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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du sprachst darüber.
Dass wir nur uns selbst haben.
Dass wir uns nur ein paar wenige Lebenssekunden lang
selbst haben. So ganz und gar.
Und dass wir uns in diesen Momenten ängstigen,
so fremd erscheint das Bild.
Wie zum Beweis wischst du über den Spiegel.
Schaust tief hinein, scheinst zufrieden.
Die Summe des Lebens, sagst du,
ist die Erkenntnis des Nicht-Seins. Darüber hinaus,
sagst du, darüber hinaus, gedacht, gesprochen, geschrieben,
gäbe es nicht/s. Es sei eine Flucht.
Eine Flucht vor der Angst vor uns selbst.
Ich schaue dir bei deinen Worten über die Schulter.
Schaue in den Spiegel, sehe dich nicht,
nur eine gespenstige Gestalt, die sich für den Bruchteil
einer Sekunde selbst sieht und flieht.
Hab keine Angst, sagst du zum weggewischten Ich.
Der Schmerz dauert nur ein Leben lang.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Jetzt hab ich den Hermann mal gefragt.
Ei die weil der in unsrer Dorfpolitik immer voll den Demokrat am geben ist.
Ich hab den Hermann also gefragt, wo er damals gewesen sei.
Und was…und überhaupt.
Und weißte was…damals hört der Hermann nicht so gerne.
So im Sinne von…damals war ich noch nicht da.
Ich den aber weiter voll gepiesackt.
Von wegen…weißt schon, damals, beim Adolf.
Du…da hat der Hermann erst einmal geguckt.
So wie…Adolf?...nie gehört. Und damals hat es eh nie gegeben.
Aber weißte was…einer von den Alten hatte mir etwas erzählt.
Und darum ich den Hermann weiter am piesacken.
Jetzt hör aber auf Hermann, du warst doch damals ein junger gestandener Kerl.
Hast doch bestimmt eine Uniform angehabt.
Oh, oh, oh. Du…der Hermann mich so am angucken.
Und dann am losplärren von wegen damals hätten alle ein Uniform angehabt.
Wär´ ja gar nicht anders gegangen, beim Hitler.
Man hätte ja gemusst. Gerne natürlich nicht…aber man musste ja.
Und von wegen, dass ich eh keine Ahnung hätte.
Ich wäre ja ein Kind der Demokratie, der Demokratie, die er, der Hermann,
mit aufgebaut hätte.
Damals, ja damals, dass wären andere Zeiten gewesen.
Da hätte man mitlaufen müssen, sonst wäre man Ruck Zuck weg gewesen.
Und du….ich den Hermann sich voll in Rage reden lassen.
Und dann, als der endlich mal atmen musste, gefragt,
welche Farbe seine Uniform hatte.
Du, da iss unser Hermann so was von im Dreieck gehüpft, haste nicht gesehen.
Uniform! Uniform iss Uniform iss Uniform, hat er geschrien.
Es wär´ damals, also damals! hat er dann noch mal betont, alles so richtig gewesen.
Schließlich wäre die ganze Welt am Abgrund gestanden.
Da hätte es einen wie den Hitler gebraucht.
Und der Hitler. Man solle mal zu den Amis gucken. Was die angerichtet hätten.
Damals. Von wegen Hiroshima und so.
Und über die Lügen würde er gar nicht reden.
Du! Da hab ich den Hermann gefragt, von welchen Lügen er rede.
Du! Unser Hermann jetzt voll am explodieren, von wegen ich wüsste genau,
von welchen Lügen er spräche.
Er, der Hermann, sei in Polen gewesen.
In Warschau…genau!
Und er, der Hermann hätte da nix von gesehen, von diesen Geschichten mit Ghetto und so.
Aber man hätte ja einen Sündenbock gebraucht.
Und da wäre die Judenlüge denen gerade recht gekommen.
Dabei wären sie, die Juden, es doch gewesen, die an den Pranger hätten gestellt werden müssen.
Von wegen was die in der Geschichte schon alles angestellt hätten.
