitte nicht!«
[ 5]»Halt die Klappe!«
[ 5]Was kann sie tun? Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhafen und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Sie kann nur warten, bis es vorbei ist und die ganze Angelegenheit schnell vergessen. Es ist nur mein Körper, sagt sie sich. Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas tun.
[ 5]Jetzt öffnet er auch seine Jeans, kniet sich zwischen ihre Beine.
[ 5]Sie denkt: ›Wenn es nur schon vorbei wäre.‹
[ 5]Aber es dauert lange, viel zu lange. Endlos.
[ 5]Sie versucht, ihren Körper zu verlassen und beiseite zu treten. ›Das ist nur mein Körper, mit dem er das macht. Ich bin das nicht, was hier liegt‹, sagt sie sich immer wieder.
[ 5]Dann ist es endlich vorbei. Sie ziehen sich an und er führt sie zurück zum Bahnhof, ist nun wieder die Freundlichkeit in Person, bietet ihr Fahrgeld an und will sich für das nächste Wochenende mit ihr verabreden. – Sie kann es nicht fassen: Wie kommt er darauf, dass sie ihn wiedersehen will? Aber er sieht sie ganz ernsthaft und erwartungsvoll an.
[ 5]Sie überlegt, dass sie mit der Polizei zu der Verabredung kommen könnte. Wahrscheinlich würden die hinter ihrem Rücken zusammen mit Adam ihre Witze machen über das naive Kind. Später ärgert sie sich, dass sie nicht darauf eingegangen ist: Hätte er doch wenigstens vergeblich auf sie warten sollen! Aber sie lehnt Geld und Verabredung ab.
[ 5]Er nimmt die silberne Kette, die er um den Hals trägt, ab und gibt sie ihr. Es sieht so aus, als glaube er, das Geschehene wieder gutmachen zu können. »Ist echt Silber«, sagt er etwas hilflos. Sie will die Kette nicht, er steckt sie ihr in die Hosentasche.
[ 5]Sie geht zum Bahnsteig, nur weg von ihm. Sie fühlt sich besudelt. Schämt sich. Weint. Steigt in den Zug. – Wie konnte sie nur so dumm sein? – Wie kann dieser Mann nur glauben, dass sie sich mit ihm verabreden würde? Hat er denn gar keine Ahnung, was er ihr angetan hat? Der Schaffner fragt, ob alles in Ordnung sei. Sie versichert ihm, dass sie nur Ärger mit ihrem Freund hätte und weint leise vor sich hin.
[ 5]In Oldenburg am Bahnhof, als sie auf den Bus wartet, spricht ein junger Mann sie an. Er versucht, herauszufinden, warum sie so unglücklich aussieht und warum sie, jung wie sie ist, mitten in der Nacht allein hier herumsteht. Sie versucht, ihn abzuwimmeln, will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Sie weiß, dass sie das, was passiert ist, niemandem sagen kann, nicht mal einem Fremden, der es anscheinend gut mit ihr meint. Es ist sogar zu peinlich, es sich selbst zu erzählen und sie glaubt, niemals mehr jemandem vertrauen zu können.
Der Bahnhof wirkt verlassen. Nur eine Gruppe Jungs steht vor einer Mauer rechts vom Bahnhof, etwa zehn, zwanzig Meter von ihr entfernt. Die Jungs reden offenbar über sie, denn der eine oder andere sieht immer mal betont unauffällig zu ihr herüber während andere auffallend in andere Richtungen sehen. Sie will nichts mit ihnen zu tun haben, sicherlich trinken die auch gerade. Sie sieht Dosen in ihren Händen, wendet sich ab, um nach einer Hinweistafel mit den Abfahrtszeiten der Züge zu suchen und nach einer Uhr. Als sie die Tafel studiert, merkt sie, dass einer der Jungs zu ihr gekommen ist und nun ebenfalls auf die Tafel blickt.
