Benn 1934 - Der Judaskuss

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Ralf Langer

Mitglied
Benn 1934 - Der Judaskuss

Deine Welt war immer klein:
Vier Zimmer, halbgeschossig
im steten Dämmerschein,
schabtest du an Worten
und an der Syphilis der Zeit.

Die Welt – Berlin
halb Höhle, halb Gethsemane:
du schreibst: du denkst an Flucht
ist nicht zu denken,
weil andere geflohen.

Die Welt – Barbarentum;
du denkst: du schreibst – nur
dientest du mit deinen Worten
dich den Schlächtern an.

Es gab kein neues Sparta,
nirgends keimte - nichtmals sacht
dein dorischer Traum.
Die Säulen, die du dachtest,
die gab es nie – sie stürzten nicht;
was fußte, stand im Grau`n.

Die Welt - die Dämmerung,
der Mensch, das Schwein
Das Wort fiel spät;
du, irrender Prophet,
riefst für ein Jahr: ich kann, ich muß
und gabst dich wortgewaltig hin -
der Nacht, dem Judaskuss.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo Gemeinde,

selten genug kommt es vor. Doch ich glaube bei diesem Stück sollte ich ein "leitendes Vorwort" schreiben.

Diese Stück fußt tief im biographischen Leben von
Gottfried Benn. Es befasst sich mit dem kurzen, aber tragischen Lebensabschnitt seiner "gehirnlichen" Kollaboration mit den Nazis.

Ausgangspunkt sind seine essayistischen Werke in der Zeit von 1933 - 1934, vor allem aber sein offener Brief an die Intellekuellen die Deuschland schon 1933 verlassen hatten.

Vielleicht bedarf dieses Stück zuviel Vorwissn?
Ich hoffe aber, das ich die Stimmung zumindest eines Inellektuellen, der dachte die braune Brut mit seinem Wort leiten zu können, in Worte fassen konnte.

Nichtsdestotrotz halte ich Benn für einen Riesen der deutschen Sprache.

Damit soll genung sein.

lg
Ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Benn 1934 - Der Judaskuss

Deine Welt war immer klein:
Vier Zimmer, halbgeschossig
im steten Dämmerschein,
schabtest du an Worten
und an der Syphilis der Zeit.

Die Welt – Berlin
halb Höhle, halb Gethsemane:
du schreibst: du denkst an Flucht
ist nicht zu denken,
weil andere geflohen.

Die Welt – Barbarentum;
du denkst: du schreibst – nur
dientest du mit deinen Worten
dich den Schlächtern an.

Es gab kein neues Sparta,
nirgends keimte - nichtmals sacht
dein dorischer Traum.
Die Säulen, die du dachtest,
die gab es nie – sie stürzten nicht;
was fußte, stand im Grau`n.

Die Welt - die Dämmerung,
der Mensch, das Schwein.
Das Wort fiel spät;
du, irrender Prophet,
riefst für ein Jahr: ich kann, ich muß
und gabst dich wortgewaltig hin -
der Nacht, dem Judaskuss.
 

Ralf Langer

Mitglied
Benn 1934 - Der Judaskuss

Deine Welt war immer klein:
Vier Zimmer, halbgeschossig
im steten Dämmerschein,
schabtest du an Worten
und an der Syphilis der Zeit.

Die Welt – Berlin,
halb Höhle, halb Gethsemane:
du schreibst: du denkst an Flucht
ist nicht zu denken,
weil andere geflohen.

Die Welt – Barbarentum;
du denkst: du schreibst – nur
dientest du mit deinen Worten
dich den Schlächtern an.

Es gab kein neues Sparta,
nirgends keimte - nichtmals sacht
dein dorischer Traum.
Die Säulen, die du dachtest,
die gab es nie – sie stürzten nicht;
was fußte, stand im Grau`n.

Die Welt - die Dämmerung,
der Mensch, das Schwein.
Das Wort fiel spät;
du, irrender Prophet,
riefst für ein Jahr: ich kann, ich muß
und gabst dich wortgewaltig hin -
der Nacht, dem Judaskuss.
 