Man solle doch nur einmal an unseren armen Herrn Jesus denken, hat der Hermann gesagt,
und in seinem Gesicht standen Gift und Galle und all unausgesprochenen Geschichten von damals.
Ich las sie von seinem Gesicht ab und dachte so für mich: Ja, so ist das wohl.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Ich hab jetzt grad mit Gott gesprochen.
Hab ihm erzählt, dass er sich um mich keinen Kopp machen muss.Von wegen alles im grünen Bereich und so.
Stattdessen solle er sich, bat ich ihn, doch mal um den Manfred kümmern.
Ei die weil der doch so fertig iss.
Der kommt einfach nicht drüber hinweg, dass sich seine Frau umgebracht hat.
Da kannste den noch so viel von wegen Depression iss ne Krankheit erzählen.
Der nickt zwar und sagt dass er das alles weiß, aber dann kommt immer ein: Ja aber.
Und all die ja aber betreffen ihn.
Von wegen, dass er hätte besser aufpassen müssen.
Und noch viel mehr Liebe schenken.
Und dass es bestimmt auch dran gelegen hat, weil er, der Manfred, der Manfred sei.
Ei die weil er selbst so oft verzweifelt war, wär er wie ein schwarzes Tuch für seine Frau gewesen.
Aber er wär´ sich so hilflos vorgekommen. So hilflos, wenn er in die Augen von seiner Frau schaute und dort kein Leben fand.
Aber vor allen Dingen hätte er merken müssen, dass ihn seine Frau aus dem Haus haben wollte,
an jenem Tag. Aus dem Haus, damit sie das alles regeln konnte, von wegen dem Abschiedsbrief(es tut mir leid), dem Strick und dem Erhängen und so.
Überhaupt wäre er seiner Frau kein guter Mann gewesen.
Sonst hätte sie ja nie eine Depression bekommen.
Und hätte sich schließlich und endlich nicht umgebracht.
Du, lieber Gott, hab ich zum lieben Gott gesagt, du musst nur mal in deine Akten schauen.
Da wirste sehen, dass der Manfred ein guter Mensch iss und ein guter Ehemann war.
Und darum, hab ich zu Gott gesagt, wäre es jetzt an der Zeit, ihm war Gutes zu tun. So im Sinne von ‚alles wird gut‘ in Herz und Seele betten.
Schließlich habe er ja die Mittel dazu. Wenn nicht er, wer sonst, hab ich dem lieben Gott gesagt.
Und jetzt warte ich mal auf die Zeichen.
So lange höre ich dem Manfred zu.
Und wenn er ganz schlimm auf sich herumhackt, hab ich auch ein paar ‚ja aber‘ für ihn auf Lager.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Im Auto hinter mir unterhält sich dessen Fahrer angeregt mit Harvey.
Es ist nicht zu fassen. Der Fahrer schaut ständig Richtung Beifahrersitz,
unterhält sich angeregt mit Harvey und wechselt dabei ständig die Spur.
Ich bremse ab um Harvey und den Fahrer vorbeizulassen.
Während er mich überholt, übersieht er den Hasen auf der Straße.
Zum ersten Mal erblicke ich eine Redensart livehaftig.
Der Hase gibt die Löffel ab. Echt. Er gibt einfach so die Löffel ab.
Harvey scheint dies nicht zum mögen,
zumindest deutet das Gespräch zwischen Fahrer und ihm darauf hin.
Erst entschuldigend, dann wütend gestikulierend dirigiert der Fahrer seine Worte Richtung Nichts.
Ich biege gedanklich zu dir ab.
Meine Hände wüssten wohin,denke ich,
doch du bist nicht da.
Voller Sehnsucht denke ich mir ein Blatt Papier,
schreibe meine sinnlichsten Wünsche,
die Topografie meiner Hände auf dir,
mit unsichtbarer Tinte auf´s Papier,
falte es zu einem Flieger und schicke es auf die Reise zu Dir.
Heute Abend, denke ich. Heute Abend.
Wir werden sehen. Ja…wir werden sehen.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied

