Apfeltorte

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Ji Rina

Mitglied
Es war an einem Tag im November, als ich Hanna zufällig in der Stadt traf. Wir hatten uns seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen und nichts voneinander gehört. Also beschlossen wir, in das nächste Café zu gehen, um einen Tee zu trinken.
»Und wie geht es Michi?«, fragte ich.
Michi war Hannas zwölfjähriger Sohn. Ein Jahr zuvor hatte er noch sehr erfolgreich Handball in einem Verein gespielt.
»Prima!«, sagte sie, wie erwartet. »Er ist jetzt in der achten Klasse, geht zum Klavierunterricht und spielt Tennis. Robert nimmt ihn am Wochenende oft zum Segeln mit. Dann hab ich auch mal ein bisschen Zeit für mich. Und du? Was machst du so?«
»Naja …«, sagte ich und wich ihrem Blick aus. »Mir geht’s im Augenblick nicht so toll. Im Juni ist meine Mutter völlig unerwartet gestorben. Und du weißt ja … wir waren unzertrennlich…«
Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. Für einen Augenblick schien sie über diese Nachricht geschockt.
Dann klingelte ihr Handy.
»Hallo Ruth!« Sie warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Ich sitze gerade mit einer Bekannten in einem Café. Wo bist du denn? Hast du die Prüfung geschafft? Wirklich? Herzlichen Glückwunsch! Das ist doch toll! Jetzt kannst du uns an den Wochenenden auch mal besuchen, ohne dass Robert dich abholen muss …«

Ich sah zu einem japanischen Pärchen herüber, das an einem der anderen Tische Platz genommen hatte. Der Kellner hatte ihnen eine Karte gereicht, die sie mit zusammengerückten Köpfen sehr konzentriert betrachteten.

»Nächsten Freitag kommen Sabine und Lutz zum Kaffee«, fuhr Hanna fort. »Ja, Sabine geht’s super! Ich glaube, da kommt bald Nachwuchs! Ja, wirklich … Komm doch vorbei! Die werden sich freuen, dich endlich mal wiederzusehen! Was? Ach so, kein Thema! Alles okay! Ich werd’s ausrichten. Dickes Bussi!« Daraufhin warf Hanna mir einen betrübten Blick zu und strich mir über den Arm. »Oh, das tut mir aber leid!«, sagte sie und legte das Handy zur Seite. »War sie krank?«

»Ja«, sagte ich. »Sie hatte einen Tumor, der leider erst sehr spät entdeckt wurde. Eines Tages hatte sie einfach keinen Appetit mehr. Sie nahm sehr rapide ab. Dann konnte sie plötzlich nicht mehr laufen. Wir kauften einen Rollstuhl … und …«
»Oh.«
Mir wurde bewusst, wie bitter meine Stimme klang. Fünf Monate waren vergangen, und ich hatte mich von diesem Schmerz noch immer nicht erholt. Sie war nicht nur meine Mutter gewesen, sondern auch meine beste Freundin. Jetzt ließen die Bilder mich wieder nicht los. Ganz besonders dieses eine trieb mich in den Wahnsinn: Meine Mutters verständnisloser Gesichtsausdruck, wie sie die da in diesem Krankenhaus gelegen hatte, mit leerem Blick, unfähig, auch nur einen Satz zu sagen, weit weg von ihrem Haus und ihrer gewohnten Umgebung.
Wieder klingelte das Handy. Hanna machte eine hastige Bewegung, blickte aufs Display und nahm das Gespräch an. »Robert? Was ist? Wo bist du?«

Ich beobachtete ein paar Tauben, die um die Stühle herumhüpften und nach Krümeln pickten, und ließ dabei meinen Finger um den Rand der Teetasse gleiten. Der Verlust meiner Mutter war etwas Seltsames: Als habe man mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Und immer wieder diese eine bohrende Frage, die mir vermutlich nie mehr Ruhe lassen wird: Hätte ich sie nicht doch noch nach Hause holen sollen, um dort in Ruhe zu sterben?

Hanna sagte: »Übrigens: Ruth hat die Prüfung geschafft. Ja! Das habe ich ihr auch gesagt … Sie wird am Samstag zum Kaffee kommen … Ja, ja, hab’s ihr gesagt. Ja-ha Schatz! Bin schon auf dem Weg!« Sie klappte rasch das Handy zusammen und sah mich an, als ob sie sich an etwas Bestimmtes erinnern wollte. Dann sagte sie: »Es tut mir so unendlich leid für dich. Das ist eines dieser Dinge im Leben, die man einfach nur hinnehmen muss … Aber weißt du? Das Leben geht weiter.«

Ich nickte und sah ihr in die Augen. Irgendetwas hätte ich wohl dazu sagen müssen, aber mir fiel nichts ein. Als ihr Handy piepte, weil eine Nachricht eingegangen war, ließ sie es blitzschnell in ihrer Handtasche verschwinden, ohne auf das Display zu schauen.

