Bruchbuden

G. Neville

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Ich liebe alte vergammelte Wohnungen, gesättigt mit Emanationen zahlreicher Geschichten und Ereignissen.
Alte abgenutzte Atmosphären, mitunter reich an spezifischen Ingredienzien menschlicher Ausdünstungen, sowie geträumten Träumen.

Überquellender Humus aus Erinnerungen, vergangenen Sehnsüchten und Langeweile.
Die Tapeten in solchen Wohnungen sollten sehr abgenutzt und gelangweilt sein von der Wanderung durch alle rhythmischen Kadenzen; kein Wunder, dass sie auf Abwege weiterer, riskanter Träume geraten.

Der Kern der Möbel, ihre Substanz muss schön aufgelockert, degeneriert und lasterhaften Versuchungen unterworfen sein, denn nur dann wird auf diesem kranken, ermüdeten und verwilderten Grund wie ein schöner Ausschlag, wie ein phantastischer Anflug herrlich bunter, üppiger Schimmel aufblühen.

In alten Wohnungen gibt es auch Zimmer, die völlig vergessen wurden. Jahrelang unbesucht, welken sie in völliger Verlassenheit zwischen den alten Mauern dahin und es kommt vor, dass sie sich verpuppen, mit den porösen Ziegeln verwachsen und - ein für allemal für unser Gedächtnis verloren - ihre reale Existenz verlieren.

Meine morbide Seele fühlt sich einfach wohl in diesen Wracks abgewirtschafteter Häuslichkeiten.
Doch die immerwährende Gentrifizierung arbeitet meinem morbiden Verlangen ständig entgegen.
Überall wird unentwegt saniert und intrigiert. Keine Mystifikationen mehr, keine hölzernen Fußböden mehr, aus denen dünne Triebe zierlichen Filigran Laubes sprießen, voller Geflüster, Geglitzer und Geschaukel.
 
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petrasmiles

Mitglied
Hallo G. Neville,

da musst Du eines meiner Lieblings(bilder)bücher kennen: Einblicke London. Streifzüge durch historische Interieurs, von Joe Friedman, Phaidon Press Oxford 1988, deutsch 1989. Da geht es natürlich überwiegend um das 'schicke' Element, das u.a. Jugendstil und Gründerzeit hinterlassen haben, und bis heute nicht zerstört worden ist, aber mein Lieblingsinterieur war immer diese Bild mit Himmelbett in üppigem rotem, zerknitterten Samt, zerschlissene Baumwollüberwürfe und Massen an Spinnweben im Hintergrund (Folgate Street Nr. 18, Spitalfields), oder Reste einer Weinrunde mit strapaziertem Tischtuch und staubigen Holzböden, nah am geschwärzten Kamin; spärliches Licht, noch gehindert durch schwere dunkle Portieren. Alles arrangiert, aber durch das Bild dringt genau diese Idee von geronnenem Leben in den Kopf und der Staub in die Nase. Ich erinnere das Interieur immer schmutziger, als es dann tatsächlich ist.
Dieses Buch habe ich schon lange, und immer wieder muss ich es ansehen. Das ist das am häufigsten wieder hervorgeholte Buch (und ich wußte eben auch gleich, wo es stand, als ich daraus zitieren wollte) - da scheint eine kleine morbide Ader in mir zu schlummern ... aber dennoch, mich darin aufhalten mag ich eigentlich nicht. Aber die Faszination ist schon da. Als Friederieke Mayröcker in 2021 starb, gab es viele Artikel zu ihr, unter anderem mit einem Foto, auf dem sie in einem Sessel sitzt und jede Menge Papier und Gegenstände um sie herum ein schöpferisches Chaos bilden. Das hatte etwas von gegenseitiger Durchdringung im Verfall - und das meine ich jenseits aller Ästhetik, sondern rein osmotisch, wie man den Eindruck bekommen kann, dass man den Geist einer Person spüren kann, wenn man etwas berührt, was dieser lange bei sich hatte.
Und jetzt lege ich mich auf die Couch, wo das Buch schon mal da liegt...

Liebe Grüße
Petra
 

G. Neville

Mitglied
Hallo petrasmiles,
danke für Dein
Feedback

Zitat:
"Ich lebe in Bildern. Ich sehe alles in Bildern, meine ganze Vergangenheit, Erinnerungen sind Bilder. Ich mache die Bilder zu Sprache, indem ich ganz hineinsteige in das Bild. Ich steige so lange hinein, bis es Sprache wird." ;)

Friederike Mayröcker

Liebe Grüße
G.Neville
 



 
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