Christa Paulsen - Der letzte Fall 1. Überstunden-Bis die schwarzen Männer kommen

ahorn

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Überstunden
Bis die schwarzen Männer kommen

Christa verschränkte ihre Arme am Genick, starrte auf die messingumrahmte Wanduhr, deren Sekundenzeiger auf die Zwölf zusteuerte.

Es war zehn nach elf, solange hatte sie seit Monaten, seit Jahren nicht mehr gearbeitet. Aber was wegmuss, musste weg. Noch der morgige Tag, dann hatte sie Urlaub. Zwei Wochen Timmendorfer Strand mit allem Drum und Dran warteten auf sie. Danach? Sie kratzte sich an der Nase, verzog ihre Mundwinkel zu einem Lächeln.
Dann klopfte der dritte Lebensabschnitt an ihre Tür. Sie senkte ihren Kopf. Freizeit, bis die schwarzen Männer sie mit den Füßen voraus aus ihrem Haus trugen. Oder? Sie schob den Gedanken beiseite - alt und klapprig fand sie sich nicht - aus einem Seniorenheim.
Seniorenheim, komisches Wort oder Seniorenstift, wie sie die Häuser nannten. Sie kannte nur eine dieser Anstalten. Zwei Dörfer weiter, gleich nach der Neunzig-Grad-Kurve, an deren Scheitelpunkt eine knochige Eiche ihren Schatten auf den Asphalt warf.
Unzählige Male war sie dort gewesen. Die meisten hatten das Bollwerk nicht überlebt.
Ebenda hinter dem Baum mit den Kreuzen verlief der, mit Schotter bedeckte, Weg zur Seniorenresidenz „An der tausendjährigen Eiche“. Ein Schauer rann über ihren Rücken. Was für ein passender Name?
Ein farbenfrohes Hinweisschild begrüßte den nichts ahnenden Besucher. „Sonnige Aussichten im ewigen Grün der Heide“ stand oberhalb des Bildes einer prunkvollen Villa. Ein Landhaus war es früher, damals, nicht mehr, nicht weniger. Prunkvoll war nur der protzige Mercedes von Günter. Er hatte das Kleinod von seinem Vater geerbt.
Der stramme Fred war zu seinen Tagen ein richtiger Landwirt. Aber sein Sohn? Aus dem besten Acker hatte dieser einen Campingplatz mit Spielhalle gemacht und an der Bundesstraße, die zur Stadt führte, erhob sich ein Outlet-Center.
Nicht, dass sie etwas gegen Touristen oder kaufsüchtige Betonsiedler hatte. Sie selbst hatte das eine oder andere Kleiderstück dort erworben. Einfach aufs Fahrrad gesetzt, hin geradelt und gut. Der Bus in die Metropole brauchte eine Ewigkeit. Wenn er fuhr! Permanent Freunde bitten, ob diese sie in die Stadt mitnahmen, für sie peinlich.
Die Arbeit, die diese Vergnügungssüchtigen ihr bereiteten, grämte sie. Mit ein Grund ihrer Nachtschicht. Wenn sie sich benehmen würden, nicht ihren Müll in Tante Waltrauts Garten warfen, oder wie letzte Nacht Party feierten. Gelage veranstalteten, sodass Werner nicht in den Schlaf kam. Dabei musste er immer früh raus.

Sie stützte sich an ihrem Schreibtisch ab, rollte mit ihrem Stuhl zurück, schwang ihre Beine zur Seite und hüpfte von der Sitzfläche. Mit zwei Schritten war sie an ihrer Pinnwand. Die Lippen zu einem Lächeln geformt, zupfte sie eine Nadel aus dem Kork, ergriff, hielt das Foto.
Hermann, ihr Nachbar hatte es richtig gemacht. Ihm, seines Zeichens Obstbauer, erfasste das Schicksal gar zweimal. Erst verstarb im Sommer die Hilde, seine Gattin, kurz nach seinem Siebzigsten, dann fiel er im Herbst aus dem Birnbaum. Den sein Großvater gepflanzt hatte.
Eine heitere Leichenfeier war das, lustiger als sein Geburtstag. Die Hilde hätte sich gefreut. Mit großem Tamtam hatte die Dorfgemeinschaft sie verabschiedet. Der Schützenverein schoss Salut, zumindest der übrige Teil. Viele Mitglieder besaß er nicht mehr, ohne Hilde und Hermann.
Die Feuerwehr hatte sich gleichermaßen präsentiert, dürstete, mit den Heidejägern gleichzuziehen. Die Sonne brannte und niemand hatte etwas dagegen eingewandt, dass die Zielgenauigkeit ohne die Schützen, die böllerten, den geplanten Erfolg verfehlte. Sogar der Pastor weinte vor Lachen, obwohl er nach dem Einsatz eher wie der kleine Erwin dreinschaute, der regelmäßig die Bekanntschaft mit dem Dorfteich aufsuchte.
Einzig Gundel, Hildes jüngere Schwester, pikierte sich. Verständlicherweise. Es war im Dorf nicht üblich, dass ein Angehöriger samt Sarg auf einer Schlammlawine in die Grube surfte.

Christa schaute auf das Foto, betrachtete den weißhaarigen Mann, der sie anzulächeln schien. Er, der in den letzten Monaten vor seinem Weggang nicht mehr gelacht hatte. In ihren Gedanken sah sie ihn: Apathisch, mit geöffnetem Mund, harrte er aus, wartete, verlassen von den Kindern, den Freunden, auf das kommende Ende. Der Abschied fiel ihm nicht schwer.
Hermann, der alte der Schürzenjäger war im Paradies angekommen. Rehbraune Arme umschlangen seinen Hals, hielten ihn, beschützten ihn. Das Lächeln der jungen Frau in ihrem taubenblauen Kleid strahlte für sie Fürsorge aus.

Den Mund nach rechts verzogen, richtete sie ihre schwarze Krawatte, reckte, streckte ihren Hals. Vielleicht sollte sie ebenfalls die Zelte abbrechen, nach Thailand umsiedeln, um sich von einem knackigen Siamese den Rücken zu massieren.
Nein! Erst einmal reisen. Las Vegas, Rio oder Sydney konnte sie sich vorstellen. Was anderes als Timmendorfer Strand.
In die Ferne war sie vor Jahren gereist. Binz. Und? Christa erinnerte sich an den Urlaub mit ihrem Karl nach Limone. Gardasee.
Allein die Anreise war eine Qual. Natürlich musste er durchfahren. Ein Stau nach dem anderen und drei Stunden am Brenner trübten die Reise.
Ein schönes Städtchen war es, beschaulich, ruhig. Nur die elendigen Treppen dämpften den Erholungserfolg. Nach einem erfrischenden Sprung in den See musste sie in ihrer Pension duschen, durchgeschwitzt, nachdem sie gefühlte fünftausend Stufen bewältigt hatte. Dann für sie lieber Timmendorf.



Preußischer Beamter

Christa öffnete ihren Dutt, schüttelte ihr rotbraunes Haar aus, bis ihre gelockten Haarspitzen unterhalb ihrer Schulterblätter, wie auspendelnde Klöppel einer Kirchenglocke, zur Ruhe kamen. Sie schritt an ein Regal, das den Dienst- vom Kundenbereich trennte, presste ihre Hüfte an die Kante, der darauf befestigen Küchenarbeitsplatte, die Werner vor Jahren darauf montiert hatte. Mit einem kräftigen Ruck hob sie das Brett, das auf der Arbeitsplatte auflag, an und befestigte es an der Wand. Sie schaltete das Licht des hinteren, ihrem Dienstbereich aus, ging durch den Durchgang und touchierte den Blumenstrauß, den die Gratulanten ihr zur Feier des Tages überreicht hatten.
Der Besuch hatte sich zwar ein Tag zu früh angekündigt, trotzdem hatte sie sich in Schale geschmissen und sie ihren vorletzten Tag in Rock und Bluse angetreten. Ihre weiße Dienstbluse, wie es für ihren Rang gehörte, mit den Schulterabzeichen versehen, auf denen die vier goldenen Sterne prangten.
Im Dienst verzichte sie auf derlei Prunk, jeder kannte sie.

Sie zupfte an den Seitennähten des tiefschwarzen Kostümrocks, in den sie zuletzt bei Sörens Abschiedsakt geschlüpft war. Nicht, dass sie keine Röcke trug, im Gegenteil. Ihre Beine konnte sie zeigen, manch eine Dreißigjährige hatte nicht derart knackige Stelzen. Allein der Saum ihrer Röcke wanderte von Jahr zu Jahr den Knien entgegen und die paar Besenreiser kaschierte eine Strumpfhose perfekt.

Christa gehörte zu der Generation Frauen, für die ein gepflegtes Äußeres unverzichtbar, dieses feminin war. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihre erste Hose getragen hatte. Fünfzehn war sie. Sie kratzte sich am Genick. Ein komisches Gefühl.
Das frostige Bad in der Wanne ließ den Jeansstoff eng an ihre Haut schnurren. Sie hätte es nicht tun sollen. Christa rieb über ihr Gesäß. Die Schläge des Vaters, mit seinem Rohrstock, schmerzten mehr als sonst.
Für ihren alten Herren war es peinlich, wenn Frauen derartig herumscharwenzelten, wie er es bezeichnete. Für ihn als preußischen Beamten ein Affront, obwohl er nie in königlichen Diensten stand.
Einer der ersten Landesbeamten in Niedersachsen war er gewesen, jedoch aus einer alten preußischen Beamtendynastie. Ihre Mutter begnügte sich mit dem Haushalt und dem Dienstmädchen.
Aus Erkenntnis wird man clever. Christa deponierte ihre Jeans bei einer Freundin und probierte erst gar nicht, ihrem Vater die anschließende Minirockmode näherzubringen.

Sie überlegte, ob sie den Blumenstrauß mit nach Hause nehmen sollte, entschied sich dagegen und pfefferte die Grußkarten neben ihre Brotdose in ihren Weidenkorb.
Eine hatte der Ministerpräsident gesandt. Mit warmen Worten bedankte er sich für ihren langjährigen aufopferungsvollen Dienst. Ein Gutschein für ein Wellnesswochenende in Butjadingen war beigelegt.
Eine zweite kam vom Innenminister, der es nicht einmal fertigbrachte, höchstpersönlich zu erscheinen. Einen Lakaien hatte er ihr geschickt. Ein nichtssagendes Gedicht eines unbekannten Schreiberlings bildete seinen Gruß.
Christa kratze sich unterhalb ihrer Brust, stellte ihre Handtasche in den Korb und fischte ihr Schlüsselbund aus demselben. Sie ging zum unweit der Klappe an der Wand befestigten Kleiderhaken, schnappte sich ihre Uniformjacke und schlüpfte hinein.
Nach einem Rundumblick ergriff sie ihren Weidenkorb, hängte ihn über ihre linke Armbeuge, schritt sodann zur Ausgangstür.
Mit einem kräftigen Ruck zerrte sie das Türblatt über eine Delle am Boden, steckte den Schlüssel ins Schloss, betätigte den Lichtschalter und zog zu.



Licht in der Finsternis
Verfolgungsjagd mit Folgen

Christa sann darüber nach, ob sie auf ein kühles Blondes bei Trude einkehren solle.
Trudes Kneipe ‚Zur Post‘ war die letzte des Dorfes. Vor neunundzwanzig Jahren, als Christa in die Gemeinde gezogen war, waren es drei an der Zahl, allein in Klein Schnuckelheide. Sogar ein Hotel war darunter ‚Zum Heidekraut‘, abgrenzend zur ‚Moorblüte‘, die ebenfalls Gästezimmer vermietete, besaßen die Zimmer im ‚Zum Heidekraut‘ Nasszellen.

Trudes Schankraum war erleuchtet. Sie schüttelte den Kopf. Um diese Uhrzeit verweilten nur drei Gäste in der Wirtschaft. Einer von ihnen schlief längst.
Pauls Wange lag bestimmt auf der Tischplatte des Stammtisches, vor ihm dreizehn bis sechzehn leere Schnapsgläser.
Der hinkende Walter, der das einzige Bier, welches er an einem Abend leerte, fest umklammerte und mit seinen täglich gleichen Luftwaffen-Geschichten die achtundsiebzigjährige Trude von ihrem Nachtschlaf abhielt.
Zu guter Letzt Thorsten, einer von den wenigen Männern diesseits der sechzig. An und für sich ein strammer Bursche. Bloß sein permanentes ‚unter den Rock grapschen‘ nervte sie. Freilich kaum die Tat als solche. Die Auswahl begrenzt und er ledig. Was sie nur partout ablehnte, ihr Ekel bereitete, war die schlichte Tatsache, dass er nach dem Besuch seines Schweinestalls sich nie die Pfoten wusch.

Den Gedanken, ihr Dienstfahrrad zu nehmen, verwarf sie aus zwei Gründen. Erstens war es, wie der Name besagt, ein Dienstfahrzeug, zweitens ein Herrenrad. Keineswegs, dass sie sich schämte, auf ein für Herren produziertes Gefährt zu steigen, sie benutzte es tagtäglich, aber mit einem eng geschnittenen Kostümrock war die Fahrt grenzwertig.
Es war nicht das Debüt, dass Christa die knappen zweieinhalb Kilometer auf Schusters Raben zurücklegte. Die Nacht war sternenklar und die zunehmende Sichel des hinter den Dächern verschwindenden Mondes spendete sein Zwielicht. Die Straße zu ihrem Anwesen war zwar nicht beleuchtet, dennoch zweispurig mit separatem Fußweg.
Es war die alte Zufahrt zum Campingplatz und führte damals weiter nach Sandheim, dem zweitgrößten Ortsteil der Gemeinde – dem Ort mit der tausendjährigen Eiche.
Den ersten halben Kilometer schlängelte sich die alte Hauptstraße durchs Dorf, dann breitete sich rechts die Schweinesuhle von Thorsten aus.
Sie hatte die Wetterlage falsch eingeschätzt, die klare Nacht, der schwache Nordost kroch ihr zwischen die Beine, nagte an ihren Oberschenkeln. Es fröstelte sie.
Zu ihrem Verdruss hatte sie an eins nicht gedacht. Der spärliche Schein der Mondsichel, bei ihrem niedrigen Stand über dem Horizont, vermochte es aufgrund Hermanns verwaister Obstplantage nicht, die Straße, die sich bis zu ihrem Heim hinzog, zu erhellen.
Finsternis empfing sie.
Gut! Sie kannte den Weg, trotzdem reduzierte sie ihre Schrittgeschwindigkeit.

Dieses Problem hätte Christa ein halbes Jahr vor Sörens Pensionierung nicht gehabt. Ob Rock oder Hose, sie hätte sich in den Streifenwagen geschwungen und wäre nach Hause gebraust.
Zu dieser Zeit hatten sie noch Bereitschaftsdienst. Sören und sie teilten sich die Dienste im Wechsel auf. Die Nachtbereitschaft wollten sie nicht in die Hände der Moorbüttler legen. Hauptdienst von acht bis siebzehn Uhr. Schlafdienst, wie sie es nannten. Denn die Nächte in Schnuckelheide waren still, den Rest des Tages.
Jedenfalls an diesem besagten Tag, Geschwindigkeitskontrolle stand an, war es passiert. Einmal in der Woche, an unterschiedlichen Wochentagen stellten sie dann gemeinsam, den Ex-Städtern oder Neudörflern, welche ein und dieselben waren, eine Falle.
Auf diese ehemaligen Betonbewohner, die der sauberen Luft wegen die beschaulichen Dörfer enterten, mit ihrem Autolärm und Abgasen die Ureinwohner quälten, hatte sie es abgesehen. Diese Egomanen, die nach Jahren der Invasion nicht begriffen hatten, dass der Weg vom Dorf in die Stadt eine gewisse Zeit in Anspruch nahm. Diese Spätaufsteher versuchten durch unzulängliche Geschwindigkeitsübertretung, den Zeitverlust zu kompensieren. Aber nicht mit Christas Segen.

