Christa Paulsen - Der letzte Fall 19. Spießige Hippies - Zeltlager mit Rührei

ahorn

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Spießige Hippies
Zeltlager mit Rührei


Hauptkommissar Mike Dünnbier presste sein Becken gegen das Regal und stützte die Ellenbogen auf der Arbeitsfläche ab. Zwischenzeitlich hatte Christa die Abtrennung, die den öffentlichen vom nicht öffentlichen Teil trennte, an der Wand befestigt, war mit zwei Schritten zu ihrem Schreibtisch gegangen und hatte ihre Handtasche auf denselben abgestellt.
Er griff sich in sein kurz geschorenes dunkelblondes Haar und wandte seinen Kopf von rechts nach links. »Schnuckliges kleines Büro, aber wo ist der Rest?«
Christa schob den Schreibtischstuhl ab, strich ihren Rock glatt und plumpste auf die Sitzfläche. Der Stuhl wippte und begrüßte sie mit einem Quieken der Freude. »Welcher Rest?«
Die Stirn in Falten, den linken Mundwinkel emporgezogen, wedelte er mit seinen Händen. »Mitarbeiterbüros, Tagungsräume und alles was man braucht«, wetterte er.
Die Arme verschränkt, drehte sich Christa samt ihres Stuhles. »Wir haben alles, was wir brauchen.«
Dünnbier beugte sich vor. »Wer sind wir? Wie viele Beamte stehen ihnen zur Verfügung?«
Christa tippte auf ihr Brustbein. »Moin, uno, unum, bir, one, énas, ana.«
Vor zwei, drei Wochen wäre sie erbost darüber gewesen, wenn ein junger Hüpfer ihre Inspektion nicht gekannt hätte. In Anbetracht des Faktes, dass es nicht nur ihr letzter Tag, sondern auch der Letzte ihrer Inspektion war, sah sie abgeklärt darüber hinweg.

Günter stürmte in die Wache, schoss an Dünnbier vorbei, blieb vor Christa stehen.
Den Rumpf gebeugt, die Hände auf seinen Knien, pumpte er Luft in seine Lunge. »Dein Tretlager ist kaputt«, japste er.
Die Linke an der Sitzfläche sah Christa über ihre rechte Schulter. Dann berührte sie mit der Schuhspitze das Pedal ihres Mülleimers, trat dieses mehrmals hinab und beobachtete, wie der Deckel ihr zuwinkte.
»Mensch Christa, Tretlager nicht Treteimer, da wo die Pedale dran sind«, zürnte Günter und fasste sich ans Gesäß. »Nicht einmal einen Fünfzehner habe ich in Kurts Werkzeugkiste gefunden, um den Sattel hochzuschrauben.«
Christa stand auf, tätschelte seine verschwitzte Wange. »Armes Kind!« Sie richtete ihren Rock. »Bringe mich erst einmal nach Hause. Ich will mich frisch machen.«
Günter hob erst die Schultern, dann wies er zur Reviertür. »Aber mein ...«
Sie schob ihn zur Seite, wandte sich an Dünnbier, der weiterhin die Szene mit aufgesperrtem Mund verfolgte. »Sie fahren uns zum Tatort«, befahl Christa.
»Die Sonderkommission?«, entgegnete Dünnbier.
Christa fasste sich ans Genick. »Ach ja!« Sie strich Günter über die Schulter. »Der Saal wäre ideal.«
»Für wen?«
»Für ein paar Kollegen.«
»Ich bezweifele, dass Benno davon entzückt ist, wenn ...«, er schluckte, »Polizeibeamte in sein Revier vordringen.«

