An zwei Tagen von vielen

Nathanael

Mitglied
An zwei Tagen von vielen

Ich bin zwanzig Minuten zu früh am Barbarossaplatz, und während ich nach dem Gebäude Ausschau halte, versuche ich, mich nicht an dem dünnen Regenschimmer zu stören, der allmählich meine Brille bedeckt. An einer Ampel stelle ich mich unter den Regenschirm eines Passanten und ernte zunächst Verwunderung, dann schenkt er mir ein Lachen. Vor dem Haus mit der Nummer 44 warte ich noch eine Zigarettenlänge, dann betrete ich den Sitz der PS Direkt GmbH. Der Hausflur versprüht wenig Repräsentatives: ein Schild fordert die Besucher auf, davon abzusehen, ihre Zigaretten auf den Boden zu schmeißen, untermalt von einer auf einem Müllberg sitzenden Kanzlerin, die sich die Frage stellt, in welchem Land sie eigentlich lebt. In den Wänden riesige Löcher, der Boden mit Staub und Straßendreck geschmückt.

Vor der Eingangstür kündigt Klappern eine Frau an und so unterlasse ich Klingeln und Klopfen. Ein Schlüssel im Schloss, die aufgehende Tür, plötzliches Zurückweichen und ruckartige Aufwärtskopfbewegung signalisieren leichte Erschrockenheit, die sie zunächst noch einmal durch spielerisches Handlegen auf ihr Herz kommuniziert und schließlich auch ausspricht: „Da hab ich mich aber ein bisschen erschrocken.“ Ist denn auch die liebe Tante Cunz zu sprechen? Sie übergibt mich der nächsten Dame in Kostüm. Sämtliche telefonierenden hübschen Frauen in von Topfpflanzen geschmückten Zimmern schenken mir sirenende Lächeln. „Guten Tag, mein Name ist Konstantina Mekra.“ Wir schütteln uns die Hände und ich werde gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen.

Nach wenigen Minuten entreißt mich Frau Mekra der Langeweile, die ich beim Nachgehen der Frage empfinde, welche Wirkung das übergroße Porträt eines zähnefletschenden Wolfes mit blauen Augen auf die meisten Wartenden wohl entfaltet. Immerhin legen Sie sich gar nicht erst groß den Schafspelz um. Immerhin. Ich werde gebeten, einen Bogen auszufüllen, persönliche Daten, Einwilligung zur Speicherung dieser etc. Ich lasse vieles offen und warte dann wieder, blätter in einem ziemlich öden IHK-Magazin, schaue aus dem Fenster in einen trostlosen Hinterhof. Gegen drei, als der Gedanke, einfach wieder zu verschwinden, schon fast die Oberhand gewonnen hat, werde ich gebeten, einen stümperhaften, von Fehlern wimmelnden Test zur „neuen“ Rechtschreibung abzulegen, wobei es mir eine Freude ist, den Verfasser auf seine schlechte Arbeit aufmerksam zu machen.

Frau Cunz im Meeting, also für Frau Mekra einen Überblick über den Lauf meines Lebens. Anschließend konkretisiert sich das latent Kriminelle, das ich ihr von vorneherein angeheftet hatte, in einem deutlichen Gefühl des versuchten Betrugs: den Arbeitsplatz nur rudimentär erklärt, den Arbeitgeber vor vertraglicher Übereinkunft mit der Firma kennen zu lernen unmöglich. Müsse auch einen zwölfmonatigen Vertrag unterschreiben, aber bei dem mysteriösen namenlosen Arbeitgeber from nowhere seien mir erst mal nur drei Monate sicher. Danach halt mal gucken, was sonst noch so geht. Und, wollen wir jetzt den Vertrag unterschreiben?

Wie schon bei der Begrüßung ein überaus labbriger Händedruck, ein Nimmer-Wiedersehen-Lächeln. Ich warte auf die Linie 18, erzähle einem ungepflegten Biertrinker das gerade Erlebte. Als ich in der Bahn bin Peacezeichen. Da mein Freund Bassem noch nicht in Klettenberg ist, trinke ich zwei Kölsch in einer Kneipe, anschließend eins am Kiosk, das dem Leverkusenfan gehört. Arschkalt. Beim Bowling folgt auf einen Strike nicht mehr viel, im Kino läuft nur Mist, beim Billard gewinne ich nur deshalb zwei Mal, weil mein Freund die Schwarze im falschen Loch versenkt. Wir gehen zum neuen Türken, er bestellt etwas, ich nicht. Wir trinken Tee und meine Trunkenheit weicht Müdigkeit. Also steige ich beim anschließenden Kickern auf Whiskey um. Erwartungsgemäß verlieren wir gegen die Cracks haushoch, aber Bassem scheint sich daran zu stören und verschwindet nach Hause.