O

orlando

Gast
Lieber Ralf,
ich glaube nicht, dass deine Anmerkung zureichend ist. -
Schon 1932 wurde Benn Mitglied der Preußischen Akademie der Künste (Abteilung Dichtung).
Ihm, wie einigen anderen (beispielsweise Stefan George) ging es letztendlich um die Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft, was vor allem in ihren Essays belegt wird.
Thomas Mann beschäftigte sich ebenfalls über längere Zeit mit diesem Problem (Politische Schriften).
Den meisten Künstlern ist zu jener Zeit eine unfassbare, fahrlässige Naivität eigen.
Im Gegensatz zu den kommunistischen, sozialdemokratischen und anarchistischen Bestrebungen in Deutschland forderten jene kein neues System sondern den "neuen Menschen", ein Thema, das sich bereits in der Musik (Wagner), in der Philosophie (Nietzsche) und eben auch in der Literatur niederschlagen hatte.
Schon 1933 begannen Benns erste Rückzugsgefechte (Aufsatz: Expressionismus), 1935 erfuhr er schwere Angriffe im "Das Schwarze Korps" und im "Völkischen Beobachter", 1938 erhielt er Schreibverbot.
Ich will das Verhalten des großen Lyrikers in der Nazi-Aera in keiner Weise beschönigen oder gar entschuldigen, doch wehre ich mich dagegen, sein Werk primär unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Ihm ging es vordringlich darum, den Expressionismus in und durch das Nazi-Regime "hinüberzuretten."
Bedenkt man, dass Künstler bis heute eine Art Hofnarrenrolle in der Gesellschaft spielen, ausgehalten wie Huren, ist es für mich zum Teil erklärlich, dass zu jener Zeit "Hoffnung" aufkeimen konnte und sie zunächst auf ein System setzten, das sie in seinem grausamen Ausmaß nicht zu überblicken vermochten. Manche wollten es wohl auch nicht.
Die Idee des "Neuen Menschen" ist alt und geht auf antike Wurzeln zurück, ist also keineswegs in ihrer Substanz faschistisch. Aber das muss ich dir mit Sicherheit nicht sagen, weil du es schon weißt. ---

Zu deinem Gedicht selber möchte ich mich separat äußern, weil ich derzeit zu "aufgebracht" bin, wenngleich wir in unseren Einschätzungen vermutlich nicht allzu weit auseinander liegen
LG, orlando

Ein interessanter Link der Heinrich-Heine-Universität:

www.mythos-magazin.de/ideologieforschung/rf_benn.pdf
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo orlando, wie du weist stimme ich mit dir in bezug auf benn
in allen dingen überein. ich denke sogar das benn schon eben im spätsommer 34 sein irrum begriff, und doch dies greift den zeitpunkt heraus, die seine arroganz betraf, sozusagen der marinetti hitlers zu sein.

er glaubte eine zeitlang durch das wort "führen" zu können.

ich wei´ß nicht vielmehr zusagen. er sit der größte dichter für mich und ertrug es in deutschland.

ich haltes es mit klaus mann, der benn wegen seiner kunst bis zu seinem tode verehrte, trotz seiner irrtümer.
spät, erst in den fünfziger jahren, hat benn klaus mann für seine hellsichtigkeit gerühmt.
alles weitere führte hier zu weit.
mir schwirrt der kopf vor lauter bennbiographien, die ich in letzter zeit las.

