Anna

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Suzie

Mitglied
Doch, in meiner welken Welt gibt es Leander.
Der ist nämlich irgendwie Annas Vater. Nicht wirklich, weil Anna ja keine richtigen Eltern hat, aber er war es, der sie vor fünf Jahren fand und deshalb denkt er jetzt auch, dass sie zum Teil ihm gehört.
Und wenn er erfährt, wie sie wirklich ist, nimmt er sie mir weg.
Einmal ist er schon gekommen und holte Anna und fuhr mit ihr weit weg.
Ich hab die ganze Zeit während Anna nicht da war alleine im Klavierkasten geschlafen, weil ich es nicht ertragen konnte, dass mich unser trauriges Bett verschluckt.
Und auf den Fotos, die Leander während dieses schlimmen Urlaubs von Anna gemacht hat, sieht sie aus wie eine erstochene Porzellanpuppe. Ganz blass und blutleer.
 
Deine Adern laufen wie Rinnsale von Blausäure unter deiner Haut. Manchmal drücke ich sanft mit der Fingerspitze darauf und kann dann keine Verfärbung beobachten.
Du hockst auf meiner Ledercouch und kaust bedächtig Roggenbrot. Ich koche dir Lindenblütentee und mir einen Earl Grey. Dann schalte ich Musik ein, etwas Lautes von Juno Reactor. Ich beobachte, wie du immer mehr in dir selbst verschwindest.
Vielleicht ziehst du dich ja so weit in dich selbst zurück, dass du nicht mehr bemerkst, was ich mit dir tue. Das wäre dann meine Chance. Ich stütze mich auf dein angewinkeltes Knie und spiele nervös an deinem Fußkettchen herum, auf dem mein Name steht. "Bist du schon tot?" frage ich leise. Sie sieht mich an, legt das harte Brot auf den Tisch, als wäre es Stein und trinkt von ihrem Tee. Ihre eiskalten Hände halten die Tasse umklammert und Dampf steigt vor ihrem Gesicht auf. Sie lächelt und sagt: "Ach Quatsch!"
 
Es ist Nacht und ich drehe mich unruhig im Bett. Es ist zu heiss zum Schlafen. Ich rufe dich an. Es klingelt lange, bevor du mir ganz leise und verstört zuflüsterst, dass es halb drei morgens ist.
"Ich wollte nur mal deine Stimme hören, Anna... Darf ich kommen?" Ich warte sicher bald drei oder vier Minuten, bevor du wieder einen Laut von dir gibst. "Komm doch..." Dann knackt es.
Es will schon bald hell werden, als ich bei dir ankomme. Du scheinst wieder eingeschlafen, denn du machst lange nicht auf und siehst dann etwas zerknittert aus. Ach, meine Anna! Drücken darf ich dich zur Begrüßung, obwohl ich dir lieber den Schlaf aus den Augen geküsst hätte. Nach dieser Begrüßung verschwindest du wortlos wieder in deinem Bett. Ich sehe deinen weißen Sohlen hinterher. Stehe am Badezimmerfenster und rauche. Dann mache ich leise Musik an, lege ich mich hinter dich, meine Hände an deiner Brust, und drücke mich an dein weiches Hinterteil. "Frechheit!" murmelst du im Halbschlaf, als ich genüsslich in deine Schulter beisse.
Einen rosa Kranz lassen meine Zähne in deiner weissen Haut, der schon nach Sekunden wieder verschwunden ist. Wenn unten ein Auto vorbei fährt, huscht ein Lichtbogen durch das dunkle Zimmer. Zuerst über den Kleiderschrank mit dem Stoffaffen, dann über den runden Spiegel, schließlich über unsere beiden nackten linken Beine. An der Tür zum Flur verschwindet er. Jetzt ist die Hitze bekömmlich und bald schlafe auch ich.
 