Ich habe vor, einen Freund zu besuchen, gehe vorher kurz bei dem alternativen Theater vorbei, das bei ihm um die Ecke ist. Ein russischer Möchtegernkünstler zeigt mir seine Bilder und es fällt mir schwer, ihn für die Originalität seiner Tigermotive zu loben. Ich biete ihm an, einen Joint rauchen zu gehen, doch er verliert sich in russischer Konversation und ich schleiche wieder hinaus. Klingel kaputt, Handy aus, kein Besuch also. An einer Ampel gehe ich zu einem einsamen Autofahrer und frage ihn, ob er mich mit nach Ehrenfeld nehmen kann. Er sagt: „Super Frage, man. Aber ich fahr in die andere Richtung.“ Also laufe ich weiter und weiter, überquere bei Rot die Innere Kanalstraße und bin erleichtert, als mir bewusst wird, dass die in dem von mir zuerst übersehenen Polizeiwagen hockenden Beamten mir dies durchgehen lassen. Langsam des Wanderns überdrüssig gehe ich ins Königsblut, dessen schönen Garten ich nutzen möchte, um dort Einen zu rauchen, Whisky zu trinken, etwas aufzutanken, bevor es weiter geht. Aber der Garten ist geschlossen und so setze ich meinen Weg fort, bis ich Em Drügge Pitter ankomme.

Endlich da. An der Bar finde ich Platz zwischen zwei Zweiergruppen, eine männlich, die andere weiblich. Im Hintergrund läuft das Halbfinale des diensttäglichen Kickerturniers. Ich frage nach dem neuen Honigwhisky und bezahle fünf Euro. Nach wenigen Minuten macht mich die Barlady darauf aufmerksam, dass dieser im Angebot ist und gibt mir Geld zurück. Heute also Honigwhisky. Ich unterhalte mich mit ihr und flüchtig Bekannten, esse ein bisschen Käse, gewinne Freunde für eine Nacht und auch ein paar Feinde. Gegen drei leert sich die Kneipe, auf zehn Männer kommt nun eine Rothaarige, die tanzt und es zu genießen scheint, unverblümt begutachtet zu werden. Sie erzählt mir, dass ihre Haare nicht echt seien, lässt mich diese aber nicht anfassen. Ich vermute, dass sie die mangelnde Einsicht in den Zusammenhang zwischen ihren Worten und meiner Handlung zu dem mir im Wortlaut zwar unverständlichen, in seiner Bedeutung jedoch eindeutigen Kommentar veranlasste: was für ein Idiot.

Ich steige wieder auf Kölsch um, geh ab und zu nach draußen, um am Joint zu ziehen, tanze mit geschlossenen Augen ein bisschen vor mich hin zu einer Coverversion eines Velvet Underground-Songs. Einer der drei Barpächter stellt sich mir vor und gibt mir ein Bier aus, die Rothaarige kreuzt bisweilen verstohlen auf und wird geflissentlich von mir ignoriert. Dass sie dies tatsächlich anzuspornen scheint, amüsiert mich: gibt es diesen Zusammenhang also tatsächlich mal in real! Muss man alles mitgemacht haben... Also tanze ich mit ihr schließlich ein bisschen eine an einen griechischen Volkstanz angelehnte Füße-in-die-Luft-Variante, was ihren Begleiter dazu veranlasst, auf den Boden zu spucken. „Hör auf zu spucken“, sage ich und die beiden verschwinden.

Um halb fünf macht der Laden zu. Ich geh nach Hause, stelle viele Wecker, falle in einen an Träumen erbärmlich armen Schlaf. Um halb elf aus dem Bett gequält nehme ich eine heiße Dusche. Klar kommen. Blauer Kapuzenpullover, Arafatschal, los zur Bahn. Die Verhandlung ist für zwölf Uhr angesetzt. Zlatan ist gekommen und setzt sich neben mich. Stephan sagt aus, dass er an dem besagten Tag im Park gewesen sei und versichern könne, dass Hüseyin keine Drogen verkauft hat. Nach einer Klärung anhand von Bildern, wer wo genau gesessen hat, erklärt der Richter: „So, wir haben ja jetzt auch schon Mittag rum. Ich schlage vor, wir machen jetzt mal eine Stunde Pause und dann treffen wir uns hier wieder.“

