Besichtigung

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Mistralgitter

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Besichtigung

Mir war dieser Museumsbesuch eigentlich von vorneherein zuwider, erst recht diese Aufforderung zum Verkleiden. Wie bei einem Theaterspiel, sagte der Museumsführer. Einen Hut aufsetzen, ein Tuch umbinden und schon seien die Besucher Teil der Ausstellung, erklärte er. Das sei im Eintrittspreis mit inbegriffen. Ich durchwühlte den Korb mit den Hüten, probierte lustlos einen roten, dann einen grünen, zog noch einen grauen heraus und schließlich keinen mehr. Meine Haare dufteten frisch gewaschen und das sollte so bleiben, ohne Hut.

„Wollen Sie nicht stattdessen eine seidene Stola oder Fausthandschuhe nehmen?“, schlug mir ein älterer Mann vor. Er warf sich gerade schwungvoll eine lila Federboa über den schwarzen Anzug und lächelte schalkhaft zu mir herüber.
Erstaunt schaute ich ihn genauer an und war mir sicher. Der katholische Priester stand vor mir, ein undurchsichtiger Mensch, dem ich schon einmal in diesem Haus begegnet war.
Ich lehnte kopfschüttelnd ab, zählte dem Museumsführer mein Eintrittsgeld auf den Cent genau hin und erhielt einen „Bezahlt“-Stempel auf den linken nackten Handrücken.

Hier im Hauseingang roch es modrig und zugleich nach Abfall und Heizungsöl. Aber das störte wohl niemanden. Mir wurde beinahe übel davon. Am liebsten wäre ich wieder umgekehrt, weggelaufen, hätte über den von hohem Gras und Gestrüpp überwucherten Vorgartenweg das Weite gesucht - wie damals. Doch das wäre feige. Dies hier war eine Gelegenheit, um unauffällig meinem Verdacht nachzugehen und Material zu sammeln. Also riss ich mich zusammen und stieg mit den anderen Besuchern die Stufen hinauf bis zur gläsernen Wohnungstür.

Der Türkranz mit seinen längst verwelkten, eingestaubten Sommerblumen und der verblichenen Schleife hing immer noch da - trauriges Relikt einer fröhlicheren Zeit. Und ein massiver Rollstuhl neben der Tür erinnerte daran, dass das Leid vor diesem Haus nicht Halt gemacht hatte.
Wir befänden uns im Wohnhaus der Familie Hafflerog, das glücklicherweise noch im ursprünglichen Zustand mit dem Originalinventar erhalten werden konnte, erklärte der Führer. Zuletzt bewohnte der Witwer Lorenz Hafflerog bis vor zwei Jahren diese untere Etage alleine. Das Obergeschoss sei an die Nichte vermietet worden.

Der Kranz schaukelte, als der Museumsführer die Etagentür öffnete. Wir drängelten uns in den engen, langgestreckten Flur hinein.
Wie den meisten bekannt sei, habe der Ehrenbürger Lorenz Hafflerog über sechzehn Jahre lang seine völlig gelähmte Frau bis zu deren Tod in dieser Wohnung gepflegt, erklärte er. Eine großartige Leistung, die dieser Mann neben seinem beruflichen und ehrenamtlichen Engagement vollbracht habe. Dieses Haus diente schon lange als privat betriebene Erinnerungsstätte für Frau Hafflerog. Da es aber darüber hinaus einige für die Allgemeinheit bedeutsame Sehenswürdigkeiten beherberge und Lorenz Hafflerog aufgrund seines Alters den Museumsbetrieb nicht mehr aufrecht erhalten konnte, sei nun die Stadt in die Bresche gesprungen.

