Abgefahren

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Ich bin Pendler und sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Meine Arbeit ist vollbracht und ich befinde mich auf dem Weg nach Hause. Alle Weichen höre ich schlagen, der dumpfe Lärm macht mich müde und so döse ich mit halb geschlossenen Augen vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist. Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt vor sich hin. Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen. Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch:
„Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend. „Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf. „Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und das der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist mein Bekannter mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang. Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt. Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Sie trägt ein kleines Mädchen in den Armen. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich mit.
 
S

suzah

Gast
hallo gernot,

die geschichte gefällt mir. aber ich habe noch einige vorschläge:

wen du das in der "ich-form" erzählst, so würde der prot wohl kaum sagen "ich befinde mich auf dem Weg nach Hause" sondern ich bin auf dem weg nach hause"

"Mein Bekannter hat die Hände..." er ist eigentlich ein fremder zu diesem zeitpunkt, später, wenn du mehr mit ihm geredet hast, könntest du wohl von bekannter sprechen.

"der Zug fährt vor sich hin."
bestimmt nicht, er hat ein ziel, einen bestimmungsort und fährt auf den gleisen. "vor sich hin" ist ziellos gehen. s. goethe:

Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

"Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn.."
er nimmt anteil, oder fühlt mitleid wäre treffender.

"Der Zug fährt ab und nimmt mich mit."
"nimmt mich mit" ist überflüssig, er war ja nicht aus- und wieder eingestiegen.

liebe grüße suzah
 
Ich bin Pendler und sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Meine Arbeit ist vollbracht und ich bin auf dem Weg nach Hause. Alle Weichen höre ich schlagen, der dumpfe Lärm macht mich müde und so döse ich mit halb geschlossenen Augen vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist. Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt monoton dahin. Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen. Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch:
„Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend. „Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf. „Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und das der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist mein Bekannter mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang. Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt. Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Sie trägt ein kleines Mädchen in den Armen. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich weiter mit.
 
hallo suzah,

jetzt freue ich mich gerade, dass dir die Geschichte gefällt. Ich bin sehr lange und mit Zeitabständen über ihr gesessen, deinen Hinweis neulich habe ich befolgt.

zum Text:

wen du das in der "ich-form" erzählst, so würde der prot wohl kaum sagen "ich befinde mich auf dem Weg nach Hause" sondern ich bin auf dem weg nach hause"
das übernehme ich sehr gerne.

"Mein Bekannter hat die Hände..." er ist eigentlich ein fremder zu diesem zeitpunkt, später, wenn du mehr mit ihm geredet hast, könntest du wohl von bekannter sprechen.
im Absatz zuvor schreibe ich ja, dass ich ihn schon länger kenne, also ist er ein Bekannter.

"der Zug fährt vor sich hin."
bestimmt nicht, er hat ein ziel, einen bestimmungsort und fährt auf den gleisen. "vor sich hin" ist ziellos gehen. s. goethe:
auch hier hast du recht - geändert.

"Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn.."
er nimmt anteil, oder fühlt mitleid wäre treffender.
Hm, ich find das Wort verantwortlich eigentlich nicht unpassend. Wenn du ein kleines Kind auf der Straße alleine weinen siehst, dann fühlst du dich doch auch ein bisschen verantwortlich, oder nicht?

"Der Zug fährt ab und nimmt mich mit."
"nimmt mich mit" ist überflüssig, er war ja nicht aus- und wieder eingestiegen.
hab's ein wenig geändert. Ich will in diesem Schlusssatz andeuten, dass das Lyrich einmal ein ähnliches Schicksal ereilt hatte, aber er hat es nicht geschafft. Der Zug war für ihn abgefahren, es war zu spät.