Zu ihrer Polizeiinspektion gehörten zweiundvierzig Meter Bundesstraße – die am Outlet-Center. Aufgrund des Centers war aus Sicherheitsgründen in diesem Sektor die maximale Höchstgeschwindigkeit auf fünfzig Kilometer pro Stunde gesetzt.
Sören war gerade dabei, ihre museumsreife Blitzanlage vor dem Ansturm zu justieren, da sauste ein tiefergelegter schwarzer Dreier mit einem Affenzahn an ihr vorbei, sogar Trude hätte gewusst, dass er zu schnell war.
Sie startete ihren grün-weißen Wagen, wollte gerade vom Randstreifen beschleunigen, da flog der nächste Geschwindigkeitsübertreter an ihr vorbei, diesmal ein nicht minder tiefergelegter silberner Audi.
Dank des von Sörens Schwager modifizierten Motors konnte sie sich an dessen Stoßstange heften. Bereits vor Sandloch erlaubte ihr der Gegenverkehr, den Flüchtigen zu überholen und mit einem gekonnten Abfangmanöver den Gesetzesbrecher zu stellen.
Na ja, ganz so war es nicht. Sie kam ins Schleudern und er raste mit voller Wucht in ihre rechte Seite. Schrott!
Außer dem Beifahrer, den man mit schwersten Blessuren ins Krankenhaus flog, waren alle unverletzt. Sein Problem, warum hatte er sich nicht angeschnallt?
Das Ganze hatte ein Nachspiel. Nicht dienstrechtlich, da hatte sie korrekt gehandelt. Die Insassen des silbernen Audi waren vom Landeskriminalamt und die des BMWs zwei Bankräuber samt Geisel. Dabei traf Christa keine Schuld, hätte das Land ihre Inspektion nicht beim Wechsel auf digitalen Polizeifunk vergessen, sie hätte vom Banküberfall erfahren.
Das zivile Gericht sah es anders. Sie hatte die alleinige Kompetenz, eine Alarmfahrt anzuordnen, dass sie den Knopf nicht durchgedrückt hatte, konnte mal passieren.
Ein Jahr Urlaub für ihren Führerschein erschien dem Richter als angemessene Mindeststrafe.
Da Sören in Pension ging, sah das Innenministerium davon ab, ihr einen neuen Streifenwagen zu Verfügung zu stellen. Fahrradfahren war auf jeden Fall gesünder.



Der Marshall

Christa war auf der Hälfte des Weges angekommen, da krampfte ihr Darm. Sie hätte sich keine zweite Portion aus Trudes Küche holen sollen, jedenfalls nicht um halb neun. Aber Trudes Dicke Bohnen mit Speck waren einfach zu köstlich. Die Mahlzeit verlangte nach dringlicher Befreiung. Weder zu ihrem Haus, noch zur Dienststelle hätte sie es zurückgeschafft.
Sie verließ den Fußweg, stolperte zu einem alten Kirschbaum und nahm sich vor, sich selbst ein Ordnungsgeld aufzuerlegen.
Sich verlegen umsehend, raffte Christa ihren Rock bis zur Taille und schob beim Niederhocken ihren Slip samt Strumpfhose ihren Knöcheln entgegen.

Niemals hätte sie sich in den zweiundvierzig Jahren vorgestellt, dass sie in Paradeuniform an einem Kirschbaum Puffbohnen befreite.
Zur Kripo wollte sie, wie Eric Ode im Kommissar, mit spitzem Verstand, die Tatverdächtigen am Tatort vereinigen und gezielt den Mörder enttarnen. Ihr Vater war alles andere als begeistert, hatte sich eher vorgestellt, dass sie, wie er, den Verwaltungsweg einschlug oder Grundschullehrerin studierte.
Wozu eine Frau außer dem Besuch einer Hauswirtschaftsschule eine Ausbildung benötigte, war ihm schleierhaft.
Nicht einmal das Abitur hätte sie nach seiner Meinung benötigt, vertane Zeit, eher zur Ehe startklar. Er hatte das letzte Wort, sie war nicht volljährig. Er könne sich auf den Kopf stellen, schrie sie ihn an, dann schlüge sie mit einundzwanzig den Weg ein, schleudere ihm später Vorwürfe entgegen, dass er ihr Jahre ihres Lebens geklaut hätte.
Sie einigten sich auf den höheren Dienst. Polizeiverwaltung. Sein Argument stichhaltig, denn bei der Kripo waren die Frauen sowieso nur bessere Tippsen, zum Kaffee kochen verdammt, oder mit der Betreuung minderjähriger Straftäter beschäftigt. Außerdem würde sie sowieso heiraten.

Das Studium war eine Befreiung für sie. Die ganzen jungen Leute, bis auf zwei und da schloss sie sich mit ein, alles junge Männer – der reine Spaß. Das Lernen ging ihr leicht von der Hand und die Siebziger hatten auch vor der Polizeihochschule keinen Halt gemacht. O-la-la.
Sogar Mechthild, wahrlich keine Anmut, hatte mehr Männer als Finger an der Hand. Vorsichtig musste eine Frau sein. Die Pille gab es nicht einfach, jedenfalls nicht für unverheiratete Minderjährige. Bis zum Paukenschlag am ersten Januar fünfundsiebzig. Von einem Tag, auf den nächsten war sie volljährig und im Februar hatte sie ihr erstes Rezept in der Hand.
Christa grinste. Vögeln, bis der Arzt kam. Nur den Umgang mit dem Medikament hatte ihr niemand verklickert. Keiner sprach darüber.
Sie schloss das Studium mit Auszeichnung ab.
Der damalige Innenminister kam auf die Idee, dass sogar die frisch Gebackenen, aus dem höheren Dienst, erfahren sollten, wie es an der Front zuginge.

Mechthild ging zur Kripo und Christa, immer kämpferisch für Frauenrechte, hatte sich in den Kopf gesetzt, bei der Schutzpolizei ihr Praktikum zu absolvieren. Die Scheiße von unten betrachten. Dabei gab es gar keine Frauen auf Streife.
Sie blieb hartnäckig, kannte den einen oder anderen älteren Herrn im Ministerium von ihrem Vater. Ministerialerlass, Pilotprojekt.
Das größere Problem war, eine Wache zu finden. Aus hygienischen Gründen lehnten alle ab. Bis sie von einer Freundin einer Tante erfuhr, dass sie eine Bekannte hätte, die eine Wohnung direkt über einem Revier bewohnte. Kurzerhand wurde ein Teil der Bleibe zum Dienstbereich erklärt und sie konnte mit dem Praktikum starten.
Lächerlich sah sie aus in ihrer grün-beigefarbenen Herrenuniform.
Wie die Zeiten sich änderten. Vorgestern las sie in der Zeitung, dass die Bundeswehr Umstandsuniformen für Soldaten, weder ein ‚innen‘ noch ein ‚*Innen‘
konnte sie erblicken, einführe. Sie schmunzelte. Wie viele Transgender-Männer gab es, die im Personenstand Soldaten waren und in bester Erwartung?
Überhaupt, was dieses ganze ‚Gendern‘ sollte, wie es ihre städtischen Bekannten nannten. Es machte in jedem Protokoll bloß unnötige Arbeit und brachte nichts. Ein Bäcker war ein Bäcker, ob mit oder ohne Schwanz. Backte, nein buk natürlich. Wieder so ein Schwachsinn. Kein Mensch, welcher der deutschen Sprache mächtig, würde einen Gärtner unterstellen, dass er die Rosen gießte, wenn er dieses bereits getan hatte. Er goss sie.
Buk ein Bäcker mit ‚in‘ oder ‚*In‘ anders als ohne? Mitnichten. Da hatten es die Angelsachsen nach ihrer Ansicht einfach. Ein ‚Sir‘ eine ‚Lady‘ und die Sache war geritzt.

Der Revierleiter teilte sie einem erfahrenden, einundzwanzig Jahre älteren, ledigen Kollegen zu. Frank Paulsen. Er war nett, zuvorkommend und höflich. Dennoch kam es, wie es kommen musste. Die nächtlichen Streifen waren eher langweilig. Da passierte es. Christa machte sich bis heute Vorwürfe. Einen Dienst an den Rechten der Frau hatte sie nicht geleistet.
Ihr Praktikum hatte nie stattgefunden. Ihr Vater, ein Diensthoher aus dem Innenministerium und der Kindsvater kamen zu dem Urteil, dass sie diesen ehelichen solle und er zur Würdigung des Verdienstes einen Rang emporschnellte. Er seinen neuen Dienst im Landeskriminalamt antrat.

Die ersten Brocken kamen zum Vorschein. Christa wandte ihren Kopf nach links, schielte an der Brombeerhecke, hinter der sie hockte, vorbei. Lichter erschienen. Der Ansicht, es handelte sich um zwei Fahrradfahrer, kniff sie erschrocken ihren Anus zu und verharrte.
In jeder anderen Situation wäre sie, mit gezücktem Block, auf die Straße gesprungen, hätte die Sünder festgehalten und ihnen mit ernster Miene ein Verwarnungsgeld aufgebrummt.
Wozu existierte ein Fahrradweg.
Gut! Der Kraftfahrzeugverkehr auf dieser Straße war übersichtlich, wenn überhaupt rumpelten zwei bis drei Trecker täglich über den Asphalt. Die den Weg nehmenden Personenwagen waren meist von Campern gelenkt, die der Ansicht waren, es handle sich um eine Abkürzung. Dann an der Absperrung wendeten und die Rückfahrt antraten.
Drei Personen konnten die Barke öffnen: Christa, Hermann, da hinter Christas Haus ein zweiter Weg in seine Obstplantage führte und Günter. In den ersten Jahren fanden die Camper heraus, dass sie sich mit einem Standarddreikant den Weg freiklappen konnten, bis Sörens Schwager den Schlüssel, das Schloss modifizierte.

Das Surren eines Motors enttarnte die vermutlichen Fahrräder. Es war ein Auto, welches mit Standlicht auf sie zukam. Es hielt. Die Fahrertür schwang auf. Ihre Augen hatten sich an die Finsternis angepasst. Ein Mann, es konnte nur einer sein, denn seine Silhouette, sein schwankender Gang verrieten ihn.
Christas Darm grummelte, ihre Oberschenkel krampften. Sie verspürte Nässe an ihren Schenkeln. Mit einem Ruck spreizte sie ihre Knie ab, entspannte ihre Blase und den Schließmuskel. Urin plätscherte ihr mittig den Füßen und beim Wagen sprang die Heckklappe auf. Danach fiel, von ihm geworfen, ein Bündel auf den Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Fußweg und Christa eine Wurst zwischen die Füße.

Er war einer von diesen Umweltsündern, die in nächtlicher Stunde ihren Dreck entsorgten.
Wie gerne wäre sie aufgesprungen, hingelaufen, um ihn bei frischer Tat zu stellen, aber, die an ihrem Gesäß baumelnde Wurst, hinderte sie daran.
Der Täter bestieg sein Gefährt, fuhr weiter.
Durch die Hecke erspähte sie einen dunklen Kombi. Den Sünder hinter dem Lenkrad sah sie nicht.

Mit gespanntem Rock, die Finger an ihre Taille gestemmt, stand Christa breitbeinig, wie John Wayne bei seinem letzten Gefecht, auf der Fahrbahn. Sie wartete.
Er kam nicht.
Die Annahme, dass er das Tatfahrzeug bei ihrem Haus abgestellt hatte, verwarf sie – zu dreist. Sie ging davon aus, dass er den schlepperbreiten, verwinkelten Feldweg genommen hatte, der nach mehreren Abzweigungen an der Rentner-Verwahranstalt von Günter endete, daher schloss sie, dass der Übeltäter über Ortskenntnis verfügte.

Achselzuckend wandte sie sich um und stöckelte auf die Hinterlassenschaft zu. Desto näher sie kam, umso mehr bekam der Müll eine menschliche Kontur – eine weibliche. Die High Heels an ihren Füßen, der Minirock an ihrem Becken bewiesen es ihr.



Waschtag
Angorakaninchen

Christa war urlaubsreif. Sie zerrte ihre Uniformhose aus der Waschmaschine.
In der Mittagspause hatte sie sich vorgenommen, ihre Uniform zum Trocknen aufzuhängen. Mitnichten besaß sie nur eine Dienstbekleidung, sie strich über ihren Uniformrock, abgesehen von der Gardemontur. Bloß ihre Zweite hing hergerichtet auf einer Schaufensterpuppe, die in inniger Zweisamkeit neben einer gleichartigen im Heimatmuseum stand. Die Uniform des letzten Ortsbrandmeisters war ihr Nachbar.
Paul hatte sie gespendet, nachdem die Ortsfeuerwehr aufgelöst, zu einer Untergruppe der Moorbüttler degradiert wurde.
Mit geschleuderten, dennoch nassen, Kleidungsstücken, schritt sie durch den ehemaligen Schweinestall, der ihr seit ihrem Einzug als Waschküche diente, stopfte sie die Kleidung in den Wäschetrockner – ein Weihnachtsgeschenk von Günter. Oft hatte sie das Gerät nicht benutzt. Warum auch? Sie hatte einen Garten.
Wäre diese dämliche Delegation aus dem Innenministerium nicht zu spät erschienen, hätte sie Günter nicht abgelenkt, dann hätte sie daran gedacht, die Uniform zum Trocknen aufzuhängen. Immerhin wollte sie an ihrem letzten Tag nicht aufgetakelt in Rock und Bluse durch die Gemeinde schreiten, sondern mit erhobenen Haupt und in Uniform.
Dabei war sie daheim gewesen. Ein blöder Ast hatte ihre Strumpfhose zerrissen. Da sie selten, es sei denn bei einem Feste, in Ausgehuniform herumspazierte, hatte sie an Ersatz nicht gedacht. Ein Umstand, der ihr im Privaten nicht unterkam.
Christa ging in die Hocke, stellte das Programm ein und schaute dabei zu dem Regal, auf dem sie die Reinigungsmittel verwahrte. Sie stand auf, schritt hinüber, ergriff das Trassierband, mit der Aufschrift Polizei. Welches sie bereits in der Abstellkammer gesucht hatte.

Es sollte ihr letzter Fall werden. Das letzte Verbrechen, was sie aufklärte. Werner, seines Zeichens Kaninchenzüchter – genauer Angora, wurde erpresst. Seit Monaten klaute jemand einzelne seiner Schützlinge und forderte von ihm Lösegeld. Bereits zwei Übergaben waren gescheitert.
Die einzige Möglichkeit war, die Täter auf frischer Tat zu ertappen. Für Christa als Einmanndienststelle unmöglich. Walter hatte dann die Idee mit den Wildkameras. Mehrere Eingaben im Ministerium waren erfolglos. Dann berichte ihr Günter letzte Woche, dass im Discounter in Moorbüttel derartige Geräte für eine kleine Mark, demnächst zum Verkauf anstanden.

