13. Platz : Tula
Gladiatoren der Moderne (Moritat)
Hereinspaziert und füllt die Ränge!
Beim wöchentlichen Schaukampf spritzt
es warm und herzlich in die Menge.
Ein Wort, ein Lächeln, alles sitzt
und bringt den Gegenmann zur Strecke.
Zwei Konkurrenten, die sich hassen:
Der eine – Meier – optimiert
mit seinem Lieblingsschwert: Entlassen!
den Schmidt, der fleißig produziert,
d.h. als Chef für solche Zwecke.
Den ersten Schlag verabreicht Meier
mit Excel-Lenz: die rote Zahl
trifft wie ein Huftritt in die Eier.
Zum Glück sind die bei Schmidt aus Stahl;
drum glotzt er nur verstockt zur Decke.
Der schlägt zurück, mit Argumenten,
so wuchtig wie ein Morgenstern:
„Es fehlt an Bonus und Talenten
und kompetenten Managern!“
Nun röchelt Meier in der Ecke ...
und streckt die Lanze der Bilanzen.
„Da hilft kein Augenschutz, kein Netz:
Die Firma braucht: Verkauf, Finanzen,
kein proletarisches Geschwätz!“
Sein kalter Blick verrät: Verrecke ...
Die beiden scheuen keine Finten:
Diplom, Erfahrung und ‚kein Recht‘.
Man sticht von vorn und tritt von hinten.
Der erste zweifelt am Geschlecht.
Der zweite zeigt es ihm: Komm lecke ...
Schon dringt die Schlacht in die Arena:
IT, Versand, die Qualität,
ja, selbst die Pförtnerin Elena,
ein jeder schimpft, verdrischt und schmäht
und macht den anderen zur Schnecke.
Das Morden ist nicht mehr zu halten.
Verzweifelt wedelt Kaiser Franz
mit seinem Daumen. Die Gewalten,
die er hier rief, sind gar und ganz
kupiert wie eine Gartenhecke ...
14. Platz : Joe Fliederstein
Kleine Hundeballade (Ballade)
Huckenbeck hat einen Katalog gefunden,
Unter einem Berberitzenstrauch,
Ein Versandhaus wirbt darin mit Hunden
Mit gesunden und mit edlen auch.
Unsre Hunde, heißt es dort, beglücken,
Sie, verehrte Kundschaft, garantiert.
«Lass mich bald schon deine Hütte schmücken!»
Seufzt ein Kataloghund, fesch frisiert
Und mit himmelwärts gedrehten Blicken
Seite siebzehn. – Huckenbeck verstehts
Seinerseits ein Seufzerbild zu schicken
An den Hund: «Na, Eberhard, wie gehts?»
Eberhard! Der Hund hat einen Namen!
Huckenbeck entnahm ihn nicht dem Katalog,
Den verschenkt er an zwei Brillendamen,
Die sein jähes Lächeln näherzog,
Dann – es kam, wie manchmal Träume kommen –
Haben Eberhard und Huckenbeck
Beiderseitig Witterung genommen
Über Straßen, Staub und Stadt hinweg,
Fanden im Versandhaus zueinander,
Liebe wars, vom Schicksal wie bestellt,
Sie gerieten außer Rand und Bander,
Huckenbeck hat auch zuerst gebellt,
Eberhard, der einst Cherie geheißen,
Bellte wie ein wildes Sofatier,
Huckenbeck ließ sich ins Steißbein beißen,
Und begann am Hundeohr zu reißen
Und den Eberhard herumzuschmeißen,
Der dem Huckenbeck ans Brustbein sprang
Und denselben so zu Boden zwang,
Wer herumstand um die beiden Kampfnaturen,
Sprach noch Wochen von den Kampfesspuren.
Auf dem Heimweg ging der Eberhard geleint
Mit dem Huckenbeck in Zärtlichkeit vereint.
15. Platz : anbas
Ich und Michi (Moritat)
Von der Haustür durch den Garten,
raus zum Kirchhof, das ging schnell.
Sah von weitem Michi warten,
meinen Kumpel, ein Rebell.
Dort begann dann uns're Reise.
Mann, was waren wir gespannt.
Michis Rucksack, klugerweise,
war gefüllt mit Proviant.
Beide war'n wir fest entschlossen,
und die Aufregung war groß.
Ich hab' jeden Schritt genossen,
denn nun ging es endlich los.
So verließ ich mein Zuhause,
auf ging's in ein fernes Land.
Bald schon machten wir 'ne Pause
an der kühlen Kirchenwand.
