Am Fluss

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lietzensee

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Am Fluss​

Seine nackten Beine froren. Er versuchte, den Bademantel fester um seine Knie zu ziehen. Dann blickte er wieder auf den Fluss. Noch war es dunkel. Die Zweige und Blätter der Pappeln zeichneten sich nur undeutlich gegen den Himmel ab. Doch im Osten schimmerte das erste Rot über dem Horizont.
Er war froh, dass er noch mal zu dieser Stunde herausgekommen war. Früh heimlich durch die Terrassentür, wer weiß, ob ihm das noch mal gelingen würde. Das Rot wurde kräftiger. Er versuchte den Anblick in sich aufzunehmen und eine dreifarbige Katze huschte aus dem Gebüsch. Kleines Kätzchen, vor wenigen Monaten erst war sie als Junges über die Terrasse gewackelt. Im heller werdenden Licht huschte das Tier durchs Gras. Es sprang und stürzte sich auf etwas.
Er atmete die frische Luft, während die Kälte von unten in seine Beine kroch. Das Rot am Himmel begann zu glühen. Da, die Katze hatte etwas gefangen. Zwischen ihren Zähnen schleppte sie eine Maus durchs Gras. Warmes Licht legte sich auf die Pappeln. Die Katze schüttelte ihre Beute. Vor seine Füße flog ein einzelner, roter Tropfen, arme Maus. Von der Terrasse hörte er einen Ruf. Sein Blut würde nicht so vergossen werden. Es musste behütet eintrocknen, bis er wie eine Rosine im Bett lag. Noch einmal blickte er in den roten Himmel. Dann war der Pfleger bei ihm. Gestützt ließ er sich zurück in Richtung Terrasse führen.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo lietzensee,

deine Kurzprosa Am Fluss hat mich vor allem im zweiten Abschnitt überzeugt. Die Sätze
Sein Blut würde nicht so vergossen werden. Es musste behütet eintrocknen, bis er wie eine Rosine im Bett lag.
finde ich herausragend! Das Ende kommt außerdem überraschend und ist zudem emotional berührend.

Der erste Teil des Textes kann meiner Meinung nach diese Qualität nicht ganz aufbieten, hat aber gleichwohl etwas Meditatives und strahlt deshalb eine angenehme Ruhe aus.

Gern gelesen!

Liebe Grüße
Frodomir
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Frodomir,
vielen Dank fürs Lesen und deine Einschätzung! Es freut mich, dass dir der Text insgesamt gefallen hat.

Der erste Teil des Textes kann meiner Meinung nach diese Qualität nicht ganz aufbieten,
Mit dem ersten Teil meinst du die ersten zwei Absätze? Ich habe überlegt, ob ich die Sätze zur Ahnenreihe der Katze noch rausstreiche. Ich mag den Gedanken darin. Aber es ist schwer, ihn in angemessener Kürze zu formulieren.

Viele Grüße
lietzensee
 
G

Gelöschtes Mitglied 19299

Gast
Hallo lietzensee,

dein Text hat mich angesprochen, als ob man beim Lesen in die Geschehnisse eintauchen kann. Die Erzählweise ist angenehm.

Besonders stark finde ich diese Stelle:
Es musste behütet eintrocknen, bis er wie eine Rosine im Bett lag.
LG
Keram
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo lietzensee,

ich kann nicht genau sagen, welchen Satz ich streichen würde, aber mir ist die Story um die Katze ein bisschen zu lang. Diesbezüglich hätte ich mir den Text noch komprimierter gewünscht.

Liebe Grüße
Frodomir
 
G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo lietzensee,

ja, jetzt liest es sich komprimierter. Ich denke, in der Kurzprosa ist es wie in der Lyrik: Umso mehr Wert man auf die Verdichtung des Textes legt, desto kraftvoller kann er seine Wirkung entfalten.

Und, um es nochmal zu bekräftigen: Es sind besonders die letzten fünf Sätze, die diesbezüglich besonders hervorzuheben sind.

Liebe Grüße
Frodomir
 

lietzensee

Mitglied
Ich denke auch, bei so kurzen Texten sollte man mit jedem Wort geizen. Durch das Weglassen hat der Text noch was gewonnen. Vielen Dank für den Hinweis und die positive Einschätzung!

Viele Grüße
lietzensee
 
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