Weshalb sie Werner, abgesehen von ihrer Dienstpflicht, half, war ihr schleierhaft. Ein gebrochenes Nasenbein hatte Christa seine Geldgier mit der Zucht eingebracht.
Fast alle im Dorf besaßen Schweine, Kühe, Ziegen und Karnickel. Aber Angoras?
Letztes Jahr war es dann geschehen. Eine Horde aufgebrachter Tierschützer belagerte Werners Stall. Da der Hof wie Fort Knox gesichert war, versammelten sie sich vor dem Zaun, hielten Transparente in die Luft und schrien Parolen. Nur Christas Amtsautorität verschaffte ihr den Zugang zum Areal, in dem Werner wie ein Wachsoldat sein Anwesen beschützte. Eine Mistgabel geschultert, marschierte er auf der anderen Seite des Zaunes über sein Grundstück.
Nach intensiven Verhandlungen erreichte sie es, dass Demonstranten und Werner sich zu einer Diskussionsrunde im Saal des Gasthofes „Zum Heidekraut“ versammeln wollten.
Günter wusste zwar nichts von seinem Glück, aber sie war überzeugt, er hätte nichts dagegen. Hätte Werner nur sein Mund gehalten. Prahlte dafür, er wäre ein wahrhaftiger Tierschützer. Die fleischigen Überreste der Kaninchen, nachdem er ihnen das Fell über die Löffel gezogen hatte, spendete er dem Hannoveraner Zoo. Das erste Schild traf Werner, das zweite zerschlug Christas Nasenbein.

Günter lieferte Christa gerade die Neuerwerbungen aus, da meldete sich das Innenministerium, entschuldigten sich, und kündeten an, in einer Stunde zu erscheinen. Genug Zeit für sie, die Kameras zu montieren. Günter brachte sie in seinem silbergrauen Mercedes zu Werners Hof, aber der Besitzer glänzte durch Abwesenheit. Sie entschieden direkt Werners Kaninchenstall, kurz vor Sandheim, anzusteuern. Günter montierte ein Überwachungsgerät, Christa das zweite. Warum sie auf die Idee kam, es an einem Baum zu befestigen, entschwand ihrem Sinn.
Das Klettern in engem Rock und Pumps war wahrlich kein Vergnügen. Sie rutschte ab und Günter machte sich lustig.

Gut! Das Trassierband hatte sie aber wo ... Sie kratze sich am Genick. In der Küche hatte Christa sie zuletzt gesehen.
Sie verließ den Schweinestall, überquerte mit acht Schritten den gepflasterten Hof, stieg die vier Treppenstufen zum Windfang herauf.
Sie schlüpfte aus ihren Pumps, damit sie nicht mit den mit Urin und Sand befleckten Sohlen ihre am Morgen gebohnerte Diele verdreckte und platzierte diese neben ihre Gummistiefel. Dann tapste sie in die Küche und erblickte die Silhouette einer Taschenlampe, die kopfüber auf der Fensterbank stand.
Christa schritt durch ihre dunkle Küche. Ein Schatten huschte an ihr vorbei, worauf ein Schlag sie im Nacken traf und ihr Herz fast stehen blieb, bis das Miauen von Minka erklang.
Ihr schwarzer Stubentiger strich ihr um die Waden und sie nahm sich vor, im Anschluss, wenn sie die nötigen Sachen beisammen hatte, frisches Futter hinzustellen.
Die letzten zwei Schritte bis zur Fensterbank blieb Minka ihr an den Fersen. Christa nahm die Lampe auf, drückte den Knopf und stellte fest, dass, wenn man Taschenlampen brauchte, sie nicht funktionierten.

Sie war zurück in der Diele, da drang ein Klopfen, Knarren, beinahe ein Scharren an ihr Ohr, welches aus ihrem Schlafzimmer zu kommen schien. Minka war nicht die Verursacherin der Geräusche, denn die Katze strich weiterhin um Christas Fersen.
Ob der Verbrecher, der ihr die Leiche vor die Füße geworfen, seinen Wagen abseits ihres Hauses abgestellt hatte? Anschließend in ihr Haus geflüchtet wäre, vermutete Christa. Wie fast alle Gebäude im Dorf, so war ihr Haus nie verriegelt.
Christa schlich durch ihren Flur, bis sie ihr Schlafzimmer erreichte. Die Tür war zu. Seit Sentas Auszug war nie eine Zimmertür verschlossen. Nicht einmal die Badezimmertür schloss sie.
Erneut das Klappern und Knarren, als machte sich jemand an ihrem Kleiderschrank zu schaffen. Sie legte ihre linke Ohrmuschel an das Türblatt. Es war eindeutig ihre Kleiderschranktür. Hatte sie sich in ihrer Annahme geirrt, er wäre ein Mann gewesen. Sie entledigte sich der blutverschmierten Sachen, stiege in ihre. Da hatte sie sich mit der Falschen angelegt.
Christa fasste die Taschenlampe an deren Kopf, hielt sie über ihre linke Schulter und drückte mit der rechten Hand die Türklinke hinab.


Zerquetscht auf dem Interzonentransit

Mit einem Schrei, welches jeden Maori Krieger erblasste, stürmte Christa in ihr Schlafzimmer, schwang die Taschenlampe, wie einen Säbel und schlug mit der linken Hand auf den Lichtschalter.
Ohne auf Christa zu achten, schoss Minka an ihr vorbei, keifte und verließ mit einem Satz das Schlafzimmer durch das geöffnete Fenster. Woraufhin sie ihr bis zur Fensterbank folgte. Das Geschrei gleich einem Säugling berichtete ihr, dass Minka den Eindringling überwältigte.
Sie warf die Taschenlampe auf ihr Bett und schüttelte den Kopf. Dann nahm sie ihre Bettwäsche von der Fensterbank, klopfte, die zwar frische, aber von der Nacht klammen Decke aus, legte diese auf ihr Bett, nachdem sie jene einmal gefaltet hatte.
Da Günter sie zur Eile getrieben hatte, hatte sie es vergessen. Sie schritt an ihren Kleiderschrank, fasste an die Schranktür und schlug diese gegen die zwei handbreit herausgezogene Schublade, in dem sie ihre Strümpfe verstaute. Dabei knarrte die Tür, wie das Scharnier einer antiken Truhe.
Christa griff sich ins Haar und leckte über ihre weinrot bemalte Oberlippe. Es stellte sich für sie die Urfrage aller Frauen. Was zöge sie an? Sie presste ihre Lippen zusammen, runzelte die Stirn und schloss den Kleiderschrank. Damit verwarf sie den Gedanken, in zivil zum Tatort zurückzugehen.

Seit vierzehn Jahren war sie nicht ein einziges Mal in zivil zum Dienst erschienen. Seit dem Tag, an dem sie den Schreibtischstuhl des stellvertretenden Inspektionsleiters erklommen hatte und ihr Chef, der leitende Polizeidirektor Pfannenschmied, ihr mit Nachdruck erklärte, dass ihre Fürsorgepflicht nicht allein der Kripo, sondern gleichfalls den Streifenkollegen galt.
Den Respekt, den sie ihrem Vorgesetzten schuldete, erleichterte ihr die Entscheidung, obwohl sie weiterhin keinen Sinn darin sah.
Was hatte die Kleidung mit ihrer Arbeit zu schaffen? Denn jeder in der Inspektion kannte sie, ob aus ihrer Abteilung der Kriminalpolizei oder denen von der Schutzpolizei.
Eher die Beschaffung einer passenden Uniform bereitete ihr Sorgen. In Moosgrün ihren Dienst zu versehen, verwarf sie. Die Farbe stand ihr im Praktikum bereits nicht, obwohl es bei dieser Kollektion zweifellos weiblich angepasste Kombinationen existierten. Sogar zwei Rocklängen standen zur Auswahl, dabei zweifelte sie daran, inwieweit ein enges, feminines Beinkleid im Streifendienst Vorteile brachte. Abgesehen von der zweifellosen Frische im Sommer, war die Freiheitsbeschränkung der Beine eher ein Handicap bei der Verfolgung eines Flüchtlings. Wenn sie davon ausging, dass diese für sie, sicherlich weibliche Person, an einer Jagd teilnahm. Aber wer konnte es beim Dienstantritt vorhersehen.

Christa schob ihren Rock herauf und plumpste auf ihr Bett. Den rechten Mundwinkel herausgezogen zerrte sie sich, die von der Brombeerhecke lädierte Strumpfhose von den Beinen, knüllte diese und schleuderte sie gegen die, dem Fußende gegenüberliegende Wand. Dabei traf sie ihr Hochzeitsfoto, auf dem sie in trauter Zweisamkeit mit Herbert stand, sodass jenes, mit leichtem Schwung, durch den Aufprall angetrieben, ihr in seinem silbernen Rahmen zuwinkte.
Sie erhob sich, schritt auf Zehenspitzen zum Foto und strich mit dem rechten Zeigefinger über die Person, die grinsend an ihren Allerwertesten grabschte. Peter war damals ihr Freund gewesen, wie jedermann es zur damaligen Zeit bezeichnete. Aus heutiger Sicht: Ein männliches Wesen, mit der sie, in den überwiegenden Fällen, den Beischlaf vollzog.
Nur eben nicht in dem Zeitraum, in dem Herbert sie geschwängert hatte.
Ihr Vater hatte Peter gehasst. Er war Maurer. Der Standesunterschied spielte mit Sicherheit bei seiner Abneigung eine Rolle. Jedoch seine Affinitäten, die Peter an Tag legte, eher ausschlaggebend. Er war unter anderem Kommunist. Mit ein Grund seiner Abwesenheit in den Tagen ihrer Empfängnisbereitschaft. Peter nannte es Bildungsurlaub im von den Imperialisten annektierten Teil Berlins.
Sie klopfte gegen das Glas. Melanie! Ihre alte Schulfreundin Melanie. Sie hatte nicht nur Christa geholfen, das Brautkleid zu finden, sondern war ihre Trauzeugin. Peter ebenso, aber nur bei der Kirchlichen. Schick sah er aus. Ihr Vater tobte.
Im Standesamt stand irgendein von Herbert Saufkumpanen an seiner Seite. Es war eben eine Nothochzeit. Dass Christa danach ohne Frühgeburt ein Sechs-Monats-Kind zur Welt gebracht hatte, war daraufhin nichts Anrüchiges mehr.
Ihre Mutter bestand auf den kirchlichen Segen und welche Frau träumt nicht davon, in einem Prinzessinnenkleid vor den Altar geführt zu werden, aber mit Kugelbauch? Danke! Der Pastor segnete sie drei Monate, nachdem Senta zur Welt gekommen war.

Christa ging in die Hocke, zog die unterste Schublade, die sie zuvor zugeschoben hatte, auf und angelte eine Strumpfhose heraus.

Zuerst war alles spaßig, neu, dachte sie an damals. Herberts vier Zimmer Wohnung mit Salon und Bad am Kröpke riesig. Spitzenlage! Er gestattete ihr das neue Heim – eher eine Junggesellenbude, nach ihren Vorstellungen aufzuhübschen. Im Kinderzimmer und in der Küche, in ihrem Reich, wie er es nannte, ließ Herbert sie frei walten. Allein mit dem Geld musste sie haushalten.
Christa fügte sich in ihre Rolle. Jedes Lächeln ihrer Tochter erquickte sie. Hausfrau und Mutter waren ein fulltime Job, erst recht, wenn das Kind ein Säugling war. Schlaf gab es nicht für sie.
Während ihr Gemahl schnarchte, faltete sie Windeln zusammen oder stopfte Strümpfe, bis Senta sie wieder forderte, trockenlegen, säugen, Windeln einweichen, bis der Wecker rasselte. Dieses Signal galt aber nur für Herbert, denn sie war wach, Frühstückstisch decken, Zwischenmahlzeitbrote für ihren Ehemann schmieren, dann erneut Senta versorgen. Sodann Herbert verabschieden, der in der Zwischenzeit gefrühstückt und seine Tageszeitung gelesen hatte, Betten aufschlagen, Staub wischen, Teppiche ausklopfen. Senta.
Beim Stillen frühstückte sie. Kind fertig machen, ab in den Kinderwagen, frische Luft für Senta für Christa die täglichen Einkäufe. Nach dem Säugen und Wickeln Essen kochen. Ihr Gatte pflegte das Mittagsessen daheim einzunehmen.
Christa versorgte Senta, hörte nicht hin, ignorierte sein Schmatzen, das vom Esszimmer in die Küche schallte. Anstatt selbst aufzuessen, legte sie ihr Baby zu Bett, stürzte sich auf die Dreckwäsche.
Die Hartnäckigkeit gegenüber Herbert hatte sich ausgezahlt. Windeln und Strampler flogen in die Waschmaschine anstatt in den Waschsalon.
Die paar Minuten auf dem Spielplatz, wenn Senta lachend im Sand buddelte, genoss sie, war aber im Gedanken bereits wieder beim Brote schmieren, Häppchen machen, Küche wischen und Dielen bohnern. Bis der Abend beim Fernsehen ausklang, sie beim Stricken einschlief, bis Sentas quirliges Schreien sie weckte.
Trotzdem genoss sie die ersten Jahre, das Lächeln der Tochter war ihr Dank genug. Wenn Herbert nur nicht gewesen wäre, sie einen lieben Mann an ihrer Seite gehabt hätte, das Hausfrauenleben eine Freude.

Christa schritt zurück zu ihrem Bett, setzte sich nieder und streifte sich eine hautfarbene Strumpfhose über, die nicht nur ihre Besenreiser kaschiert, sondern sogar ihre Beine wärmte.

Zuerst hatte er es verheimlicht; Überstunden, wie er ihr erklärte. Später stand er einfach vom Abendbrottisch auf, sagte ihr ins Gesicht, dass er zu einer Freundin ginge, es spät würde. Dann verbrachte er ganze Wochenenden mit seinen Gespielinnen. Was sollte sie tun, sie war von ihm abhängig? Als er ihr, ihre Senta war bereits zwei Jahre, am Küchentisch kundtat, er flöge für zwei Wochen mit einer dieser Damen nach Can Picafort, zuckte ihre Hand zum Brotmesser.
Das Schicksal nahm ihr die Tat ab. Auf der Rückfahrt von einem Berlin Wochenende kam ein Lkw auf dem Transit ins Schleudern und Herberts Ford Capri bohrte sich unter dessen Ladefläche.

Christa stopfte das Trassierband in ihre Handtasche, hing diese über ihren linken Unterarm, ergriff ihre Taschenlampe und kontrollierte dessen Funktion, denn sie hatte neue Batterien eingelegt. Bevor sie das Licht im Flur ausschaltete, schlüpfte Christa in ihre schwarzen Pumps, die gleich zu unters im Schuhschrank standen, und verließ daraufhin ihr Heim.