Der Führer wollte die Eingangstür hinter mir zuziehen. Deshalb trat ich zur Seite, stolperte aber über einen der drei verwaschenen Flickenteppiche auf dem Flur und wäre hingefallen, wenn mich nicht der Priester rechtzeitig am Ärmel festgehalten hätte.
„Das ist mir auch schon oft passiert, wenn ich hier zu Besuch war“, meinte er nachsichtig. Dann streckte er sich zu den Tannenzweigen an der Flurdecke, die als Weihnachtsschmuck aus vergangenen Zeiten vor sich hin trockneten. Und als ob es das Selbstverständlichste von der Welt wäre, griff er eine rote Christbaumkugel heraus und hängte sie sich zum Spaß in das Loch in seinem rechten Ohrläppchen.
„Wollen Sie auch eine?“, fragte er und nahm noch eine silberne Kugel herunter. Nein, ich wollte nicht.
„Oder Sie?“ Er hielt sie einer jungen Frau hin. Das sei ja eine spaßige Idee, meinte sie munter und befestigte die Kugel an ihrem Schal. Dann nahm er noch einen schwarzen Filzhut vom Garderobenständer, setzte ihn voller Übermut schief auf seinen Kopf und amüsierte sich über mein kritisches Stirnrunzeln.
„Ich darf das, glauben Sie mir. Es ist doch alles nur ein Spiel“, scherzte er, „nehmen Sie es nicht so tragisch und ernst.“
Solche Späße waren mir zu albern und unpassend für einen Priester. Schließlich war Fastnacht lang vorbei.

Wie man sehen könne, seien die schwarzen Schleifspuren der Rollstuhlräder wieder freigelegt worden, fuhr der Museumsführer fort. Eine ehemalige Lebensgefährtin des Hausherrn habe bei Renovierungsarbeiten diese markanten Einfärbungen der Tapete unvorsichtigerweise beinahe zerstört. Nun habe man sie wieder herausarbeiten können. Auch die Lackschäden an den Türblättern und Türrahmen seien noch im Original erhalten. Interessiert und nahezu andächtig standen die Besucher davor.

Ich betrachtete missmutig die verunstalteten Stellen und malte mir zum wiederholten Mal aus, wie oft der Rollstuhl wohl gegen die Wand gefahren worden war. Und ich dachte einmal mehr an die beiden Menschen, die hier in einander verflochten über Jahrzehnte lebten: Lorenz Hafflerog und seine Ehefrau. Sie, die zuletzt gänzlich hilflos auf ihren Mann angewiesen war, abhängig von dessen Können oder Nichtkönnen, von seiner Geduld oder Ungeduld und von seinem Einfühlungsvermögen, eine Göttin und gelähmte Geliebte, der er Tag und Nacht diente, aber die ihm auch widerstandslos ergeben war. Wie schillernd und beunruhigend Beziehungen doch sein können!

Die Besuchergruppe war inzwischen ins Arbeitszimmer gegangen. Nichts hatte sich verändert, seitdem ich das letzte Mal hier war. Immer noch versperrten Cotoneasterzweige, die aus dem Garten wild empor rankten, die freie Sicht aus dem Fenster. Sie ließen nur diffuses Licht herein. Wie abgeschirmt von der Außenwelt kam ich mir hier immer vor. Eine unangenehme Atmosphäre lag über dem Raum. Ich kann Cotoneaster nicht leiden. Noch nicht einmal als Grabbepflanzung wollte ich ihn haben, erst recht nicht in meinem Garten. Hartnäckig ist er wie Löwenzahn, Brennnesseln oder Schachtelhalm, die immer wieder nachwachsen, die ich nie ausrotten konnte.

Dieser Raum sei ein eindrucksvolles Beispiel für das kulturelle und künstlerische Interesse des Ehepaares, erklärte der Führer. Abgesehen von dem überaus reichhaltigen Bücherbestand, der sowohl Fachliteratur als auch Belletristik umfasse, solle man sein Augenmerk besonders auf das farbenfrohe Bildnis einer modernen Venus richten.
Das einzig Farbenfrohe in diesem düsteren Raum sind die Besucher mit ihren bunten Hüten und Schals, dachte ich bitter. Sie bückten oder streckten sich eifrig, um die Titel der Buchrücken zu lesen. Andere betrachteten tatsächlich eingehend das Bild in der linken Zimmerecke neben dem Fenster. Einige Besucher waren so angetan davon, dass sie sich stolz neben dem Bildnis fotografieren ließen. Dabei hing da nur ein billiges Poster mit einer Nacktdarstellerin in erotischer Pose.