Ich hoffe etwas mitnehmen zu können.

Die Stille, die über das Blatt glitt,
das im morgendlichen Nebel auf dem Fluss trieb.

Über die Zeit hinaus, in meine Ewigkeit hinein.

 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
http://www.facebook.com/photo.php?f...82554116.54097.100000952482493&type=1&theater

Der Zweifel.

Als Ausdruck eines Wissens,
das tief, tief unterhalb
des eigentlichen Ist,
sich seine Tunnel gräbt.
Hinauf ins Unabänderliche,
das zweifellos erkennt,
worauf des Zweifels Grund
gegründet.

Doch weg, hinweg,
du schnöde Wirklichkeit.
Ich baue mir ein Nest aus
wie es mir gefällt und
scheiß auf alles Ist,
den mir, mir ganz allein,
gehört das Reich der Märchen.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich fand ihn am Ufer des Sees.
Dort stand er mit einem Schrotgewehr in der Hand.
Was machst du hier, fragte ich ihn,
worauf er ein Salve auf sein Spiegelbild feuerte,
das sich auf der Oberfläche des Sees abzeichnete.
Es zerfiel in Hunderte kleine Kreise,
die nervös auf dem Wasser tanzten und vergingen.
Siehst du, sagte er, so sehe ich aus,
genauso sehe ich aus. Verrückt was?
Ich erkenne mich besten, wenn ich auf mich schieße.
Und was ist mit dir, fragte er?
Ich blickte auf mein Spiegelbild und sprang
kopfüber ins Wasser.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
In des Traumes Mitte stand ein Tisch,
und auf dem Tisch da saß ein Fisch.
Daneben saß ein Stuhl, der saß auf sich.
Darüberunter untendrüber waren Spiegel,
die träumten von des Traumes Mitte.
Und in des Traumes Mitte stand ein Tisch.
 
haha ... bis hier

In des Traumes Mitte stand ein Tisch,
und auf dem Tisch, da saß ein Fisch.
Daneben saß ein Stuhl, der saß auf sich.
Darüberunter untendrüber waren Spiegel,
die träumten von des Traumes Mitte.

ich hab bisher gelacht.
,-)

liebe Grüße

serge
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du!
Der Norbert war bis zu seinem zwölften Lebensjahr ein Zwerg.
Das einzige, was bei ihm überproportional wuchs war seine Nase.
So kam es, dass er Ruck Zuck von seinen Klassenkameraden seinen Spitznamen weg hatte.
Zwerg Riesennase nannten sie ihn, riefen ihm den Namen nach, lachten ihn aus, wenn er sich auf dem Weg zur Schule oder zurück nach Hause machte.
Er rannte davon und sie immer hinterher: Zwerg Riesennase, Zwerg Riesennase.
Aber im zwölften Lebensjahr änderte sich alles.
Sein Körper holte all das nach, was er bis dahin versäumt hatte.
Und nicht nur das. Er holte nicht nur seine Riesennase, nein,
er holte seinen Klassenkameraden und seine Lehrer ein.
Er war nun nicht mehr Zwerg Riesennase.
Nun war er Norbert. Aber nur äußerlich.
Innerlich hatte der Zwerg viel zu viele Jahre Zeit gehabt, um sich in ihm breit zu machen.
Er füllte jeden seiner Gedanken, sein Herz und seine Seele aus.
Innerlich war er Norbert der Zwerg.
Norbert wurde erwachsen und war fortan von einem Wunsch beseelt.
Er brauchte jemanden an seiner Seite. Jemanden, der ihm Größe verlieh.
In Jutta glaubte er diesen Jemand gefunden zu haben.
Jutta war ein Zwerg. Nicht wirklich ein Zwerg, aber doch ein Mensch,
der 1,50m für riesenhaft hielt. So war es ihr auch, tief drinnen.
Sie und Norbert gingen zwar Hand in Hand nebeneinander, doch ihr war,
als wäre da ein Riese an ihrer Seite, der sie tragen konnte, wenn es nötig wäre, sie über alles unüberwindlich scheinende hinweg heben konnte.
Doch mit der Zeit schrumpfte Norbert in ihren Augen immer mehr, spürte sie doch, wie groß sie ihm gegenüber eigentlich war.
Und mit seinem Schrumpfen wuchs und wuchs sie, bald weit über ihn hinaus.
Norbert spürte dies von Tag zu Tag mehr.
Und mit jedem Tag, jedem Schritt den sie taten, wurde er kleiner,
bis er eines Tage zu Jutta aufblickte.
Es war der Tag, von dem an er die Kinder rufen hörte: Norbert der Zwerg,
riefen sie, Norbert der Zwerg.