Ich danke dir sehr, für deine konstruktiven Zeilen.

schöne Grüße
Gernot
 
Ich bin Pendler und sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Meine Arbeit ist vollbracht und ich bin auf dem Weg nach Hause. Alle Weichen höre ich schlagen, der dumpfe Lärm macht mich müde und so döse ich mit halb geschlossenen Augen vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist. Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt monoton dahin. Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen. Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch:
„Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend. „Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf. „Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und das der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist mein Bekannter mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang. Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt. Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Sie trägt ein kleines Mädchen in den Armen. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich immer weiter mit.
 
Ich bin Pendler und sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Meine Arbeit ist vollbracht und ich langweile mich auf dem Weg nach Hause. Alle Weichen höre ich schlagen, der dumpfe Lärm macht mich müde und so döse ich mit halb geschlossenen Augen vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist. Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt monoton dahin. Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen. Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch:
„Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend. „Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf. „Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und das der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist mein Bekannter mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang. Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt. Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Sie trägt ein kleines Mädchen in den Armen. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich immer weiter mit.
 
jetzt ist mir eingefallen, liebe suzah, weshalb ich "befinde" geschrieben habe. Ich muss deinen Vorschlag wieder ändern, sonst ist "bin" 2x drinnen. Habe nun andere Lösung gefunden.

schöne Grüße
Gernot
 
S

suzah

Gast
hallo gernot,
besser so, aber noch etwas:

mach mal einige absätze, liest sich besser

"und das der Papa krank..." [blue]dass[/blue]

im letzten absatz zweimal "bekannter", kannst du es einmal ersetzen?

"... eine junge Frau stehen. Sie trägt ein k[blue]leines Mädchen in den Armen."[/blue]
das ist mir vorhin auch nicht aufgefallen:
wäre es nicht besser zu sagen: "hält ein kleines mädchen an der hand"?
wenn das mädchen in der 3. klasse ist und den brief lesen kann, dann ist sie doch zu groß, um auf dem arm getragen zu werden.

liebe grüße suzah
 
Ich bin Pendler und sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Meine Arbeit ist vollbracht und ich langweile mich auf dem Weg nach Hause. Alle Weichen höre ich schlagen, der dumpfe Lärm macht mich müde und so döse ich mit halb geschlossenen Augen vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist.
Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt monoton dahin.
Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen.
Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch: „Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend.
„Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf.
„Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und dass der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist der Mann mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang.
Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt.
Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Ein kleines Mädchen ist an ihrer Seite. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich immer weiter mit.
 
Das Leben eines Pendlers ist ein ständiges Hin und Her. Fortwährend treibe ich mich von da nach dort, wieder zurück und bin regelmäßig dazwischen. Ein Pendler wie ich hat kein zu Hause und das Dazwischen ist ein Niemandsland.
Meine Arbeit ist getan und ich sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Alle Weichen höre ich schlagen; der gedämpfte Lärm lässt mich schläfrig werden und mit halb geschlossenen Augen döse ich gelangweilt vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist.
Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt monoton dahin.
Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen.
Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch: „Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend.
„Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf.
„Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und dass der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist der Mann mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang.
Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt.
Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Ein kleines Mädchen ist an ihrer Seite. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich immer weiter mit.
 
hallo liebe Tante Oma,

wenn dir der Inhalt nicht so gut gefällt, dann schreib es getrost, ich bin nicht aus Zucker. Eine liebe Freundin hat mich privat auch schon auf das Übelste beschimpft, und meinte, der Anfang der Geschichte wär wie aus einem Schulaufsatz. Hab ihn jetzt ein wenig geändert.

schöne Grüße
Gernot
 

gerian

Mitglied
Hallo Gernot,

deiner Geschichte liegt etwas inne und doch habe ich sie nicht verstanden mit dem Pendler ohne Zuhause. Dieses Waggon-Sitzen und hinzukam ein junger Mann, dann wechselst du die Perspektive zum Bekannten mit der Szene der Schule.
Nimm es mir nicht übel, ich sehe da keinen eindeutigen Handlungsrang und schon gar nicht eine innere Logik.
Eine Erzählung eines "Ich-Erzählers".