Gut gestärkt ging es dann weiter
durch das alte Kirchhoftor.
Dort zog Michi, mein Begleiter,
wieder Proviant hervor.
An der alten Kirchhofmauer
machten wir es uns bequem.
Diese Rast war läng'rer Dauer,
denn es gab da ein Problem:
Unser Vorrat - aufgegessen!
Unser Weg - noch ziemlich weit.
Und wir hatten fast vergessen,
es war bald schon Schlafenszeit.
Pünktlich waren wir zu Hause,
ich und Michi, der Rebell.
Unser Heimweg, ohne Pause,
über'n Kirchhof - das ging schnell.
16. Platz : Oscarchen
Kinderfreuden (Moritat)
Ein kleiner Kerl mit süßem Lachen,
mit Grübchen, die es lieb verstärken,
ein Lausbub aus den Kitschromanen,
aus diesen klebrig süßen Werken.
Der Horror lässt sich fast erahnen.
Er wurde mir kurz übergeben.
Vier Tage sollte ich ihn hüten.
und ihn behutsam aufbewahren.
Ne, sowas lässt sich nicht vergüten!
Zum Schluss erwog ich, ihn zu garen.
Dies fiese Früchtchen führte bös
wie Alfred Hitchcock die Regie.
Ich schreibe dies noch unter Schock
im Aufwachraum der Psychiatrie.
Auf Suizid hätt` ich jetzt Bock.
Der erste Tag erwachte scheu.
Er brach früh an und dann gleich aus.
Ein Feuerchen im Eingangsflur
und dichter Rauch im Stiegenhaus.
Für Kinder reine Spielkultur.
Ein Stromverteilerschrank besteht
aus vielen Drähten, isoliert.
Er hat dann zwei versteckt verlegt,
blank an der Dusche kontaktiert.
Ich qualmte kurz und war erregt.
Ich liebte meine Pflanzenwelt,
den dichten Wuchs, die grüne Pracht.
Doch Kinderhände sind geschickt.
Was man mit Scheren alles macht!
Der Kahlschlag ist dem Kind geglückt.
Mein Kater liegt seit Freitagnacht
auf einer Intensivstation.
Der Racker hat des Abends spät
nach Abführmittelinfusion
ihm seinen Ausgang zugenäht.
Wie schnell verflogen doch die Stunden.
Hatt` ihn fast lieb, den Terroristen
und ihn beschützt und wohlgehütet.
Doch wünschte ihn auf Fahndungslisten.
Und dann wurd‘s mir ja doch vergütet.
Denn auch demnächst darf ich den Kleinen
für länger hüten und verwahren
und innigstes Verständnis hegen.
Doch werde ihn dann bei Gefahren
zuallererst in Ketten legen.
17. Platz : Joe Fliederstein
Kleine Rotlicht-Moritat hessisch (Moritat)
Du hast Papiere nicht und Ahnen,
Du hast nur einen runden Leib,
Und die Behörden kratzen Kreuze
Betreffs: «Festendlicher Verbleib?»
Du hast in meinem Bett gelegen
Vorgestern Abend im August
Und hast gesagt: «Herr Nachbaa, gelle,
Se maches korrz, isch hob ko Lust.»
Und saß ein Vogel vor dem Fenster
Und hatte einen Ehrenplatz –
«Herr Nachbaa, sehn Se, unner Mensche
Is doch ’s Edstle so’n Schpatz,
Der fliescht erum un hockt am Errker
Un guckt enoi un hot ko Geld,
Des issen Schpatz un is als solscher
Beliebt, gefiddert un gemeld.»
Du hast Papiere nicht und Ahnen,
Und übermorgen bist du tot,
Und vor den Fenstern alle Vögel
Spalieren dir im Morgenrot,
Und hinter Wolken schreibt ein dicker
Prophet dich ein in die Kartei …
«Herr Nachbaa, sehn Se, unner Mensche,
Do muss mer mindstens Engel sei.»
18. Platz : Didi Costaire
Crhyme time (Moritat)
Es stürmte und gewitterte
am dunklen Waldesrand.
Dort lief der Babysitter T.
im wehenden Gewand.
Am Abend noch verfütterte
er Blumenkohl mit Schmand.
Nun fluchte er und zitterte
und wirkte angespannt.
Da blitzte es und glitterte,
schon griff ihn eine Hand.
Er schlotterte und schlitterte,
dann fiel er in den Sand.
Ein scharfer Schuss erschütterte
nicht bloß den Baumbestand.