Benno mit bürgerlichen Namen Bernd Kampinski war ein Idealist, Exote. Er drückte mit Günter die Schulbank und nach dem Abitur verschwand er. Erst vor elf Jahren, bevor Günter Anong heiratete, kam er zurück. Geläutert vom Mammon, wie er es nannte, schlug er mit seinem Gefolge seine Zettel, dieses waren es zuerst, in Klein Schnuckelheide auf.
Die Welt verbessernd, allem Wohlstand abgesagt, gründeten sie ihre Gemeinde. Sie waren nicht verrückt, halt Menschen, die innere Werte höher schätzten als Besitztümer. Eine Eigenart, welche bei den normalen Schnuckelheidern nicht ankam. Nicht, dass Christas Mitbürger ihr Ego in den Vordergrund stellten oder gar der Gier frönten, dieses auf keinen Fall. Aber, wie in den meisten Gemeinden galt in Schnuckelheide, meines ist mein und deines ist dein. Daran hielt sich jeder, sodass Christa im gemeinen recht wenig zu tun hatte.
Bereits im ersten Jahr verhalf Günter der Gemeinschaft zu einer Unterkunft, in dem er den Bahnhof erwarb und ihnen, wie Günter es pries, für einen kleinen Obolus zur Verfügung stellte. In den weiteren Jahren folgten die herzogliche Post und nach dem Auszug der Inspektion das Polizeigebäude. Den Abschluss bildete die Gastwirtschaft, die nach Günters Aussage für das Dorf nicht mehr vonnöten war. Denn so zeigte es Hildes Begräbnisfeier, die Gäste sich im Saal verliefen und Trudes Schankwirtschaft für die folgenden Trauerfeiern ausreichten.

Christa stieß Günter in die Seite. »Was ist?«
»Aber nur, wenn du mitkommst.«
Sie hatte zwar etwas anderes geplant, als Benno in ihrer netten Art davon zu überzeugen, dass es zu seinem Vorteil war, ihr zu helfen, aber manchmal war Günter wie ein kleines Kind.
»Und ich?«, kam es verlegen über Dünnbiers Lippen.
Christa lächelte ihn an. »Sie warten bei Trude«, sie trat an ihn heran, bis sie sein Aftershave roch, »genießen ihre Pancakes, oder«, sie konnte es nicht lassen und strich über seine Bauchmuskeln, »wenn Sie eher auf herzhaft stehen, stärken Sie sich mit Rührei und Speck.« Sie drehte ihren Kopf zur Seite und knurrte ihn an. »Was für richtige Männer!«


Hanf im Saal

»Benno stell dich nicht an.«
»Günter nur, weil wir uns Freunde nennen, kannst du nicht von mir verlangen, dass ich Bullen hereinlasse.«
»Freunde!«, erboste sich Günter. »Freunde sind wir immer nur, wenn du dich auf meine Kosten volllaufen lässt.«
Benno klemmte seine Daumen unter die Träger seiner verwaschenen Latzhose. »Die paar Kurze«, er griff in die Tasche am Latz, »die bezahle ich dir.«
Christa schob die Hände an die Naht ihres Rockes. Ihr Innerstes verlangte, die Finger in Hosentaschen zu stecken. Wie erbaut wäre sie darüber gewesen, dass ihre Uniform trocken und sie sich wieder frei bewegen konnte.
Sie grinste Benno an. »Bei Günter.«
Benno winkte ab. »Nach der Tagesschau hatte ich ein Verlangen auf interkulturellen Austausch, aber bei Trude war bereits dicht.«
Christa kicherte.
Benno strich über seinen ellenbogenlangen, ergrauten Bart. »Was ist daran lustig?«
Christa sah über ihre Schulter, fixierte eine Frau in einem erdbraunen, bodenlangen Leinenkleid, die an einem Spinnrad saß, mit dem rechten Fuß dieses in Schwung hielt und Wolle zu Garn spann.
Sie schaute zur Seite und verdeckte ihren Mund, dann richtete sie sich auf und wandte Benno ihr Gesicht zu. »Ich stelle mir gerade vor«, ein Glucksen überquerte ihre Lippen, »du und Liv Arm in Arm auf dem Sofa die Tagesschau sehend, auf den Tatort wartend.« Sie pustete erneut. »Habt ihr überhaupt eine Glotze?«
»Die Pflicht eines freien Bürgers beinhaltet, die Meinungsäußerungen der imperialistischen Medien zu verfolgen und daraus …«, wetterte er, bis Günter in unterbrach.
»Frauen verstehen das nicht.«
Die Stirn gerunzelt, stemmte sie ihre Fäuste gegen die Taille. »Bitte!«
Die Augen gesenkt, schob Günter seine Schulter zusammen. »So habe ich das nicht gemeint.« Er fuchtelte mit seinen Armen. »Eher globalpolitisch.«
Da Christas Wangen mit Rouge belegt, zeigten nur ihre Halsschlagadern, dass sie in jedem Moment explodierte. Immerhin war Christa die Einzige unter den dreien, die sich als parteilose im Samtgemeinderat engagierte, und alles, was über Klein Schnuckelheide hinausging, war global.
»Weltpolitisch!«, legte Günter nach, worauf Christas rechter Handrücken gegen seine Wange schmetterte.
Benno krümmte sich vor Lachen.
Den ersten Zorn verdaut, verzichtete Christa auf einen gezielten Schlag ihres Fußes und wechselte in Verbaldiplomatie. »Was treibst du dich überhaupt in Günters Saufstube herum, hast du nicht Hausverbot?«
Günter sprang seinen Freund zur Seite. »Von mir, aber nicht von dir.«

