Christa Paulsen - Der letzte Fall 29. Versöhnung im Zelt - Unerwarteter Besuch

ahorn

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Teil 3

Versöhnung im Zelt
Unerwarteter Besuch

Wie die Zeiten sich änderten. Lange war es her, dass Christa Teil einer Großermittlung war. Wobei Teil aus sich der Kollegen des LKA für sie nicht zutraf. Für die aus Hannover war sie einzig ein Dorfsheriff, hochdekoriert, dennoch einer von der Streife. Es war ihr egal, wenige Stunden trennten sie von ihrem Ruhestand und die Pension, die ihr Zustand war bei Weitem höher als die Aktivbezüge, welche die Mehrzahl der anwesenden Kollegen je erreichten.
Trotzdem kam Wehmut in ihr auf, nachdem sie die Tür zum großen Saal hinter sich zugezogen hatte. Sie erinnerte sich an die Zeit, in welcher sie sich mit der Post herumgeschlagen hatte, damit diese zumindest eine Leitung für ein Telefon freischalten. Kein Handy, erst recht kein Smartphone, stand ihr zur Verfügung, einzig ein grauer Apparat mit Wählscheibe, die unzählige Male hakte.

Christa trat an die in U-Form aufgestellten Tische. Neun Kollegen und zwei Kolleginnen saßen, den Rücken gekrümmt, vor ihren Laptops und hämmerten auf ihre Tastaturen ein. Kein Gespräch fand unter ihnen statt. Wie war es ihnen möglich, eine Ermittlung durchzuführen, wenn sie nicht sprachen. Warum waren sie überhaupt in Schnuckelheide? An ihren Computer konnten sie ebenso in Hannover sitzen. Gut. Christa hatte nie eine Mordermittlung, geschweige, die im Fall eines Serienmörders geleitet. Das Größte in ihrer Zeit war ein Serieneinbruch gewesen, dennoch war sie der Auffassung, dass ein Ermittler die Tatortluft inhalieren musste, um sich ein Bild zu entwerfen.
Christa wandte sich von den Zombies ab, schritt die Tischreihe entlang, bis sie das offene Ende erreichte. Eine mannshohe Leinwand verdeckte die Theke des Saales. Ein Projektor warf einen Schriftzug auf die Leinwand.
»Kein Signal«, flüsterte Christa.
Genauso kam ihr die Situation vor. Die jungen Kollegen vernahmen kein Signal, zumindest aus der realen Welt. Sie verweilten in einem anderen Reich. In einem Reich der Bits und Bytes lebten sie. Abgekoppelt von der Welt, wie sie in diesem, ihrem Dorf.

Wie der Erlöser am jüngsten Tag schälte sich Frank hinter der Leinwand hervor, blinzelte sie an und prostete ihr mit einer Tasse Kaffee zu. Christa schmolz dahin. Dann fror sein Gesicht ein.
Er setzte sich seine Sonnenbrille auf, schob sich an Christa vorbei und marschierte an den Tischen entlang gen Ausgang.
Christa, gefangen von seinem Aftershave, hing sich an seine Ferse, folgte ihm wie ein Dackel und malte sich ihre Zukunft aus. Sie dachte an schneeweiße Strände, stellte sich vor am Strand von Waikiki zu liegen, den Klängen einer Ukulele zu lauschen, während ihr Frank ein Cocktail reichte. Christa spürte seine Finger auf ihrem Rücken, wie er mit Anmut ihre Haut salbte, ihr Gesäß liebkoste, ihr Freude bereitete.
Erst das Kommando ‚alles erledigt‘ holte sie aus ihrer Schwärmerei. Der Streifenbeamte, den sie zu Günters Campingplatz geschickt hatte, stand im Salut vor ihr.
»Danke«, stotterte sie und sah sich um, suchte ihren Prinzen, aber er war wie vom Erdboden verschluckt.
Anstatt Frank erblickte sie neben dem Uniformierten eine Frau in ihrem Alter. Die Dame, gekleidet in einem lavendelfarbenen Kostüm, lächelte sie an.
»Mechthild?«



Rosenkrieg

»Christa, gut siehst du aus.«
»Danke. Du auch.«
Mechthild strich durch ihr kurzes graues Haar. »Man tut, was man kann.«
Christa kratzte sich am Genick. »Bist du beim LKA?«
»Nein!«
»Was machst du dann hier?«
Die Lippen gepresst, zupfte Mechthild an ihrem Rock. »Ich bin die zuständige Oberstaatsanwältin.«
»Wie?«
Mechthild legte ihre Hand auf Christas Schulter. »Nach meiner Ausbildung habe ich weiter studiert.«