Die Schädeldecke splitterte,
das Blut floss penetrant.
Des Leichnams Kluft zerknitterte;
bald sah ihn ein Passant.
Die Polizei umgitterte
den Ort mit Absperrband.
Ein Kommissar ermittelte
und fand nur Flaschenpfand.
Der dreiste Täter twitterte:
»Ich bleibe unerkannt.«
19. Platz : Joe Fliederstein
Ballade vom Franz
Siehts der Mond auch jeden Abend,
Guckt er doch zum Fenster rein,
Drinnen flackert rot die Lampe,
Und man wechselt einen Schein.
Eine Hose wird in Falten
Über einen Stuhl gelegt,
Während sich ein tiefer Seufzer
Zwischenmenschlich fortbewegt.
Eine Spinne lässt sich fallen,
Und ein Seidenfummel fällt,
An der Wand im Schnörkelrahmen
Guckt ein Engel in die Welt.
Eine Fülle von orangen-
farbener Verkäuflichkeit
Legt sich auf das Vorgeprüfte
Und erwartet den Bescheid.
Ein Gebet auf schmalen Lippen
Wird im Himmel überhört,
Und ein Schicksal steht im Zimmer
Irgendwie herum und stört.
Ein ermunterndes: «Was ist denn!»
Aus der Ecke mahnt zur Lust,
Und das Schicksal fährt zusammen
Und entscheidet: «Franz, du musst!»
Siehts der Mond auch jeden Abend,
Guckt er doch zum Fenster rein,
Drinnen fällt beherzt ein Schicksal
Auf ein anderes herein.
20. Platz : Didi Costaire
Morgenrot (Ballade)
An der roten Ampel nachts um zwei
stand der Audifahrer Friedhelm Lange
lange und er kratzte seine Wange.
So verstrich die Zeit und bald war's drei.
An den roten Ampeln nachts um drei
gab es mittlerweile manche Schlange.
Wagen hielten häufig Stoß an Stange.
Müde Menschen mäkelten dabei.
An den roten Ampeln nachts um vier
stauten sich die Autos stetig länger.
Lauter Leute blickten immer strenger,
bis auf Oettinger - der trank sein Bier.
An den roten Ampeln nachts um fünf
wartete das Volk auf die Signale,
aber Oetti in der Leitzentrale,
der benahm sich völlig unvernünf
An den roten Ampeln, Gongschlag sechs,
wirkte wirklich niemand froh und heiter,
anders als der Leitzentralenleiter
Oettinger und sein Kollege Becks.
An den roten Ampeln so um sieben
sind die Ampelmännchen eingeschlafen.
Würde jemand Rotsünder bestrafen?
Einer hat die Fakten aufgeschrieben...
An den roten Ampeln war es acht.
Oettinger beschloss: "Is' Feierabend!"
Er erreichte seinen Wagen trabend.
An der Ausfahrt hat es dann gekracht.
An den roten Ampeln gegen neun
stand man sich auf Straßen in der Quere.
Bloß an Arbeitsplätzen gähnte Leere:
Kein "Grüß Gott!" und "Servus!" oder "Moin!"
An den roten Ampeln wird es zehn.
Jede Kreuzung ist total verrammelt.
Alles hupt nervös, bloß Friedhelm gammelt.
Sowas hat man lange nicht gesehn.
21. Platz : Oscarchen
Richtige Auswahl (Moritat)
Nach all diesem endlosen Streiten
War ich es, der Flüche ausstieß
Um sie dann devot zu begleiten
Ins Küchen - und Wohnparadies
Es stand dann nach zwölfeinhalb Wochen
Ein Monstrum von Küche im Haus
„Ach könnte doch nur jemand kochen!“
Ich sprach diesen Satz drohend aus
Die Stimmung war frostig zu nennen
Ich kaufte die Küche zum Schein
Die Gattin ließ Wasser anbrennen
Sie legte nur Wert aufs Design
Dann flogen die Worte wie Pfeile
Es wurden Bestecke begehrt
Sie wurden dann schärfer, die Teile
Dann lag sie fast rücklings vorm Herd
Ich fragte sie scheu und fast artig
"Und jetzt noch was kochen, so spät?"
Die Gattin war tot, doch recht drahtig
Ich dachte, dass da noch was geht
Wie zügig gelang das Tranchieren
Die Küche, sie bot allerlei
Selbst Extremitäten pürieren
Das Werkzeug dafür war dabei
Ihr Rumpf lag auf schiebbaren Platten
Im Heizraum vom Zanker 02
Die Herde, die alles gestatten
Auch Frauen bis zwei Meter drei
Ein Festmahl war mir da gelungen
Wie knusprig die tiefbraune Haut
Hab‘ zwar mit dem Rückgrat gerungen
Doch war mit der Säge vertraut
Und solltet ihr euch mal verlieben
Seid achtsam und stets auf der Hut!