Leichenschau
Liebe ohne Happy End

Christa raufte sich die Haare, dann fiel es ihr ein. Trude hatte sich in der letzten Wochen den Fäustel ausgeliehen, dass diese Art von Hammer so hieß, hatte sie von Günter gelernt. Wofür Trude das klobige Ding benötigte, hatte sie ihr nicht nahegelegt. Einen Nagel unbestreitbar nicht in die Wand kloppen, dafür war das Gerät nicht geeignet. Aber, um eine Stange in die Erde zu rammen, ideal.
Wäre sie nur nach Hause gegangen. Im Hühnerstall wäre sie fündig geworden. In dem Verschlag, in dem seit Jahrzehnten kein Federvieh mehr verweilte, hatte sich Günter eine, wie er sagte, Werkstatt eingerichtet. Niemand sah es ihm nicht an, dass er, mit seinen manikürten Fingernägeln, ein geschickter Handwerker war. Klar. Sein Vater Landwirt, trotzdem hatte er mit der fingerdicken Goldkette, die er sogar im Schlaf um den Hals trug, das zarte Goldkettchen um sein linkes Handgelenk, den dauergewellten, gefärbten, nackenlangen Haaren nicht das Erscheinungsbild eines Handwerkers.
Günter war sogar verheiratet. Anong hieß sie und kam aus Thailand. Günter war früher viel und weit gereist und hatte sie in diesem Land kennengelernt. Regelmäßig flog sie mit einem Besuchervisum nach Deutschland und die Dorfgemeinschaft nahm sie als ihresgleichen auf. Anong war im Landfrauenbund, im Schützenverein, sogar in der freiwilligen Feuerwehr, aber eher passiv als aktive. Einmal hatte sie versucht, mit einer Spritze eines D-Schlauchs ein Übungsfeuer zu löschen, woraufhin sie, wie eine Rakete über den Feuerwehrhof schoss.
Christa mochte sie, liebte sie wie eine Schwester. Ihr Deutsch war, mit Akzent untermalt, dennoch, fehlerfrei. Denn Anong hatte in ihrer Heimat Germanistik studiert.

Nach einem exzellenten thailändischen Abendessen und mehreren Gläsern Lao Khao löste sich Christas Zunge. Sie wurde intim, fragte Anong, ob sie nicht bald Günter zum Manne nehmen anstrebte, die Flüge, hin und her, sicher eine Last für sie waren.
Anong brach in Tränen aus, schluchzte. Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, fragte Anong sie, ob Christa sie heiraten wolle.
Zuerst verwirrt, lachte Christa, ein Lachen, welches ihr im Halse stecken blieb.
Eigentlich war es logisch. Sie wusste von Günters Vorliebe, direkt von ihm und dem Getuschel aus dem Dorf.
Die Krux, wie Anong ihr berichtete, lag einerseits in ihrer Familie, anderseits bei Günter.
Das Problem mit ihrer Familie war für Christa widersprüchlich.
Anongs Vorfahren stammten aus Indien, nahmen, obwohl gläubige Buddhisten, ihre Hausgöttin mit in die neue Heimat. Hijra.
Es war Tradition, dass der jüngste Spross männlichen Geschlechts der Göttin geweiht, den Weg der Kathoey einschlug. Der Sachverhalt traf zwar nicht auf Anong zu, denn sie hatte einen weitaus jüngeren Bruder Niti, aber sie fühlte sich, seitdem sie denken konnte, als Frau. Ihre Eltern unterstützen sie finanziell: Hormonbehandlung, Brustaufbau.
Ihre Brüste waren ein Kunstwerk, stramm und ihrer Körperlänge angepasst, sogar die Brustwarzen waren die einer genetischen Frau ebenbürtig. Bloß, das Fehlen der Milchgänge verriet die Nachbildung. Der letzte Schritt in ihrem Glauben am Zorn von Hijra ausgeschlossen.
Zuerst verfiel Christa in Wut, warf Anong ihre Empörung zu, dass sie Günters Vermögen mehr angetan, als dessen Liebe sei. Anongs Reaktion traf sie, beschämte sie.
Christa stürmte aus dem Haus, stampfte zu den Gesindehäusern, in dem Günter hauste, schlug auf die Haustür ein.
Er wand sich heraus, behauptete, es wäre für ihn unmöglich. Finanziell täte er alles für sie, die Flüge, ihre Ausstattung, wären Beweis genug. Nur einmal in seinem Leben hatte er einer Frau, dieses nicht freiwillig und unter Alkohol, bei deren Hochzeit, beigeschlafen.

Ein Dreivierteljahr später läutete die Glocken. Es war kein Fest, sondern es war ein Festival. Eine Woche war Ausnahmezustand in Schnuckelheide. Polterhochzeit, Standesamt, kirchliche Trauung, buddistische Zeremonie, sogar einen Mönch hatte Günter, zusammen mit Anongs Familie eingeflogen. Wie glücklich, niedlich, einer Puppe gleich, Anong in ihrem Brautkleid ausschaute. Alle feierten, waren auf den Straßen unterwegs.
Einzig Niti, den Anongs Eltern Christa als Ariya vorstellten, wirkte eher verlegen in seinem mit Blüten besetzen Pahom, dem kunstvoll geflochtenen tiefschwarzen Haar, seinem geschminkten Gesicht. Allein das liebevolle Lächeln, welches er Anong zuwarf, zeigte darauf, dass er aus Liebe zu Anong, ihre Rolle mit Würde angetreten war.

Kaum zwei Wochen nach der Trauung erschien Anong unter Tränen bei ihr. Nicht einmal, nachdem sie den letzten Schritt gewagt hatte, hatte Günter mit ihr Intimkontakt.
Christa nahm in ein letztes Mal zur Brust, schrie ihn an. Anong, ihre Liebe zu ihm, seine Liebe zu ihr, konnte nicht von einem Stück Fleisch abhängen. Gerade ihm als Mann musste es egal sein, in welche Körperöffnung er seinen Samen entsorgte.
Günter bestätigte ihr unter Tränen die Zuneigung zu seiner Frau, erwarb ein Reihenhaus in Hannover, in das Anong endgültig und er pro forma verzog.



Letzter Abschuss

Christa verstand sich nicht auf handwerkliche Tätigkeiten. Fähig wäre sie sicherlich, aber wozu? Sie war eine Frau – Männersache eben. Sie hatte feinsinnigere Talente, Gaben, die ihrem Geschlecht zugetan waren. Gelernt von der Mutter und in ihrem Fall von Gesine, dem Dienstmädchen der Eltern.
Stricken, Sticken, Nähen stand auf ihrem nachmittäglichen Stundenplan und immer, wenn es Gesines Zeit hergab, unterrichte, die treue Seele, sie heimlich in der Zubereitung von Mahlzeiten. Denn ihre Mutter konnte nicht kochen. Es war nicht standesgemäß.
Oder sie brachte ihr bei, wie eine ordentliche Wohnung aussah, ohne dass die Hausherrin bemerkte, dass sie je verschmutzt war.

Die Stunden in der Grundschule genoss sie, nicht des Stundenplans wegen, der war gleichfalls nicht weltoffener als jener der Mutter oder Gesine. Die Mädchen aus dem einfachen Volk faszinierten sie. Weniger die Jungen, denn die waren in einem anderen Gebäude verwahrt, von einer mannshohen Mauer auf dem Schulhof von den Mädchen getrennt.
Sie wohnten damals in einer Kleinstadt im sogenannten Zonenrandgebiet. Die Zeit des Kaisers war dort eingefroren.
Die Mädchen waren anders als sie. Sie spielten in Pfützen, machten sich dreckig und die ermahnenden Worte der Klassenlehrerin prallten an ihnen ab, denn sie wussten, dass ihre Eltern die Lehrerin nicht verstanden.
Christa stand meist abseits, vergnügte sich dann so gut es ging mit den braven Mädchen, mehr als Himmel und Hölle war nicht drin. Immer bedacht ihre weißen Rüschenkleider, als solches, erkennbar zu halten.
Am Ende des Schultages wartete sie mit den Braven Hand in Hand in Zweierreihen auf die Kindermädchen oder Hausdamen, die sie abholten. Die dann ihre Köpfe schüttelten, daraufhin die Kreidereste mit einem angespuckten Taschentuch entfernten.
Die Mädchen vom unteren Stand schlugen, vor Freude des Schulendes, Rad, grölten und liefen an ihnen vorbei.

Christa schmunzelte und blies den Staub von dem schwarzen Pilotenkoffer.
Walter hatte ihr den Koffer geschenkt, um ihre Tatortuntersuchungsgerätschaften dort zu verwahren. Puder, Pinsel, Kreide, Maßband, Tinte, Luppe alles Dinge, die bei der Erstsicherung von Belang waren. Sogar ein Fotoapparat war dabei.
Sie kratzte sich am Genick und steckte die Filmdosen wieder in die Innentaschen. Die hatte die Zeit überlebt.
Einen Pilotenkoffer, wie ihn Frau von Trutheim pflegte, zur Schule zu nehmen, ihrer jedoch nicht in Schwarz, sondern in Mahagonibraun. Es war ein Erbstück ihres Vaters. Vierunddreißig Abschüsse hatte er, triumphierte sie jede Stunde, trotzdem kam nur sein Koffer zurück. Kollaborateure nannte die Trautheim die Schuldigen. Motorversagen über dem Ärmelkanal war der Grund seines Ablebens gewesen. Derart eingefärbt war ihr Geschichtsunterricht, obwohl sie über die Völkerwanderung nie herauskamen.
Christa hatte es ihrer Mutter zu verdanken, überhaupt das Lyzeum besucht hatte. In der modernen Zeit war es für eine Hausfrau nicht nur unumgänglich, einen Haushalt zu führen. Dabei lag die Betonung der Mutter auf ‚führen‘, sondern dem Ehegatten sowie seinen Gästen eine adäquate Gesellschafterin zu sein. Die höhere Töchterschule, so nannte die Mutter Christas Anstalt, verbannt alle Aspekte.
Ein Sachverhalt, der ihrer Schule allgemein und im spezielle von dem Lehrkörper, sowie den Schülern - allesamt männlichen Geschlechts – des Gymnasiums des Ortes, der ‚Großen Schule‘, den Beinamen Puddinggymnasium einbrachte. Dabei war einzig die Klappe der Schüler groß. Denn im Gegensatz zu den Schülern der ‚Großen Schule‘ war ihr Schulgebäude ein Schloss.



Faltenrock

Christa stand aus der Hocke auf, richtete, mit schwingenden Becken, ihren Rock, warf ihr Haar über Schulter und stöckelte in ihr telefonzellengroßes Bad. Sie ergriff einen Putzlappen, drehte den linken Knauf des Wasserhahns gegen den Uhrzeigersinn, hielt sodann den Lappen in den Strahl. Nachdem er sich vollgesogen hatte, wrang sie den Stoff aus, schloss den Hahn, schritt zurück und hockte sich erneut vor den Koffer nieder.
Sie putze das Case bis es glänzte, spuckte auf ihn, wie es Gesine unternahm, wenn sie die Schuhe von ihrem Vater pflegte.
Den Gurt über der Schulter gehenkt, erhob sie sich, hing die Handtasche über ihre Ellenbeuge und verließ, danach, einen zurückgewandten Blick auf die Wanduhr, ein weiteres Mal an diesem Abend das Revier. Nicht ein weiteres Mal, das erste Mal an diesem Tag, dem Letzten. Sie stolzierte ins Freie.

Was war sie durcheinander? Anstatt sich wie eine alte senile Großmutter mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu befassen, sollte sie sich besser auf ihren Fall konzentrieren. Ein erneutes Mal schloss sie ihre Bürotür auf, stampfte, ohne das Licht anzuschalten, an ihren Tressen und schnappte sich Wanjas Handtasche. Die sie aufgrund der Sicherheit mitgenommen hatte.
Aufpassen wollte sie auf diese, nicht, dass ein zufälliger Passant jene vom Fundort stehle. Dabei gehörte die Tasche zur Leiche und die von der Kriminaltechnik waren alles andere als erbaut darüber, wenn jemand, da machten sie keine Ausnahme, Gegenstände von einem Ort entwendeten, bevor sie diese katalogisiert, sowie fotografiert hatten. Christa hing sich die Tasche um den Hals und verließ nochmals ihr Revier.
Sie war mehrere Schritte gegangen, da wandte sie sich um, marschierte zurück, öffnete das Garagentor, das den Eingang des Schuppens links neben dem Reviergebäude schützte. Mit zwei Schritten war sie an ihrem Fahrrad, klemmte den Pilotenkoffer auf dem Gepäckträger fest, schlang den Trageriemen mehrmals um die Sattelstange, ergriff eine Akkuleuchte, schob danach das Gefährt auf den Gehweg.
Das Zweirad abgestellt, schloss sie das Tor, raffte ihren Rock, bis der Saum an ihrer Taille anlag. Wie Eddy Merrckx schwang sie sich auf den Sattel, hing ihre Henkeltasche über das linke Lenkerende, die Leuchte über das Rechte, sah an sich herab und dachte an ihren Vater.

Es war unschicklich, für eine Dame ein Zweirad zu lenken.
Wohl fühlte sich Christa nicht in ihrer Haut und halb entblößten Hinterteil, aber um diese Uhrzeit, war es sehr unwahrscheinlich, dass ein Mensch sie sah.
Sie bekam ihr erstes Fahrrad mit fünfzehn, nicht von ihrem Vater, sondern von Gesine, die ihr das Radeln beigebracht hatte. Die gute Seele hatte sich von ihrem kargen Lohn ein neues Zweirad abgespart. Denn Gesine war keine Dame – nur eine Frau – und die Wege für ihre täglichen Besorgungen waren nach dem Umzug länger. Mit Unterstützung der Dreigang-Narbenschaltung sauste Gesine über die Straßen von Hannover.
Der Umzug war für Christa ein Kulturschock. Innerhalb einer Woche katapultierte sie das Schicksal von der Kaiserzeit in die Sechzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts.
Der Wechsel ihres Vaters vom Landesforstamt zur Landesschulbehörde, indem er kraft seines Amtes dafür sorgte, dass die Beamten immer spitze Bleistifte zwischen den Fingern hielten, war der offizielle Grund für den Umzug. Den wahren Grund erfuhr sie erst viele Jahre später, die Liebe zu einer Frau hatte ihn dazu erwogen.
Für Christa waren die ersten Wochen schrecklich. Für sie unbekannte Wesen, welche die Lehrer als Jungen bezeichneten, rannten in den kleinen Pausen durch das Klassenzimmer, stürmte über die Tische, versuchten den Schülerinnen, unter die Röcke zu gucken. Sie machten ihr Angst. Ihr Klassenlehrer verdammte Christa, neben einer dieser pickelgesichtigen Gestalten, um den Unterricht zu verfolgen. Was aufgrund seiner Ausdünstungen ihr mehr als schwerfiel.
Dennoch war Paul ihr einziger Ankerpunkt in der neuen Klasse. Denn sie teilte nicht nur die Bank mit ihm, sondern, gemeinsam mit seiner großen Schwester, den Heimweg, Petra war es gewesen, sie hatte ihr, in ihrer unverblümten Art, nahelegte, dass ihr provinzielles Rüschenkleid alles andere als hipp sei, worauf nach langen Diskussionen ihr Vater ihr gestattete, in kariertem Faltenrock die Lehranstalt zu besuchen. Petra nahm sie auch mit zu Fatma, sodass sie zumindest in der fremden Stadt ihrem Hobby wieder frönte.