Polizeiobermeister Meyer drängelte sich zwischen die Frauen. »Was ist mit dem Zelt. Ich glaube nicht, dass der Campingplatzbetreiber ewig warten will.«
Mechthild zog ihre Augenbrauen zusammen. »Zelt?«
»Wir haben das Zelt von Frau Ivanowa Petrova aufgefunden«, erklärte Christa.
Den rechten Zeigefinger auf ihre weinroten Lippen gepresst, wandte sich Mechthild dem Beamten zu. »Bringen Sie mich gleich hin«, forderte sie ihn auf und drehte ihr Gesicht Christa zu. »Kommst du mit?«
Christa kratzte sich am Genick und stotterte »Ich habe etwas anders vor.«
»Schade« Mechthild strich über ihren Mund. »Herr Polizeiobermeister Meyer fahren sie vor. Ich komme mit Polizeihauptkommissar Mike Dünnbier nach.«
Meyer salutierte, wandte sich ab und umfasste die Klinke der Saaltür.
»Halt!«, rief ihn Mechthild hinterher, worauf er sich umdrehte. »Wo genau ist das Zelt?«
»Direkt bei den Sanitäranlagen.«
»Danke! Christa, wir sehen uns.«
Mechthild folgte Meyer. Christa zählte bis zehn, dann verließ sie ebenfalls den Saal.

Christa trat auf den Bürgersteig. Ein Streifenwagen fuhr an Günters Mercedes vorbei und hielt vor diesem. Ben schälte sich vom Beifahrersitz, setzte sich seine Dienstmütze auf, zückte einen Block sowie einen Stift aus seiner Hemdtasche und marschierte auf Günters Fahrzeug zu. Max stieg ebenfalls aus, schloss auf.
Ben schob seine Mütze zurück und betrachtete das Verkehrsschild. »Was haben wir denn hier? Parken im absoluten Halteverbot. Das wird teuer!«
Bevor Ben den Stift auf den Block drückte, schritt Christa auf in zu. »Lass den Quatsch!«
»Fend ekk ooch«, unterstützte sie Max.
»Hier ist mein Revier. Jedenfalls noch heute«, bellte sie ihn an. »Musst dich bis morgen gedulden.«
Ben schaute sich um. »Dann räumen wir hier endlich auf.«
Christa legte ein Lächeln auf. »Schön, dass ich euch treffe.«
»Warum?«, fragte Max.
»Ihr beide wart gestern bei Günter?«
»Und?«, wollte Ben wissen.
»Wann seid ihr bei ihm aufgeschlagen?«
»Glaach nach Denstschuss«, antwortete Max.
»Genauer?«
Ben zupfte an seiner Nase. »Gegen halb sechs.«
»Benno?«
Max zuckte mit den Achseln. »Kaane Ahnung. Er war aufaanma da.«
Ben beugte sich zu Christa hinab. »Warum willst du das wissen?«
Christa klopfte auf ihre Schulterabzeichen. »Deswegen?«
»Aan Verhiir!«
»Kannst so nennen Marylin. Also der Reihe nach. Gegen halb sechs seid ihr bei Günter eingetroffen. Dann?«
»Ein Bier, ein Köhn.«
»Peccolo!«, trällerte Max.
»Dann«, Ben stieß Max in die Seite, »ist der Kleine mit der Schwuchtel abgezischt.«
»Was has du saat kurzen jejen Jünter.«
Ben breitete seine Arme aus.
»Das alles hier ist nur zum Kotzen. Du machst die Flatter.«
»Ekk hab der dit schoo dusendma jesacht. Ekk kenn darföör nex, welches see mee ausgeweelt hebben. Häst mal aanwenech lörn kennen, oosserdem ben ekk hall jönga as du.«
»Du tust gerade so, als wäre ich kurz vor der Rente. Man, ich bin Mitte dreißig.«
»Ende! Und ekk teihn Jahr jönga.«
Christa presste ihre linke Hand an Bens Brust und ihre Rechte an Max seine. »Könnt ihr eueren Ehekrieg allein ausfechten. Worum geht es überhaupt.«
»Der Max fängt in zwei Monaten bei der Kripo in Braunschweig an.«
»Necht derekt. Ekk hebb jute oossechten. Lehrjään un so Tüttelkram.«
Christa lächelte Max an. »Glückwunsch!«
»Danke. Sehst Ben so jehst ooch.«
Christa tippte auf Max Brust. »Okay. Du bist mit Günter raus.«
»Zu ihm nach Hause ist er. Seid Monaten hängen die zusammen. Bist wohl auch so eine Schwuchtel.«
»Ben nu lanks«, Max drohte mit der Faust, »ekk un Jünter sünd Frünt.«
»Und seitdem dich die Emily verlassen hat, hängst mit dem Günter ab. Das ich nicht lache.«
»Ekk heb de Emely roosjekant.«
»Warum?«
»Maan Kraam.«
Christa werte ab. »Stopp!« Sie zeigte auf Ben. »Du warst weiterhin in der Kaschemme?«
»Met de Bene harr he römjemakt.«
Ben zeigte ihm einen Vogel. »Mit der alten, vertrockneten Schachtel, die ist schon Ende Fünfzig.«
Christa zog die Augenbrauen zusammen und runzelte ihre Stirn. »Bitte!«
»Christa, du bist gerade Anfang fünfzig. Oder?«
»Ben, der Benno war da schon da?«
»Ich sagte. Ich weiß es nicht. Irgendwann am Abend war er da.«
»Wer sonst?«
Ben hob die Stirn. »Lutz, Tim, Theo, aber nur kurz.«
»Wann?«
Max drückte den Daumen gegen seine Unterlippe. »Beer, Köhn, Beer, Köhn!«