Die Hochzeit mit Feisten verschieben
Denn Drahtige, die schmecken gut!
22. Platz : Joe Fliederstein
Die Moritat vom durstigen Dieter
Ach, der Suff, so spricht der Dieter,
Und im Rotweinkeller kniet er,
Ach, der Suff lässt mich auf Erden
Vor den Zeiten Engel werden,
Nach der ersten guten Flasche
Fang ich an, als Mensch zu schrumpfen,
Um nach weitren, in der Asche
Meines Menschseins abzustumpfen.
Dieter gibt sich einen Ruck,
Und dann nimmt er einen Schluck,
Stellt die Flasche ab und knetet
Heftig Hand in Hand und betet:
Lieber Gott, du gabst mir Zaster,
Mit dem Zaster kam das Laster,
Habe manchen meiner Scheine
Umgesetzt in Bier und Weine
Und zuweilen in Likör,
Alkohol ist mein Malheur …
Dieter gibt sich einen Ruck,
Und er nimmt den nächsten Schluck.
Wenn die andern Leute träumen,
Steh ich unter dunklen Bäumen,
Sehr besoffen und erheitert,
Im Empfinden sehr erweitert,
Und es wirkt auf mich die Nacht
Richtig wie von mir gemacht …
Dieter gibt sich einen Ruck,
Nimmt schon wieder einen Schluck,
Und dann nimmt er Schlücker zehn
Und vom Kurzen Stücker zehn,
Wie‘s ihm durch die Kehle gluckert,
Nie hat Dieter so geschluckert,
Doch er sieht sich grade stehn
Und den Blick zum Himmel drehn …
Ach, ich bin so gern besoffen!
Lass mich dennoch weiterhoffen,
Einstens zu den andern Frommen
In den Himmel reinzukommen,
Lieber Gott, eventuell,
Auch mit einer Flasche Hell?
Lass mich, eh sie mich begraben,
Einen Letzten sitzen haben
Und den Allerletzten oben,
Hast du je ein Glas gehoben,
Lieber Gott, bedenke dann:
Hundsgemein ist jedermann,
Der darauf verzichten kann …
Dieter gibt sich einen Ruck,
Nimmt entschlossen einen Schluck,
Einen von den ganz enormen,
Worte kann er nicht mehr formen,
Sieben Flaschen sind geköpft,
Büßerhemd ist aufgeknöpft,
Dieter büßt für seine Sünden,
Sieht den Fluss des Lebens münden
In dem großen dunklen Meer …
Bin ich Dieter oder wer …
Bin ich … werd ich aus dem Leben
Ins gelobte Jenseits schweben …
Wenn die braven Leute schlafen …
Schweb ich zwischen schwarzen Schafen …
Sehr besoffen sind wir alle …
Niemand kriegt uns in die Falle …
Sind wir Dieter … sind wir nackt …
Hab ich SOS geflaggt …
Und zur Freude
Für uns beide,
Lieber Gott, das wär der Hit,
Bring ich uns ein Fläschchen mit …
Dieter gibt sich einen Ruck,
Und dann wars der letzte Schluck.
23. Platz : Oscarchen
Glückliche Fügung ( Ballade)
Wie rennen sie, in kurzen Hosen
In feuchten Leibchen, bunt beflockt
Und wenn frenetisch Ränge tosen
Wird noch die letzte Kraft entlockt
Der Recken, die in schweren Schuhen
Dem Sieg entgegengaloppieren
Noch keinen Grund, sich auszuruhen
Zur Not ein Kampf auf allen Vieren
Die Uhr zeigt knappe zwei Minuten
Vielfältig lässt sich Zeit gestalten
Mal muss man trödeln, mal sich sputen
Zur Not auch mal die Uhr anhalten
Verwaist steht der Toilettenwagen
Und auf den Rängen stehen Pfützen
Wer wird sich jetzt noch trauen, wagen
Und schnell entleert man sich im Sitzen
Der Bierstand wird noch frequentiert
Die Zeit muss sein, und wenn zum Trost
Und hoffen, dass kein Tor passiert
Zum Wechselgeld ein kurzes „Prost“!