»Oh je, ich muss jetzt los!«, sagte sie, »Bist du auch okay?« Sie setzte eine besorgte Miene auf und strich mir nochmals über den Arm.
»Ja«, sagte ich und lächelte. »Na klar, alles ist okay.«
»Hör zu«, sagte sie und erhob sich, wobei der Schoß ihrer Gabardinejacke die leere Tasse auf dem Tisch streifte. »Du kannst mich jederzeit anrufen. Das weißt du, nicht wahr? Du hast doch meine Nummer, nicht? Dann können wir reden.«
»Ja klar«, sagte ich mit einer solch matten Stimme, dass sie mir fremd vorkam. »Ich werd dich demnächst mal anrufen.«
»Ein Bussi, Schatz«, sagte sie. »Ich muss zusehen, dass ich wegkomme. Robert will noch zu Ikea, wo wir ein Bett abholen müssen. Montag kommen nämlich Roberts Eltern, um uns zu besuchen, und da sie sich bei jedem vorigen Besuch beklagt haben, dass das Bett im Gästezimmer zu klein sei, haben wir jetzt ein neues gekauft und das alte ausrangiert. Schwiegereltern! Ich kann dir sagen …!.«
»Mach dir kein Sorgen«, sagte ich. »Auch ich muss jetzt los.«
»Es war schön, dich mal wiederzusehen!«, sagte sie und kramte in ihrer Handtasche. »Leider heute in Eile … Aber wir werden voneinander hören. Du rufst mich an, ja?«
»Ich ruf dich an«, sagte ich.

Sie küsste mich auf die Wange, ging hinüber zum Kellner und zahlte die Rechnung. Dann winkte sie mir noch mal zu und schickte mir einen Handkuss. Aus irgendeinem Grund blieb ich sitzen und sah ihr nach. Sie lief rasch auf ihren hohen Absätzen und mit wehender Jacke über die Straße. Dann fiel mein Blick wieder auf das Pärchen aus Japan. Sie hatten sich zwei Stücke Apfeltorte mit Sahne bestellt, saßen jetzt konzentriert über ihren Tellern, aßen von dem Kuchen und blickten sich dabei erstaunt an. Plötzlich begannen sie zu lachen.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich an dem Nachmittag eigentlich vorhatte, aber es fiel mir nicht mehr ein.
 
Hallo Ji Rina,

mir ist die Geschichte ein wenig zu unentschlossen. Will sie darauf hinweisen, wie eilig es manche Menschen haben, wenn sie unerwartet mit dem Leid anderer konfrontiert sind?
Oder will sie den Zwiespalt der Protagonistin zeigen, die nicht weiß, ob es besser gewesen wäre, die Mutter nach Hause zu holen? Ich hätte es interessanter gefunden, wenn die Geschichte auf eines von beiden Themen ausführlicher eingegangen wäre.

LG SilberneDelfine
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ji Rina,

Du hast sehr gut herausgearbeitet, wie unfähig Hanna zu einem echten Dialog ist, dass ihr Handy immer vorgeht, dass es ihr nicht gelingt, die Protagonistin zu trösten und Empathie zu zeigen.

Diese bleibt leer zurück und weiß gar nicht mehr, was sie eigentlich wollte ...

Ein Text, der gut in unsere Zeit passt.

Viele Grüße,

DS
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
Die Geschichte weist auf beides hin: Die Traurigkeit, die Schuldgefühle und die Hilflosigkeit auf der einen Seite, und die totale Teilnahmlosigkeit auf der anderen.
Sicherlich kann man das eine wie das andere als Hauptthema ausarbeiten. Aber ich denke, dann läge der Schwerpunkt nicht mehr da wo ich ihn im Sinn hatte.
Lieben Dank fürs Lesen und Deine Zeit!
LG
Ji
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Doc!
Danke fürs Lesen und den Kommentar! (Was Du erklärst, war mein Ziel).
Herzlichen Glückwunsch zur neuen LL!
Mit Gruss,
Ji
 
. Die Geschichte weist auf beides hin: Die Traurigkeit, die Schuldgefühle und die Hilflosigkeit auf der einen Seite, und die totale Teilnahmlosigkeit auf der anderen.
Hallo Ji Rina,

die beiden Seiten haben aber nichts miteinander zu tun, das meinte ich. Was kann Hanna für die Schuldgefühle der Protagonistin? Damit muss sie sich alleine auseinandersetzen. Deswegen hätte ich die Geschichte auf ein Thema von beiden konzentriert besser gefunden.

