Bruchstücke

4,60 Stern(e) 72 Bewertungen

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich war im Onkgawangka-Delta gelandet. Der Verlust meines Überalltriebwerks hatte mich aus dem All gespuckt. Eigentlich konnte ich zufrieden sein. Schließlich hätte mich das All auch nach New York spucken können. So aber blieb meine Landung, wenn man sie denn so nennen will, weitgehend unbeobachtet. Mit Ausnahme der Onkgawangkas. Sie sahen mein Schiff vom Himmel stürzen. Aber den Onkgawangkas war das nicht suspekt. Schließlich wussten sie um diese höhere Wesenheit, ihren Gott, der mit ausgebreiteten Armen Streifen an den Himmel malte.
[ Ich meine, leben Sie einmal vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, wobei Ihnen diese Abgeschnittenheit vollkommen fremd ist, da Ihnen die Außenwelt fremd ist].
Ich landete, besser gesagt, ich strandete mit meinem Schiff also im Onkgawangko-Delta, und hinterließ dabei eine Schneise der Zerstörung, die sich mitten durch das Dorf der Onkgas zog. Ich dezimierte die Bevölkerung mit einem Schlag um die Hälfte, wobei ein großer Teil der Überlebenden sich wohl lieber auf der anderen Seite gesehen hätte, ob ihrer Verletzungen. Zum Glück dachten die körperlich Unversehrten, sie seien verschont worden und die anderen zu Recht getötet bzw. entstellt.
Mein Aussehen schockierte sie weniger als ich anfangs vermutete. Na ja…sie waren aus den Urwäldern die seltsamsten Lebensformen gewohnt. Warum also sollte ich Ihnen ähneln, schließlich war ich Gott. Mir wurde dieser Umstand dank ihrer unterwürfigen Gesten schnell bewusst, hätte allerdings gerne auf ihre meist noch lebenden Opferspeisegaben verzichtet. Aber was tut man nicht alles, um einem Gott zu entsprechen. Also aß ich und lächelte dabei, wobei ich mir nicht sicher bin, ob die Onkgas diesem für sie bestimmt äußerst befremdlichen Gesicht [wollen wir es der Einfachheit halber so nennen] ein Lächeln entnehmen konnten.
Ich lächelte auch noch, als sie begannen mich zu befummeln. All diese Unergründlichkeit musste von den Onkgas erfasst werden, konnten die Augen alleine dieses Unergründliche weder glaubhaft erfassen, zuordnen – geschweige denn, dem allen einen Namen geben. Nach Stunden der spürsinnigen Identifizierung sprach der Häuptling - ob seines Auftretens und seines Schmuckes eindeutig als solcher einzuordnen - , mit seinen Händen ein Dach über mir bildend: Onkgwa! worauf alle Versehrten und Unversehrten auf mich zu krochen bzw. liefen um in tiefer Demut auf alle Viere zu fallen (was den Versehrten erspart blieb, ob ihrer mittlerweile natürlichen ‚Auf-alle-Vier-Haltung‘) und in eine stundenlange Onkgalitanei verfielen.
Ich hatte einen Namen. Und wie bei allen Dingen die man benennen kann, schwinden Hemmschwellen und Ängste zunehmend, schließlich ist man in meinem speziellen Fall nun mit Gott per Du.
Alltag. Göttlicher Alltag. Kein schlechtes Leben. Füße küssen (wollen wir die sieben Extremitäten der Einfachheit halber so nennen), auf Händen tragen…ja, etliche Hände, Bewunderung, Liebe, abgöttische Liebe versteht sich…und dieser ständige Wunsch meiner Kinder ich solle Wunder vollbringen. Sie zeigten zum Himmel, erwarteten wohl, dass ich hinaufsteigen solle, halt einfach mal wieder so richtig Gott sein und darbieten. Doch mein Schiff war hinüber. Zumindest so weit hinüber, dass Fliegen nicht in Betracht kam. Also beschränkte ich mich auf machbare Wunder. Glücklicherweise funktionierten die Pro-Materie-Batterien des Schiffes noch, so dass ich die Dunkelheit mit für die Onkgas vollkommen fremden Lichtern erhellen konnte und dieses mit Musik meines intergalaktischen Lieblingssenders untermalte. Selbst die Werbungen zwischen den Titeln fanden sie spannend.
Ich ließ Feuer regnen, Motoren aufheulen, es hupte und klingelte, der Schwalomüller (Schwarzes-Loch-Mülleimer) ließ ‚oh du unergründliches Wunder‘, alles verschwinden. Göttlich halt. Aber auf Dauer aber auch ermüdend.
Leider nicht nur für mich ermüdend. Die Pro-Materie-Batterien geben langsam ihren Geist auf. Ihnen fehlt die dunkle Materie. So wird es langsam eng bezüglich der Wunder. Und wie es so ist, wenn man zu etwas Alltäglichem wird, so ganz und gar ohne den göttlichen Glanz, schwindet die Bewunderung, die abgöttische Liebe und übrig bleibt, was man denn so ist.
Ich muss mir meine Nahrung erarbeiten. Da ich recht groß bin im Vergleich zu den Onkgas und sie durch mein eindringliches Erscheinen einen großen Teil ihrer Hütten verloren haben, benutzen mich die Onkgas gerne als Dach. Ich stehe auf meinen sieben Extremitäten (drei oben, vier unten) biege meinen Körper durch und bilde so eine Art Brücke, unter der sie es sich bequem machen. Manchmal benutzen sie mich tatsächlich als Brücke, um, ganz oben angekommen, Früchte von den Bäumen zu pflücken.
Was mich allerdings durch und durch beunruhigt ist die Tatsache, dass sie neulich einen Flieger am Himmel sahen. Wie ihr euch denken könnt, zog er einen Strahl hinter sich her. Seitdem sehen mich die Onkgas mit anderen Augen an. Letzte Nacht erwischte ich zwei von ihnen dabei, wie sie an einem meiner unteren Extremitäten knabberten.