Nun spitzt die Lage sich doch zu
Die Nerven liegen sichtbar blank
Wie bei dem ersten Rendezvous
Doch leicht beruhigt der Gerstentrank
Die letzte Angriffswelle rollt
Mit Urgewalt und Wut und Kraft
Der Ball der fliegt, scharf und gewollt
An Schiris Kopf…ins Tor…geschafft!
Er sammelt Kraft für letzte Pfeifen
Ein zartes Flöten wird es nur
Das Tor es zählt, kaum zu begreifen
Der Schiri kriegt `ne goldne Uhr
Der Sekt füllt das Pokalgefäß
Die Freude, sie ist vehement
Solch Spiele enden wunschgemäß
Wenn man des Schiris Wünsche kennt
24. Platz : Artbeck Feierabend
Die Ballade vom Dummbidel
Algebra und Rechenschieber,
mancher liebt das Mathefieber.
Formeln büffeln – welch ein Spaß!
Nerds und Streber geben Gas.
Karsten Kötter aus dem Orte
war nicht ganz von dieser Sorte.
Lehrer Rawe blickte schnell:
Dieser Junge ist nicht hell.
Und es kam, was kommen musste!
Kindheit endet schnell im Fruste.
Für den Pauker leichtes Spiel:
Karsten quälen, wie’s gefiel.
Tafelgänge noch und nöcher.
„In der Birne doch nur Löcher!
Zirkelführung? – Lächerlich.
Aufgepasst, ich warne dich!“
Dieses ging Tag ein, Tag aus.
Für den Jungen war‘s ein Graus.
Höhnisch tönte bald die Kunde:
„Karsten dreht ne Ehrenrunde!“
So verließ er leis‘ die Penne,
floh verschämt aus Kattenvenne.
Zwei Dekaden, dann die Wende:
Rawes Herrschaft nahm ein Ende.
Seine Frau, die Gisela,
fand ihn ernsthaft sonderbar
und zu ihrem Herzverdruss
kam vom Gatten reichlich Stuss.
„Schatz, du musst jetzt tapfer sein,
hier dein Überweisungsschein.“
Schweren Mutes klopfte dann
Rawe bei der Neuro an.
Ärzte zeigten sich bemüht,
Sorgen drückten sein Gemüt.
Einsam zog er ins Quartier,
träumte bleiern und recht wirr:
Fühlte plötzlich Fäuste greifen
und ihn grob zur Tafel schleifen.
Lehrer, Schüler, alles stierte,
wie der Rektor ihn sezierte.
„Hier die Gleichung, Herr Kollege.
Zeig mir mal die Lösungswege!“
Und er zog ihn durch die Mangel.
„Wie? - Ich hör hier nur Gestammel?
Biste wieder bsoffen, Fritz?
Dein Beweis ja wohl ein Witz!
Nachtigall, ick hör dir trapsen!“
Rawes Kopf, er schien zu platzen.
Jetzt die Menge Beifall brüllte,
Schon der Saal sich weiter füllte,
als der Vorhang sich erhob
und man einen Grabstein schob:
Friedrich Rawe - Ruh in Frieden
vom Kollegium gemieden
Mathelehrer- Rest in Peace
war zu Schülern leider fies.
„Bewerft mein Lebenswerk mit Kot?
Denkt ihr denn, ich bin schon tot?
Vade retro, Teufelsbrut!“
krächzte Rawe krank vor Wut.
Dunkler Hass kam da geschlichen,
Daumen über Kehlen strichen,
als sie ihre Zähne bleckten,
Käuzchenrufe Rawe weckten.
Dann, mit viel Gebölk, Gewimmer,
fand er sich im Krankenzimmer.
Zügig kam ein junger Mann,
nahm sich seiner freundlich an.
„Pfleger, bitte schnell ne Pille!“,
Rawe spähte durch die Brille:
Oh – den Burschen kannte er!
„Moment mal, bist du nicht der - ?“
„Dummbidel!“ – Kötter lachte,
derweil er Rawes Betten machte.
„Fandest du mich etwa mies?“
„Nein, Sie waren sehr präzis,
doch tu ich mich mit Kalkulieren
immer noch verspekulieren.“
Langsam zählte Kötter Tropfen,
Morgenlicht fing an zu klopfen.
„Später ist noch Zeit zum Plaudern.“
Und der Alte, ohne Zaudern,
müd vom Träumen, nahm den Trank,
drückte Kötters Hand zum Dank.
Draußen roch es sanft nach Flieder.
Amseln sangen ihre Lieder.
Rawe sank in kühle Ruh,
sah sich selbst beim Schlafen zu.