Das Ein und Aus in die Geschichte

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Ji Rina

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Schell und Mark rasten durch die Nacht. Das Licht der Schweinwerfer ihres Wagens streifte Beton und am Rande stehende Bäume; hier und da ein Haus. Schell gab Gas. Und Mark hatte Angst. Er starrte auf die Straße und hielt sich am Gurt fest. In der nächsten Kurve schoss ihr Auto einfach geradeaus. Die Reifen quietschten, und sie prallten gegen eine Mauer… ein furchtbarer Knall! Dann war es still.
In dem Augenblick verließ ich die Geschichte.

Ich saß in meinem Haus und wartete auf einen Anruf. Dabei hörte ich das Radio. Jemand aus den Häusern musste den Knall gehört haben. Polizei und Krankenwagen wurden benachrichtigt. Ein furchtbarer Unfall, hieß es, auf der Landstraße nach Muro. Ich verließ mein Haus und kehrte in die Geschichte zurück.

Blaulicht funkelte in der Dunkelheit. Man hatte die Straße gesperrt. Ich näherte mich einem der Polizisten und beobachtete, wie er Bilder schoss. Zwei andere Beamte sprachen mit ein paar Anwohnern und machten sich Notizen. Dann fuhr der Bestattungswagen ab. Und irgendwann waren sie alle weg.
Ich stand da und starrte auf das Wrack. Dichter Nebel zog heran. Überall lagen Autoteile, Glas, Äste, Steine …Die Vorderseite des Wagens war nicht mehr zu erkennen. Und da sah ich Schell und Mark. Sie saßen nebeneinander auf der Mauer, Hände im Schoß.

Ich trat an sie heran.

>Du, ich glaube …wir sind tot!<, sagte Schell. Und er klang ziemlich überrascht.
>Ja, das glaube ich auch<, erwiderte Mark.
>Ist es nicht seltsam? Wir …Wir wollten doch gerade zu Robert …<
>Ja<,
sagte Mark nachdenklich, >aber …Und jetzt …?<
Eine Weile schwiegen sie. Ich stand direkt neben ihnen und sie bemerkten mich. Zeigten aber kein Interesse.
>Gott ist das verrückt!<, sagte Schell, >hätte nie gedacht …Dass es … Das es so schnell gehen kann …<
>Mhm
…<, Mark starrte auf den Boden.

Ich entfernte mich und verließ die Geschichte.
 

hein

Mitglied
Hallo Ji,

irgendwie verstehe ich die Geschichte nicht.

Man kann es so sehen das der Autor die Geschehnisse in Etappen denkt und schreibt. Aber dann passt das Radio nicht.

Erklärung?

LG
hein
 
G

Gelöschtes Mitglied 21114

Gast
Hallo Ji Rina,
ein Riesenkompliment: Eine Geschichte auf drei Ebenen in solcher Kürze und dennoch geradezu filmisch stimmig, glaubhaft und mit einer Schlusszeile, auf die ich neidisch werden könnte. Eine Erzählform für Kurzgeschichten, wie ich sie bisher nicht kannte. Großartig.
Gruß JF
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo, Joe Fliederstein!

Hab mich über Deinen Kommentar sehr gefreut: auf drei Ebenen.
Dies ist meine Vorstellung vom Tod. Und es war für mich die beste Art, es so zum Ausdruck zu bringen.
Dir herzlichen Dank auch für diese schöne Bewertung.
Ji
 

molly

Mitglied
Hallo Ji,

Diese Art Kurzgeschichte habe ich noch nie gelesen und ich finde sie sehr gelungen. Eine Frage, gibt es den Namen "Schell"
 

Vagant

Mitglied
Hallo Ji Rina,
eine schönes kleines Stück.

2 Dinge:
Ein 'furchtbarer Knall' und dann noch 'ein furchtbarer Unfall', da hätte ein zweites Adjektiv gut getan. Beim 'Knall' könnte man hier das Adjektiv mehr in Richtung Ich-Erzählerin rücken, ihre Wahrnehmung und vielleicht ihren Gemütszustand während der Wahrnehmung genauer zu beschreiben, oder - vielleicht die bessere Möglichkeit - dieses 'furchtbar' beim Bezug auf die Radiomeldung ändern, denn Radiomeldungen werden ja per se eher etwas distanziert-informativ gehalten.

Ich stand direkt neben ihnen und sie bemerkten mich. Zeigten aber kein Interesse.
Ich stand direkt neben ihnen (Punkt) --- Bezug Ich-Erzählerin, abgeschlossen.
Sie bemerkten mich (Komma), zeigten aber kein Interesse. --- Bezug 'sie' , also Schell und Mark; wobei sich der zweite Satz hier auf den ersten bezieht und somit ein hier Komma eine gute Wahl gewesen wäre.

Sorry für die Krümelkackerei. Lass es Dir gut gehen, Vagant.
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Vagant,

Hat mich gefreut, dass Du reingelesen und analysiert hast!

da hätte ein zweites Adjektiv gut getan

mh…Das stimmt…Die zwei Worte liegen vier Zeilen entfernt, und da ist es mir nicht aufgefallen…Wäre es mir aufgefallen, hätte ich es ausgetauscht.

