Bruchstücke

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Mistralgitter

Mitglied
Bruchstücke

Bisher ragte es als graues, totgeglaubtes Gebäude aus dem Boden
direkt neben den Schienen,
wo Züge im Takt vorbeiratterten
und ihre Rastlosigkeit auf die Menschen übertrugen.
Ein Haus auf nassem Grund.
Die Fensterläden warfen ihre Farbe in kleinen vergilbten Blättern ab,
auf den Wänden wuchs ein gelbschwarzer Schimmelrasen unter der Tapete.
Und aus den Rissen im Kellerboden verbreitete sich Feuchtigkeit.
Es roch modrig und faulig.

Und doch legte er Geld dafür hin.
Ich kaufe eine Heimat, sagte er zu dir.
Für eure Krankheiten, dachte ich.
Du und er in seinem Haus.

Natürlich wird es nicht leicht sein, sagte er.
Aber es wird schön. Glaub mir, sagte er
und setzte sich träumend auf eine Schaukel.
Grashalme streiften sanft seine Füße,
in seinen Augen spiegelten sich die Wolken
und mit seinem Haar spielte der Wind.
Unsteten Amseln gleich trippelten seine Gedanken umher.
Sie flatterten durch offene Türrahmen herein
und zu den Fensteröffnungen hinaus.

Deine Arme jedoch waren stark,
dein Rücken wurde breit.
Du gabst seinen Amseln körniges Futter
und seinen schwankenden Füßen ein Fundament.
Fensterläden und Türblätter bekamen Riegel vorgeschoben.

Doch obwohl du den Wind nicht fassen konntest,
die Wolken nicht verschieben
und die Schaukel unberührt ließest,
wuchs eine Enge um dich.
Bis du eines Tages Feuer unter dem Dach legtest
und dein Haar grau wurde von der Asche.
Wir brennen ab, riefst du zuletzt
und ranntest hinaus.
Er wartete schon mit leuchtenden Augen.

Du und er auf einer Schaukel.
Neben den Schienen.
So fand ich euch.
Und eure Heimat. Wo die Züge immer noch im Takt vorbeirattern.
Nichts weiter als einsame Bruchstücke.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Mistralgitter, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Franka

Redakteur in diesem Forum
 

Mistralgitter

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Bruchstücke

Bisher ragte es als graues, tot geglaubtes Gebäude aus dem Boden
direkt neben den Schienen,
wo Züge im Takt vorbeiratterten
und ihre Rastlosigkeit auf die Menschen übertrugen.
Ein Haus auf nassem Grund.
Die Fensterläden warfen ihre Farbe in kleinen vergilbten Blättern ab,
auf den Wänden wuchs ein gelbschwarzer Schimmelrasen unter der Tapete.
Und aus den Rissen im Kellerboden verbreitete sich Feuchtigkeit.
Es roch modrig und faulig.

Und doch legte er Geld dafür hin.
Ich kaufe eine Heimat, sagte er zu dir.
Für eure Krankheiten, dachte ich.
Du und er in seinem Haus.

Natürlich wird es nicht leicht sein, sagte er.
Aber es wird schön. Glaub mir, sagte er
und setzte sich träumend auf eine Schaukel.
Grashalme streiften sanft seine Füße,
in seinen Augen spiegelten sich die Wolken
und mit seinem Haar spielte der Wind.
Unsteten Amseln gleich trippelten seine Gedanken umher.
Sie flatterten durch offene Türrahmen herein
und zu den Fensteröffnungen hinaus.

Deine Arme jedoch waren stark,
dein Rücken wurde breit.
Du gabst seinen Amseln körniges Futter
und seinen schwankenden Füßen ein Fundament.
Fensterläden und Türblätter bekamen Riegel vorgeschoben.

Doch obwohl du den Wind nicht fassen konntest,
die Wolken nicht verschieben
und die Schaukel unberührt ließest,
wuchs eine Enge um dich.
Bis du eines Tages Feuer unter dem Dach legtest
und dein Haar grau wurde von der Asche.
Wir brennen ab, riefst du zuletzt
und ranntest hinaus.
Er wartete schon mit leuchtenden Augen.

Du und er auf einer Schaukel.
Neben den Schienen.
So fand ich euch.
Und eure Heimat. Wo die Züge immer noch im Takt vorbeirattern.
Nichts weiter als einsame Bruchstücke.
 
O

orlando

Gast
Hallo Mistralg.,
in meinen Augen ein wundervoller Erstling: poetisch und geistreich zugleich (manchmal eine nicht ganz einfache Mischung).
Zum fundiertn Kommentar fehlt es mir heute an Zeit; vielleicht wird jemand anders für mich einspringen ...
Nimm also einfach des Lobes volle Grüße
orlando
:)
 

juttavon

Mitglied
Danke für dies feinsinnige Gedicht. Es hat mich tief eingesogen mit seinen kohärenten Bildern, mit der Stimmung einer unwirklichen Wirklichkeit, wo die Grenze zwischen außen und innen verschwimmt. Es lädt ein, achtsam zu lesen, ganz im Kontakt mit mir selbst. Es ist Dir ein Stück Poesie gelungen, in der eine tiefe Menschlichkeit zum Ausdruck kommt... Sehr schön! Jutta
 

Mistralgitter

Mitglied
Hallo orlando,
Hallo Jutta,

erst jetzt merke ich, dass ich eure Kommentare gar nicht beantwortet hab. Entschuldigt bitte, es ist wohl in den "Anfangswirren", als mir noch die "Technik" hier in der LL nicht ganz geläufig war, untergegangen.

Habt also vielen Dank für eure positiven Rückmeldungen, die für mich sehr ermutigend waren.

Viele Grüße und ein schönes Maiwochenende
Mistralgitter
 



 
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