Frost

Eisgrau wird der Himmel. Noch ist es warm, aber ich rieche schon die rauchige Kälte der nächsten Monate.
Deine Hände sind klamm und ich wärme sie zwischen meinen Schenkeln. Wir sehen uns im Fernsehen eine Buchbesprechung an. Manchmal küsse ich deinen linken Ellenbogen oder steche dich einfach in den Bauch mit der Fernbedienung. Ich lache, weil du dich mit Studentenfutter vollstopfst. Ich wuschle durch dein dunkles Haar und du redest plötzlich vom Süden und dass du weg willst.
Plötzlich sehe ich dich vor meinem inneren Auge, nackt und mit zerrissener Bauchdecke an einen Felsen gekettet. Knallrotes Blut läuft an deinen vollen Waden hinab und über das Fußkettchen mit meinem Namen drauf und ich stehe ganz weit unten, irgendwo an einer sandigen Küste, und brülle wie verrückt zu dir hinauf. Manchmal endet die Nacht im Dunkel.
 
Anna, ich habe Ärger. Sieh mir mal in die Augen und merke, was auf mir alles lastet. Ich würde was drum geben, dir mal Leid zu tun. Dieser zweideutige Satz erfreut mich.
Wenn du erkältet bist und total verpennt und verheult im Bett rumliegst, komme ich dich immer besuchen und lese dir Geschichten von mir vor. Sie gefallen dir nicht und du wirst noch kränker. Irgendwann kommt deine Mutter, der Werweisswer werweisswas über mich erzählt hat, und schmeisst mich aus deiner Wohnung. Dann kocht sie dir brüheissen Blasen- und Nierentee (immer Blasen- und Nierentee!), der dich fast umbringt und erbärmlich stinkt.
Sowas könntest du mit mir ruhig auch mal machen.
 

kostho3

Mitglied
Hallo Magdalena !

Deine Anna-Serie gefällt mir. Etwas von der Thematik und vom Stil erinnert mich an Antje Wagners "Lüge mich", einem meiner Lieblingsbücher der letzten Jahre.
Durch Deine gewählte Form des Postens haben Deine Texte allerdings mehr den Charakter eines online-Tagebuches. Als Kurzgeschichten, mit den für sie typischen Eigenschaften, würde ich sie nicht bezeichnen.
Ich werde zukünftig mal wieder nach "Anna" hier schauen.

Kostho
 
Hallo kostho3!

Es stimmt schon, irgendwie ist das keine Kurzgeschichte im eigentlichen Sinne mehr. Allerdings wusste ich zu Beginn auch noch nicht, wie das alles mal aussehen wird, dass ich weiter und weiter daran schreiben würde. Meine Anna beschäftigt mich eben immer weiter, Gott sei dank!
Andererseits mache ich mir um formale Dinge wie Textgattungen auch keine großen Gedanken. Wichtig ist für mich, was der Text sagt.
Ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch bei Anna.

Liebe Grüße, Lene
 
Ein so marmoriertes Lachen bin ich von dir aber nicht gewohnt. Dazu summst du noch. Auch ohne dass deine italienischen Arien durch die ganze Wohnung dröhnen. Ich sitze in deinem Korridor und rauche und wundere mich über dich. Du rennst hin und her, steigst immerzu über mich hinweg, stickst knallige Muster in deine schwerseidenen Übergardinen und hast den Fernseher an die Wand gedreht. Anna? Was passiert da bei dir? Ich bin neugierig und halte dich am Bein fest, als du beim nächsten Mal versonnen über mich wegsteigst. Ich will dass du auf das Telefonbänkchen fällst und weinst, losschreist und mir sagst, was passiert ist. manchmal hab ich Angst, dass dich mir einer wegnehmen will. Aber das werd ich zu verhindern wissen.
 