Schande

Das Licht der Akkuleuchte warf Wanjas Schatten auf den Fußweg. Ihre blutleere Haut verlieh ihr wie Schneewittchen eine aristokratische Blässe. Christa atmete tief ein und schüttelte den Kopf.
Anmutige wie ein Model war sie. Ein Umstand, der sicherlich ihr zum Verhängnis geworden war.
Die hübschesten des Landes suchten sie, versprachen ihnen die große Karriere, schenkten ihnen dafür die Unterwerfung, bis ihre Körper, ihre Seelen geschunden, von dem Abschaum, Christa sah die Straße entlang, in der Gosse landeten.
Sie öffnete den Pilotenkoffer, entnahm eine Lupe, betrachtete damit Wanjas Armbeugen. Die Haut war unverletzt, keine Einstiche, zumindest, wenn sie Drogen genommen hatte, dann nicht gespitzt oder an Körperstellen, die nicht einsehbar waren. Aus dem Fehlen von Totenflecken auf der Unterseite schloss Christa darauf, dass der Täter Wanja direkt nach ihrem gewaltsamen Tode mit dem Auto an den Ort verbracht hatte oder sie in gleicher Rückenlage verstorben war.
Dennoch verbat die Kopfverletzung diese Lage. Welch ein Körper fiel nach einem Schlag auf den Hinterkopf, erst recht bei ihrem Schuhwerk. Christa tippte an die extrem hohen Absätze. Da kannte sie sich aus.
Die Instabilität bei High Heels war die seitliche. Ein Mann schlug, wenn möglich, mit den Knien auf, eine Frau nicht, es sei den sie trug flaches Schuhwerk. Eine Schwerpunktverlagerung nach vorne, brachte das Gleichgewicht aus dem Takt, sodass sie umknickte, seitlich zusammenbrach.
Christa begutachtete abermals Wanjas Strümpfe. Makellos. Kein Fleck von Erde oder Grass, keine Laufmasche, keine Steinchen verunstalte ihre Beine. Zumindest hätten sich Falten gebildet, die Strümpfe sich ein wenig gelöst. Mit ein Grund weswegen Christa Strapsstrümpfe bevorzugte. Umständlicher zu tragen gewiss, aber die hielten. Christa schmunzelte: in jeder Position. Wenn Frau ihren Slip darüber zog, dann verminderten sich sogar die Scherereien, wenn es darauf ankam.
Somit verblieben nach erster Schau zwei Szenarien. Wanja verstarb in Bauchlage. Angesicht des von ihr vermuteten Gewerbes nicht unüblich, womöglich sogar beim Akt. Dann existierten zwei Täter, zumindest ein Zeuge. Sie zückte ihre Taschenlampe, lüfte ein wenig den Minirock und senkte ihren Kopf, so weit es die Stellung von Wanjas Beine ihr es gestattete, unterhalb des Rocksaums.
Ob ein Slip ihre Scham bedeckte, konnte sie nicht feststellen, denn sie trug ein leichtes Mieder.
Christa kratzte sich am Genick, welche junge Frau trug Mieder. Dass sich Christa bei bestimmten Anlässen in derart Kleidungsstück quälte, ärgerlich, nicht außergewöhnlich, aber eine junge Frau und dann eine …
Ihre Annahme, dass sie dem waagerechten Gewerbe angehörte, schwankte. Dem zweiten Täter blieb Christa treu. Der eine schlug sie nieder, der andere fing sie auf.
Egal! Aufgrund der Leichenflecke ging sie davon aus, dass der Tatort im Umkreis der Gemeinde Schnuckelheide lag, damit in ihrem Zuständigkeitsbereich. Punkt. Schluss.

Christa schnappte sich ein Stück weißer Straßenmalkreide aus dem Koffer, zeichnete vom Kopf ab, soweit es der Untergrund zuließ, die Umrisse der Leiche nach. An den Füßen angekommen, verharrte sie, beugte sich, den Kopf geneigt, vor und leuchtete, mit dem Lichtkegel ihrer Taschenlampe, auf das Leder.
Es waren hochwertige Schuhe, keine vom Schnäppchenmarkt. Christa erkannte es, denn sie hasste ebendieses billige Schuhwerk: wunde Füße und nach dem zweiten Tragen kaputt. Dieses war es nicht, was sie verwunderte, sondern sie waren dreckig. Nicht eingesaut, jenes wäre ihr sofort aufgefallen. Sie betrachtet den Schmutz auf der profillosen Sohle, der, wie bei Damenschuhen üblich, bescheidenen Fläche. Klar, welche Frau unternimmt in High Heels Waldwanderungen. Ein dünner Film lag auf. Die gleiche Art Ablagerung erstreckte sich zwei Fingerbreit auf den bleistiftdünnen Absätzen. Christa kroch, weiterhin gehockt, retour zum Koffer, holte eine Pinzette sowie eine zigarettenschachtelgroße, durchsichtige Plastiktüte hervor. Am Schuhwerk zurück, zupfte sie ein reiskorngroßes Stück Erde von der Spitze des rechten Schuhes, verstaute die Probe in der Tüte.
Die Markierungsarbeiten wieder aufnehmend, zeichnete sie die Umrisse bis zum linken Arm weiter. Wanjas Finger der linken Hand waren gekrümmt und gleich der Rechte mit hochwertigem Modeschmuck geziert. Der Handrücken lag auf dem Asphalt des Fußweges. Eine Lichtreflexion blitze in die Nacht. Es war ein feinbearbeiteter Goldring, der sich, in einer Hautfalte zwischen dem ersten Glied des Ringfingers und der Handfläche, versteckte.

Christa hob daumenbreit die Hand der Toten und drückte ihre linke Wange auf den Asphalt. Ein Brillant doppelt so breit wie die Stärke des Ringes lächelte sie an. Ob echt oder unecht konnte sie nicht feststellen, dennoch verriet ihr weibliches Gespür, dass der Stein nicht aus Strass bestand. Wanja trug, soweit es Christa einsah, außer diesem Ring kein Gold, ebendaher passte er nicht zu ihrem restlichen Schmuck.
Es war ein Verlobungsring. Ein Schmuckstück, welch Frau, solange das Herz für den Schenker schlug, nie ablegte.

Christa ohrfeigte sich. Ihre eigenen Vorurteile hatten sie auf eine falsche Fährte gebracht. Freizügige Kleidung, Bargeld, Osteuropäerin öffneten die Schublade und stopften Wanja hinein.
Die Augen geschlossen, zupfte Christa sich an der Nase. Eine junge, wohlhabende Bulgarin in Deutschland? Shoppen! In der Lüneburger Heide? Dass Wanja Günthers Outlets-Center aufgesucht hatte, schloss sie aus. Markenwaren, ja, die gab es in großen Mengen. Sie betastete den Stoff des bauchfreien Tops, des faltigen Minirockes, aber nicht in solcher Qualität. Wanja trug keine Ware von der Stange.
Sie war abgehauen, auf der Flucht von ihrer Familie, die sie verheiraten wollte. Ehre? Die anarchische Gesellschaft in Osteuropa, kaum zu unterscheiden der in Anatolien. Glaube spielte keine Rolle. Als Mädchen versprochen, als Frau eingelöst.
Sie tippte wie ein Specht an ihre Schläfe. Wanja war achtundzwanzig, außerdem trug sie den Verlobungsring. Trotzdem war Ehre, Liebe ein belastbares Motiv für einen Mord. Mit dem Motiv kam sie dem Täter näher. Wanja durfte den Mann, der ihr aus Liebe den Ring geschenkt hatte, nicht heiraten. Ein Familienangehöriger ertappte sie, erschlug sie.
Nein, zwei. Einer hatte sie aufgefangen.



Zoologischer Garten

Hoch zu Ross

Christa verzog ihr Gesicht, schüttelte sich und stellte das Schnapsglas auf das Vertiko. Trudes Pfefferminzlikör rann ihr durch die Kehle und verbreitete eine wohltuende Wärme in ihrem Magen.
Dieses hochprozentige Getränk als Likör zu bezeichnen, abwegig, aber der wöchentlichen Runde der Landfrauen angemessen. Trudes Geheimrezept war trivial. Sie legte für eine Woche Pfefferminzblätter in reinen Alkohol ein, dann streckte sie den Sud mit der gleichen Menge karamellisierten Zuckerwasser.
Auf einem Bein war nicht gut zu stehen, dachte sie sich, schenkte nach, erfasste das Glas, stieß gegen ein gerahmtes Foto, auf dem sie zusammen mit Karl in inniger Umarmung abgebildet war. Sie neigte den Kopf zur Seite und grinste.

Karl. An jedem Tag mit ihm erinnerte sie sich – erst recht an ihren Ersten. Lastwagenkontrolle.
Da sein Laster alles andere als verkehrstüchtig war, zog sie diesen aus dem Verkehr. Karl telefonierte mit seinem Chef, sah Christa mit seinen Dackelaugen an, fragte sie, wo er für zwei Tage kampieren könne. Vor ihrem beschaulichen Heim war genug Platz für einen Sattelauflieger und dessen Zugfahrzeuges. Deshalb gestattet sie ihm eine letzte Fahrt.
Sie bereitete ihm nach Dienstschluss ein Abendessen, baute ihm ein Lager für die Nacht auf dem Sofa.
Am nächsten Morgen war das Nachtlager unberührt und nachdem sein Fahrzeug wieder auf den Landstraßen Europas unterwegs gewesen war, besuchte er sie immer, wenn er in ihrer Nähe war. Es waren wundervolle Tage, Tage ohne nächtliche Einsamkeit, denn Senta wohnte seit Langem zum Studium in der Stadt.
Mit ihm hatte sie den Urlaub an den Gardasee unternommen, hoch zu Ross auf dem Vierzigtonner die Alpen überquert.
Aus allen Ländern schrieb er ihr. Gedichte und Reiseerzählungen steckten in ihrem Briefkasten. Sein letzter Brief, gekürt mit einem Foto. Sie war Karl nicht gram, verzieh der blutjungen Spanierin, die ihn umarmte.
Der Laster brachte Christa auf eine Idee. Den Kopf erhoben, schritt sie in den Flur, schnappte ihre Handtasche, verließ das Haus und wandte sich ihrer Waschküche zu.
Ab einem definiten Alter schlug die Senilität zu. Einen Wäschetrockner einzuschalten alles andere als schwierig, einzig zu vergessen, den Stecker … Sie zuckte mit den Achseln. Egal!

Sie trat in die Pedale, fuhr an den Gesindehäusern vorbei. In Werners Wohnzimmer flackerte wie immer der Fernseher, obwohl er im Sessel schlief. Auf dem Campingplatz war es still, friedlich, keine Seele erblickte sie. Erst auf dem Feldweg bremste sie ihre Fahrt.
Christa verspürte keine Lust daran, eine Wurzel oder ein Stein zu übersehen und in ihrer Ausgehuniform eine Liebkosung mit dem Heideboden einzugehen. Kurz vor Sandheim bog sie rechts auf einen asphaltierten Weg ab und steuerte auf Kurts Bauhof zu.

Kurt war in seiner aktiven Zeit der Maurer am Ort. Aus seinen langatmigen Erzählungen erfuhr sie, dass er zu seiner Sturm-und-Drang-Zeit über einhundert Mitarbeiter hatte, sogar in Dubai hätte er mitgeholfen Hochhäuser zu errichten. Die Zeiten waren lang vergangen, aber aktiv war er wie eh und je. Mit seinen zweiundsiebzig Jahren gab es keine Reparatur, die er im Dorf nicht ausführte – Nachbarschaftshilfe eben; Christa drückte ein Auge zu.
Er war der zweite Mensch nach Günter, den sie aus Schnuckelheide kennengelernt hatte.



Makramee

Christa war ganz unten, am letzten Ende der Gesellschaft angekommen.
Er war nett, machte ihr Komplimente, versprach ihr, sich von seiner Frau zu trennen; ein neues Leben mit ihr zu beginnen.
Am Anfang war es einzig eine Abwechslung in der Tristes des Archivs. Kaum ein Mensch erschien in diesem verstaubten Ort. Bei ihren ersten Treffen unterhielten sie sich. Nein! Sie erzählte ihm ihre Lebensgeschichte. Später verschwanden sie hinter den Regalen.
Ob sie jemand verpfiffen oder es von vornherein zu seinem Plan gehörte, wusste sie damals wie heute nicht. Zumindest bekam sie wieder eine Einladung von oben. Am nächsten Tag klopfte sie an die Tür, des Büros, welches sie hasste, sah ins Gesicht des Mannes, den sie verabscheute. Nach dem Verlassen des grauenvollen Ortes stopfte sie mal wieder ihren Slip in ihre Handtasche.

Ihre Augen, aufgequollen von der Scham, traf sie ihn. Frank begrüßte sie freudestrahlend, fragte sie, wie es gelaufen sei.
Kein mitfühlendes Wort kam über seine Lippen, als sie es ihm beichtete. Eher im Gegenteil. Er fragte sie, ob es ihr Spaß gemacht hätte und ob ein Hotelbett nicht bequemer sei als ein Schreibtisch. Worauf er wiederum lachte, ihr ein paar Scheine zusteckte und meinte, dass der Typ knausrig sei. Christa hätte damals längst argwöhnen müssen, dass er ein Schuft war, aber Liebe lässt Menschen erblinden. Mit großspurigen Worten warf Frank ihr seinen Plan entgegen.
Das Innenministerium plante, die Polizeiinspektionen der Heide zu einer eigenständigen Direktion zu verschmelzen. Allein der Ort stand nicht fest. Mit in der Auswahl war Schnuckelheide, die kleinste unter den Inspektionen, die das Ministerium jedenfalls nicht präferierte. Aber, so teilte er ihr mit, hätte er ausgezeichneten Kontakten zu dieser, wäre als Nummer eins gesetzt, den Posten der unbesetzten Position des stellvertretenden Inspektionsleiters zu übernehmen. Frank in seiner überheblichen Art versprach ihr, nach der Vereinigung, die Leitung der Kriminalpolizei. Er trenne sich danach von seiner Frau, um Christa zu ehelichen.

Christa stieg vom Fahrrad, schob es die letzten Meter zum Tor, das wie immer nur angelehnt war. Sie öffnete es und betrat den Bauhof. Die Bewohner des Wohnhauses am anderen Ende des Hofes frönten, wie alle Einwohner des Dorfes, der Nachtruhe. Kein Fenster war erleuchtet, einzig das spitze Kläffen von Pimpi, Kurts und Gerdas Chiwawa Hündin, drang durch die Mauern.
Sie stellte ihr Rad am Zaun ab, stolzierte zuerst über das Pflaster, um Sekunden später ihre hochhackigen Pumps zu verfluchen, denn bei jeden Schritt versanken die Hacken im Schotter und Christa taumelte zur angerosteten Pritsche.
Ein Griff an der Fahrertür bestätigte ihr, dass das Fahrzeug verschlossen war. Aber Günter hatte ihr einmal erzählt, wo Frank den Fahrzeugschlüssel verwahrte.
Mit der einen Hand am Volkswagen trippelte sie zu dessen Heck. Christa hockte sich nieder, öffnete die Motorklappe, tastete sich zu den Heckleuchten vor, bis sie den Fahrzeugschlüssel zwischen den Fingern hielt.

Christa schloss die Augen und strich über die verknoteten, verschließenden grauschwarzen Bänder. Sie hatte Kurt diese Makrameearbeit als Dankeschön geschenkt, weil er zusammen mit Günter Frank aus ihrem Haus vertrieben, dieses Schwein aus ihrem Leben getilgt hatte. Wenngleich ihr Herz weiterhin sich nach ihm sehnte.
Ausgenutzt hatte er sie, mehr nicht. Nur einen unwesentlichen Dienst ihm gewähren. Für ihre Zukunft, wie er es nannte.