es wäre schön, wenn mir der text in all seiner widersprüchlichkeit gelang

lg
ralf
 
O

orlando

Gast
Dein Gedicht ist dir gut gelungen, was bei diesem schwierigen Thema mit Sicherheit nicht einfach zu bewerkstelligen war.
Das hervorbrechende, wilde Verlangen nach einer Veränderung von Missständen, die durch den Siegeszug des Industriekapitalismus und der Naturwissenschaften zutage getreten waren, sind von dir benannt worden (Syphilis der Zeit, das Barbarentum), indem du dich in diesen Punkten der Sprache des Arztes Benn bedienst. Gut gefällt mir auch die Erwähnung der "Menschheitsdämmerung", der grandiosen Anthologie von Kurt Pinthus, in dem das Lebensgefühl der Expressionisten so grandios zusammengefasst wurden:
Sturz und Schrei
Erweckung des Herzens
Aufruf und Empörung
Liebe den Menschen
Sehr gut auch der Schluss deines Gedichts.
Sprachlich ließe sich noch etwas feilen ... Es gibt qualitative Unterschiede zu bemerken. Während die erste Versgruppe so gestaltet ist, dass sie mit Reimen bzw. Halbreimen arbeitet, ist dies nicht bis zum Ende durchgezogen worden.
An deiner Stelle ließe ich das Gedicht etwas ruhen und ginge danach ganz gezielt an den Feinschliff (Platzierung von Reimen, Vokalen usw.) heran. Mit Betonung auf "fein", denn gut ist das Gedicht jetzt schon. Der positive "wortgewaltige" Effekt überwiegt. Und das ist ja genau das, was die Expressionisten so wunderbar beherrschten: Die Klaviatur der Sprache.
Dir einen herzlichen Gruß
orlando
 

revilo

Mitglied
Guten Morgen , Ralf .. Ich kenne mich in dem Thema nicht sonderlich gut aus... Deswegen kann ich nur aus dem Bauch heraus schreiben... Ohne Vorwort hätte ich das Teil nicht verstanden... Dir ist es gut gelungen, die Stimmung eines Zweifelnden einzufangen , eines Menschen, der an einem Wendepunkt steht und sich seines Scheiterns bewusst wird...im Gegensatz zu Heidrun meine ich nicht, dass das Gedicht nochmal auf Halde muss, weil es von den unterschiedlichen Stilmitteln lebt...ich hoffe , Du konntest mit meinem laienhaften Komm etwas anfangen... Ich bin halt nur ein einfacher Gladbacha..:D...
 
O

orlando

Gast
Hallo Ralf,
ich habe eben noch einmal drübergelesen.
Es reichte m. E. wenn du in der ersten Versgruppe den Reim (klein/Schein) herausnähmst - also so verändern würdest, dass es keinen Reim mehr gibt (Dämmerlicht?).
Im zweiten Fall ((Traum und Graun`n) sollte es genügen, das "Grauen" auszuschreiben. Brächte mehr Ruhe / Einheitlichkeit rein.
Zwei Kleinigkeiten, die jedoch viel bewirkten (Fluss) - das eingestreute (Halb-)Reimen macht in diesem Text wenig Sinn, finde ich.
LG, orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo orlando,

herzlichen dank für deine wertvollen hinweise,
denen ich gerade was die versgruppierung angeht, nachgehen werde.

Ich selbst habe die meisten kopfschmerzen bei der benennung der nazis:
bei mir schlächtern.

tief in mir drin hätte ich gerne diesen konkreten teil ausgeschlossen. ich fand aber selbst keinen weg.

lg
ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo oli,

mir war beim posten klar, das dieses stück für viele kaum eröffnungen zur verständlichkeit bietet, weil das thema sehr speziell, eben auf eine pesron bezogen ist.

wenn mir aber auf einer bildhaften ebene gelang etwas von dem irrtum und der ziressenheit jener generation von dichtern aufzuzeigen gelang, dann freut mich dies sehr.

lg
ralf
 

Ralf Langer

Mitglied
Benn 1934 - Der Judaskuss

Deine Welt war immer klein:
Vier Zimmer, halbgeschossig
im steten Dämmerlicht,
schabtest du an Worten
und an der Syphilis der Zeit.

Die Welt – Berlin,
halb Höhle, halb Gethsemane:
du schreibst: du denkst an Flucht
ist nicht zu denken,
weil andere geflohen.

Die Welt – Barbarentum;
du denkst: du schreibst – nur
dientest du mit deinen Worten
dich den Schlächtern an.

Es gab kein neues Sparta,
nirgends keimte - nichtmals sacht
dein dorischer Traum.
Die Säulen, die du dachtest,
die gab es nie – sie stürzten nicht;
was fußte, stand im Grauen.

