Complainte vom Versiegen

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sufnus

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Complainte vom Versiegen

Du glaubst an Siege?
Schon zappelst Du im Leim.
Den Feind im Staub, das ist der Keim
für die Revanche, immer neue Kriege.

Wir steuern nicht, wir treiben
und von uns allen bleiben
nur Souvenirs für Erben,
von jedem Sieg die Scherben.

Nur wenn ich still und nächtlich bei IHR liege,
werd ich mir selbst mein eigner Reim,
bin außer mir, daheim,
glaub nicht an Siege.
 

Wolke9

Mitglied
Hallo sufnus,

Complainte heißt auf Deutsch „Beschwerde“. „Beschwerde vom Versiegen“ ???

Ich würde aufgrund der drei Personalpronomen „ du – wir - ich“, die in diesem Gedicht in dieser Reihenfolge verwendet werden, eher von einer „Beschwerde über das Versiegen“ ausgehen.
Sinngemäß in Strophe 1: Zuweisung, Strophe 2: Belehrung, Strophe 3: Reflexion des LI; unterstrichen vom Reimschema: abba, ccdd, abba

Bei dem Titel „Beschwerde vom Versiegen“ müsste das Versiegen = LI selbst sprechen. Das fände ich übrigens ziemlich interessant.. Mal was anderes.

Ich hoffe, Du nimmst mir meine Leseart nicht übel.

Viele Grüße Wolke9
 
Hi suf

Deine complainte gefällt mir gut. Allein der Leim..naja aber auf hohem Niveau. Die letzte Zeile macht es wieder wett

Die Complainte (französisch complainte „Klage“) ist eine lyrische Gattung der mittelalterlichen französischen und provenzalischen Dichtung. Im Gegensatz zum Planctus oder Planh behandelt sie nicht nur den Tod, sondern auch anderes subjektiv erlebtes Unglück. (Quelle Wikipedia)

Mes Compliments

Dio
 

Wolke9

Mitglied
Hallo sufnus,

ja genau, so lese ich es auch, siehe Complainte: de.wikipedia.org/wiki/Complainte. Es ist ein Lamento, ein Klagegedicht.

Die Aussage dieses Gedichts ist die Klage, Beschwerde, eines LI's über einen Verlust, der ihm scheinbar von einem "Du" zugefügt wurde. Es benennt kein bestimmtes Objekt, sondern bezieht sich auf die Befindlichkeit eines Klägers = LI, der über dieses Versiegen lamentiert. Über welches unbekannte "versiegen", zu welchem unbekannten "Du" spricht dieses LI? Leser*Innen können es, so wie es da geschrieben steht, nicht wissen.

Was anderes kann ich aus diesem Gedicht nicht !!! herauslesen. Möglichkeiten zur Interpretationen bleiben offen. Sie werden nur im Kopfkino der Leser*Innen generiert. So gelesen ist "auf den Leim gegangen" doch ziemlich treffend :rolleyes:.

Viele Grüße Wolke9
 
Zuletzt bearbeitet:

Scal

Mitglied
Spricht nicht der Dichter hier von unsrer Dichterburg?
Von den Gefechten um den Reim –
und was und wie wir treiben?

Doch wenn er bei IHR liegt,
dann ist er außer sich und doch daheim,

weil er sie liebt, die Poesie
denkt nicht an Siege.


So hab ich es gelesen, weil ich es so lesen wollte, als ich schrieb "Dichterliebe".
 

sufnus

Mitglied
Hey!
Vielen lieben Dank für die Kommentare und Bestirnungen!
Deine Idee, Scal, dass hier die Liebe zur Dichtung selbst besungen wird, gefällt mir richtig gut - ich hab es persönlich tatsächlich eher als ein persönliches Liebesgedicht konzipiert - aber ich glaube, ich "klau" mir Deine Interpretation, zumindest als eine Nebendeutung :)

Bei dem Titel „Beschwerde vom Versiegen“ müsste das Versiegen = LI selbst sprechen. Das fände ich übrigens ziemlich interessant.. Mal was anderes.
Was Dich hier hier irritiert hat, Wolke9, war, wenn ich das richtig verstehe, das Wörtchen "vom" im Titel, welches Woke im Sinne einer Urheberschaft auffasst, also so, dass eine Art personalisiertes Versiegen, der Urheber des Gedichts bzw. sein Sprecher ist. Tatsächlich kann man aber "vom" ja auch im Sinne einer Objektbezeichnung verwenden, also praktisch Bedeutungsgleich mit dem Wörtchen "über". Für so eine Verwendung des Wörtchens "vom" als Bezeichnung für den besungenen Gegenstand (und nicht den Urheber des Sanges) gibt es ja in der Lyrik viele Beispiele, v. Hofmansthal (Ballade vom kranken Kind), Brecht (Legende vom toten Soldaten), Krolow (Terzinen vom früheren Einverständnis mit aller Welt), Biermann (Ballade vom preußischen Ikarus).

Der andere Aspekt, den Du beanmerkst, ist dass Dir nicht ganz klar wurde, was hier nun eigentlich beklagt wird. Wenn man aber das "vom" als Objektbezeichnung versteht, ist zumindest klar, dass das "Versiegen" beklagt wird. Nun ist im Gedicht vom "Versiegen" im Sinne eines Trockenfallens (eine versiegende Quelle) nicht die Rede, hingegen aber natürlich durchaus vom Siegen, das als etwas Schechtes dargestellt/beklagt wird. In dem Sinn ist das "Versiegen" also (auch) als Neologismus zur Bezeichnung eines schlechten Sieges zu verstehen ("ich habe mich versiegt" als eine ähnliche Fügung wie: "ich habe mich verlaufen"). Das "Versiegen" im herkommlichen Sinn, also im Sinn von zum Erliegen kommen, austrocknen etc. ist aber natürlich auch mitgemeint. Die Zeilen atmen ja einen gewissen abgeklärten Pessimismus des Alters. Wer mag, kanns natürlich dann auch sexuell ausdeuten, das ist zwar def. nicht in meinem Sinn... aber die Gedanken sind ja frei... ;)

LG!

S.
 



 
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