Wie mit ihrem Vorgesetzten verabredet, fand sie in einer Suite ein. Die beiden gleichaltrigen Frauen warteten startklar auf sie, ob diese ebenfalls im Staatsdienst oder aus einer anderen Quelle rekrutiert waren, hatte sie nicht gefragt. Sie schlüpfte in ein schwarzes Minikleid, band sich die Schürze, setzten sich ihr Häubchen auf.
Christa instruierte die Frauen, dass es sich bei der Aktion um eine verdeckte Ermittlung hielte, sie egal, ob es ihnen passe oder nicht den Anweisungen der Herren nachzukommen hätten.
Kurze Zeit später erschienen die fünf Herren. Ihr Vorgesetzter, sowie ein hochgewachsener Mann mit grauen Schläfen und einer Fliege um seinen Hals, den sie aus der Zeitung kannte, waren unter ihnen. Es war der Innenminister.
Christa kam, wie die beiden Frauen, ihrem Dienst nach, servierte Bier, Whiskey und Häppchen. Zur Anerkennung ihre Dienstbarkeit befummelten sie Christas Gesäß, strichen über ihre schwarz bestrumpften Knie und droschen dabei ihre Pokerkarten. Sonst passierte nichts. Bis darauf, dass sie die Nacht mit ihrem Vorgesetzten in einem Hotelbett verbrachte. Aber, dieses war für sie nicht ungewöhnlich. Denn sie kam nur ihrer Pflicht nach, spreizte die Beine und er kam dem nach, was Männer eben taten. Bis sie spürte, dass es für ihn an der Zeit war. Sie anfing zu röcheln, zu stöhnen, ihm Liebesbekunden entgegenzuschleudern, ihn zuerst mir sachtem Druck, sodann heftiger mit ihren Hacken animierte. Er entledigte sich in ihr, während sie daran dachte, was sie am nächsten Tag kochen solle. Nachdem er erleichtert auf ihr zusammengebracht war, strich sie über sein Haar, als wäre er ein braver Junge, der sein Zimmer aufgeräumt hatte, lobte sie ihn, was für ein Hengst er wäre.

Erst beim zweiten Treffen flüsterte ihr Vorgesetzte dem Minister ins Ohr, der sich darauf erhob, ihre Hand ergriff und sie ins Nebenzimmer führte.
In dieser Nacht verwandelte sie sich zur Mätresse des Innenministers. Sie trafen sich in Hotels, bis auf einmal Schluss war.
Frank bekam seinen Posten in Schnuckelheide und Christa ließ sich beurlauben, zog in ihr neues Heim, lebte von ihrer Witwenpension und Franks Zuwendungen.

Christa wuchtete, nachdem sie die Heckklappe der Pritsche gelöst hatte, das erste Absperrgitter, welches zu ihrem Glück nur zwei Meter vom Wagen, mit seinesgleichen, gegen einen Stapel Schalungen gelehnt war, auf die Ladefläche. Trotzdem sehnte sie sich einen kräftigen Männerarm herbei.
Solange es nicht Franks war, dachte sie sich und ergriff das nächste Gitter.

Sein Plan schien aufzugehen. Erst als der Skandal in den Gazetten erschien, erfuhr Christa, wie er es angestellt hatte. Günters Vater zog ohne Ansage den Verkauf seines Grundstückes zurück und Kurt steckte anonym der Presse ein Detail. Der Baulöwe, der den Zuschlag für die Errichtung der neuen Zentrale bekommen hatte, war niemand anderes als der Schwager ihres Vorgesetzten.
Diesen versetzte der Polizeipräsident in den einstweiligen Ruhestand und der Minister nahm seinen Hut. Denn sein weiteres Verweilen im Amt steigerte die Wahrscheinlichkeit, dass seine Gemahlin von dem Verhältnis mit Christa erfahren hätte. Dann wäre das eingetreten, mit dem Frank ihn erpresst hatte.
Irgendwie war es doch eine verdeckte Ermittlung gewesen.

Sie schlug die Heckklappe zu, wischte ihre Hände mit einem alten Lappen ab, der mehr ihre Finger verdreckte, als sie zu reinigen.
Nachdem sie die Fahrertür aufgeschlossen und geöffnet hatte, raffte sie ihren Rock, kletterte ins Innere. Sie legte Wanjas Handtasche in den Fußbereich des Beifahrersitzes, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn, bis der Motor knatterte, rumpelnd, seine Tätigkeit aufnahm.

Christa überlegte, ob sie die für sie sicherere Strecke über den Feldweg nehmen sollte, verwarf den Gedanken aufgrund der Uhrzeit, lenkte dafür beim Passieren des Tores das Fahrzeug nach links. An Kurts Wohnhaus vorbei, fuhr sie in gen Kreisstraße, die Sandheim mit Moorbüttel verband.
Auf der Hauptstraße wandte sie ihr Gesicht nach links. Die gesamte Landschaft, die in der Dunkelheit vor ihr lag, gehörte, als sie ihren Dienst in Schnuckelheide angetreten hatte, zu ihrer Polizeiinspektion.

Zwei Wochen nachdem Kurt und Günter Frank verjagt hatten, erschien der leitende Polizeidirektor Pfannenschmied persönlich bei ihr. Nach Franks Beschreibung hatte sie einen alten grauhaarigen Mann erwartet, dabei war er gerade zehn Jahre älter als sie, hochgewachsen, braun gebrannt, mit muskulösen Oberarmen und niedliche Grübchen, wenn er lachte.
Er war zu ihrem Gefallen verheiratet, hatte zwei schulpflichtige Kinder und unterbreitete ihr ein Angebot.
Nicht die Stelle seines Stellvertreters bot er ihr an, sie war eine Frau, kam damit nicht infrage, dafür eine für sie, sowie ihrem Dienstgrad angemessene Tätigkeit. Ab diesem Tage war sie in der Polizeiinspektion Mittelheide, wie sie offiziell hieß, dafür verantwortlich, dass ihre Kollegen immer spitze Bleistifte und fahrbereite Fahrzeuge hatten. Ihr Vater, wenn er es gewusst hätte, wäre Stolz auf sie gewesen.

Nachdem sie das von den Schnuckelheidern verhasste Moorbüttel passiert hatte, setzte sie den Blinker rechts und bog auf die Bundesstraße ab.
Von Jahr zu Jahr schrumpfte ihre Direktion. Offene Stellen strich das Land.
Durch die Hintertür wickelten sie die Polizeiinspektion ab, denn auflösen durften die Ministerialbeamten sie nicht. Ein Ministererlass verbat es. Aber dies war eine Geschichte für sich.
Die dünne Personaldecke war anfangs zu ihrem Vorteil. Pfannenschmied ernannte sie zur Leiterin des Kriminaldienstes. Eine Beförderung war es keineswegs für sie, eher ihrem Dienstgrad angemessen. Der Rest blieb wie zuvor. Auf den heimischen Boden zurück, bog sie am Outlet-Center rechts auf die alte Kreisstraße, die sich vom Bahnhof, an ihrem Haus vorbei bis nach Sandheim schlängelte.



Triumph mit einer Bierdose
Christa setzte das vierte und letzte Baustellengitter in seinen Fuß, betrachte ihr Werk. Die tote Wanja lag wie ein bekleideter, schlafender Menschenaffe in seinem Käfig. Friedlich. Sie wickelte das Trassierband um das Zoogehege, griff sich ans Genick. Es fehlte etwas. Ein Hinweis, eine Tafel oder Ähnliches, dass diesen Ort als Fundort kennzeichnete.
Sie schritt zu ihrem Pilotenkoffer, den sie eher vergessen, als absichtlich zwischen den Brombeerhecken abgestellt hatte, ergriff ihn, ging zurück zum Wagen. Sie blickte nach rechts, nach links, schlug gegen ihre Stirn. Wie doof musste man sein?
Anstatt mit dem Heck an die Leiche heranzufahren, stand die Pritsche frontal am Käfig. Die ganze Plackerei wäre, mit weniger Aufwand zu erledigen gewesen.
Sie raffte ihren Rock, kletterte, des besseren Lichtes wegen, ins Führerhaus, schaltete die Innenraumbeleuchtung an.
In einer Seitentasche des Koffers fand sie ein geknülltes Briefpapier, die Rückseite, soweit sie es feststellte, unbeschrieben. Sie legte das weiterhin gefaltete Blatt ab, kramte im Handschuhfach. Außer zwei Bierdosen, dessen Inhalt bereits seit einem halben Jahr das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hatten, fand sie keinen Stift.
Sie schmunzelte. Wie gut, dass eine Dame immer Schreibwerk bei sich trug, dachte sie sich, öffnete ihre Handtasche und fischte einen Lippenstift heraus. Sie zog die Kappe ab, drehte am unteren Ende, streckte ihren Hals, bis sich ihr Gesicht dem Rückspiegel auf einer Unterarmlänge näherte und malte ihre Lippen feuerrot nach.
Ihren Blick zu den Dosen gewandt, legte sie den Stift neben dem Blatt ab. Sie sah sich um, schnappte sich ein Bier und zog die Lasche vorsichtig, bis es knackte herauf.
Sie hasste Getränkedosen. Christa begutachtete ihre langen Fingernägel, die unversehrt das Öffnen überstanden hatten.
Mit der rechten Hand führte sie die Getränkedose zum Mund, mit der anderen ergriff sie das Stück Papier. Es auffaltend, dabei weiter trinkend, erkannten sie das Dokument.

Eine handschriftliche Strafanzeige hielt sie zwischen ihren Finger. Von ihr eigenhändig verfasst, von Werner, dem Kaninchenzüchter diktiert.
Einen hinterhältigen Diebstahl hatte er angezeigt. Die Polacken hätten sich an seinen Schnapsreserven bedient.
Nicht, dass irgendjemand im Dorf gegen die Erntehelfer, die im Schweiße ihres Angesichtes den Spargel stießen, Ressentiments hatten. Das Gegenteil war der Fall. Sie waren während ihrer Anwesenheit ein Teil der Dorfgemeinschaft. Die deftige, ländliche Ausdrucksweise brachte ihnen die Bezeichnung ein.
Jedenfalls war das Dokument mehr als vier Jahre alt, denn seit dieser Zeit stachen die Rumänen das weiße Gold der Heide.
Nach einem genauen kriminaltechnischen Untersuchen des Tatortes legte Christa Werner nahe, die Anzeige zurückzuziehen. Denn, wenn sie es weiterverfolgte, musste sie die Herkunft des Fussels protokollieren. Die Quelle, Herberts geheime Destille, in der er sein Fallobst veredelte, somit nicht mehr geheim wäre. Eigennutz! Herbert produzierte den besten Obstler weit und breit.

Christa ging ein Licht auf. Vor vierzehn Tagen traf sie Günter im Dorf, der begeistert um einen tiefergelegten, aufgemotzten Mercedes herum schwänzelte. Begeistert von dem Gefährt, abfällig über den Besitzer redend, wie diese Bulgaren sich ein derartiges Geschoss leisteten, strich er über den silbrig grauen Lack. Legal zumindest nicht, war seine lapidare Vermutung.
Es passte alles zusammen. Sie griff sich an den Hinterkopf. Das viele Bargeld in Wanjas Handtasche, ihr Vorname, das Mieder verwoben sich in ihrem Kopf zum Tathergang.
Es war ein Unfall gewesen, der durch die Ehre, wie ein Mord daherkam. Von einem Landarbeiter inszeniert, der jeden Schleichweg kannte.
Anong trug meist Mieder, jedenfalls vor ihrer Hochzeit mit Günter, sie fühlte sich sichere.
Wanja? Christa hatte einmal einen Wanja, russischer Abstammung, umschwärmt. Zwei Monate beglückte sie ihn. Er war ein richtiger Kerl.
Der Vorname, die Ehre, die Ehre gegenüber der Familie, schlossen sich zu eins zusammen. Wie gerne wäre sie aufgesprungen, um am Leichnam ihre Vermutung zu bestätigen, aber das musste warten, bis die Spezialisten vor Ort eintrafen.

Der Täter musste seinen Bruder geliebt haben, schlussfolgerte Christa. Er besorgt, ob legal oder illegal, die nötigen Mittel, vielleicht hatte Wanja eigene Reserven. Er übergab Wanja das Geld, will ihn ein letztes Mal überzeugen, dass es ein Schritt ist, der nicht rückgängig zu machen war. Sie – aufgrund Wanjas Kleidung blieb Christa dabei – weicht auf weichen Boden zurück, kein reibungsloses Unterfangen mit hohen, spitzen Absätzen. Sie knickt um, gerät ins Straucheln, schlägt mit dem Hinterkopf gegen eine Kante, holt sich eine tödliche Verletzung. Ihr Bruder fängt sie auf.
Den Unfall der Polizei melden für ihn unmöglich. In diesem Fall erfuhr seine Familie, dass er von der Abartigkeit seines Bruders wusste und nichts dagegen unternommen hatte. Sein Ansehen und damit das der Familie besudelt. Die Leiche musste verschwinden, Wanja, tot, hatte keine Ehre mehr. Trotzdem sollte jemand sie auffinden, auch, wenn niemand an ihrem Grab stünde.

Dabei ging es Christa nicht darum, Wanja zu rehabilitieren. Ihre Welt war klar und eindeutig. Männer waren Männer, Frauen waren Frauen, Männer liebten Frauen und Frauen liebten Männer, alles andere war für sie widernatürlich, abartig. Sie tolerierte diese Perversionen, aber akzeptieren, kam für sie nicht infrage.
Denn es lag in der Natur der Sache. Die Aufgabe der Frau beschränkte sich darauf, dem Mann zu dienen, ihm ein unbeschwertes Leben zu ermöglichen. Daher war es ihre Pflicht, ihm jeden Wunsch abzulesen, ihn zu beglücken, sich ihm uneingeschränkt hinzugeben, sich zu unterwerfen. Nur so, und nicht anders, bekam sie seine Gunst. Eine Gunst, die sie beglückte. Dieses funktionierte nur zwischen Mann und Frau, denn der Mann war robust, stark und die Frau zart, schwach, zum Unterwerfen geboren. Wie sehr sehnte sich den Zeiten nach, in dem sie, diesem, von der Natur verlangten, Gesetz gehorcht war.
Dieses galt für Günter, wie auch für Anong. Obgleich es bei Anong anders lag. Ihre Eltern hatten sie, wenngleich sie es widersprach, zu dem gemacht, was sie war.
Der Blick ihres Bruders hatte Christas Augen geöffnet. Immer wieder traf sie in ihrem Leben auf Kulturen, die eher im Mittelalter, als in der Neuzeit anzusiedeln waren.
Und Günter, Günter war ein Freund, ein lieber Kerl, trotzdem verlangte Christa nicht nach Einzelheiten seines abartigen Nachtlebens.
Für sie gab es jedoch Grenzen. Wenn sie sich vorstellte, Senta käme zu ihr, würde, ihr beichten, sie wolle ein Mann sein, oder, das war für sie haarsträubender, sie heiratete einen Fremden. Trotzdem stände Christa zu ihr. Sogar dann, wenn sie einen Mord verübte, bliebe sie auf ihrer Seite. Sie würde es akzeptieren, aber nicht tolerieren. Was sollten die Leute von ihr denken?
Christa schmunzelte und schob ihre trübseligen Gedanken beiseite. Marilyn sah schon witzig in seinem Kostüm aus, aber dieses war nur ein Spaß gewesen.

Christa warf die leere Bierdose auf den Beifahrersitz, klopfte auf die Uhr im Armaturenbrett. In drei Stunden hatte sie den Fall mit Logik gelöst. Die Reifenspur im Sand zu verfolgen, eine Kleinigkeit für sie. Blutspuren im Kofferraum aufzuspüren, dem Täter ins Gewissen zu reden, zu gestehen problemlos.
Sie hatte keinen Mordfall gelöst, obwohl sie gerne einen herbeisehnte. Dennoch war sie zufrieden. Allein die Chance, Wanjas Familie den Spiegel vorzuhalten. Ihnen, ihre verbohrten, anarchischen Traditionen entgegenzuwerfen, ihrer, wahrlich nicht biologischen, dennoch ihrer Tochter, nicht Liebe, sondern Verachtung zu schenken, Genugtuung für sie.
Christa kurbelte die Fahrerscheibe herab, zog die Landluft in ihre Lungenflügel. Anschließend schnappte sie sich die zweite Dose, ließ es knacken, prostete sich selbst zu, setzte an.