Christa verdrehte ihre Augen. Somit war jegliche Frage an Ben für die Katz, wenn der erst einmal loslegte, dann bis seine Sinne ihm schwanden.
»Max, wann kamst du mit Günter zurück.«
»War jerat noo hell. Jünter es en saa Büro …«
»Büro nennst du das. Ein abgefragter Wohnwagen nicht mehr«, fuhr ihn Ben ins Wort.
»En saa Büro un ekk ben oof’n Lokus ... aan absaalen.« Max kicherte. »Aas ekk weder rooskam, wees zwaa am maken em Zölt, derkt an de Lokustör.«
»Mit hast du gesagt, die haben gevögelt.«
»Maan Ben Christa es aane Daame.«
»Aber nicht aus Seide«, warf sie ein. »Wann erschien Tim?«

Christa verdächtigte nicht Sörens Jungen, aber der Ablauf der Ereignisse brachte sie näher an den Täter; und der Campingplatz war ein Bindeglied. Zumindest hoffte sie, einen Zeugen zu finden, der sie zum Täter führte.
»Ween ekk mek rechtek öberleje, war Tems Rad erst da as ekk vom Lokus kaam.«
»Weshalb?«
»Christa«, warf Ben ein, »wer Tims Rad nicht erkennt, ist blind. Welch ein Mann fährt ein Bonanzarad.«
Max hob seine rechte Hand. »Aba selbst jeboot!«
»Von Sörens Schwager«, differenzierte Christa. »Ist dir was Weiteres aufgefallen?«
»Jo! An Achtersteven!«
Ben grinste. »Wohl von einem Mann.«
»Hör up! Von an stramm Deern. Sah lecker us en hör lütten Büx. Schoo was zum raanbaasen.«
Christa kratzte sich am Genick. »Wo genau und hast du sie erkannt?«
»Nö, nur hör Pöter. Se stunn«, er hob den Arm und zeigte zum Klettergerüst, »achtern Jünters Büro und het jeklönt.«
»Mit wem?«
Max zuckte mit seinen Schultern. »Eher an Straad met aan Kerl.«
Christas erste Vermutung, dass die Frau, die Tim und Max gesehen hatte, identisch waren, zerschlug sie. Dass Frauen im Sommer Hotpants trugen, war keine Rarität. Tims Frau ging aber, wie er gesagt hatte, zu den Toiletten.