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

Ji Rina

Mitglied
Hallo Ji Rina,

die beiden Seiten haben aber nichts miteinander zu tun, das meinte ich. Was kann Hanna für die Schuldgefühle der Protagonistin? Damit muss sie sich alleine auseinandersetzen. Deswegen hätte ich die Geschichte auf ein Thema von beiden konzentriert besser gefunden.

LG SilberneDelfine
Hallo Ji Rina,

die beiden Seiten haben aber nichts miteinander zu tun, Was kann Hanna für die Schuldgefühle der Protagonistin? Damit muss sie sich alleine auseinandersetzen.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,
Mit Deinem Kommentar ist mir nun klar,
dass Du mit meinem Text nicht viel anfangen kannst. Aber das ist doch Okay. Vielleicht gefällt Dir ja irgendwann ein anderer Text besser. Auch ich freue mich, demnächst mal was von Dir lesen zu dürfen.
LG
Ji
 

kurt leven

Mitglied
Hallo Ji Rina,
ich empfinde diesen Text als wahre Schilderung unserer Lebensgewohnheiten. Hektik, hervorgerufen durch den ständigen Blick auf das Display, weil irgeendjemand angerufen haben könnte. Durch dieses Gerät werden wir abhängig. Nichts erfolgt mit Genuss, man ist gehetzt im Denken und Handeln.
Wenn Du isst, dann iss, wenn Du liest, dann lies... Diese Weisheit aus dem Buddhismus sollten wir lernen.
Ji Rina, nach der allgemeinen Beobachtung zu Deinem Text: Hervorragend herausgestellt, was es heute heißt, sich zu konzentrieren. Oberflächlichkeit ist angesagt, das Handy schellt, schnell hineingetutete Worte, wo waren wir stehengeblieben... Toll, wie Du Hektik, Oberflächlichkeit heraus gearbeitet hast.
LG
Kurt
 

kurt leven

Mitglied
Hallo Silberne Delfine,
leider muss ich Dir widersprechen. Wenn es zu solch oberflächlichem Aktionismus kommt, wie im Text dargestellt, gehört das Aufzählen verschiedener Lebenssituationen dazu. Man kann sich nicht mehr auf Wesentliches besinnen.
Du hast aber auch Recht. Wenn die Schreiberin die Trauer herausstellen möchte oder die Teilnahmslosigkeit, könnte das textlich intensiviert werden.
Ich empfinde jedoch, dass beide Seite zu recht nebeneinander stehen und dadurch den Zwiespalt der "postliteralen" Gesellschaft verdeutlichen.
LG
Kurt
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Seize, Hab Dank für Deine Bewertung.
Hallo Kurt, vielen Dank für Deine Meinung zum Text.
Hab auch schon Eure Geschichten gelesen. Bin bald wieder da.
Mit Gruss, Ji
 

fion

Mitglied
Hi Ji Rina,
insgesamt fand ich den Text gut. Vielleicht sind nur ein paar Baustellchen drin.
Die Erwähnung das es November ist (empfinde ich als) - Infodump.
Dann am Anfang, die Frage nach "Michi", hat mich irritiert - dachte, das er mit am Tisch säße.
Und das sie sagte, dass ihre Mutter: Völlig unerwartet gestorben sei. Eher, nach einer heftigen und kurzen Krankheit - aber nicht völlig unerwartet.
Den doppelten Zeilenabstand empfinde ich, als ob dadurch der Text zerhackt wird.
Auch sind da recht viele Plattitüden drin. Nur mal aus einem Abschnitt: Als habe man mir den Boden unter den Füßen weggerissen - bohrende Frage - die mich vermutlich nie wieder in Ruhe lassen wird.
Oder: Mutters verständnisloser Gesichtsausdruck (der innerhalb des Satzes) zu einem leeren Blick wird.
Außerdem, es werden sehr viele Namen erwähn - nur ihren kenne ich nicht.
Ja ... das klingt nach sehr viel Nörgelei.
Aber, ich verstehe den Text und mag ihn.
 

fion

Mitglied
Sorry Ji,
gerade kam meine Kaiserin nach Hause und wollte umgehend ihr Frühstück haben.
Deshalb kam es dazu, das ich meinen Text an dich so ganz ohne liebe Grüße abgeschickt habe.
Jetzt aber
habe deine Geschichte gerne gelesen, sie ist sehr zeitgemäß und ich schaue in deine anderen Text hinein.
LG
Fion
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Fion!
Wer ist denn Deine Kaiserin? :)
Ich wollt Dir nur nochmal kurz schreiben, warum ich mich mit manchen Dingen so ausgedrückt habe. Obwohl ich immer der Meinung bin: Wenn einem Sachen an einer KG stören - dann stören sie. Erklärungen sind da überflüssig.
Als erstes lieben Dank für Deine Zeit. Ja, vielleicht siehst Du Deine Anmerkungen als viel Nörgelei an – aber dazu sind die Texte ja da! Es freut mich angenörgelt zu werden….