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Blaulichtkalibrato
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo ahorn,

schön, jetzt braucht man deine Mehrteiler nur anzuklicken und man kommt sofort zum Anfang :) gut gemacht von der Moderation und dir natürlich.

Ich war auf 50 Seiten ohne Dialog gespannt. Der Einstieg ist vielversprechend.

Den Satz hier verstehe ich nicht:

Unzählige Male war sie dort gewesen. Die meisten hatten das Bollwerk nicht überlebt.
Welches Bollwerk? Das Altenheim? Klar, wenn man da erst mal drin ist, wird man auch dort sterben... Oder was meinst du hier?

Übrigens bewundere ich deine Ausdauer, solch lange Mehrteiler zu schreiben.

Viele Grüße
SilberneDelfine
 

ahorn

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

Zwei Dörfer weiter gleich nach der neunzig grad Kurve, an deren Scheitelpunkt eine knochige Eiche ihren Schatten auf den Asphalt warf.

Unzählige Male war sie dort gewesen. Die meisten hatten das Bollwerk nicht überlebt.
;)

Liebe Grüße
Ahorn
 

xavia

Mitglied
Christa verschränkte ihre Arme hinter dem Genick, starrte auf die messingumrahmte Wanduhr, dessen Sekundenzeiger
Verschränkt man die Arme nicht im Genick?
Statt dessen sollte da deren stehen.

mit allen Drum und dran
mit allem Drum und Dran

Sie kannte nur eins dieser Anstalten.
eine

verlief der, mit Schotter bedeckte Weg, zur Seniorenresidenz
beide Kommata weg oder allenfalls das zweite vor »Weg«

Die Lippen zu einem Lächeln
verformt,
geformt (schließlich sind Lippen doch zum Lächeln da)

Hermann von Zeichens Obstbauer erfasste das Schicksal gar zweimal.
Hermann, seines Zeichens Obstbauer, erfasste das Schicksal gar zweimal.

Der Schützenverein schoss Salut, zumindest der übrige Teil.
restliche

Es war im Dorf selten üblich,
kam selten vor oder war nicht üblich

In ihren Gedanken sah sie ihn,

Statt des Kommas ein Doppelpunkt oder ein Punkt.

von einem knackigem Siamese den Rücken zu massieren.
von einem
knackigen Siamesen den Rücken massieren zu lassen.

Was anders als Timmendorfer Strand.

anderes

Wie du siehst, muss ich erst eine sinnige Zitierweise finden. Ich hoffe, du kannst so auch schon etwas damit anfangen.

Allgemein: Ich bin gespannt, wohin das führt.

Christas Erinnerungen verwirren mich ziemlich. Ich kenne die Leute ja nicht, an die sie denkt. Ich hoffe, die kommen nachher nicht alle vor, so dass ich nachlesen muss, was mit ihnen los war. Geht wohl nur darum, dass sie Urlaub macht und dann in Ruhestand geht und dann ins Ausland reisen will oder eben lieber doch nicht. Lebt Werner eigentlich noch? Falls nein, warum denkt sie dann an Hermanns Begräbnis? Oder lebt der noch und hat jetzt eine Thailänderin gemietet? Oder ist das Werner, der auf dem Foto mit der rehbraunen Fürsorgerin ist?
Fragen über Fragen …
Liebe Grüße Xavia.
 

ahorn

Mitglied
Hallo Xavia,

danke für deine Korrekturen, deine Anmerkungen.
Verschränkt man die Arme nicht im Genick?
Ja, das sagt man, aber ich finde das eher blutig, daher habe ich es auf ‚am‘ geändert.

Der Schützenverein schoss Salut, zumindest der übrige Teil.
restliche
Das ‚übrige‘ ist wohl von mir gewählt. ;)
von einem knackigen Siamesen den Rücken massieren zu lassen.
Doppelpunkt. ;) Klaro, damit kennst du dich aus. :) Ich haue mir auf die Finger.

Statt des Kommas ein Doppelpunkt oder ein Punkt.
Würde ich glatt unterschreiben, wenn es Erzähltext wäre. Es ist aber ‚erlebte Rede‘ und sie denkt nicht in die Zukunft, sondern stellt es sich vor, als würde ihr just in diesem Moment jemand den Rücken massieren.

Oder ist das Werner, der auf dem Foto mit der rehbraunen Fürsorgerin ist?
Klar war misslich geschrieben. Ich habe den Hermann dazugesetzt.

warum denkt sie dann an Hermanns Begräbnis?
Weshalb wohl. Ihr dritter Lebensabschnitt klopf an. :cool:

Ich kenne die Leute ja nicht, an die sie denkt. Ich hoffe, die kommen nachher nicht alle vor, so dass ich nachlesen muss, was mit ihnen los war.
Keine Angst, die wichtigen Person kommen oft genug vor. Dennoch ist es eine Dorfgemeinschaft. Ich habe – so hoffe ich – aufgepasst, dass die Anderen doppelt gekennzeichnet sind wie: der Schweinezüchter, Lkw-Fahrer oder ähnlich. Wenn nicht, wenn du verwirrt bist, dann gebe mir Bescheid. Denn ich kenne diese Pappenheimer. :rolleyes:

Liebe Grüße
Ahorn
 

xavia

Mitglied
Es regnet, also lese ich. Draußen ist es mir zu nass. Weiter geht's:

Preußischer Beamter:

Sie schritt an ein küchenschrankbreites Regal,
Wie breit ist ein Küchenschrank? Der von meiner Mutter ist ca. vier Meter breit, ich habe aber auch einen regalbreiten, der ist ca. 1,5 Meter breit.

Küchenschrank lässt mich an zu Hause denken. Ist Christa unterdessen nach Hause gegangen? Gefahren? Gebeamt? Aber wieso hat sie dann einen Kundenbereich? Nebenjob? ;)

Wenngleich der Besuch ein Tag zu früh sich angekündigt hatte, schmiss sie sich in Schale.
sich einen Tag zu früh
Sich in Schale werfen bedeutet doch, sich etwas schönes anzuziehen. Wenn Christa im Büro ist, müsste sie dort einen Kleiderschrank haben, um sich umzuziehen. Ich hätte gedacht, sie ist schon dort, es ist kurz vor zwölf, kein Grund mehr, sich umzuziehen? Hier ist es verwirrend, dass du nur eine Vergangenheitsform verwendest und in der auch die Handlung passiert.

herum scharwenzelten
herumscharwenzelten

die anschließende Minirockmode ihrem Vater näherzubringen.
ihrem Vater die anschließende Minirockmode näherzubringen.

Eine hatte der Ministerpräsidenten gesandt.
Ministerpräsident

bedankte er sich für ihre langjährige aufopferungsvolle Dienste.
langjährigen aufopferungsvollen

Eine Zweite kam vom Innenminister, der es nicht einmal fertiggebracht,
zweite
fertiggebracht hatte
Wenn du bei der einen Vergangenheitsform bleiben willst, dann müsste da »fertigbrachte« stehen.

Bloß, einen Lakaien
kein Komma

hing ihn über ihre linke Armbeuge,
hängte
 

ahorn

Mitglied
Hallo Xavia,

Draußen ist es mir zu nass.
Aber nicht überall. Ich springe gleich in den Garten. Zum Sonnen sicher zu frisch, trotzdem ruft die Arbeit. ;)

küchenschrankbreites
Ich Dummi. Küchenschranktief natürlich. Nee, warte mal? Ach, ich streiche es, zwar nicht rosa an, sondern ganz und stelle die Zeitreihenfolge mit dem ‚schick machen‘ sowie den ‚Rock‘ richtig.
Sie schritt an ein Regal, das den Dienst- vom Kundenbereich trennte, presste ihre Hüfte an die Kante, der darauf befestigen Küchenarbeitsplatte, die Werner vor Jahren darauf montiert hatte. Mit einem kräftigen Ruck hob sie das Brett, das auf der Arbeitsplatte auflag, an und befestigte es an der Wand. Sie schaltete das Licht des hinteren, ihrem Dienstbereich aus, ging durch den Durchgang und touchierte den Blumenstrauß, den die Gratulanten ihr zur Feier des Tages überreicht hatten.
Der Besuch hatte sich zwar ein Tag zu früh angekündigt, trotzdem hatte sie sich in Schale geschmissen und sie ihren vorletzten Tag in Rock und Bluse angetreten. Ihre weiße Dienstbluse, wie es für ihren Rang gehörte, mit den Schulterabzeichen versehen, auf denen die vier goldenen Sterne prangten.


Den Rest habe ich mit Vergnügen übernommen. Mist, ich werde mir untreu! Den Rest habe ich, dabei vergnügt, übernommen. :cool:

Liebe Grüße
Ahorn
 

xavia

Mitglied
Hallo Ahorn, ja, es gibt Pausen zwischen den Güssen, habe ich auch schon gesehen. Aber Gartenarbeit? – Nein, dazu bin ich nicht in Stimmung. Also weiter geht's.

fischte ihr Schlüsselbund aus denselben.
demselben.

Zu: Licht in der Finsternis Verfolgungsjagd mit Folgen

Christa sann darüber nach, ob sie auf ein kühles Blondes bei Trude einkehren solle.
Kommt mir komisch vor, dass eine Frau so eine Chauvi-Bezeichnung für ein Bier benutzt. Ist sie trotz ihrer Röcke so sehr vom Frau-Sein entfremdet durch ihren männerdominierten Beruf?

Pauls Wange lag bestimmt auf der Tischplatte des Stammtisches vor ihm dreizehn bis sechzehn leere Schnapsgläser.
Was bedeutet hier »bestimmt«? Vermutet sie, dass seine Wange dort liegt? Sie ist doch gerade reingekommen, da sieht sie es. Oder liegt Pauls Wange in einer anderen Kneipe? Wer ist überhaupt Paul?
Komma vor »vor ihm«.

mit seinen täglich gleichen Geschichten von der Luftwaffe Trude mit ihren achtundsiebzig Jahren von ihrem Nachtschlaf abhielt.
Hier habe ich dreimal gelesen. Dachte, die Luftwaffe Trude hätte achtundsiebzig Jahre.
Vielleicht so: mit seinen täglich gleichen Luftwaffen-Geschichten die achtundsiebzigjährige Trude

Bloß sein permanentes unter den Rock grapschen, nervte sie.
Kein Komma. Das Unter-den-Rock-grapschen.

ihr Ekel bereite
bereitete

Den Gedanken, ihr Dienstfahrrad zu nehmen, verwarf sie aus zwei Gründen.
An dieser Stelle erst erfahre ich, dass sie noch nicht da ist und sich das alles vorstellt.

dass sie sich schämte, auf einen für Herren produziertes Gefährt zu steigen
auf ein

sie benutzte es Tag täglich,
tagtäglich,

aber mit einem eng geschnittenen Kostümrock <> die Fahrt grenzwertig.
war die Fahrt

der Ort mit der tausendjährigen Eiche.
dem

dann breitete sich rechts die Schweinesuhle von Thorsten aus.
Torstens Schweinesuhle

der leichte Nordost,<kein Komma> kroch ihr zwischen die Beine

Ihr fröstelte es.
Es fröstelte sie.

vermochte es nicht, die Straße, aufgrund Hermanns verwaister Obstplantage, die sich
vermochte es aufgrund von Hermanns verwaister Obstplantage nicht, die Straße, die sich

an unterschiedlichen Wochentagen stellten sie,<kein Komma> dann gemeinsam,

die der sauberen Luft wegen,<kein Komma> die beschaulichen Dörfer enterten

Sören war gerade dabei<Komma> ihre museumsreife Blitzanlage vor dem Ansturm zu justieren

Dank des von Sörens Schwagers modifizierten Motor konnte sie sich an dessen Stoßstange heften.
Schwager
Motors

Außer dem Beifahrer,
Außer seinem Beifahrer,

Sie hatte die alleinige Kompetenz<Komma> eine Alarmfahrt anzuordnen,

dass sie den Knopf nicht durchgedrückt hatte, konnte mal passieren.
Ist das nicht eher eine Begründung für keine Strafe? Sie wurde aber doch bestraft.

Du verlangst viel Geduld von deinen Lesern, die auf Leichen warten. Ahorn würde fragen: Sind all diese Gedanken und Namen wirklich handlungsrelevant?

Liebe Grüße Xavia.
 

ahorn

Mitglied
Hallo Xavia,

ich danke dir herzlich.
Ein paar Worte.
Bist du der Ansicht, dass ich dermaßen gemein bin, meinen Protagonisten, ohne es dem Leser zu sagen, an irgendeine Stelle teleportiere?:eek:
Wo befindet sich Christa am Ende von ‚Preußischer Beamter‘ ?
Nirgendwo anders als vor ihrem Revier.
Christa sann darüber nach, ob sie auf ein kühles Blondes bei Trude einkehren solle.
Indirekte Rede – Möglichkeitsform

Gerne überlasse ich – wenn es dem gebietet – die Interpretationshoheit dem Leser.
Woher weiß sie das, obwohl sie weiterhin an Ort und Stelle steht?
Sie ist jeden Tag dabei. Jeden Tag geht sie nach Feierabend zur Trude, setzt sich zu Thorsten, ist etwas Warmes und zischt ein kühles Blondes. Jeden Tag, auch am Wochenende. Weshalb? Was trägt sie, wenn sie Feierabend hat? In der Woche wird sie sich bestimmt nicht umziehen. Was macht dann der Thorsten. ;)

Ach, zu Thorsten.
die Schweinesuhle von Thorsten
ist von mir bewusst gewählt, der Zweideutigkeit halber.:cool:

dass sie den Knopf nicht durchgedrückt hatte, konnte mal passieren.
Ist das nicht eher eine Begründung für keine Strafe? Sie wurde aber doch bestraft.
Weshalb wohl? Eine Alarmfahrt ist eben erst eine Alarmfahrt, wenn sie mit Alarm fährt.

Den Rest übernehme ich gerne.:)

Du verlangst viel Geduld von deinen Lesern, die auf Leichen warten.
Keine Bange, die kommt schon vor. Allerdings liegt der Schwerpunkt eher auf Christa. Es gibt eben Krimis, Thrillers, in denen es eher um das 'wie' geht.

Sind all diese Gedanken und Namen wirklich handlungsrelevant?
Zu den Namen habe ich bereits etwas gesagt: Meist unwichtig, austauschbar, aber bedenke, es ist ‚erlebte Rede‘ und es gibt keinen Grund, weshalb sie die aus dem Dorf nicht mit ihren Namen benennen sollte.
Was ist mit den Gedanken?
Ja. Es sei den ich Mistkerl möchte den Leser in die Irre führen, sind sie von belang. Entweder sie charakterisieren Christa oder sind Hinweise, die mehr oder weniger auf die Lösung hinweisen. Vielleicht spielt es sogar eine Rolle, dass bei Trude noch Licht ist. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass Christa jeden Tag dem gleichen Ritual nachgeht, jedoch nicht an diesem. ;)

Liebe Grüße
Ahorn



.
 

xavia

Mitglied
Christa sann darüber nach, ob sie auf ein kühles Blondes bei Trude einkehren solle.
Indirekte Rede – Möglichkeitsform

Ja, die Grammatik ist mir wohl vertraut. Mein Einwand richtete sich gegen die Glaubwürdigkeit der Protagonistin.