Diese Stube war seit langem Christa ein Dorn im Auge und nicht nur ihr, sondern auch Trude, die das Problem, aber auf ihre Weise löste. Offiziell war die Schankstube nicht anders als ein Kiosk, in dem Günter alle nützlichen nebst unnütze Dinge seinen Gästen vom Campingplatz, sowie denen der Spielhalle zum Kauf anpries – darunter auch alkoholische Getränke. Da er nicht im Besitz einer Schanklizenz war – Christa hatte dafür gesorgt -, gestattete er seinen Kunden in einem Vorbau, die erworbenen Getränke zu konsumieren. Trude sah es eher pragmatisch und strafte ihre Gäste mit Serviceentzug, soweit sie aus dem Dorfe und der Besuch bei Günter ihr bekannt war. Ansonsten hatten Trude und Günter ein inniges Verhältnis zueinander und fochten ihren Kampf wie Kaufleute aus.

»Weshalb eigentlich?«
Benno streckte seine Zunge heraus. »Weswegen wohl! Weil ich die Wahrheit sage. Der Herbst naht.«
Bis zum Herbst war es noch vier Monate hin, der Sommer hatte nicht einmal begonnen, dennoch kannte Christa die Geschichte.
Jedes Jahr am Tag des Herbstbeginns trafen sich Günter und Benno mit einer Kiste Bier, sowie zwei Campingstühle bewaffnet auf dem Fußweg der Ortseinfahrt von Klein Schnuckelheide, der Günters Outletcenter von Bennos Reich trennte. Sie warteten, gleich den Bewohner von Punxsutawney auf das Murmeltier, auf den Sonnenuntergang. An diesem Tag fiel der Schatten des Turmes der alten Post, es sei denn, die Sonne war verdeckt, dann hatte Günter gewonnen, auf die Mauern des Outletcenters.

»Was ist jetzt? Ja oder nein? Oder soll ich mich einmal umsehen.«
»Christa«, fuhr ihr Günter ins Wort.
»So etwas kann ich nicht allein entscheiden«. Benno schielte zu seiner Frau, die weiterhin spann. »Basisdemokratie!«

Drei Kinder sprangen von einem wackeligen Klettergerüst, das sich an den eingestürzten Sockel des demontierten Reitstandbildes anlegte, rannten auf Christa zu. Dem Ersten strich sie über die Haare, dann steckte sie die Finger der Linken in ihre Handtasche, holte Süßwaren hervor und gab jeden eins in die Hand.
»Du sollst den Kündern kane Bolschen geben!«
»Benno, es sind Kinder.«
Die Kleinen steckten sich die Bonbons in den Mund und eilten zurück zum Klettergerüst.
Benno sah ihnen hinterher. »Ungesund!« Dann leckte er sich über die Oberlippe. »Okay! Aber eine halbe Stunde musst du mir geben.«
Christa grinste und klopfte ihm auf die Schulter. »Brav!«
Günter und Christa wandten sich ab, ließen Benno hinter sich.
»Wieso eine halbe Stunde«, sprach sie Günter an.
»Mensch Günter, bist du so naive oder tust du nur so. Was glaubst du, was sie in dem Saal anbauen?«

Günter kehrte bei Trude ein und Christa stieß die Tür zu ihrer Wache auf.
Sie traute ihren Augen kaum, was sie da sah. Ein Mann mit grauen Haaren, in einem beigen Trenchcoat gehüllt, einer Sonnenbrille auf der Nase saß, die Füße auf ihrem Schreibtisch, auf ihrem Stuhl und grinste sie an.
»Frank!«

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