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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mängelexemplar

Dass einen ein Wort so treffen kann,
dass es einen so berührt.
Berührt im wortwörtlichen Sinn.
Und dass es einem gerade dann einfällt,
wenn einer sagt, man solle sich beschreiben.
Beschreiben in einem Wort.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Womöglich
lag es am vollen Mond
Am unverhüllten Blick auf dein Negligé
Deinem gleichmäßigen Atmen,
unterbrochen nur von leisem Lächeln
das deine Träume erfüllte

Vielleicht lag es auch an Freddy,
der wie immer
in mondscheinüberfluteten Nächten
an meinem Ohr liegend,
mir brummend miauend seine Welt erklärte

Wahrscheinlich lag es einfach nur daran,
dass ich dich da liegen sah
und ich mich aufs Neue in dich verliebte

Heute Morgen sahen wir uns in die Augen
und lächelten
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gerade fielen die Tränen vom Mann im Mond auf mich.
Schatz…es regnet.
Für dich vielleicht, für dich vielleicht.
Lass uns schnell nach Hause fahren.
Ich muss zu meinem Teleskop, nach dem Mann im Mond schauen.
Du kannst durch dein Teleskop keinen Mann im Mond sehen.
Selbst wenn er ein Riese wäre, könntest du ihn nicht sehen.
Du vielleicht nicht, du vielleicht nicht. Ich schon.
Oh nein.
Womit habe ich das verdient?!
Ich bin mit einem nicht ganz dichten Dichter verheiratet.
Nun red´ nicht so viel daher. Mach schon.
Bestimmt ist dem armen Kerl sein Mondkalb durchgegangen.
Und das, wo sie doch ganz nahe am Meer der Stürme leben.
Der arme Kerl, der arme Kerl.
Denkt vielleicht auch mal jemand an das arme Weib?
Der Mann im Mond hat kein Weib, mein Schatz.
Ich werde verrückt.
Von mir aus. Aber beeile dich damit.
Der Mann im Mond. Der kleine Prinz. Momo…und wie sie alle heißen.
Wäre ich nur einmal die Prinzessin deiner Reimerei.
Ach!
Und wie war das neulich nachts?
Als der Mond durch das Fenster lugte.
Sein Licht dein Neglige verblassen ließ.
Ich dich mit meinen Worten wachküsste.
Wer nannte mich da ‚mein kleiner schelmischer Shakespeare‘?
Na ja. Das war ja was ganz anderes.
Ach!
Es war der Augenblick, die Stimmung.
So, so.
Und wurden Augenblick und Stimmung nicht durch meine Worte geboren?
Ja…schon.
Also.
Gerade eben wurde der Mann im Mond geboren.
Und sein Mondkalb.
Das sich zwischenzeitlich, nur so nebenbei bemerkt, auf hoher stürmischer See,
in tiefsten Nöten befindet.
Halte aus, Mondkalb. Rettung naht.
Wenn wir gleich zu Hause sind, bastelst du mir ein papiernes Luftschiff.
Mit ihm werde ich zum Monde fliegen und mit dem Mann im Mond in See stechen.
Wir werden das Mondkalb retten.
Halte aus, Mondkalb, halte aus.
Rettung naht.
 
Manchmal haben es unsere Vertrauten nicht ganz leicht.
Mit unserer Vielfältigkeit (auch wenn - wie in meinem Falle - nur Baken geknickt werden).
Oder mit kläglich Muhenden ohne Schwimmflügel im tosenden Mondmeer, deren unmittelbare Lebensgefahr sich in einen Abend zu zweit drängt und unverzügliches Handeln erfordert.

Schließlich sind sie, unsere Ver- und Angetrauten, niemals allein mit uns, solange uns unsere Phantasie einen Schatten spendet. Möge er uns erhalten bleiben - zusammen mit unseren Vertrauten.

Klasse, Otto - dein Mondkalb in Not erhellt/erhält mir den leicht dunkelfunzeligen Tag.
 



 
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