Die Welt - die Dämmerung,
der Mensch, das Schwein.
Das Wort fiel spät;
du, irrender Prophet,
riefst für ein Jahr: ich kann, ich muß
und gabst dich wortgewaltig hin -
der Nacht, dem Judaskuss.
 

AllAN GAP

Mitglied
Hallo Ralf,

Die Darstellung von Irrtum und Erkenntnis am Beispiel Gottfried Benns ist mutig und gelungen. Du schreibst sehr sensibel, fast sanft und bringst dennoch Deinen Standpunkt klar ein. Es klingt fast wie ein Gespräch mit dem einst Verirrten, als das es ein Vorwurf ist.
Ohne tief in der Biographie Benns zu stehen, möchte ich sagen, dass es aus dieser Zeit sehr viele biographische Sequenzen gibt, die über Irrtümer dieser Art berichten. Teilweise wurden einige aus großer Scham sehr lange verschwiegen.
Wir können das heute verurteilen, ohne diese Zeit aktiv miterlebt zu haben. Ich glaube jedoch schon, dass es wichtiger ist, sich kritisch mit den damaligen Ereignissen auseinanderzusetzen und aus ihnen zu lernen. Es ist wichtig, den Mut zu entwickeln diese Dinge richtig anzusprechen.
Nicht nur diese Zeit ist von so gravierenden Irrtümern geprägt. Doch auf Grund der schrecklichen Ereignisse, die zwischen 33 und 45 zum Tod von ca. 20 Millionen Menschen führten, erwacht in uns tiefste Abscheu und wir geben dem Geschehen so viel Gewicht.
Wir brauchen das Gespräch über dieses Thema. Allein dafür, dass es uns wach hält, dass es uns aufmerksam sein und solche Entwicklungen verhindern lässt. Dafür braucht es den Mut und das Engagement es auszusprechen.
Aus diesem Grund freue ich mich sehr über Deinen Beitrag.
Lieben Gruß vom GAP
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo AIIAN,

herzlichen dank für deine meldung. ja ein schwieriges thema, für mich als autor hier fast ein ausschließlich persönliches.

dies ist auch ein versuch mit einem meiner großen leitbilder der lyrik zu einem fazit zu kommen.

eine offene frage - eine die offen bleibt - aber ein wunde ist:

was zählt ? allein das werk oder das leben(s) werk?

ralf
 

AllAN GAP

Mitglied
Hallo Ralf,
Es wäre fatal würden wir bei Deiner Frage zu einem einhelligen Schluss kommen. Das ist es vermutlich, was es so schwierig macht.
Ich kann Dir diese Frage aus meiner Sicht beantworten, aber es wird wohl auch meine bleiben.
Es gibt Werke, die Dank ihrer Aussagekraft ein solches Eigenleben entwickeln, dass wir sie gedanklich durchaus von allen Begleitumständen ablösen können. Und doch reflektieren sie immer einen konkreten Umstand oder Moment. Es führt immer wieder in den einen Kreislauf zurück, den wir Leben nennen.
Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft. Das lässt den Schluss zu, dass wir uns an den (Lebens) Werken messen. Und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Es gibt genauso starke Strömungen, die sich von diesem Gedanken entfernen und das Leben selbst in den Mittelpunkt stellen. Beides ist unmittelbar miteinander verbunden und es bedarf der Intelligenz der menschlichen Spezies zu differenzieren und zu entscheiden, welcher Teil zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Gewicht erfahren sollte. Hinzu kommen innere Antriebe, die nicht immer zu erklären sind - Entwicklungen jedoch stark beeinflussen können. Und dann sitzen wir in der Falle, wenn wir es als solche sehen.
Ich glaube ein 'richtiges Werk' entsteht von einer Hand, deren Geist die Erfahrungen seiner Brüche erkannt, erlebt, überlebt, daraus gelernt hat und sich ihnen stellt. Mich persönlich faszinieren solche Biographien.
Ebene Wege, ohne einen Kampf, eine Zäsur ... fühlen sich irgendwie steril und farblos an. Sie erzählen nichts, wecken kein Interesse. Es kann sogar sein, dass sie nicht bemerkt werden. Es ist jedem selbst überlassen sich für einen solchen Weg zu entscheiden. Ich will das nicht werten. Und doch erwecken solche Wege in mir das Gefühl von Blindheit. Es gibt kein Leben in dem es nicht auch Fehler gibt.
Wenn ich das Beispiel Gottfried Benns aufgreifen darf. Ich sehe in seiner Biographie eine Zäsur. Eine ziemlich starke zudem. Erst lebt er den Faust, dann erkennt er und wendet sich ab. Er tut es sogar öffentlich. Ich denke, es ist ein beeindruckender Weg. Der sicher auch viel Kraft gekostet, aber auch gegeben hat. Wir Menschen neigen dazu selbst unsere stärksten Kritiker zu sein. Einen Fehler öffentlich einzugestehen ist schon fast ein Tabubruch.
Solche Handlungen polarisieren und nehmen uns dennoch gefangen. Wir arbeiten mit diesen Erfahrungen, lernen daraus und müssen dennoch nicht mit allem einverstanden sein.
Es ist wirklich sehr schwer. Über der Biographie Benns liegt einer der dunkelsten Schatten der Geschichte. Das ist sehr traurig. Dennoch bedeutet (er-zählt) seine späte Abkehr sehr viel.
Gruß vom GAP
 