Beim 'Knall' könnte man hier das Adjektiv mehr in Richtung Ich-Erzählerin rücken, ihre Wahrnehmung und vielleicht ihren Gemütszustand während der Wahrnehmung genauer zu beschreiben, oder –

Ich weiss jetzt nicht so genau, was Du meinst. Aber falls ich es richtig verstehe: Der Gemütszustand des Erzählers/Ehrzälerin, sollte eigentlich garnicht beschrieben werden. Das ganze soll nur eine emotionslose Beobachtung sein. So jedenfalls wars in meinem Sinn.

vielleicht die bessere Möglichkeit - dieses 'furchtbar' beim Bezug auf die Radiomeldung ändern, denn Radiomeldungen werden ja per se eher etwas distanziert-informativ gehalten.

Es ist ja nicht so, dass im Radio gesagt wird: “Es ist ein furchtbarer Unfall passiert”; sondern die Ich Erzählerin gibt es so an den Leser zurück (Ein furchtbarer Unfall, hieß es) . Ihre Interpretation. Ich weiss nicht, ob Du versteht was ich meine, und ob ichs dann auch richtig umgesetzt habe.

Ich stand direkt neben ihnen (Punkt) --- Bezug Ich-Erzählerin, abgeschlossen.
Sie bemerkten mich (Komma), zeigten aber kein Interesse. --- Bezug 'sie' , also Schell und Mark; wobei sich der zweite Satz hier auf den ersten bezieht und somit ein hier Komma eine gute Wahl gewesen wäre.


Da bin ich ganz bei Dir. Das würde sehr viel besser klingen!

Sorry für die Krümelkackerei.

Aus Krümelkackerei, wenn sie fundiert ist, kann man viel lernen.:)

Dir herzlichen Dank, dass Du immer wieder meine Sachen liest. Freu mich wenn auch Du mal wieder mit einer Story dabei bist.

Bleib gesund!

Ji
 

Ji Rina

Mitglied
Cellist: Hab Dank für Deine Einschätzung. Freu mich wenn Du hier was liest.
(Diese Daumen hoch kann ich nirgends sehen...)
 

Vagant

Mitglied
mh…Das stimmt…Die zwei Worte liegen vier Zeilen entfernt, und da ist es mir nicht aufgefallen…Wäre es mir aufgefallen, hätte ich es ausgetauscht.
Du weißt doch, wie das mit den Adjektiven und Adverbien ist: Sie stehen wie Leuchttürme in den Texten, und immer wenn man an so einem Ding vorbeikommt, schaut man ins Licht und fragt sich: "braucht's das jetzt hier, und wenn's das braucht, was soll hier näher beleuchtet werden, wem soll hier der richtige Weg gewiesen werden? In so einem relativ kurzen Text fallen da zwei identisch aussehende Leuchtürme schon auf, gerade dann, wenn sie nur wenige Schritte nebeneinander liegen. Aber ich weiß: hier scheiden sich die Geister; der eine mag so ein bisschen Blingbling, ein anderer stolpert lieber im Halbdunkel durch die Gegend. Mir war's an dieser Stelle halt ein bisschen zu hell, und deshalb hab ich's halt mal erwähnt.

Ich weiss jetzt nicht so genau, was Du meinst. Aber falls ich es richtig verstehe: Der Gemütszustand des Erzählers/Ehrzälerin, sollte eigentlich garnicht beschrieben werden. Das ganze soll nur eine emotionslose Beobachtung sein. So jedenfalls wars in meinem Sinn.
Also ich habe da nochmal rein gelesen. Denke, das mit dem "furchtbare Knall" passt da schon ganz gut, denn das "furchtbar" befindet sich ja im Erzählbericht und gehört damit ja auch zum Erzähler. Es drückt seinen unmittelbaren Eindruck des Ereignisses aus, allerdings ist es dann aber nicht mehr "emotionslos".
Wenn ich eine Lage oder ein Ding mit "furchtbar" bezeichne, also ein wertendes Adjektiv setzte, dann bin ich ja eigentlich schon mittendrin in der Emotion.
Emotionslos wäre hier ein den Knall modifizierendes oder beschreibendes Adjektiv, nicht das wertende. Der dumpfe Knall, der ferne Knall, der nahe Knall, nur bitte nicht "der laute", aber das weißt du ja eh selbst.