Die Sanitäranlagen der Damen und die Spülküche befanden sich aber auf der Seite des Campingplatzes, an deren die Gesindehäuser grenzten. Die Herrentoilette dagegen stand direkt an der Einfahrt des Platzes, somit auf der gegenüberliegen Seite. Der Kiosk war in der Mitte. Rechts daneben Günters Bürowagen, damit, wenn man davorstand, links von den Damenklos.
Was wollte eine Frau auf der Herrentoilette? Anderseits spukte ihr die Sache mit dem Geschlechtsakt durch den Kopf. Geschlechtsverkehr vor ihrem Tod hatte Wanja, dies stand fest. Aber sie besaß bis auf die Hautpartikeln unter ihren Fingernägeln keine Abwehrspuren. Damit war es Sex mit Einvernahme. Sie war verlobt, davon ging Christa weiterhin aus, außerdem aus Osteuropa. Christa kratzte sich am Genick.
Sex mit einem Fremden? Der Streit, den Max vernommen hatte. Ein Streit mit ihrem Freund, mit anschließender Versöhnung im Zelt? Dann wäre ihr Verlobter ebenfalls auf dem Platz gewesen, oder einer der Männer in Günters Kaschemme. Ben schloss sie als Erstes aus. Max? Warum hätte er es erzählt? Er kam für sie nicht infrage. Günter sowieso nicht. Blieben Lutz, Theo, Tim und Benno übrig.
Lutz? Dass er sich an sie herangemacht hat im Rahmen der Möglichkeit, aber, dass er ihr Verlobter war, strich sie. Tim? Niemals! Benno war glücklich verheiratet. Blieb einzig Theo übrig. Von ihm wusste sie am wenigsten und er hatte die Möglichkeit, an den Schlüssel heranzukommen.

»Max! Theo war der noch da, als du wieder in Günters Kaschemme gingst.«
»Nö! De war schoo wech, as ekk met Jünter roos ben.«
»Allein!«
»Wee?«
»Verließ er die Kaschemme allein.«
Max zupfte an seiner Unterlippe. »Watj ma! Nee met an andern.«
Der unbekannte Dritte schoss es Christa durchs Gehirn. Hatte ihr Lutz nicht erzähl, dass Theo mit einem Kollegen unterwegs war. Mister X setzte sie mit auf die Liste der Verdächtigen.
»Hat Tim mit Lutz gedartet, als du eintratest?«
Es war eine Fangfrage, denn sie hatte von Lutz und Tim erfahren, dass Max erst gesungen hatte.
»Nee! Ek heb jesungen un dann heben de baaden jespeelt. Des waas ekk jenoo, da Jünter Lutz zusammenjeschitten heb, wa je de Faale oof de Schab jemass jehämmert heb, dat de von de Wand jefallen est. De Möppel harr ooch schoo an halv Buddel Obstla en sük versenkt.«
Lutz war damit voll wie ein Eimer, folgerte Christa.
»Jünter heb daan den Tem jesakt, dat ji de Benno nach Huus brinjen soll. Det heb ji da jemokt.«

Damit stimmt die Aussage von Tim und Max überein.
»Dann hattet ihr einen schönen Abend?«
Max verschränkte seine Arme und blickte auf Max herab. »Wolltest du nicht noch weg?«
»Jo! Jeplant heb ekk, aba dann best du vom Hocker jefallen un ekk heb di na Huus jebrocht.«
»Also doch!«
»Wat!«
»Du hast meine neue Karre genommen. Total eingesaut war sie heute Morgen.«
»Van wejen. De Olle.«
Christa legte ihren Kopf auf die Seite. »Du bist mit dem Toyota gefahren.«
»Sach ekk doo.«
»Wo hast du ihn abgestellt?«
»Baa Werner oof de Hof.« Er schlug an Bens Wams. »Heb me de Dekke jesakt.«
Ben hob seinen Arm und bildete eine Faust »Sag nicht Dicker zu mir!«
»Best aba!«
»Max, du bist dann zu Fuss nach Hause?«
»Ekk jeh doo net tofeet. Heb vörher Tems Rad enjeladen.«
»Das war aber abgeschlossen«, ergänzte Christa.
»Was ooch, aba en Jünters Büro est an Zwatslötel. De Bengel verjesst doo andooernd sün Slötel. Weer dat pienelk, as ekk met de Denk na Huus fohr.«

Fürs Erste hatte Christa genug erfahren. In irgendwelcher Weise logen alle. Warum? Welches Geheimnis verbargen sie? Jedenfalls waren ihre Geschichten nicht abgesprochen. Ein Umstand, der am Anfang verwirrte, aber ihr half, die Wahrheit ans Licht zu holen.
Christa verabschiedete sich, schwang sich auf ihr Rad und fuhr erneut die Straße entlang, die zum Hof von Werner führte.


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Morbus Kobold
 
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