Wir verlassen das Gerichtsgebäude, trinken Kaffee, rauchen. Zlatan füllt allen Chantré in die Becher und prustet heraus, dass er gerne mal den Staatsanwalt ficken würde, was er als Homosexueller wahrscheinlich wirklich so meint. Hüseyin ermahnt beide, leise zu sein und verbietet Stephan, ein Bier zu trinken. „Aber dann würde es mir besser gehen“, sagt dieser. „Warte noch eine Stunde“, sage ich, „es macht keinen guten Eindruck, wenn der Richter oder die Schöffen jetzt vorbeikommen und uns trinken sehen!“ Da den beiden nichts anderes zur Überwindung ihre Langeweile einfällt, beschließen sie, sich für den Rest der Pause in einen Vergewaltigungsprozess zu setzten.

Schließlich verkündet der Richter gegen halb drei sein Urteil, begleitet von scheinbar absoluter Teilnahmelosigkeit der Schöffin und eines immer breiter werdenden Grinsen des Schöffen: sechs Monate. Mit der zuvor verlängerten Dauer seiner Bewährung somit fünfzehn Monate Knast für achtzehn Gramm Gras! Aufgrund der zahlreichen Vorstrafen kommt weder eine Geldstrafe noch Bewährung in Frage, so der Jungwolf. Und bestätigt dadurch zum vierzehnten Mal eine traurige Serie, auf die mich mein Freund vor der Verhandlung aufmerksam gemacht hatte: „Ich wurde noch nie freigesprochen.“
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Nathanael, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Du hast zwei Tage aus dem Leben des Prot überzeugend geschildert, so dass man sich fragt, ob alle Tage seines Lebens so aussehen. Der letzte Teil mit der wörtlichen Rede gefällt mir besonders gut.

Ein paar kleine Fehler solltest Du noch verbessern.


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

Nathanael

Mitglied
Hallo DocSchneider,

vielen Dank für die Willkommensgrüße und deine Rückmeldung.

Welche paar kleinen Fehler kann ich noch verbessern?


Beste Grüße

Nathanael
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Nathanel,

folgende Fehler sind mir aufgefallen:

Sie übergibt mich der nächsten Dame in Kostüm.
Sie übergibt mich der nächsten Dame im Kostüm.


Sämtliche telefonierenden hübschen Frauen in von Topfpflanzen geschmückten Zimmern schenken mir sirenende Lächeln.
"Sirenende Lächeln" gibt es nicht. Versuche ein anderes Adjektiv zu finden.


„Guten Tag, mein Name ist Konstantina Mekra.“
Der Punkt steht immer nach den Ausführungszeichen. Dieser Fehler taucht noch öfter auf.


Immerhin legen Sie sich gar nicht erst groß den Schafspelz um.
Sie klein schreiben.


blätter in einem ziemlich öden IHK-Magazin,[/quote]

blättere

„Super Frage, man.
Mann!

um dort Einen zu rauchen,
um dort einen zu rauchen (ich nehme an, Du meinst einen Joint?)


Ich hoffe, ich habe nichts übersehen. :)


LG DS
 

FrankK

Mitglied
Hallo Nathanael,
auch von mir ein herliches Willkommen in der Leselupe.

Eine bitterböse Selbstbetrachtung über zwei "Standardtage" deines Protagonisten, gewürzt mit einer gehörigen Portion Selbstironie.

Gut gelungener Einstieg, muss man mal hervorheben.


Die paar Flüchtigkeiten hat DS ja schon angemerkt. Mehr ist mir auch noch nicht aufgefallen.


Abendliche Grüße aus Westfalen
Frank
 

Nathanael

Mitglied
Hallo Doc-Schneider,

zunächst einmal möchte ich mich recht herzlich dafür bedanken, dass du dir die Mühe gemacht hast, meinen Text auf Fehler hin zu überprüfen. Ich empfinde dies als großzügigen Service!

Insbesondere die Anmerkung zum Ausdruck „sirendende Lächeln“ hat mir gefallen, ich habe es umgeändert in „sirenenhafte Lächeln“.

Manches halte ich für nicht eindeutig – ich denke etwa, dass umgangssprachliche Ausdrücke akzeptabel sind in Prosatexten.

Deine Anmerkung zum Zitieren ist meiner Meinung nach nicht korrekt (http://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/anfuehrungszeichen).

Ich freue mich auch sehr über inhaltliches Feedback!


Beste Grüße

Nathanael
 

Nathanael

Mitglied
Hallo Frank,

besten Dank für das herzliche Willkommen und das (positive) Feedback - beides weiß ich sehr zu schätzen.

LG aus dem Rheinland
Nathanael
 



 
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