Hier meine Antworten zu Deinen Anmerkungen:
*** Dass Du die halbe Zeile: “””Es war an einem Tag im November”””als Infodump siehst, akzeptiere ich.
Dann am Anfang, die Frage nach "Michi", hat mich irritiert - dachte, das er mit am Tisch säße.
*** Verstehe hier nicht ganz was Du meinst: Wieso sollte Michi am Tisch sitzen? Wenn Michi dabei gewesen wäre, hätte ich eher geschrieben: “Als ich Hanna mit ihrem Sohn Michi traf”.
Und das sie sagte, dass ihre Mutter: Völlig unerwartet gestorben sei. Eher, nach einer heftigen und kurzen Krankheit - aber nicht völlig unerwartet.
*** Das “unerwartet” kommt daher, weil die Mutter einen quietsch vergnügten Eindruck machte und plötzlich vier Wochen später tot war. Sowas gibts tatsächlich jeden Tag. Und so geschah es auch mit meiner Mutter. Aber wenn dass so nicht rüberkommt, dann muss ich es ändern.
Den doppelten Zeilenabstand empfinde ich, als ob dadurch der Text zerhackt wird.
*** Wenn man keinen doppelten Abstand lässt, bekommt man oft gesagt, dass der Text zu sehr ins “Auge drückt”. Deshalb hatte ich die Abstände gelassen.
Auch sind da recht viele Plattitüden drin. Nur mal aus einem Abschnitt: Als habe man mir den Boden unter den Füßen weggerissen - bohrende Frage - die mich vermutlich nie wieder in Ruhe lassen wird.
*** Diese Plattitüden habe ich lange Zeit in meinem Kopf gehabt, als meine Mutter starb. Ich fühlte mich tatsächlich so, als habe man mir den Boden unter den Füssen weggerissen. Alles stand plötzlich Kopf. Deshalb habe ich es auch genauso geschildert.
*** Was für Dich hier auch als Plattitüde klingt:
- bohrende Frage - die mich vermutlich nie wieder in Ruhe lassen wird.
*** Ist für mich eine traurige Aussage; ein tief sitzendes Schuldgefühl, dass vielen Menschen das Leben vermiest, sei es, weil sie einen Angehörigen haben weit weg von Zuhause sterben Lassen/oder weil sie nicht rechtzeitig im Krankenhaus waren, als der Angehörige starb.
Oder: Mutters verständnisloser Gesichtsausdruck (der innerhalb des Satzes) zu einem leeren Blick wird.
*** Ja: Der erste Ausdruck war verständnislos und wurde dann zu einem leeren Blick, so als habe man aufgegeben. Ist meine Beschreibung falsch? Bitte nenne mir etwas was ich an der Stelle besser schreiben könnte, um es (evtl.) zu ändern.
Außerdem, es werden sehr viele Namen erwähnt - nur ihren kenne ich nicht.
*** Ja, die vielen Namen verwirren ja auch den Prot. Der am Ende recht verloren ist. Der Name des Prot selbst ist, meiner Meinung nach, völlig irrelevant in dieser Geschichte.

Was mich jetzt doch noch interessieren würde:
Was magst Du denn an dieser Geschichte?
Nochmals vielen Dank,
Ji
 

fion

Mitglied
Hi Ji,
zu allererst muss ich mich bei dir entschuldigen, weil ich ein Schussel bin: Was Michi angeht. Da habe ich (es) doch tatsächlich (so) gelesen: Und wie geht es (Komma) Michi?
Habe ich auch beim zweiten Mal, und dann einfach rausgehauen. Sorry, mein Fehler.
(Also nicht das du denkst, dass alles andere dein Fehler ist ;)

Und nun zur Kaiserin. Eine rote, elegante Kratzbürste. Nein, nicht richtig, sie ist im Moment ganz arm dran (wegen Sylvester, und den hier immer noch gezündeten Krachern), konnte kaum nach draußen, war sie aber dann doch endlich heute, ohne Frühstück (weil es so pressierte ;), und weil das Revier eine längere Patrouille brauchte usw - kam dann ins Haus gestürmt und maunzte mich an: Hunger! Und dann hat man zu gehorchen! (Wenn einem der restliche Tag lieb ist.)

Zu deiner Mama - mein Mitgefühl.