Sie sind ständig am Murmeln, beäugen mich misstrauisch. Ich getraue mich nicht mehr zu schlafen. Aber irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft wird es geschehen. Ich werde einschlafen und nicht mehr aufwachen.
Ich schicke die Nachricht mit der letzten Pro-Materie-Energie in den dunklen Raum, in der Hoffnung, dass ihr, mein Volk, sie empfangen werdet. Ein Rat zu guter Letzt. Solltet ihr einmal in eine ähnliche Situation geraten:

Immer schön auf dem Teppich bleiben, sonst seid ihr Ruckzuck Götterspeise.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
niemals

tausend jahre
liege ich am grund
verankert mit der zeit
und einem traum

tausend jahre
sterbe ich
am leben

vergib mir
meine seele
 

wirena

Mitglied
letzte Seite ab 03.07.2011

Halloo Otto Lenk!

Letzte Bruchstückseite ab 03.07.2011 gelesen: – hmm, lachen, no comment möglich, staunen, berührt klicken, sehen, hören, fühlen – alles in allem - reines Wasser und Salz :)
herzlichen Dank

LG von wirena

PS. Danke auch für Dein Profil – genial das Viererpack! :)

(.... gibt mir zudem den Impuls mein eigens erneut zu gestalten....mal sehen, ob ich meine Gedanken in Wort und Bild umsetzen kann - schaffe es ja nichteinmal smilies hier bildhaft abzusetzen :))
 
R

Rose

Gast
Hallo Otto,

danke für diesen Link. Die zauberhaften "Wasserspiele" genau mit der richtigen Musik hinterlegt. Es war ein Genuss.

Gruß
Manuela
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo otto,
"massive attack",
danke für die erinnerung
an eine band und eine musik, die ich früher sehr gemocht hatte,
die aber irgendwie in mir in vergessenheit geraten war..

lg
ralf
 
R

Rose

Gast
Hallo Otto,

deine Zeilen und das Bild sind wundervoll.