Erotik sei ein wichtiger Teil des menschlichen Lebens, dozierte der Museumsführer. Diese Einsicht habe das Ehepaar in seiner Wohnung bewusst und stilsicher integriert. Auch die rote Rose, die auf dem übergroßen, gemeinsam genutzten Schreibtisch lag, sei ein greifbares Beispiel dafür.
„Und der wilde Knabe brach ’s Röslein auf der Heiden“, summte der Priester leise vor sich hin und zwinkerte mir zu. Ich schaute ihn grimmig an. Mussten solche geschmacklosen Anspielungen wirklich sein?

Inzwischen hatte der Museumsführer die zweiteilige Falttür zum Wohnzimmer aufgeschoben. Tief beeindruckt standen die Besucher nun vor einer Krippenlandschaft, die sich über das gesamte Wohnzimmer und einen Teil des angrenzenden Esszimmers erstreckte.
Die Museumsleitung sei froh, dass Herr Hafflerog vor seinem Umzug ins Pflegeheim seine Weihnachts- Krippe stehen gelassen habe, erklärte der Museumsführer. Er hätte sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr abbauen können, weil ihm die Kraft gefehlt habe. Sie umfasse eine Fläche von etwa sechzehn Quadratmetern. Jedes Jahr habe er sie innerhalb von vierzehn Tagen aufgebaut. Sie bestünde aus mehr als vierundvierzig Figuren, die er zusammen mit seiner kranken Frau geschaffen habe, als Therapie sozusagen, damit sie das Sprechen wieder lerne und sie beide ein gemeinsames Projekt hätten.
Die Besucher konnten sich nicht satt sehen, betrachteten das Wunderwerk von allen Seiten und fotografierten unentwegt die vielen Details: die Hirten am glühenden Holzfeuer, dazu die Schafe, eine bunt gekleidete Menschengruppe mit Kindern auf dem Weg zum Stall, die Weisen aus dem Morgenland mit ihrem Gefolge und den Tieren, eine weißgekleidete Engelschar mit vielerlei Instrumenten über dem Stall, in der die Heilige Familie Platz gefunden hatte.

Früher mochte ich diese Krippe. Sie strahlte Wärme aus und regte meine Phantasie an. Doch inzwischen hatte mein Misstrauen gegenüber allem, was zu diesem Haus gehörte, die Oberhand. Ich blieb distanziert und kühl abseits stehen, lehnte mich an die Türöffnung zum Flur und beobachtete den Priester. Er hängte seinen seltsamen Ohrschmuck zurück in die Tannenzweige und legte den Hut ordentlich auf den Ständer zurück. Nur die Federboa behielt er.
„Sind Sie für längere Zeit zu Besuch?“, fragte er.
„Ich bin auf der Durchreise“, antwortete ich ausweichend.
„Sie haben sich zwar nicht verkleidet, doch Sie spielen mir etwas vor, behaupte ich mal kühn.“
„Sie doch auch“, antwortete ich gereizt.
„Wollen wir nicht die Masken fallen lassen?“
Ich antwortete mit einem entschiedenen „Nein“.

Die Besuchergruppe zog an uns vorbei zum Badezimmer. Auch hier blieb die ursprüngliche Einrichtung erhalten, hieß es. Handtücher und Waschlappen hingen wie jeher griffbereit da. Auf der Spiegelablage und dem Fensterbett könne man noch Rasierwasser, Duschgels, Puderdosen und Salbentuben der Familie Hafflerog entdecken.
Neugierig warfen die Besucher einen Blick in den schwarz gekachelten Raum. Man betrachtete sich im Spiegel, inspizierte die Flaschen und Tuben, fachsimpelte über die Armaturen in der Duschkabine oder machte Vorschläge, wie man die Kalkablagerungen aus der Badewanne und dem Waschbecken entfernen könne.
Als Besonderheit hätte man sogar die Zahnbürste der verstorbenen Ehefrau wieder finden können. Die ehemalige Lebensgefährtin des Hausherrn empfand es als unästhetisch, sich die Zähne angesichts der benutzten Bürste ihrer Vorgängerin zu putzen, und hätte sie weggeworfen.
Verständnislos schüttelten die Besucher den Kopf. Wie konnte jemand nur so gefühllos sein, tuschelten sie. Mir war es egal, was man von mir dachte. Ich fand es im Gegenzug höchst erstaunlich, welch voyeuristisches Interesse die Besucher an solch intimen Badezimmerdingen hatten.