Deine Mama im Text - das "unerwartet" nehme ich dann einfach etwas pingelig.
Unerwartet ist meiner Meinung nach - von jetzt auf nun.
Wie vielleicht bei meinem Vater es war, wenige Krankheiten, auf jeden Fall die Tage vorher normal fit und dann in einer Nacht - Herzinfarkt.
Schreib es doch einfach so, wie du es an mich geschickt hast:
... Das “unerwartet” kommt daher, weil die Mutter einen quietsch vergnügten Eindruck machte und plötzlich vier Wochen später tot war. ...

Der Doppelte-Zeilenabstand.
Sicherlich sind die Augen auch Richter. Respektive die Struktur eines Textes besänftigt die Augen.
Ausschließlich fette, kompakte Blöcke - da habe ich auch ziemlich wenig Bock drauf.
Aber wenn du innerhalb einer Geschichte mal ne dreiviertel Seite hast, die sich partout nicht lockern lässt, dann ist das eben so. Wenn da ein Monolog ist, eine durchgehende Beschreibung etc.
(OK, dreiviertel Seite in einer Kurzgeschichte, wird vielleicht nicht vorkommen. Du weißt schon wie ich das in dem Fall meine.)
Wenn es zum Beispiel eine Gardinenpredigt wär (Vater an Sohn), und es ist dadurch (auf dem Papier) ein ziemlich massiver Block entstanden, den du deinem Leser nicht zumuten willst (weil sie aus diesem Grund auch abspringen/den Bock auf deinen Text verlieren), du den Vater in seiner flammenden Rede nicht all zu doll unterbrechen willst, kann man (neue Zeile) beschreiben, wie der Sohn den Kopf hängen lässt. Pep es auf, macht es lebendig, (neue Zeile) und wieder zurück zu Papa, womit man ihn nicht unterbricht.
Wohingegen ...
der doppelte Zeilenabstand eindeutig auf eine neue / andere Szene hinweist. Für mich als Leser gibt mir der DZA die ganz klare Info: Ok, die Sache ist nun abgehakt, auf zu neuen Gestaden.
In dem Sinne...

...zu den Plattitüden.
Ich verstehe, das es (wie) ein Schock ist, man fühlt sich wie gelähmt, ist dumpf (im Empfinden), als ob einem die Füße weggerissen worden sind -
-einen, dieser stehenden Ausdrücke, darf man benutzen,
-aber nicht drei hintereinander. (Du bist ja nicht Rosamunde P.)
...Vielleicht würde ich dich gerne Fragen, ob du deine Mutter überhaupt hättest nach Hause holen dürfen - aber ich weiß nicht, ob das hier der richtige Ort dafür ist. Eher nicht.
Zurück zum Text.
Plattitüden so wohl dosiert einsetzten, wie Gewürze. Bei einem Chilli con Carne möchte man eventuell auch die gute Qualität des Fleisches noch schmecken. Nur wenn die nicht vorhanden ist, dann übertüncht man den Ranz gern mit Höllenfeuer. (Ja, übertrieben.)
Ich versuche es noch mal anders: Jedes Wort das du geschrieben, gelangt durch die Augen deiner Leser und massiert deren Seele. Also, ganz vorsichtigt mit denen umgehen.
Ja, klingt so, als gäbe ich vor, was zu können.
Nee, kann ich nicht.
Und heute Abend habe ich auch leider keine Zeit (eher Muße, wenn ich ehrlich bin) mehr dazu, wäre aber ne gute Aufgabe für mich morgen früh. Das hier ist sozusagen ein Versprechen, mich an dieser Textstelle versuche. (Kann auch vollkommen in die Hose gehen.)
Darin dann auch der Übergang der beiden Blicke. Was du (im Übrigen) selbst schon an mich geschrieben hast:
...Der erste Ausdruck war verständnislos und wurde dann zu einem leeren Blick, so als habe man aufgegeben. ... deine Worte!

Was ich an deinem Text mag:
Ist die Aktualität, die sich durch unsere Gesellschaft frisst.
Eher Ellbögen, nicht auf den anderen achten, freudlose überforderte Social Media Typen, kaum einer, der dich heutzutage noch anlächelt ...
und dann passiert in deinem privaten Leben noch was ...
und du findest kaum noch Kompetenz um dich herum ...
und die Natur kann dir auch keine Hilfe mehr anbieten, brauch ja dringend selbst ...
das sin die Augenblicke, in denen mancher schon durch das Rost gefallen ist ...

wenn du dann nicht mehr das japanische Pärchen über den Apfelkuchen lachen siehst ...