Zu: Der Marshall

Dickebohnen
Dicke Bohnen

die Tatverdächtigen am Tatort vereinigen
vereidigen?
Wie vereinigt man denn Verdächtige und wieso sind die am Tatort? Meistens hauen die doch ab.

eine Ausbildung benötigte, <> ihm schleierhaft.
war ihm schleierhaft

, schrie sie <> an,
, schrie sie ihn an,

oder zur Betreuung minderjähriger Straftäter tätig.
zur Betreuung … verdammt/verurteilt
mit Betreuung … beschäftigt

dass sogar die Frisch gebackenen
frisch gebackenen (wenn es ein gedachts Wort danach gibt)
frisch Gebackenen (anderenfalls)

Wie viele Transgender Frauen gab es, die im Personenstand Soldaten waren und in bester Erwartung.
Transgender-Frauen
Wenn ich Wikipedia richtig verstehe, sind die, die schwanger werden können, Transgender-Männer.
Aber ist denn eine Frau, die Soldatin ist, automatisch eine Trans-Frau? Und wenn du auch so denkst, lieber Ahorn, ist es denn glaubwürdig, dass auch deine Protagonistin so denkt? Okay, sie kann ja nicht anders, aber sollte sie nicht weniger unglaubwürdig sein in ihrem »kämpferisch für Frauenrechte«?
Fragezeichen nach »Erwartung«

Bei der Gelegenheit:
Nur den Umgang mit dem Medikament hatte sie nie erlernt.
Was soll das bedeuten? Meinst du, sie wusste nicht, wie die Pille genommen wird? Das steht doch auf der Packung. Was muss man da lernen, außer den Mund aufzumachen und zu schlucken? Wann einnehmen? Wie oft? Das sagt einem die Frauenärztin. Wenn Christa diese Informationen trotz Rezepts nicht bekommen hat, wie kommt das? Kann sie das nicht auch mal denken, damit ich das erfahre?

wenn er dieses bereit getan hatte. Er goss sie.
bereits

Buk ein Bäcker mit ‚in‘ oder ‚*In‘ anders als ohne.
Am Ende ein Fragezeichen.

Gendern der Angelsachsen:
Im Computer-Admin-Bereich ist es üblich, »the admin« und »she« zu schreiben. Will sagen: Da ist es nicht anders als bei uns, man muss entscheiden.

Da passiert es.
passierte

und der Kindsvater,<kein Komma> kamen zu dem

dass sie mit einem Standarddreikant sich den Weg
dass sie sich mit einem Standarddreikant den Weg

Das Surren eines Motors enttarnten die vermutlichen Fahrräder.
enttarnte

Liebe Grüße Xavia.
 

xavia

Mitglied
Eine Frauenleiche, war ja klar! Immer sind es die Frauen, die in den Krimis umgebracht werden. Dabei sind die doch einfühlsamere Mitmenschen, freudigere Konsumentinnen und billigere Arbeitskräfte. Und darüber hinaus: Diejenigen, die mehrheitlich die Bücher lesen, möchte ich mal wagen, zu behaupten.
 

ahorn

Mitglied
Hallo Xavia,

danke.
Mein Einwand richtete sich gegen die Glaubwürdigkeit der Protagonistin.
Glaubwürdigkeit? Sollte der Protagonist nicht eher authentisch sein?

Wenn ich Wikipedia richtig verstehe, sind die, die schwanger werden können, Transgender-Männer.
Klaro ;). Verwechslung eben. Da für mich das – entschuldige – 'ge'gendere nervt, komme ich manchmal durcheinander. Für mich gibt es nur Menschen und die sind alle gleich.:)

Nur den Umgang mit dem Medikament hatte sie nie erlernt.
Was soll das bedeuten? Meinst du, sie wusste nicht, wie die Pille genommen wird? Das steht doch auf der Packung. Was muss man da lernen, außer den Mund aufzumachen und zu schlucken? Wann einnehmen? Wie oft? Das sagt einem die Frauenärztin. Wenn Christa diese Informationen trotz Rezepts nicht bekommen hat, wie kommt das? Kann sie das nicht auch mal denken, damit ich das erfahre?
Der Satz war missverständlich.
Nur den Umgang mit dem Medikament hatte ihr niemand verklickert. Keiner sprach darüber.
Dieses war – siehe Kontext - 1974 und aus welchem sozial Umfeld stammt Christa?

Wie vereinigt man denn Verdächtige und wieso sind die am Tatort? Meistens hauen die doch ab.
Dieses ist sicher förderlich, allerdings ist gleichfalls der Kontext, ihre Vita zu beachten – Der Kommissar (Fernsehserie aus den 60ern, 70ern). Da kam es vor, dass der Kommissar alle Verdächtige am Tatort vereinte, um den Mörder zu überführen. :cool:
Eine Frauenleiche, war ja klar! Immer sind es die Frauen, die in den Krimis umgebracht werden. Dabei sind die doch einfühlsamere Mitmenschen, freudigere Konsumentinnen und billigere Arbeitskräfte. Und darüber hinaus: Diejenigen, die mehrheitlich die Bücher lesen, möchte ich mal wagen, zu behaupten.
Das gefällt mir;)

So, ich düse mal in den Osterurlaub.

Liebe Grüße
Ahorn
 

xavia

Mitglied
Lieber Ahorn, ich wünsche dir einen schönen Urlaub. Und damit du dich danach nicht langweilst, lege ich dir schon mal Arbeit hin:

Glaubwürdigkeit? Sollte der Protagonist nicht eher authentisch sein?
Was ich meine, ist: Ich kann mir eine Person wie Christa aus den genannten Gründen so nicht vorstellen, sie wirkt ausgedacht auf mich. Ob du das authentisch oder glaubwürdig nennen willst, ist dabei nebensächlich.

Pille: Auch in den Siebzigern gab es schon Frauenärztinnen und selbst die Ärzte haben nichts verschrieben, ohne zu erklären, wie es angewendet wird. Außerdem stand das auch damals schon auf der Packung.

Da kam es vor, dass der Kommissar alle Verdächtige am Tatort vereinte, um den Mörder zu überführen.
Ach, das meinst du. Ich stelle mir unter einer Vereinigung etwas anderes vor. Dieses wäre eher eine Versammlung.

Zu: Waschtag Angorakaninchen

die in inniger Zweisamkeit<,> neben einer gleichartigen<> im Heimatmuseum stand.
Entweder Komma nach »Zweisamkeit« weg oder noch eines hinter »gleichartigen«

Bei den Uniformen im Museum erkärst du, warum die von Paul dort steht, aber nicht, warum die von Christa dort steht. Ist das schon im Hinblick auf ihren bevorstehenden Ruhestand, dass ihr Zeug ins Museum kommt?

Mit geschleuderten<,> dennoch nassen<> Kleidungsstücken,
entweder Komma nach »geschleuderten« weg oder noch eines hinter »nassen«

schriet sie durch den ehemaligen Schweinestall
schritt

der <> seit ihrem Einzug ihr als Waschküche diente
der ihr seit …

stopfte sie die Kleidung in den Wäschetrockner
sie weg

Wäre diese dämliche Delegation aus dem Innenministerium nicht zu spät erschienen, hätte sie Günter nicht abgelenkt und sie hätte daran gedacht.
Woran hätte sie gedacht? Aufs Klo zu gehen? Wieso hat sie überhaupt ihre Uniform gewaschen? Ist sie des Scheißens in der Natur nicht mächtig?

Da sie selten, es sei den bei einem Feste,
denn

Ein Umstand, der ihr im Privaten nicht unterkam.
Wenn sich das auf den Satz davor bezieht, bedeutet es, dass sie im Privaten stets an Einsatz denkt?

dass im Discounter in Moorbüttel derart Geräte für eine kleine Mark, demnächst zum Verkauf anstanden.
derartige
Mark? Wirklich?

Ein gebrochenes Nasenbein hatte Christa seine Geldgier<,> mit der Zucht<,> eingebracht.
Hier würde ich keines der beiden Kommas setzen.
Ich verstehe nicht, wieso einer, der Angorakaninchen züchtet, geldgieriger ist als einer, der etwas anderes züchtet. Ist doch praktisch, wenn nicht alle dasselbe züchten. Wäre es auch geldgierig, wenn er Katzen züchtete?

Letzte Jahr war es dann geschehen.
Letztes

Da der Hof gesichert <> wie Fort Knox war,
gesichert war wie …

Eine Mistgabel geschulterter,
geschultert

Hätte Werner nur sein Mund gehalten.
seinen

Woher kamen die »fleischigen Überreste«? Haben die Tierschützer die Kaninchen erschlagen oder hat Werner gesagt: »Oh, Tierschützer, da schlachte ich doch schnell ein paar Kaninchen, um sie zu provozieren.«? Und woran stören sich die Tierschützer denn? Ist die Haltung nicht artgerecht? Oder haben Angorakaninchen ein Recht auf einen größeren Käfig als andere Kaninchen, weil sie mehr Fell haben?

Günter montierte ein Überwachungsgerät, Christa das Zweite.
zweite klein, weil es das zweite Überwachungsgerät ist.

Warum sie auf die Idee kam, es an einen Baum zu befestigen,
einem

Das Klettern im engen Rock und Pumps wahr wahrlich kein Vergnügen.
Das Klettern in engem Rock und Pumps war wahrlich kein Vergnügen.

Sie schlüpfte aus ihren Pumps, damit sie nicht mit den,<kein Komma> mit Urin und Sand,<kein Komma> befleckten Sohlen

und sie nahm sich vor<Komma> ihm <im> Anschluss, wenn sie die nötigen Sachen beisammen <hatte>, frisches Futter hinzustellen.

dass<Komma> wenn man Taschenlampen bräuchte<brauchte>, sie nicht funktionierte<n>.

Diesen Abschnitt, der mit »Gut!« beginnt, verstehe ich nicht. Es haut ihr jemand in den Nacken, sie bleibt aber auf den Beinen und dann kommt die Katze und soll gefüttert werden. Kann sein, dass die Katze ihr in den Nacken gesprungen ist, aber das kann man, glaube ich, allenfalls am Ende des Abschnitts, wo immer noch kein Täter erwähnt worden ist, erraten. Tun Katzen sowas? Einem in den Nacken springen? Abgesehen davon, da ja in der Geschichte die Vergangenheit und die vollendete Vergangenheit beide zu einfacher Vergangenheit kollabiert sind: Ist diese Katzengeschichte eine Erinnerung aus der Angora-Zeit oder spielt sie sich in der aktuelleren Erinnerung an die Ruhestands-Zeit ab?

welches aus ihrem Schlafzimmer zu scheinen kam.
zu kommen schien

Ob der Verbrecher, der ihr die Leiche vor die Füße geworfen hatte, inwiefern er sie tötete, konnte Christa nur annehmen, seinen Wagen abseits des Hauses abgestellt hatte?
ob er sie getötet hatte
abseits ihres Hauses
Wieso steht da ein Auto? Autos scharren doch nicht. Hat sie aus dem Fenster geschaut und ein Auto gesehen oder weiß sie bereits, dass es der Missetäter ist, den die Abenteuerlust gepackt hat und der deshalb in das Haus der Polizistin einbricht, um mal zu sehen, ob das gutgeht, und nun ist kein Auto vor der Tür, also kombiniert sie, dass es abseits steht? Sollte sie da nicht erst einmal kombinieren, dass das der Täter ist und nicht jemand, den sie kennt?

Wie fast alle Gebäude im Dorf, so war ihr Haus nie verriegelt.
Wenn ihr Haus nicht verriegelt ist, muss man ja nicht »einsteigen«, dann kann man einfach hineingehen. Ist auch unauffälliger.

Christa fasste die Taschenlampe an deren Kopf, hielt sie über ihre linke Schulter und drückte mit der rechten Hand die Türklinke hinab.
Der Kopf einer Taschenlampe ist schwerer, daher würde ich sie am Griff anfassen, um mehr Schaden anrichten zu können beim Schlagen. Was sie da tut, fühlt sich für mich an, als würde sie einen Hammer am Kopf anfassen, um jemandem den Griff überzuziehen. Wobei das vielleicht nachvollziehbarer wäre, weil man mit dem Hammer sonst zu großen Schaden anrichten könnte.

Liebe Grüße Xavia.
 

ahorn

Mitglied
Hallo Xavia,

besten Dank für deine Korrekturen, Anmerkungen sowie Inspirationen.

Ich kann mir eine Person wie Christa aus den genannten Gründen so nicht vorstellen, sie wirkt ausgedacht auf mich.
Ja, so ist es, derart soll es auch wirken. Der Leser soll mitbekommen, dass sie eine Kunstfigur ist, obwohl, dass was sie macht oder wie sie handelt nichts Außergewöhnliches ist. Entgegengesetzt zu den andern Personen, die existieren oder existieren könnten.

Pille: Auch in den Siebzigern gab es schon Frauenärztinnen und selbst die Ärzte haben nichts verschrieben, ohne zu erklären, wie es angewendet wird. Außerdem stand das auch damals schon auf der Packung.
Das weiß jeder. ;) Jedoch, was macht Christa? Schiebt die Schuld auf andere.

Woran hätte sie gedacht? Aufs Klo zu gehen? Wieso hat sie überhaupt ihre Uniform gewaschen? Ist sie des Scheißens in der Natur nicht mächtig?
Ja, war nicht ganz eindeutig, habe ich klarer formuliert.

Diesen Abschnitt, der mit »Gut!« beginnt, verstehe ich nicht.
Da gibt es auch nichts zu verstehen. Nehme es hin, wie es steht. :cool:
Denn es geht nicht darum, was oder warum sie etwas macht, sondern wie. Wie geht sie mit einer Situation um? Wie tickt sie?
Ach ja, Minka. ;) Es spielt keine entscheidende Rolle, von wo sie her gesprungen kommt - vielleicht vom Schrank -, sondern nur, dass sie ihr in den Nacken springt.

Wieso steht da ein Auto? Autos scharren doch nicht. Hat sie aus dem Fenster geschaut und ein Auto gesehen oder weiß sie bereits, dass es der Missetäter ist, den die Abenteuerlust gepackt hat und der deshalb in das Haus der Polizistin einbricht, um mal zu sehen, ob das gutgeht, und nun ist kein Auto vor der Tür, also kombiniert sie, dass es abseits steht?
Wir haben die 'erlebte Rede' nicht verlassen. Somit entsteht alles in ihrem Kopf. Wenn sie eins gesehen hätte, hätte ich es geschrieben. Wie zuvor erwähnt: derart fies bin ich nicht. :)

Der Kopf einer Taschenlampe ist schwerer, daher würde ich sie am Griff anfassen, um mehr Schaden anrichten zu können beim Schlagen. Was sie da tut, fühlt sich für mich an, als würde sie einen Hammer am Kopf anfassen, um jemandem den Griff überzuziehen. Wobei das vielleicht nachvollziehbarer wäre, weil man mit dem Hammer sonst zu großen Schaden anrichten könnte.
Nicht denken. ;) Sie tut es einfach, ob es Sinn ergibt oder nicht spielt keine Rolle. Christa ist zwar Polizistin, dennoch ein Mensch. Wie würdest du reagieren, wenn du einen Fremden in deinem Heim vermutest? Rational oder emotional?

Irgendwie ist sie doch ein ganz normaler Mensch.:cool:

Liebe Grüße
Ahorn
 



 
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