Als nächstes öffnete der Museumsführer die Tür zum Schlafzimmer. Man solle hier besonders auf die Fotos an der Wand achten, sagte er. Es handele sich um Aufnahmen, die Lorenz Hafflerog von seiner verstorbenen Ehefrau gemacht habe. Drei Tage lang hätte er die Tote im Schlafzimmer aufgebahrt und ihren Leichnam mit fünfzig roten Rosen bedeckt und so fotografiert. Die Fotos seien nun vergrößert, eingerahmt und im Schlafzimmer ausgestellt worden. Ursprünglich lagen sie auf dem Nachttisch des Witwers. Er wollte sie jederzeit griffbereit haben, um auf diese Weise der Verstorbenen auch nach ihrem Tod nahe zu sein.

Ich hatte mich schon immer vor diesen kleinformatigen Abzügen gegruselt. Dass die Leute heute ergriffen die vergrößerten Bilder betrachteten, diesen grausigen Teil einer morbiden Inszenierung, konnte ich nicht verstehen. Auch schien sich niemand an dem Gestank nach getragenen Schuhen im Zimmer zu stören, niemand beachtete das ungemachte Bett, die umhergeworfenen Kleidungsstücke und das wacklige Schuhregal hinter der Schlafzimmertür. Dass ich von einigen Details Aufnahmen machte, fiel auch nicht auf.

Zur Krönung seiner Liebe habe Lorenz Hafflerog seiner Frau ein steinernes Toten-Denkmal im Keller erbaut, verkündete der Museumsführer. Ein bestimmter Raum habe sich dafür besonders geeignet.
„Im Keller?“, wunderte sich ein Besucher, während wir die Treppe hinabstiegen.
„Unglaublich!“, schwärmte eine Besucherin, die als erste den Kellerraum betrat. Sie postierte sich sogleich vor einen ungeordneten Steinhaufen, der das angepriesene Denkmal darstellen sollte, setzte ihren Hut zurecht, färbte die Lippen noch einmal rot nach und ließ sich fotografieren. Nichts als Bauschutt war es, vor fünfzig Jahren beim Errichten des Hauses aus Kostengründen hierhin geschaufelt. Darauf thronte ein Durcheinander von verstaubten Marmeladen- und Einmachgläsern mit toten Fliegen, Spinnen und Kerzenresten. Wachstropfen sah ich, vertrocknete Rosenblätter verteilt auf den Steinen und dazwischen - nur für den genauen Betrachter zu erkennen - ein unscheinbares, graues Haarbüschel. Ich fotografierte viel zu viel. Meine Batterieanzeige blinkte schon warnend.
„Die Fellreste einer verendeten Ratte interessieren Sie? Seltsam“, witzelte der Priester. Sarkastischer konnte man diese ganze Sache nicht umschreiben.
„Brauchten Sie Belege für Ihren Verdacht?“
Erbost blickte ich ihn an und schwieg.