Dein Text trifft mich persönlich mitten in die Seele.
Hatte das nur nicht geschrieben, weil eigentlich eine der Vor-Schreiber sowas schon gesagt hat.
Aber, du hast vollkommen Recht! Habe ich mir letztens noch vorgenommen: Nachfragen/ Anfragen/Einfordern!!! Ganz wichtig. Meine ich ehrlich.

Ende
Aloha


 

Vagant

Mitglied
Hallo JiRina,
eins vorweg: ich hab's gern gelesen. Du hast hier ja eine Szene, wie sie wohl schon jeder einmal erlebt hat. Man triff irgendeinen alten Bekannten, fragt, wie es denn so gehe, und hofft, die so eben gestellte Frage bleibt aber bitte schön unbeantwortet und damit im vagen, da man - wenn mann denn wirklich mal ehrlich miteinender ist - ja nur selten mit den Antworten umgehen kann und sich eine adäquate Reaktion auf etwas, das einen selbst nicht persönlich anfasst, eigentlich nur in schlechten ZDF-Drehbüchern finden lässt. Deine Hanna ist da am Ende nur konsequent; durch diese Überzeichnung, durch das ungebremste zu Schau stellen ihrer Desinteresse und der offensichtlichen Falschheit ihrer schmalbrüstigen Anteilnahme ist sie mir hier ausreichend gezeichnet.
Was die Ich-Erzählerin betrifft, bin ich mir noch nicht sicher. Variante a) wäre - der eher nüchtern distanzierte Erzählton würde dieses tragen - hier vielleicht eine sparsame, lakonische Betrachtung, in einem ähnlichen Ton, wie er im letzten Satz der Geschichte klingt; Variante b) wäre die - und das ist vielleicht die, die ich gerade bevorzugen würde -, dass ich mehr von der Trauer der Protagonistin erfahre. Du hast ja im 5. Absatz versucht, sie, die Protagonistin, in erlebter Rede über die Gründe ihrer bis dahin gescheiterten Trauerbemühungen erzählen, bzw. denken zu lassen, aber das geriet mir einfach etwas zu kurz und nicht tief genug geschürft, als dass es mir die Erzählerin und ihren Konflikt wirklich nahe bringen kann.
Der Verlust meiner Mutter war etwas Seltsames: Als habe man mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Und immer wieder diese eine bohrende Frage, die mir vermutlich nie mehr Ruhe lassen wird: Hätte ich sie nicht doch noch nach Hause holen sollen, um dort in Ruhe zu sterben?
Ich würde es entweder weglassen - es ist für den Konflikt Hanna / Protagonistin nicht erheblich -, oder, wie in Variante b) angedacht, diese Seite der Story zu einem tragenden Element machen; dazu müsste ihm allerdings mehr Raum zugestanden werden; Raum in der Breite und Raum in die Tiefe.
Ansonsten: Alles wie gehabt. Liebe Grüße, Vagant.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Vagant,

Zunächst erstmal lieben Dank dass du dich mit dieser Apfeltorte befasst hast. Du weisst, Deine Rezensionen waren mir immer sehr hilfreich! Dir fehlt ein Gleichgewicht zwischen der Beschreibung der Protagonistin und der Bekannten….mh….Da bist du der Erste, der das schreibt. Aber es ist gut möglich. Ich dachte, der Dialog würde den Kontrast genügend zeigen, ohne jetzt im Detail all die Sorgen der Prot. Zu beschreiben. Muss mal schauen….

Ich danke Dir für Deine Meinung! (Danke auch für die Bewertung!)

Mit Gruss,

Jirina
 

Vagant

Mitglied
Dir fehlt ein Gleichgewicht zwischen der Beschreibung der Protagonistin und der Bekannten….mh...
Hallo.