Beste Grüße
Gerian
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Gernot,

ich finde den Text nicht übel. Allerdings fiel mir zu Beginn der Geschichte noch was auf:
Das Leben eines Pendlers ist ein ständiges Hin und Her. Fortwährend treibe ich [red]mich[/red] von da nach dort, wieder zurück und bin regelmäßig dazwischen. Ein Pendler wie ich hat kein zu Hause und das Dazwischen ist ein Niemandsland.
Ich fände es lesbarer, wenn dort das mich nicht drin stünde. Zumindest treibe ich nur und treibe mich nicht ... Dieses Treiben ist nicht aktiv, sondern passiv ...
Was den Inhalt angeht: solche rührseligen Geschichten, die auf ein Happyend hinsteuern, finden sicherlich ihren Leserkreis. Es gibt genug negatives auf dieser Welt, so dass ein positiv endender Text Erholung bedeutet.

Gruß von der Haremsdame
 
Das Leben eines Pendlers ist ein ständiges Hin und Her. Fortwährend treibe ich von da nach dort, wieder zurück und bin regelmäßig dazwischen. Ein Pendler wie ich hat kein zu Hause und das Dazwischen ist ein Niemandsland.
Meine Arbeit ist getan und ich sitze in einem Waggon der Eisenbahn. Alle Weichen höre ich schlagen; der gedämpfte Lärm lässt mich schläfrig werden und mit halb geschlossenen Augen döse ich gelangweilt vor mich hin.
Ein junger Mann grüßt mich knapp und setzt sich gegenüber auf die Bank. Sein blasses, etwas eingefallenes Gesicht ist mir bekannt. Ich frage mich, wann er mir das letzte Mal begegnet ist.
Wochen muss es her sein, denn ich kann mich an den Tag nicht mehr erinnern. Früher sprachen wir gelegentlich ein paar Worte miteinander, so wie es Pendler mitunter gerne tun, aber heute scheint er mir in keiner geselligen Laune zu sein.
Mein Bekannter hat die Hände in den Taschen und sieht zum Fenster hinaus. Die Stirn liegt in Falten, als trage er große Sorgen mit sich herum. Seine Augen blicken so leblos auf die vorbeiziehende Welt, dass ich an die präparierten Tiere denken muss, die ich neulich im Museum betrachtete. Er ist tief in seine Gedanken versunken und ich zerbreche mir den Kopf darüber, obwohl er eigentlich ein Fremder ist.
Schweigend sitzen wir eine Weile da und der Zug fährt monoton dahin.
Der Bahndamm führt neben einer Schule vorbei und links davon spielen Kinder in einem großen Pausenhof. Als mein Bekannter die Kinder sieht, nimmt er die Hände aus den Taschen und ich sehe, wie sie zittern.
„Im Herbst kommt mein Mädchen in die dritte Klasse“, sagt er leise vor sich hin. Mehr zu sich selbst, als zu mir, denke ich, aber vielleicht doch in der Hoffnung, einen Freund für den Moment gefunden zu haben.
Ich sehe, dass er mit den Tränen ringt.
„Und wissen Sie, heute hat mein kleiner Sonnenschein Geburtstag.“ Der Mann sagt es, als möchte er sich bei mir entschuldigen.
Er versteckt sein Gesicht in den Händen und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen.
Ich fühle mich auf einmal verantwortlich für ihn und frage, als wäre er mein Freund: „Was ist geschehen?“