[ 5]»Ich weiß, du kennst mich nicht. – Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
[ 5]»Lass' mich in Ruhe.«
[ 5]»Der Wert von Ruhe wird oft überschätzt. Das Leben ist kurz. Ehe du dich versiehst, bist du alt und hast mehr Ruhe als dir lieb ist. Es wäre doch nett, ein wenig zu gehen und zu plaudern. Ich bin Adam.«
[ 5]»Wer's glaubt …«
[ 5]»Das sagen sie alle, ich heiße aber wirklich so.«
[ 5]Jetzt sieht sie sich den Typen an. Freundlich lächelnd steht er in respektvollem Abstand da und sieht sie mit seinen blauen Augen an, als könne er kein Wässerchen trüben. Er sieht sehr gut aus und eigentlich ganz harmlos, scheint nicht viel älter zu sein als sie selbst. Ihr kommt es so vor, als wirke er auch ein wenig ängstlich hinter seiner Fassade von Selbstbewusstsein und das findet sie irgendwie rührend. – Warum soll sie sich nicht einen anderen Begleiter suchen, nachdem Frank sie so enttäuscht hat? Dieser scheint ja immerhin nüchtern zu sein.
[ 5]»Ich muss heute noch zurück nach Oldenburg. Mit dem Zug.«
[ 5]»Was für ein Glück, dass du mich getroffen hast. Der nächste Zug kommt in einer Stunde, ich habe eben einen abfahren sehen. Es wäre doch traurig, die Zeit bis dahin allein herumbringen zu müssen. Komm, ich zeig' dir Varel bei Nacht«, sagte er mit verheißungsvollem Tonfall und einer Geste, wie sie bei Zirkusleuten üblich ist.
[ 5]»Ich darf aber den nächsten Zug nicht verpassen«, wendet Sabrina ein.
[ 5]»Gar kein Problem, ich hab' 'ne Uhr dabei. Guck hier, der Zug fährt immer um fünf vor. – Jede Menge Zeit für uns.«
[ 5]Eigentlich müsste sie misstrauisch sein, aber sie fühlt sich erleichtert. Ist froh, dass einer weiß, was er will, wo sie sich so unsicher fühlt. Also ergreift sie vertrauensvoll die angebotene Hand, die sich warm anfühlt und denkt sich nichts dabei, dass Adam wahrscheinlich einer aus der Gruppe an der Mauer ist, die jetzt weniger unauffällig, eher gespannt, herüberschauen. Auch Adam scheint das nicht zu kümmern und er schlendert mit Sabrina scheinbar ziellos davon.
[ 5]Unterwegs fragt er sie, woher sie kommt und mit wem sie hier ist und wo alle sind und sie erzählt ihm von dem misslungenen Ausflug an den Strand. Adam ist beeindruckt von dem weiten Weg, den sie zu Fuß zurückgelegt hat und Sabrina ist ein wenig stolz auf ihre Leistung.
[ 5]»Und nun bist du hier ganz alleine und keiner weiß, dass du hier bist?«, fragt er.
[ 5]»Nicht ganz alleine, du bist ja bei mir.«
[ 5]Er umarmt sie: »Stimmt. Ich bin ja bei dir. – Guck mal, da bin ich zur Schule gegangen.«
[ 5]Er führt sie auf das Gelände der Schule, guckt durch die Glastür hinein. Sabrina tut das auch, es ist aber nichts zu sehen. Alles ist dunkel in dem modernen Schulgebäude. An einem Samstagabend hält sich niemand dort auf. Sie gehen um das Gebäude herum und als sie in einer Art Innenhof sind, umgeben von drei Hauswänden, wechselt Adams Verhalten plötzlich von scheinbar entspannt auf drohend. Er hat ein Springmesser aus der Tasche gezogen und zeigt ihr die Klinge:
[ 5]»Leg dich da hin! Wenn du schreist, stech' ich dich ab!«
[ 5]Sie ist völlig überrumpelt, tut, was er sagt, zittert.
[ 5]Er steckt das Messer wieder ein, beugt sich über sie, öffnet ihre Jeans, zieht sie herunter und zieht sie ihr aus.