O

orlando

Gast
Ein ganz toller Kommentar, Allan,
da ziehe ich gern mein Mützchen und stimme zu! :)

Vielleicht ist es mir nun erlaubt, einen eher komischen Aspekt in unser Gespräch zu bringen? Und zwar geht es um Peter Rühmkorfs "Lied der Benn-Epigonen"

http://www.erlangerliste.de/parodie/ruhm.html
(zweites Gedicht),

das ich sehr mag, wie überhaupt den ganzen Rühmkorf.
Ich schreibe dies natürlich nicht, weil ich dich, Ralf, für einen Epigonen halte, sondern weil es in dieser Parodie eine Anspielung auf die schlimme Nazi-Verirrung Benns gibt und zwar in süffisant-eleganter Seiltänzerei mit artistischer Könnerschaft - an den Fertigkeiten Benns orientiert und zu messen.
Auch Rühmkorf schätzte Benn - ich kenne eigentlich überhaupt keinen Lyrikkenner und/oder Dichter, der dies nicht tut.

Wir müssen lernen, Werk und Leben der Dichter zu trennen. Für Künstler steht das Werk allemal im Vordergrund - warum also nicht für uns?
 
D

Dnreb

Gast
ein

Lieber Ralf, Lieber GAP

ich bewundere Eure Reflektionen über Gottfried Benns Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus.

„Ich glaube ein 'richtiges Werk' entsteht von einer Hand, deren Geist die Erfahrungen seiner Brüche erkannt, erlebt, überlebt, daraus gelernt hat und sich ihnen stellt. Mich persönlich faszinieren solche Biographien.“ (GAP)

Hierin kann ich GAP nur Recht geben und möchte im Grunde noch einen Schritt weiter gehen: Intensive Lebenserfahrungen, Brüche, Zäsuren, die scheinbar unüberwindlichen Kräfte der Gegensatzpaare, das Scheitern... alles was einen Menschen zerreißt und ihn doch überleben lässt, weil eine kreative Stärke ihn letztlich vor dem Wahnsinn der absurden Welt bewahrt, scheint mir schlicht die Voraussetzung einer Kunst von Wert und Bestand.

In Benns Biografie ist es eine Affinität zur Macht, die den fatalen zeitweisen Schulterschluss mit einer noch verkleideten Barbarei nach sich zieht. Aber viele große Geister waren und sind Menschen, die recht freizügig, oft ethische Grundsätze mit Füßen tretend, ihre Machtgelüste ausleben. Das Künstlertum ist nichts für Moralisten.

