Am Tresen

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Tränen am Tresen



An einem Donnerstag im November spätabends im Pub an der Ecke. Es roch nach dunklem Bier und Frittiertem. Die Hängelampe über dem Tresen schien mehr Schatten als Licht zu spenden. Im Hintergrund lief Grönemeyer. Ein TV Bildschirm hing mit flimmernden Bildern und einer stummen Nachrichtenschleife an der Wand über der Sitzecke. Zwei Männer in abgetragenen Anzügen hielten sich mit ihren Guinnessgläsern am Tresen fest. Der lange und knochige Mann beobachtete den kleinen Glatzkopf auf dem Barhocker vor sich. Eine einzelne Träne rann dem Kleinen über die Wange.

„Hey, weinst du?“, fragte der Lange.

Der Kleine wischte die Träne mit dem Handrücken weg. „Nein, ich war gerade eine rauchen. Draußen regnet‘s.“

„Schon klar, … Regentropfen. Weißt du, was mein Vater immer gesagt hat? Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“

Der Kleine umklammerte sein Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Mit dem Zeichen für Nachschub ließ er das leere Glas quer über die Theke zum Wirt schlittern und starrte weiter vor sich hin. Der Lange ignorierte sein unausgesprochenes Lass mich in Ruhe.

„Hey, ich sehe doch, dass du weinst. Weißt du, was mein Vater noch gesagt hat? Ein Junge weint nicht.“

Der Kleine schluckte und hob sein Kinn: „Ich verrate dir jetzt, was mein Vater gesagt hat.“ Er stieß dem Langen eine Handbreit über dem Nabel seinen ausgestreckten Zeigefinger in den Bauch: „Der mit der größten Klappe hat die kleinsten Eier‘, das hat er gesagt.“

Der Lange ignorierte den stechenden Finger und bohrte seinerseits weiter nach Streit. „Weinende Jungs sind Memmen, hat mein Vater auch immer gesagt.“

Der Kleine, der nicht eben schmächtig war, ballte seine Fäuste: „Pass auf, was du sagst.“ Während er immer lauter sprach, dachte er: „Gleich liegt der mit einem blauen Auge unterm Tisch.“

„Hey, ich habe nur gesagt, was mein Vater gesagt hat.“

Die drei letzten Gäste am Tisch in der Ecke hoben erwartungsvoll ihre Köpfe. Sollte der Abend etwa noch spannend werden?

Mit der Hand, die am Nachmittag noch eine Schaufel voll Erde in ein Loch geschaufelt hatte, wischte sich der Kleine über seine Glatze und dann über die Wangen. In seiner Kehle wurde es bedenklich eng. Sekundenlang passierte nichts. Dann schwappte es aus ihm heraus, Tränen tropften auf seine Hose. „Du hast recht. Ich weine, das war kein guter Tag für mich.“

Der Lange war der Typ, der wusste, wann es genug war.

„Hey, war nicht so gemeint“, er drückte dem Glatzkopf eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß doch wie das ist. Jetzt sind wir beide ohne Vater. Übrigens der Pastor hat schön gesprochen.“ Selbst im Dämmerlicht war in seinen Augen ein verdächtiges Glitzern zu erkennen.



Hinter der Theke polierte der Wirt seine Gläser. Bis hierhin hat er dem Elend der beiden schweigend zugehört. Jetzt reichte es ihm. Er knallte drei Gläser auf das polierte Holz und packte den Hals seiner Lieblingsflasche. Er schüttelte sie kräftig, drehte sie um und schlug routiniert mit der Handfläche gegen den Flaschenboden. Dann stellte er sie aufrecht hin, schraubte sie auf und goss ohne Blick drei Likörgläser bis über den Eichstrich voll.