Ich weiß nicht, ob Gleichgewicht hier das richtige Wort ist. Ich glaube, ich habe in der Geschichte mehr den inneren Konflikt der Ich-Erzählerin gelesen, also diese bis dahin noch unbewältigte Trauerarbeit, und das geschilderte Treffen mit der Bekannten hier eigentlich nur als bereitete Bühne, die dafür taugt, sich diesem Konflikt zu stellen. Nach dem Lesen der vorangegangenen Kritiken und deinen Antworten darauf, weiß ich aber nun, dass Du hier beide Aspekte beleuchten wolltest, die Emotionen der Protagonistin und die Teilnahmslosigkeit der Bekannten.
Wie ich gestern schon sagte: Für das Zeigen des inneren Konflikts ist die hier gestellte Frage: Hätte ich sie nicht doch noch nach Hause holen sollen, um dort in Ruhe zu sterben? zu wenig. Warum zu wenig? Weil hier eben nicht nach einer Antwort gesucht wird, weil es bei einer nur so gestellten Frage immer ein bisschen so ist, als lasse ich meinen Protagonisten in eine Bäckerei gehen, verwehre ihm dort aber den Kaffee oder den Brötchenkauf und lasse ihn unverrichteter Dinge wieder hinaus gehen. So ein Bewusstseinsstrom hört ja dann nicht abrupt auf, der spinnt das ja immer weiter; wiegt ab, wiegelt ab, windet sich; Gedanken halt, man kann sie kaum bändigen.
Da du aber den Fokus hier ohnehin nicht ausschließlich auf diesen Aspekt legen wolltest, könnte man diesen Satz schon fast weglassen, es dann also mehr als Rollenspiel zwischen zwei gleichberechtigten Figuren zeigen. Und genau aus diesem Grund würde ich da auch darauf verzichten, dort in die Innensicht zu gehen. Ich weiß ja so in etwa, was dir für ein sprachlicher Sound in deinen Geschichten vorschwebt; ein eher trockener Sound, fast schon staubtrockener, einer der so trocken ist, dass es in allen Ecken knistert und raschelt; und genau der Sound verzichtet dann halt auch darauf Gedanken, Emotionen und Empfindungen zu benennen. Die Empfindungen hört man dort meist zwischen den Zeilen; hier mal ein Knacken, da mal ein Rascheln; das liest sich alles aus den Dialogen und aus der Art, wie die Figuren miteinander umgehen - aber was red' ich hier, weißt du ja eh schon -, und am Ende scheint es ganz einfach, man muss dem Knacken und Knistern in der Erzählung einfach den Platz zugestehen und den ihm nötigen Raum schaffen.

Viel Getöse um nichts, deshalb abschließend: Meine gestrigen Zeilen unter der "Apfeltorte" waren weniger Kritik an deiner Arbeit, sondern mehr so eigenen Gedanken zur Einordnung der gerade gelesenen Geschichte; im Grunde mehr so Selbstgespräch - nichts, was man ernst nehmen müsste.
Grüße, Vagant.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Vagant,
Entschuldige die späte Antwort... Aber hier gehts rund...
Jetzt mit der Ausgangssperre, haben wir mehr Zeit!
Ich habe jetzt unten eine neue Version eingestellt, ohne die zwei Zeilen.
Ich danke Dir sehr für Deinen Kommentar und Deine Hilfe!
Mit lieben Grüssen, Ji

@tobys: Danke für Deine Einschätzung!


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Es war an einem Tag im November, als ich Hanna zufällig in der Stadt traf. Wir hatten uns seit über einem halben Jahr nicht mehr gesehen und nichts voneinander gehört. Also beschlossen wir, in das nächste Café zu gehen, um einen Tee zu trinken.
»Und wie geht es Michi?«, fragte ich.
Michi war Hannas zwölfjähriger Sohn. Ein Jahr zuvor hatte er noch sehr erfolgreich Handball in einem Verein gespielt.
»Prima!«, sagte sie, wie erwartet. »Er ist jetzt in der achten Klasse, geht zum Klavierunterricht und spielt Tennis. Robert nimmt ihn am Wochenende oft zum Segeln mit. Dann hab ich auch mal ein bisschen Zeit für mich. Und du? Was machst du so?«
»Naja …«, sagte ich und wich ihrem Blick aus. »Mir geht’s im Augenblick nicht so toll. Im Juni ist meine Mutter völlig unerwartet gestorben. Und du weißt ja … wir waren unzertrennlich…«
Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. Für einen Augenblick schien sie über diese Nachricht geschockt.
Dann klingelte ihr Handy.
»Hallo Ruth!« Sie warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Ich sitze gerade mit einer Bekannten in einem Café. Wo bist du denn? Hast du die Prüfung geschafft? Wirklich? Herzlichen Glückwunsch! Das ist doch toll! Jetzt kannst du uns an den Wochenenden auch mal besuchen, ohne dass Robert dich abholen muss …«

Ich sah zu einem japanischen Pärchen herüber, das an einem der anderen Tische Platz genommen hatte. Der Kellner hatte ihnen eine Karte gereicht, die sie mit zusammengerückten Köpfen sehr konzentriert betrachteten.