Wir verließen das Haus und gingen zum Friedhof, um die Grabstelle der Ehefrau zu besuchen. Ich hatte mir vorgestellt, einen imposanten Grabstein mit einer eindrucksvollen Blütenpracht vor zu finden. Hier lag immerhin die Frau eines angesehenen Mannes begraben. Stattdessen standen wir vor einem trostlosen Stückchen Erde, wiederum von Cotoneaster heillos überwuchert und von armseligen Gänseblümchen und kratzigen Grasbüscheln bewachsen. Eine verkümmerte Trauerweide breitete ihre trockenen Äste darüber. Ein kalter Wind rüttelte an den bunten Hüten und Schals der Besucher, die sich stumm und ernst um das Grab gestellt hatten. Es begann zu regnen. Mit klammen Fingern machte ich die letzten Aufnahmen für diesen Tag. Mehr brauchte ich auch nicht, mehr ging nicht, die Batterie war leer.
Man habe alles im ursprünglichen Zustand gelassen, hieß es wiederum. Wie ich diesen Satz verabscheute! Ja, es hatte sich wirklich nichts verändert.

„Meine Verehrung.“ Der Priester stand unvermittelt vor mir, verbeugte sich und überreichte mir einen Strauß roter Rosen. Unüberlegt wie damals nahm ich ihn entgegen. Und ich ärgerte mich genauso wie damals über solch einen völlig zusammenhanglosen, deplatzierten Annäherungsversuch. Oder gehörte diese Geste zu diesem schauerlich inszenierten Theaterstück? Sollte es ein Lustspiel sein? Ein Trauerspiel? Ein böses Spiel? Unangenehm berührt zupfte ich ein Rosenblatt ab, dann weitere, danach einzelne Blütenköpfe, immer weiter und weiter, bis alle in der Pfütze um meine nassen Schuhe schwammen. Die nackten Stängel warf ich hinter mich.
„Warum tun Sie sich das an? Aus Lust an Selbstzerstörung? Oder um ihr Selbstmitleid zu pflegen? Anscheinend fühlen Sie sich wohl dabei. Oder?“, fragte er.
Seine arrogante, bissige Art machte mich wütend.
„Sind Sie denn alle blind gegenüber dem, was in diesem Haus geschah?“, brach es aus mir heraus. „Diese krankhafte Vergötterung einer Frau, neben der nichts anderes Platz hatte, dieses Schönreden eines absonderlichen Lebens, diese museale Zurschaustellung des verkommenen Haushaltes eines Mannes, der in dieser Unordnung und in solchem Dreck lebte, aber sich in Szene zu setzen und seine egomanischen Absichten gut zu kaschieren wusste. Das ist doch alles verlogen, abstoßend und krank. Und Sie unterstützen nach wie vor dieses ganze Lügengebäude!“
„Ich trete nur dann auf, wenn es meine mir zugewiesene Rolle erfordert. Und außerdem: Sie müssen doch zugeben, dass andere im Gegensatz zu Ihnen begeistert auf das reagieren, was Sie als abstoßend, verlogen und krank empfinden“, antwortete er provokant.
„Wie in einem absurden Theaterstück! Und jeder macht willenlos und blindlings bei diesem Verschleierungsmanöver mit. Die sind doch alle verrückt! Sie auch!“, brüllte ich ihn an.
„Oha! Wie gut Sie das wissen! Und Sie? Sind Sie nicht verrückt? Ihre Rückkehr ist doch ein beredtes Zeichen dafür. Weshalb treiben Sie sich in einen solchen Schmerz? Weshalb lassen Sie nicht los? Weil Sie verrückt sind. Schreiben Sie lieber Geschichten oder Gedichte. Das hilft, vorläufig wenigstens!“, rief er mir zu, legte seine lila Federboa am Eingang des Friedhofs ab und verließ mit den anderen das Gelände.
Zornig und fassungslos blieb ich zurück. Wie ich dieses hochnäsige, pseudopsychologische Gerede hasste! Und dann schrie ich aus Leibeskräften so dunkel, dumpf und unheimlich, wie wenn eine hungrige Bestie umherstrich und andere das Fürchten lehrte. Davon wachte ich endlich auf. Völlig benommen und zitternd vor Kälte suchte ich nach meiner Bettdecke.
 