„Mann, jetzt reichtes aber mit dem Geflenne.“ Er schob zwei Gläser mit Eierlikör über den Tresen, das dritte hob er hoch: „Prösterchen, auf unsere Väter. Wisst ihr, was meiner gesagt hat? Nix hat er gesagt. Den gab es nämlich gar nicht. Aber meine Mutter hat immer gesagt: ‚Junge, darauf trinken wir einen. Ein, zwei Eierlikörchen und die Welt ist wieder rund‘, das hat sie gesagt.“

Zwanzig Minuten später zog der Wirt den Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn in seine Jackentasche zu der Streichholzschachtel und dem Grablicht. Er wählte die Abkürzung über den Friedhof. Der Pub lag ruhig und dunkel hinter ihm.
 
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petrasmiles

Mitglied
Liebe Birgit,

ich mag Deine Geschichte - ich finde nur - insbesondere am Anfang - dass sie ein bisschen zu ausformuliert ist.
Was ich meine:
Es roch nach dunklem Bier und frittierten Kartoffelecken
Hier genügt m.E. 'Bier' und 'Frittiertem'
grüne Hängelampe
Lampe genügt
Musik von Grönemeyer
Grönemeyer genügt.
Es ist eine kleine Szene und die Adjektiva und Ausformulierungen erscheinen irgenwie als Ballast.

Ich hoffe, ich habe mich verständlich gemacht.

Die Dialoge finde ich sehr gut und die 'Männergeschichte' kommt gut rüber!

Liebe Grüße
Petra
'
 
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Hallo Petra,

ich freue mich sehr, dass Du Dir die Zeit genommen hast meine Geschichte zu lesen und auch zu kommentieren.
Deine Rückmeldungen sind hilfreich besonders mit dem Gedanken, dass es ein sehr kurzer Text ist. Ich probiere mal sie hier einzuarbeiten, wobei ich nicht weiß ob man den bestehenden Text ändern kann.

Viele Grüße von Birgit
P.S. ... ja es ist möglich und ich habe gerade die Veränderungen eingearbeitet.
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Birgit,

danke für Deine Rückmeldung.
Ich freue mich, wenn ich helfen kann. Ich bin nur so ein intuitiver Typ und kann schlecht erklären bzw. nicht unbedingt so, dass man mich gut versteht.
Meine Erklärung wäre z.B., dass Du eine 'Männergeschichte' schreibst, aber auf 'Frauenart'. Diese Üppige mit Adjektiva und Ausschmückung ist Frauenart, aber es geht ja um eine Männergeschichte. Was nicht heißen soll, dass nicht jeder auch Anteile und Schattierungen in sich hat - ich meine nur, dass wir beim Lesen auch so Schubladen haben, so ist unser Gehirn nun einmal getrimmt, dass wir möglich mit wenig (Energie-) Aufwand dechiffrieren können, um Sinn zu erfassen. Vielleicht ändert sich das auch gerade, man wird sehen.
Aber das betrifft tatsächlich hauptsächlich die Einleitung.
Der Text scheint mir aber noch der ursprüngliche zu sein; ich glaube, Überarbeitungen werden angezeigt. Aber wie man das macht, weiß ich auch nicht. Vielleicht schaut ja noch jemand vorbei.

Liebe Grüße
Petra
 
Hallo Petra,
ich habe eben glaube ich das Speichern vergessen. Das "dunkle" beim Bier habe ich aber erst mal noch gelassen.
Interessant finde ich die Gedanken zu männlichen und weiblichen Schreiben. Halte ich für wichtig. Ich glaube auch das es hier Unterschiede gibt die evtl. auch intuitiv vom Leser erkannt und entdeckt werden. Manches wird vielleicht auch weniger glaubhaft.

Beste Grüße und Danke für den Austausch
Birgit
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Birgit Sonnberger,

sehr schöne Momentaufnahme! Ein paar Adjektive dürfen ruhig sein, sonst wird der Text ja zu steril.

Es roch nach dunklem Bier
Hier würde ich tatsächlich das "dunklem" entfernen, denn wieso sollte dunkles Bier anders duften als helles? :)

Das offene Ende gefällt mir gut. Welches Grab mag der Wirt besuchen? Das der Mutter? Oder gab es doch einen Vater, von dem er weiß?