[ 5]»Nein, bitte nicht!«
[ 5]»Halt die Klappe!«
[ 5]Was kann sie tun? Er ist größer und kräftiger als sie, aber nicht viel. Kein Mensch in Sicht, der helfen könnte, sie haben ja gerade gemeinsam nachgesehen. Hinterher wird ihr keiner glauben, dass sie nicht einverstanden war, falls sie unverletzt bleibt. Man wird sie nötigen, im Interesse der Wahrheitsfindung alle Einzelheiten dieses ekelhafen und entwürdigenden Geschehens zu beschreiben. Und dann wird man ihr trotzdem nicht glauben. Oder sie wehrt sich, lässt es darauf ankommen, ob er wirklich das Messer benutzt, versucht, ihm so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Sie hat Angst vor dem Schmerz, Angst, selbst zuzuschlagen. Sie hat noch nie einen Menschen geschlagen, kann sich gar nicht vorstellen, das zu tun. Sie kann nur warten, bis es vorbei ist und die ganze Angelegenheit schnell vergessen. Es ist nur mein Körper, sagt sie sich. Er kann nicht an meine Seele ran, wenn ich ihn nicht lasse. Er kann nur meinem Körper etwas tun.
[ 5]Jetzt öffnet er auch seine Jeans, kniet sich zwischen ihre Beine.
[ 5]Sie denkt: ›Wenn es nur schon vorbei wäre.‹
[ 5]Aber es dauert lange, viel zu lange. Endlos.
[ 5]Sie versucht, ihren Körper zu verlassen und beiseite zu treten. ›Das ist nur mein Körper, mit dem er das macht. Ich bin das nicht, was hier liegt‹, sagt sie sich immer wieder.
[ 5]Dann ist es endlich vorbei. Sie ziehen sich an und er führt sie zurück zum Bahnhof, ist nun wieder die Freundlichkeit in Person, bietet ihr Fahrgeld an und will sich für das nächste Wochenende mit ihr verabreden. – Sie kann es nicht fassen: Wie kommt er darauf, dass sie ihn wiedersehen will? Aber er sieht sie ganz ernsthaft und erwartungsvoll an.
[ 5]Sie überlegt, dass sie mit der Polizei zu der Verabredung kommen könnte. Wahrscheinlich würden die hinter ihrem Rücken zusammen mit Adam ihre Witze machen über das naive Kind. Später ärgert sie sich, dass sie nicht darauf eingegangen ist: Hätte er doch wenigstens vergeblich auf sie warten sollen! Aber sie lehnt Geld und Verabredung ab.
[ 5]Er nimmt die silberne Kette, die er um den Hals trägt, ab und gibt sie ihr. Es sieht so aus, als glaube er, das Geschehene wieder gutmachen zu können. »Ist echt Silber«, sagt er etwas hilflos. Sie will die Kette nicht, er steckt sie ihr in die Hosentasche.
[ 5]Sie geht zum Bahnsteig, nur weg von ihm. Sie fühlt sich besudelt. Schämt sich. Weint. Steigt in den Zug. – Wie konnte sie nur so dumm sein? – Wie kann dieser Mann nur glauben, dass sie sich mit ihm verabreden würde? Hat er denn gar keine Ahnung, was er ihr angetan hat? Der Schaffner fragt, ob alles in Ordnung sei. Sie versichert ihm, dass sie nur Ärger mit ihrem Freund hätte und weint leise vor sich hin.
[ 5]In Oldenburg am Bahnhof, als sie auf den Bus wartet, spricht ein junger Mann sie an. Er versucht, herauszufinden, warum sie so unglücklich aussieht und warum sie, jung wie sie ist, mitten in der Nacht allein hier herumsteht. Sie versucht, ihn abzuwimmeln, will mit niemandem mehr etwas zu tun haben. Sie weiß, dass sie das, was passiert ist, niemandem sagen kann, nicht mal einem Fremden, der es anscheinend gut mit ihr meint. Es ist sogar zu peinlich, es sich selbst zu erzählen und sie glaubt, niemals mehr jemandem vertrauen zu können.