Mistralgitter

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Hallo rothsten,

Ich vergaß, etwas über das Motiv des Museumsbesuch zu schreiben, nach dem du vergeblich gesucht hattest. Es steht ausdrücklich da - und korrespondiert eigentlich besser mit dem Schluss der 1. Version als mit dem jetzigen. Aufmerksames Lesen und vllt auch Rückwärtslesen ist angesagt ;-)

Ich mag dieses ganze Gefasel von "... aber ich eitler Autor meinte das doch so und nich so ..." nicht mehr lesen. Der Leser ist Chef im Ring, wenn bei ihm nichts losgeht, kein Kopfkino, kein Mitfühlen, kein Ergriffensein, kein Verstehen - ja dann hat doch nicht der Leser, sondern der Autor versagt!
Wo ist da ein Lob für meinen Text? Du unterstellst mir doch, dass ich fasele, dass ich ein eitler Autor sei, dass ich beim Leser mit meinem Text nichts auslöse.
Der Abschnitt davor ist durchaus als Lob aufzufassen - aber das hier hebelt doch alles wieder aus.

Ich habe den Text heute um ein "Zimmer" gekürzt und auch einzelne Sätze ausgeschnitten. Den Schluss habe ich erst einmal gelassen - dann müsste ich aber das Motiv am Anfang ändern. Dazu hab ich vorläufig keine Idee.

LG
M.
 

Mistralgitter

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quote:
rothsten:
Ein Aber: Ich nehme Dich, liebe Mistralgitter, mal ans Händchen und führe Dich durch das Museum Deines eigenen Textes. Komm mit, wir suchen mal brav das Motiv Deiner Prot, den Konflikt ...

quote:
Mistralgitter:
Hier stoße ich mich - bei allem sonstigen Respekt vor deinem Kommentar - an deinem ironisierenden Unterton. Solcher Art angesprochen zu werden, finde ich unangemessen. Und bin enttäuscht.

rothsten:
In meiner Welt war das lustig gemeint ...
Und nein, ich nutzte hier keine Ironie.
Gut. Dann hätte ich es treffender als herablassende Äußerung qualifizieren sollen. Zum Lachen fand ich es nicht.
 

rothsten

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Hier ist das Lob:

Ich weiß, es nervt, aber Schreiben ist vornehmlich ein Handwerk. Wer wissen will, wie es geht, lese sich sehr aufmerksam [blue]diese Passage[/blue] durch.
Ich hätte es hier vielleicht etwas klarer formulieren können, dass diese Passage Deines Textes für mich das Beispiel für gutes Handwerk ist.

Gerne,
lg
 

Ilona B

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Hallo Mistralgitter,
Deine Geschichte und Dein Schreibstil gefallen mir sehr gut. Der Spannungsbogen hält sich und ich war neugierig auf das Ende.
Für mich war es auch nicht von Bedeutung, ob es sich um Wirklichkeit oder einen Traum handelt, da der Ursprung Realität ist, passt meiner Meinung nach beides.
Die Person des Priesters irritiert mich etwas, weil er so gar nicht den Vorstellungen von einem Priester entspricht. Das Verkleiden und albern sein ist ja noch o.k., aber die spitzen Bemerkungen passen nicht so recht.
Dein Satz:
Dies hier war eine Gelegenheit, um unauffällig meinem Verdacht nachzugehen und Material zu sammeln.
ließ mich vermuten, es stecke mehr, als nicht verarbeitete Gefühle, hinter dem Traum. Ist das so?
Herzliche Grüße Ilona
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo Ilona,

Danke für deine Rückmeldung. Dieser Text ist irgendwie auch in meinen Augen immer noch verbesserungswürdig. Die Figur des Priesters ist mit Absicht so "schräg", aber ob das gut ist, bleibt auch für mich noch offen. In das herkömmliche schematische Priesterbild wollte ich ihn keinesfalls hineinpressen.
Der Satz, den du als aufmerksame Leserin zu Recht hervorgehoben hast, passt eher zu der ersten Version mit einem anderen Schluss, der nicht den Albtraum als "Lösung" anbietet, sondern anders endet.
Es sollte auf jeden Fall ein Text werden, der mit nicht so alltäglichen Komponenten und mit gebrochenen Vorstellungen spielt und dennoch halbwegs plausibel ist.
LG
Mistralgitter
 



 
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