Das ist die dunkle Seite der Menschheit, die dunkle Seite der Kunst;
wir dürfen sie nicht ignorieren, wir müssen darüber reden.

Dank für den „Judaskuss“, Dank für Eure anregende Diskussion

Herzliche Grüße
Bernd Sommer
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Ralf Langer,
vielleicht ist es so:
wer sich verkaufen will, der soll sich nicht wundern, wenn er gekauft wird.
andererseits, g.benns hier beklagtes schicksal ist, wie auch das des philosophen heidegger, aus meiner sicht die folgerichtige konsequenz aus ansätzen, die das, was menschen ausmacht, schlicht ignorieren. aus welchen schlauen gründen auch immer. nitsche, die romantik, wagner, sie alle bosselten und kegelten letztlich lebende menschen aus ihrem spiel. nach und nach. kunst um der kunst willen, drama um des dramas willen, abstraktion um der abstraktion willen, lauter menschenleere idylle und verzweiflung. ein prachtvoll vorbereiteter rummel für psychoten.
achselzucken. hilfloses achselzucken, als sie kamen. und sie sprachen dieselbe sprache ...

g.benn ist ein kind seiner zeit. eines das zu lebzeiten kapierte, was weg und holzweg sein könnte. nicht zu unterschätzen, das.


lg
die dohle
 
O

orlando

Gast
Hallo Ralf,
eben gerade habe ich etwas gelesen, das dich im Zusammenhang mit deinem Schamgefühl (Darf ich einen Dichter wie Benn lieben?) vielleicht interessieren wird.

Bereits Diderot, der nachweislich einen starken Einfluss auf moderne Lyrik hatte, vertrat in seiner dialektischen Erörterung des Genies (Neveu de Rameau) die These, dass das häufige Zusammentreffen von Immoralität und Genialität, von gesellschaftlicher Untauglichkeit und geistiger Größe eine Tatsache sei, die sich feststellen aber nicht unbedingt erklären ließe.

Aus der Antike ist uns die Gleichordnung erkennender und ethischer Kräfte geläufig, die aber in der Moderne gleichsam aufgehoben wird.
Versuchten Lessing und Kant noch, das Außerordentliches an die Kontrollwerte des "Wahren und Guten" zu binden, war dies späterhin nicht mehr ad hoc möglich. - Dem künstlerischen Genie wird demnach eine eigene Ordnung zugewiesen, die, im Verständnis der Genialität als naturhaft visionäre Gewalt, die Regeln brechen "darf." Das Genie hat also das Recht zur Wildheit und (!) das Recht zu Fehlern. Eben auch seinen so überaus erstaunlichen, befremdenden Fehler: Es streut glänzende Irrtümer aus, hingerissen vom Höhenflug seiner Ideen.
[Natürlich kann dies keine "Entschuldigung" sein, muss es auch nicht. - Mir erscheinen Diderots Vorstellungen aber überlegenswert.]
Was bleibt ist die Frage der Verantwortung. Oder: Inwieweit ist ein geniales Werk an sich "schuldig?" Mache ich mich schon "mitschuldig", wenn ich ein Werk bewundere, dessen Autor furchtbare Irrtümer unterlaufen sind?

Zum Schluss möchte ich ein viel krasseres und deshalb besonders deutliches Beispiel bringen:
Einer der grusligsten Nazigestalten, die ich kenne, einer, die das Loblied "ihres" Führers bis zum eigenen Tod im Munde führte (Leni Riefenstahl), gelangen - vortreffliche Fotos.

Vielleicht ist Kunst (doch) eine unabhängige Größe? - Gibt es überhaupt politisch korrekte Kunst? Wenn ja, in wessen Sinne?


LG, orlando
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo orlando,

ein interessanter aspekt den du hier einbringst.
auch benn hat ein essay dazu verfasst:

"Kunst und Krankheit"

darin befindet sich eine interessante liste über "große" künstler und ihre pathologischen krankheiten.

bis auf den übergroßen goethe hatten viele ihre krankenakte.

angenfangen bei a wie alkoholismus bis wahnsinn und neurosen.

lg
ralf
 



 
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