Mein Bekannter sieht mich an, als wäre er jemand, der sich nicht sicher ist, ob er mit seinen Tränen alleine sein möchte. Kleinlaut sagt er jedoch: „Mein ganzes Leben lang war ich nichts wert. Nur gesoffen habe ich und herumgehurt. Trotzdem hat sie mich geheiratet, als das Kind unterwegs war, ich hatte ihr versprochen, mich zu bessern. Eine Zeit lang ging es auch gut, vor allem, als Katja zur Welt kam, aber ich war nicht zufrieden mit dem Job und mit dem wenigen Geld, das ich für uns verdiente. Wissen Sie, ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Überall drückte es und ich begann zu trinken, ich meine, so richtig zu trinken. Dann, vor etwa zwei Monaten …, da war eine andere Frau …, und da war eine Freundin meiner Frau …, sie hat’s erfahren.“ Er verstummt für einen Augenblick. „Sie hat geweint und mich weggeschickt, sie will mich nicht mehr sehen.“
Bedrückt betrachte ich das Häufchen Elend.
„Ich trinke manchmal auch zu viel,“ gebe ich kläglich als Trost zurück.
„Ich trinke nichts mehr,“ trotzig funkeln seine Augen. „Ich war einen Monat auf Entzug und ich werde mein ganzes, mein ganzes verdammtes Leben lang keinen Alkohol mehr anrühren ...“, er stockt etwas, „... auch, wenn ich bereits verloren habe.“
Er ist jung denke ich, er könnte es schaffen. Ich beuge mich etwas vor und sage vertraut: „Ihre Tochter hat doch heute Geburtstag, besuchen sie das Kind.“
Sein Gesicht verfinstert sich. Resigniert senkt er den Kopf.
„Nein, ich schäme mich. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich …“, er sucht nach Worten und sagt dann fassungslos, „… vor meiner Familie schäme. Ich hab Katja einen Brief geschrieben und sie um Verzeihung gebeten und dass der Papa krank und in Behandlung ist und wie sehr er sie lieb hat.“
Nun ist der Mann mit seinen Nerven völlig am Ende, er holt tief Luft und stößt sie wieder aus. Er sagt kein Wort mehr. Er tut mir leid und ich schweige mit ihm aus großer Verbundenheit.
Wie immer steigt er zwei Stationen vor mir aus. Mit hängenden Schultern geht er am Bahnsteig entlang.
Armer Kerl überlege ich, während sich mein Waggon langsam in Bewegung setzt.
Auf einmal bleibt mein Bekannter stehen, als wäre er gegen eine Mauer getreten. Ich folge seiner Blickrichtung und sehe bei der Bahnstation eine junge Frau stehen. Ein kleines Mädchen ist an ihrer Seite. Das Kind hält einen Brief in der Hand.
Ich lächle etwas und winke dem Mann aufmunternd zu, aber er sieht mich nicht. Er wird es schaffen denke ich und bin zufrieden, denn ich weiß, wie es ist, wenn man es nicht schafft. Ich lehne mich wieder zurück. Der Zug fährt ab und nimmt mich immer weiter mit.
 
hallo Heremsdame

das "mich" hab ich gestrichen, danke für den Hinweis.
*smile*, für einen Landwirt wie mich, ist der Text gar nicht mal so übel.

liebe Grüße an dich

Gernot
 

Clara

Mitglied
ich für meinen Teil bin in dieses Pendeln im Leben durchaus aufgegangen.
Die Anmerkungen von Suzeh - die Fehler - ja, kann ich unterschreiben.

Eben hatte ich eine Geschichte, wo ich sagte man solle das Ende offen lassen für den Leser.

Hier wäre der Bogen vom Pendeln noch zu spannen - am Ende wieder aufzunehmen, damit sie rund ist die Geschichte.
Denn der Pendler denkt ja die ganze Zeit - vermisste das Gegenüber - fühlte sich evtl auch nirgendwo zu Hause - wie der Säufer, der Frau und Kind verlor.
Das die dann dort standen - nun ja - das ist eben die Literatur, da werden Wünsche wahr gemacht.

Aber er - seine Anfangsgedanken - dahin müsstest du noch kommen - denn er begann mit seinem Leben (was das mich, welches nun gestrichen ist, ja aussagte. Aber im Grunde genommen pendeln wir alle - es gibt immer wieder einschnitte.=)
 



 
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