Du bist etwas gereizt heute. Trinkst kochenden Tee fast in einem Zug hinunter und schimpfst auf den Kanzler, deine Mutter und die Bedienung im Kaufhaus. Deine neuen Schuhe liegen noch eingepackt im Korridor.
Ich streiche durch dein Haar und lache leise. Deine Spitzen müssen nachgefärbt werden, ich mag dein Rot. Es passt zu deiner Haut. Genauso wie Schnee, antwortest du, springst auf und rennst auf den Balkon. Wenig später knallt mir ein frischer Schneeball an den Kopf. Und dein Gesicht verliert sich lachend in Flocken.
 

herb

Mitglied
fasziniert

hallo magdalena,

ich habe das jetzt hintereinanderweg gelesen, smile, manchmal dachte ich, o, ich muss ja auch mal atmen, vielleicht bin ich so beeindruckt, weil ich selbst nie so schreiben könnte, wenn ich versuchen würde in dieser art meine "seele zu öffnen", hätte ich angst, verrückt zu werden, wie hältst du das aus?

herzlich
 
Dadurch, daß ich drüber schreibe. Glaub mir, herb, wenn ich nicht über Anna schreiben könnte, würde ich gelinde gesagt platzen. Sie würde mich zerreissen. Sie probierts ja immer wieder...
Ja, Anna, lass dir das mal gesagt sein. Es ist eine ständige Zerreissprobe mit dir. Aber bis in den Wahnsinn bekommst du mich doch nicht getrieben. Ich bleibe immer auf deiner Spur, Anna. Für den Moment, der immer wiederkehrt.
 
Mein Kopf auf deinem nackten Bauch. Mein Haar sei weich, sagst du und ich möchte entrüstet sein, weil du das erst jetzt bemerkst. Ja, mein Haar ist weich.
Dein Gesicht sieht seltsam aus von unten, so im Halbdunkel. Deine Nasenlöcher wirken grösser und deine Nasenflügel vibrieren ganz leicht. Als ob du gleich niesen wolltest.
Deine Augen liegen wie Perlen in deinem Gesicht und leuchten schwach bei jeder bunten Rakete, die draussen vor dem Fenster in die Nacht schiesst. Ich beobachte sie zwischen deinen heute nacht etwas spitz wirkenden Brüsten hindurch. Unruhig schauen sie aus dem Fenster. Du murmelst etwas von verschneiten Bäumen da draussen.
Deine Hände sind schön warm und ich lege sie mir dahin, wo ich kalt bin.
 
Schnee in der Johannesallee. Komm, gehen wir rüber zum Park! Rütteln den Frost von den Bäumen und bewerfen den Würstchenmann mit Schneekugeln. Er zetert schon jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeikomme und lache. Aber wehren kann er sich nicht, auch wenn ers gerne würde. Bis der aus seinem Grillgestell heraus ist, fliegen wir schon über die Brücke am Teich. Und zwischen seinen kalten Würstchen zischt Schnee in die Kohlen.
Abends stehen wir am Fenster und hören die Bahn hinter dem Haus vorbei rumpeln. Wir lachen über die Leute von gegenüber, die nacheinander alle ihre verfluchten Lichter anknipsen. Bei uns bleibts dunkel. Oder siehst du das anders?
 
Ich bin erstaunt. Da ist doch die Farbe aus deinen Augen gelaufen und steht nun wie ein schillernder See auf der Tischplatte. Du hast dich blind auf die Couch gelegt und bist eingeschlafen.
Ich tauche einen Finger in die Farbe und bin erfreut. Das helle Blau sieht hübsch aus auf meiner Haut. Da will ich plötzlich etwas probieren.
Ich knöpfe vorsichtig deine Bluse auf und male ein Gesicht auf deinen Bauch. Vor Freude muss ich kindisch lachen und halte mir die Hand vor den Mund. Später male ich weiter: ein Maultier in Grün auf deinen linken Oberschenkel, einen braunen Vogel auf deine Schulter. Deine Stirn und Brüste versehe ich mit rosa Punkten, pinsele deine Fußsohlen schwarz und tunke außerdem einige Zehen in Ocker.
Als du wach wirst, sitze ich rittlings auf deinem Bauch und lasse blutrote Tropfen auf deine Knie platschen.
"Och Lene!" schreist du erbost und schlägst mir auf den Rücken. Ich fall von der Couch und bekleckere mich mit den restlichen Farben.
 



 
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