Birgit Sonnberger
Mitglied
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Empfohlener Beitrag
- #1
Tränen am Tresen
An einem Donnerstag im November spätabends im Pub an der Ecke. Es roch nach dunklem Bier und Frittiertem. Die Hängelampe über dem Tresen schien mehr Schatten als Licht zu spenden. Im Hintergrund lief Grönemeyer. Ein TV Bildschirm hing mit flimmernden Bildern und einer stummen Nachrichtenschleife an der Wand über der Sitzecke. Zwei Männer in abgetragenen Anzügen hielten sich mit ihren Guinnessgläsern am Tresen fest. Der lange und knochige Mann beobachtete den kleinen Glatzkopf auf dem Barhocker vor sich. Eine einzelne Träne rann dem Kleinen über die Wange.
„Hey, weinst du?“, fragte der Lange.
Der Kleine wischte die Träne mit dem Handrücken weg. „Nein, ich war gerade eine rauchen. Draußen regnet‘s.“
„Schon klar, … Regentropfen. Weißt du, was mein Vater immer gesagt hat? Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“
Der Kleine umklammerte sein Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Mit dem Zeichen für Nachschub ließ er das leere Glas quer über die Theke zum Wirt schlittern und starrte weiter vor sich hin. Der Lange ignorierte sein unausgesprochenes Lass mich in Ruhe.
„Hey, ich sehe doch, dass du weinst. Weißt du, was mein Vater noch gesagt hat? Ein Junge weint nicht.“
Der Kleine schluckte und hob sein Kinn: „Ich verrate dir jetzt, was mein Vater gesagt hat.“ Er stieß dem Langen eine Handbreit über dem Nabel seinen ausgestreckten Zeigefinger in den Bauch: „Der mit der größten Klappe hat die kleinsten Eier‘, das hat er gesagt.“
Der Lange ignorierte den stechenden Finger und bohrte seinerseits weiter nach Streit. „Weinende Jungs sind Memmen, hat mein Vater auch immer gesagt.“
Der Kleine, der nicht eben schmächtig war, ballte seine Fäuste: „Pass auf, was du sagst.“ Während er immer lauter sprach, dachte er: „Gleich liegt der mit einem blauen Auge unterm Tisch.“
„Hey, ich habe nur gesagt, was mein Vater gesagt hat.“
Die drei letzten Gäste am Tisch in der Ecke hoben erwartungsvoll ihre Köpfe. Sollte der Abend etwa noch spannend werden?
Mit der Hand, die am Nachmittag noch eine Schaufel voll Erde in ein Loch geschaufelt hatte, wischte sich der Kleine über seine Glatze und dann über die Wangen. In seiner Kehle wurde es bedenklich eng. Sekundenlang passierte nichts. Dann schwappte es aus ihm heraus, Tränen tropften auf seine Hose. „Du hast recht. Ich weine, das war kein guter Tag für mich.“
Der Lange war der Typ, der wusste, wann es genug war.
„Hey, war nicht so gemeint“, er drückte dem Glatzkopf eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß doch wie das ist. Jetzt sind wir beide ohne Vater. Übrigens der Pastor hat schön gesprochen.“ Selbst im Dämmerlicht war in seinen Augen ein verdächtiges Glitzern zu erkennen.
Hinter der Theke polierte der Wirt seine Gläser. Bis hierhin hat er dem Elend der beiden schweigend zugehört. Jetzt reichte es ihm. Er knallte drei Gläser auf das polierte Holz und packte den Hals seiner Lieblingsflasche. Er schüttelte sie kräftig, drehte sie um und schlug routiniert mit der Handfläche gegen den Flaschenboden. Dann stellte er sie aufrecht hin, schraubte sie auf und goss ohne Blick drei Likörgläser bis über den Eichstrich voll.
„Mann, jetzt reichtes aber mit dem Geflenne.“ Er schob zwei Gläser mit Eierlikör über den Tresen, das dritte hob er hoch: „Prösterchen, auf unsere Väter. Wisst ihr, was meiner gesagt hat? Nix hat er gesagt. Den gab es nämlich gar nicht. Aber meine Mutter hat immer gesagt: ‚Junge, darauf trinken wir einen. Ein, zwei Eierlikörchen und die Welt ist wieder rund‘, das hat sie gesagt.“
Zwanzig Minuten später zog der Wirt den Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn in seine Jackentasche zu der Streichholzschachtel und dem Grablicht. Er wählte die Abkürzung über den Friedhof. Der Pub lag ruhig und dunkel hinter ihm.