»Nächsten Freitag kommen Sabine und Lutz zum Kaffee«, fuhr Hanna fort. »Ja, Sabine geht’s super! Ich glaube, da kommt bald Nachwuchs! Ja, wirklich … Komm doch vorbei! Die werden sich freuen, dich endlich mal wiederzusehen! Was? Ach so, kein Thema! Alles okay! Ich werd’s ausrichten. Dickes Bussi!« Daraufhin warf Hanna mir einen betrübten Blick zu und strich mir über den Arm. »Oh, das tut mir aber leid!«, sagte sie und legte das Handy zur Seite. »War sie krank?«

»Ja«, sagte ich. »Sie hatte einen Tumor, der leider erst sehr spät entdeckt wurde. Eines Tages hatte sie einfach keinen Appetit mehr. Sie nahm sehr rapide ab. Dann konnte sie plötzlich nicht mehr laufen. Wir kauften einen Rollstuhl … und …«
»Oh.«
Mir wurde bewusst, wie bitter meine Stimme klang. Fünf Monate waren vergangen, und ich hatte mich von diesem Schmerz noch immer nicht erholt. Sie war nicht nur meine Mutter gewesen, sondern auch meine beste Freundin. Jetzt ließen die Bilder mich wieder nicht los. Ganz besonders dieses eine trieb mich in den Wahnsinn: Meine Mutters verständnisloser Gesichtsausdruck, wie sie die da in diesem Krankenhaus gelegen hatte, mit leerem Blick, unfähig, auch nur einen Satz zu sagen, weit weg von ihrem Haus und ihrer gewohnten Umgebung.
Wieder klingelte das Handy. Hanna machte eine hastige Bewegung, blickte aufs Display und nahm das Gespräch an. »Robert? Was ist? Wo bist du?«

Ich beobachtete ein paar Tauben, die um die Stühle herumhüpften und nach Krümeln pickten, und ließ dabei meinen Finger um den Rand der Teetasse gleiten.

Hanna sagte: »Übrigens: Ruth hat die Prüfung geschafft. Ja! Das habe ich ihr auch gesagt … Sie wird am Samstag zum Kaffee kommen … Ja, ja, hab’s ihr gesagt. Ja-ha Schatz! Bin schon auf dem Weg!« Sie klappte rasch das Handy zusammen und sah mich an, als ob sie sich an etwas Bestimmtes erinnern wollte. Dann sagte sie: »Es tut mir so unendlich leid für dich. Das ist eines dieser Dinge im Leben, die man einfach nur hinnehmen muss … Aber weißt du? Das Leben geht weiter.«

Ich nickte und sah ihr in die Augen. Irgendetwas hätte ich wohl dazu sagen müssen, aber mir fiel nichts ein. Als ihr Handy piepte, weil eine Nachricht eingegangen war, ließ sie es blitzschnell in ihrer Handtasche verschwinden, ohne auf das Display zu schauen.

»Oh je, ich muss jetzt los!«, sagte sie, »Bist du auch okay?« Sie setzte eine besorgte Miene auf und strich mir nochmals über den Arm.
»Ja«, sagte ich und lächelte. »Na klar, alles ist okay.«
»Hör zu«, sagte sie und erhob sich, wobei der Schoß ihrer Gabardinejacke die leere Tasse auf dem Tisch streifte. »Du kannst mich jederzeit anrufen. Das weißt du, nicht wahr? Du hast doch meine Nummer, nicht? Dann können wir reden.«
»Ja klar«, sagte ich mit einer solch matten Stimme, dass sie mir fremd vorkam. »Ich werd dich demnächst mal anrufen.«
»Ein Bussi, Schatz«, sagte sie. »Ich muss zusehen, dass ich wegkomme. Robert will noch zu Ikea, wo wir ein Bett abholen müssen. Montag kommen nämlich Roberts Eltern, um uns zu besuchen, und da sie sich bei jedem vorigen Besuch beklagt haben, dass das Bett im Gästezimmer zu klein sei, haben wir jetzt ein neues gekauft und das alte ausrangiert. Schwiegereltern! Ich kann dir sagen …!.«
»Mach dir kein Sorgen«, sagte ich. »Auch ich muss jetzt los.«
»Es war schön, dich mal wiederzusehen!«, sagte sie und kramte in ihrer Handtasche. »Leider heute in Eile … Aber wir werden voneinander hören. Du rufst mich an, ja?«
»Ich ruf dich an«, sagte ich.

Sie küsste mich auf die Wange, ging hinüber zum Kellner und zahlte die Rechnung. Dann winkte sie mir noch mal zu und schickte mir einen Handkuss. Aus irgendeinem Grund blieb ich sitzen und sah ihr nach. Sie lief rasch auf ihren hohen Absätzen und mit wehender Jacke über die Straße. Dann fiel mein Blick wieder auf das Pärchen aus Japan. Sie hatten sich zwei Stücke Apfeltorte mit Sahne bestellt, saßen jetzt konzentriert über ihren Tellern, aßen von dem Kuchen und blickten sich dabei erstaunt an. Plötzlich begannen sie zu lachen.
Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich an dem Nachmittag eigentlich vorhatte, aber es fiel mir nicht mehr ein.
 



 
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