Sonnige Grüße
Manuela
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Dichter. Papiere vorzeigen.
Wir wissen um euer Tun.
Versteckt hinter euren Worten
rumort das Freigeistige.
Wo kommen wir da hin?
Von wegen jeder denkt sich was er denkt.
Uniformiert sei der Gedanke.
Gleich im Schritt…zack, zack.
Doch ihr Poetenpack,
mit euren Worten hinter den Worten.
Die verleiten und leiten.
Der Mond ist der Mond ist der Mond.
Nie bekommt einer die dunkle Seite zu Gesicht.
Aber ihr könnt es nicht lassen.
Rückseite, dahinter und weiter und weiter.
Eines jeden Menschen Welt sei seine Scheibe.
Er will geführt sein.
In seinen Gedanken, in seinem Tun.
Gerahmt, begrenzt und gut.
Und Punkt.
Drum Dichter sei gewarnt.
Wir wissen um dein Tun.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied


Ich schwimme in einem Meer,
dessen Namen ich vergessen habe.
Über mir die Sterne könnten mir den Weg weisen,
doch ich wage nicht nach oben zu blicken.
Da ist eine Gewissheit die mir sagt, dass sie erloschen sind.
Eine Stimme flüstert mir zu loszulassen.
Sie sagt, dass unten am Grund alles leichter ist.
Dass man sich dort keine Sorgen um die Sterne machen muss,
weil das Meer keinen Himmel kennt.


Ich liege am Grund eines Meeres,
dessen Namen mir vertraut ist.
Meine toten Augen blicken nach oben.
Über allem ist Nacht.



http://www.ottis-forum.de/bilder/fehnland151.JPG
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es erinnert mich an Jasmin, sie schrieb auch über das Meer. Das Gedicht ist sehr wehmütig und hat eine Stimmung, die mich stark beeindruckt. Es ist insgesamt ein wunderbares Tagebuch und ein Erlebnis.
Viele Grüße von Bernd
 
R

Rose

Gast
Hallo Otto,

deine trauriges und sehr beeindruckendes Gedicht berührt Herz und Seele. Gern im Ozean deiner Zeilen abgetaucht.

Blumige Grüße
Manuela
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke Rose.

Lieber Bernd. Deine Worte tun echt gut. Ich bin ein Zweifler, durch und durch. Muss mich immer wieder dazu zwingen, etwas in der grünen Welt zu veröffentlichen. Diese Zweifel sind es auch, die mich ins Exil des Tagebuchs geführt haben. Hier muss ich keinem Anspruch genügen...bzw. nur einen, den ich für mich erfüllen kann.
Ich kann mir nicht helfen. Aus deinen Worten klingt so etwas wie Trauer, Verlorenheit. Nicht so direkt...mehr so wie du halt klingst.
Ich hoffe, dass das mit deiner Mama wieder gut wird und du so im Allgemeinen nicht an der Welt verzweifelst.

Von Herzen alles Liebe dir

Otto
 
Kopflos?

Er macht sich gern selbständig, der Ausreißer,
haut einfach ab -
und dann kann man sehen, wie man diesen Vagabunden
wieder einholt.

Andererseits
bleibt er auch mal gern irgendwo liegen
unter einem Baum oder am Ufer eines Sees,
in einer innigen Umarmung,
träumt dort weiter,
während der Rest schon wieder arbeiten sollte.
Dann hilft es nur,
wenn der Kopflose sich auf die Suche macht,
sich die abtrünnige Rübe unter den Arm
und das Denkaggregat wieder an die Nervenbahnen klemmt.

Mit dem Herzen verhält es sich ähnlich.
Doch Vorsicht - ist es einmal verloren gegangen,
dauert es sehr, sehr lange
bis es sich wieder einbauen lässt.

Trotzdem - irgendwie machen die alle gern,
was sie wollen.
Vernünftig ist das nicht.

Bakenfalter
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
wie könnten wir dichtervolk je vernünftig handeln?
wo blieben herz und seele...kopf ganz zu schweigen,
würden wir ratio folgen?
wir sind die kinder des chaos, dem selbst das kosmoversum
unterworfen ist.
folglich ist es unsere pflicht, der unvernunft
tür und tor zu öffnen, synapsen ganz zu schweigen.
 
Synapsen kollapsen
doch das Herz schlägt lustig weiter
über alle Str/a/enge
während die Worte raus wollen
egal, ob es nun gerade passt
oder meine Fassade im Büro tüchtig arbeiten sollte
Meine Gedanken sind frei
und hüpfen anstelle einer Übersetzung
in die Tastatur.

Phantasie und Chaos gedeihen
der Betriebsordnung zum Trotz.
 



 
Oben Unten