An einem Donnerstag im November spätabends im Pub an der Ecke. Es roch nach dunklem Bier und Frittiertem. Die Hängelampe über dem Tresen schien mehr Schatten als Licht zu spenden. Im Hintergrund lief Grönemeyer. Ein TV Bildschirm hing mit flimmernden Bildern und einer stummen Nachrichtenschleife an der Wand über der Sitzecke. Zwei Männer in abgetragenen Anzügen hielten sich mit ihren Guinnessgläsern am Tresen fest. Der lange und knochige Mann beobachtete den kleinen Glatzkopf auf dem Barhocker vor sich. Eine einzelne Träne rann dem Kleinen über die Wange.
„Hey, weinst du?“, fragte der Lange.
Der Kleine wischte die Träne mit dem Handrücken weg. „Nein, ich war gerade eine rauchen. Draußen regnet‘s.“
„Schon klar, … Regentropfen. Weißt du, was mein Vater immer gesagt hat? Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“
Der Kleine umklammerte sein Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Mit dem Zeichen für Nachschub ließ er das leere Glas quer über die Theke zum Wirt schlittern und starrte weiter vor sich hin. Der Lange ignorierte sein unausgesprochenes Lass mich in Ruhe.
„Hey, ich sehe doch, dass du weinst. Weißt du, was mein Vater noch gesagt hat? Ein Junge weint nicht.“
Der Kleine schluckte und hob sein Kinn: „Ich verrate dir jetzt, was mein Vater gesagt hat.“ Er stieß dem Langen eine Handbreit über dem Nabel seinen ausgestreckten Zeigefinger in den Bauch: „Der mit der größten Klappe hat die kleinsten Eier‘, das hat er gesagt.“
Der Lange ignorierte den stechenden Finger und bohrte seinerseits weiter nach Streit. „Weinende Jungs sind Memmen, hat mein Vater auch immer gesagt.“
Der Kleine, der nicht eben schmächtig war, ballte seine Fäuste: „Pass auf, was du sagst.“ Während er immer lauter sprach, dachte er: „Gleich liegt der mit einem blauen Auge unterm Tisch.“
„Hey, ich habe nur gesagt, was mein Vater gesagt hat.“
Die drei letzten Gäste am Tisch in der Ecke hoben erwartungsvoll ihre Köpfe. Sollte der Abend etwa noch spannend werden?
Mit der Hand, die am Nachmittag noch eine Schaufel voll Erde in ein Loch geschaufelt hatte, wischte sich der Kleine über seine Glatze und dann über die Wangen. In seiner Kehle wurde es bedenklich eng. Sekundenlang passierte nichts. Dann schwappte es aus ihm heraus, Tränen tropften auf seine Hose. „Du hast recht. Ich weine, das war kein guter Tag für mich.“
Der Lange war der Typ, der wusste, wann es genug war.
„Hey, war nicht so gemeint“, er drückte dem Glatzkopf eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß doch wie das ist. Jetzt sind wir beide ohne Vater. Übrigens der Pastor hat schön gesprochen.“ Selbst im Dämmerlicht war in seinen Augen ein verdächtiges Glitzern zu erkennen.
Hinter der Theke polierte der Wirt seine Gläser. Bis hierhin hat er dem Elend der beiden schweigend zugehört. Jetzt reichte es ihm. Er knallte drei Gläser auf das polierte Holz und packte den Hals seiner Lieblingsflasche. Er schüttelte sie kräftig, drehte sie um und schlug routiniert mit der Handfläche gegen den Flaschenboden. Dann stellte er sie aufrecht hin, schraubte sie auf und goss ohne Blick drei Likörgläser bis über den Eichstrich voll.
„Mann, jetzt reichtes aber mit dem Geflenne.“ Er schob zwei Gläser mit Eierlikör über den Tresen, das dritte hob er hoch: „Prösterchen, auf unsere Väter. Wisst ihr, was meiner gesagt hat? Nix hat er gesagt. Den gab es nämlich gar nicht. Aber meine Mutter hat immer gesagt: ‚Junge, darauf trinken wir einen. Ein, zwei Eierlikörchen und die Welt ist wieder rund‘, das hat sie gesagt.“
Zwanzig Minuten später zog der Wirt den Schlüssel aus dem Schloss und steckte ihn in seine Jackentasche zu der Streichholzschachtel und dem Grablicht. Er wählte die Abkürzung über den Friedhof. Der Pub lag ruhig und dunkel hinter ihm.
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