Betr.Achtung (asklepiadeische Odenstrophen)

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Veil

Mitglied
Schweige. Schweige und sieh: Wie sich der Mensch verhält.
Lerne. Lerne die Welt nicht nur im Licht zu sehn.
Mag der Tag auch versprechen –
in der Nacht wird die Erde grau.

Dann entscheidet Substanz. Nunmehr erkennst du ihn:
Reicht er dir seine Hand abseits von Angst und Furcht,
wagt er dich zu begleiten,
ist er Freund dir. Vertraue ihm.

Flieht er, hastet davon, sucht neue Kurzweil, dreh,
drehe um, lass ihn gehn. Trifft dich auch seine Wut,
Rache, Bosheit und Tücke!
Kehre um, lass ihn weiterziehn.
 

Tula

Mitglied
Moin

Das Schöne ist, dass es trotz der veralteten Form inhaltlich zeitlos modern erscheint.

Möchte ich gern manchen vorlesen, Nachbarn, Firmenkunden ... :)

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Dankeschön Perry, dankeschön Veil!

Das personbezogene "Für wen" und das sachliche "Wofür" greifen ineinander, wenn es darum geht, Augen für Welten zu öffnen, Welten für Augen zu öffnen. Auch der "Verleger" am Ende dient als Weltenöffner, wenn die Schlüssel nicht nutzlos am Ring aufgereiht bleiben sollen.
Dieses hier ist das neunte Lied des Hunderliederbuchs (des sechsten von mittlerweile zehn) mit dem Namen "Schubladenwerke". Nomen est omen.

Deine Metapher, Veil, vom stummen (weil nicht interaktiven) Spiegel gefällt mir gut, allerdings kann der Narr die kalte Reflexion dazu nutzen, sein lebendiges Selbstgespräch zu objektivieren, wie es ja auch üblich ist und in Gedichten entfaltet wird, zu ganzen Welten. Innerlich sind wir immer imaginations-vielfältig interaktiv.

Die ersten vier Verse sind für mich persönlich am ergiebigsten. Darüber könnte ich abendfüllend diskutieren - ohne eine endgültige Antwort formulieren zu können. Nur soviel: Auch Schreiben ist eine Art der Kommunikation - mit persönlich Unbekannten. Mir dient sie als Horizonterweiterung und z.T. auch als Selbsterkennung.
Auch für die "Kommunikation" der Leser untereinander würde ich betonen, daß sie Entfaltung des im Gemeinsamen Verborgenen (des im Bekannten verborgenen Unbekannten) ist, was ich "Eröffnen von Welten" genannt habe.

Nun gibt es hier ein Spiel mit dem Fastnochverborgenen, rätselgrenzwertig: Der "Sohn des Menschen" ist uns als Weltenrichter am Jüngsten Tag bekannt. Ich nehme die Metapher so wörtlich wie möglich: Er mag in den "Wolken des Himmels" erscheinen (so in den "kleinen Apokalypsen" der Evangelien), aber ich nehme schon die "Wolken" als menschliche Bewußtseinsschichten, und den "Sohn" als eine aus den Menschen hervorgeborene Gestalt. Die sind dann seine "Mütter".
Nun gibt es mindestens zwei Bedeutungsebenen dieser Geburt: zum einen (klassisch, biblisch) der Jüngste Tag und seine Gegenwart im Sterbensprozeß, zum zweiten im Leser und der Eröffnung neuer Himmel, neuer Erden - und gewiß noch einige Bedeutungs-Eröffnungen darüber hinaus.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Oh, ich bitte um Verzeihung: Mein Kommentar (hier oben) gehört(e) unter "Der Narr im Spiegel" (im Ungereimten), und da habe ich ihn nun hin-kopiert, erleichtert, daß er nicht per Rausgehlöschklick verloren ist (wie ich erst dachte).

grusz, hansz
 

Veil

Mitglied
@ Tula,

ich fand Obiges zunächst etwas, nun ja, sagen wir mal: einfach. Nicht die Form, die ist irre schwierig! Die Aussage war mir ein wenig zu sehr ins Klischee rutschend. Hätte ich damals, als ich es niederschrieb nicht gerade eine derartige Erfahrung machen müssen, dann wäre diese Ode nicht geschrieben worden.
Nu kieke: Sie findet ihre Liebhaber.
Dat freut mich.

Danke!

Veil
 



 
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