Gerne empfehle ich den Text!

Gruß DS
 

aliceg

Mitglied
denn wieso sollte dunkles Bier anders duften als helles? :)
Das habe ich auch sofort gedacht!

Hallo Birgit, hallo Doc,
dieses dunkle Bier ist aber ziemlich resistent in seinem Duft :D, ich glaube dass die menschliche Nase
Biersorten nicht am Geruch unterscheiden kann, wohl aber die Wespen, denen das süßliche wohl mehr zusagen würde.
Eine Beislgeschichte, die sich vom üblichen Klischee durch den melancholischen Touch am Schluss
wohltuend abhebt.
lg aliceg
 
Hallo zusammen,
ich freu mich über die Rückmeldungen. Ich trinke gar kein Bier, bilde mir aber ein dass so ein Guinness anders riecht als ein Pils.
Vielleicht rege ich mal im ortsansässigen Pub eine Feldstudie an.
Welches Grab am Schluss besucht wird ist tatsächlich in meinen Gedanken offen geblieben.

Grüße Birgit
 

petrasmiles

Mitglied
Immer diese Amateure :)
So etwas recherchiert man vorher :D
Aber dann schreib doch einfach: Es roch nach Guiness. Kann auch wieder Kritiküsse anziehen, die sagen, wie man Guiness von einem anderen Bier dem Geruch nach unterscheiden solle, aber das geht vielleicht eher durch. Übrigens ist Guiness so ein richtig bitteres Bier, kräftig im Geschmack, fast sämig, und Pils ist viel milder. Ich bin aus Düsseldorf und das ist eine Altbier-Stadt. Das Alt-Bier ist aber einfach nur obergärig wie Kölsch und Pils oder Export (Helles) sind untergährige - Birgit, Feldstudie ist das richtige Wort! Richtig lecker ist das Köstritzer, das ist so dunkel wie Guiness, aber nicht so dick und bitter, total süffig - aber stark. Mehr als ein Glas solle man als U :cool: ngeübte(r) nicht trinken - sonst ist man beschwippst ..

Liebe Grüße
Petra
 

aliceg

Mitglied
Also liebe Leute,

trotz eurer bierigen Expertisen (wie trinkfeste Seemänner) und meiner
Zustimmung für diese sehr gute Geschichte, sind mir doch noch ein paar Kleinigkeiten aufgefallen:

Gleich der Einstiegssatz klingt wie die Überschrift eines Kriminalberichts (überformuliert, wie petrasmiles schon bemerkte). Besser wäre: An einem Donnerstag im November, spätabends (oder: eine Stunde vor Mitternacht)

auf dem Barhocker vor ihm - vor sich (in diesem Satzbau!)

eine rauchen (klein)

weißt du, (Komma) was mein Vater

zum Wirten

Mann, jetzt reicht es

zog der Wirt den Schlüssel aus dem Schloss und steckt ihn (ein Zeitwechsel muss gewollt sein! Hier scheint er mir zufällig passiert zu sein)

PS: nicht verzweifeln! Uns allen unterlaufen Flüchtigkeitsfehler, wenn man noch so oft Korrektur liest, manche übersieht man trotzdem.:)

lg aliceg
 
Ein Hallo an Aliceg und an alle anderen, ...
die mit meinen Jungs am Tresen stehen.

Ich freue mich über jede Rückmeldung und nehme Kommentare und Kritik gern an. Die letzten habe ich gerade in den Text eingebaut.

Die besten Wochenendgrüße
Birgit
 
Guten Abend,
ich habe mir gerade noch mal alle Rückmeldungen zu Gemüte geführt. Besonderes freue ich mich natürlich auch über die Wertschätzung meinen Text weiter zu empfehlen.

Abendgrüße von Birgit
 



 
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