Dir herzlichen Dank, dass Du immer wieder meine Sachen liest. Freu mich wenn auch Du mal wieder mit einer Story dabei bist.
Kein Ding. Zum Lesen bin ich ja nun wieder hier. Und was das andere betrifft: Ich hab nichts, was man hier veröffentliche könnte, sollte, dürfte. In meinen Ordnern stapeln sich schon die Textleichen; keine Datei wird irgendwann mal wirklich fertig, keine Datei wird wirklich rund. Das mag daran liegen, dass ich in den letzten drei, vier Jahre ausschließlich autobiografisch gefärbte Blogbeiträge auf einem eher unbekannten Social-Media-Portal geschrieben und veröffentlicht habe. Schnell, authentisch und in der Regel völlig unbearbeitet, und das dann auch nur für Leser, mit denen ich dort schon seit Jahren Kontakte pflege - also durch Chat und Forenarbeit. Vielleicht wäre der eine oder andere Text davon auch hier zu bringen, könnte sein, aber wenn, dann halt nicht ohne völlige Neubearbeitung, also weg vom Autor, weg von irgendeinem damaligen aktuellen Anlass, und mehr in Richtung Prosa. Momentan bekomme ich das aber gerade nicht gebacken und deshalb trolle ich hier nun ein wenig durch die Prosasparten.
 

Ji Rina

Mitglied
Vagant schrieb:

Du weißt doch, wie das mit den Adjektiven und Adverbien ist: Sie stehen wie Leuchttürme in den Texten, und immer wenn man an so einem Ding vorbeikommt, schaut man ins Licht und fragt sich: "braucht's das jetzt hier, und wenn's das braucht, was soll hier näher beleuchtet werden, wem soll hier der richtige Weg gewiesen werden? In so einem relativ kurzen Text fallen da zwei identisch aussehende Leuchtürme schon auf, gerade dann, wenn sie nur wenige Schritte nebeneinander liegen.


Ja, ich kenn das mit den Leuchtürmen. Wie nervige Gespenster tauchen sie auf. Aber wie bereits oben erwähnt:
Wäre es mir aufgefallen, hätte ich es ausgetauscht.

Aber ich weiß: hier scheiden sich die Geister; der eine mag so ein bisschen Blingbling, ein anderer stolpert lieber im Halbdunkel durch die Gegend. Mir war's an dieser Stelle halt ein bisschen zu hell, und deshalb hab ich's halt mal erwähnt.

Das stimmt. Es gibt Leser, die achten auf jedes Wort, legen es in eine Waagschale. Und immer wieder lernt man daraus die feinen Differenzierungen. Ich tendiere mehr dazu, meine Aufmerksamkeit der Gesamtaussage eines Textes zu widmen. Da kann ein Wort ruhig mal nicht stimmen, oder sich wiederholen. Damit will ich nicht sagen, dass nicht jedes Wort sorgfältig gewählt sein sollte. Aber da kann es mir selbst dann halt passieren, dass ich im eignen Text mal ein doppeltes Wort habe. Ob das nun mit “im haldbdunkeln durch die Gegend zu stolpern” gleichgesetzt werden kann, muss der Leser entscheiden.


Wenn ich eine Lage oder ein Ding mit "furchtbar" bezeichne, also ein wertendes Adjektiv setzte, dann bin ich ja eigentlich schon mittendrin in der Emotion.

Das ist ein interessanter Aspekt! Das hat mich zum Nachdenken gebracht und so entstand bei mir diese Frage:

Stell Dir mal vor, ich sitze mit jemanden an einem Tisch und sage:

“In Hamburg war gestern ganz schlimmes Wetter” (Im Radio haben sie wortwörtlich gesagt: In Hamburg hat ein hefttiges Unwetter gewütet)

Würde dies bedeuten, dass ich emotional beteiligt bin?
Was ist, wenn ich es so weitergebe, mich Hamburg und das Wetter dort jedoch nicht die Bohne interessiert?
 

Vagant

Mitglied
Ji Rina,
Gute Frage.
Ich sag's mal so: was der eine als "schlimm" benennt, da fängt für manch anderen der Spaß erst an. Das heißt: Eigentlich sind die Adjektive und Adverbien ja entbehrlich, denn sie sagen nie was konkret-verbindliches zum Objekt welchem sie zugeordnet sind, sondern weisen eigentlich immer auf den Erzähler hin. An dieser Stelle können sie allerdings sehr nützlich sein; durch so ein kleines Nebenbei-Wörtchen lässt sich in Handumdrehen ein Blick auf die Sichtweise und damit auf die momentane Gemütslage eines Ich-Erzählers generieren. Ich bin immer fast aus dem Häuschen, wenn ich was lese, bei dem ein Autor gekonnt zeigt, wie das funktioniert. Ein mit Bedacht gesetzes Adjektiv kann hier einen ganzen Absatz ersetzen. Wobei ich hier ein "heftiges Unwetter" auch nicht verteufeln würde. Unnötig zwar, aber klanglich gar nicht so daneben. Unlesbar wird es für mich dann, wenn sich in jeder Zeile die Adjektive die Hand reichen, jedes Ding, jede Person und jede Handlung mit einem Seviervorschlag versehen ist.

Übrigens: Man könnte auch einfach sagen:
"In Hamburg hat's 'ne Menge Regen gegeben."
"Ach, ja?"
"Und Sturm."
"Auch Hochwasser?"
"Denke, schon."
"Hm, schlimm."
"Meinst du?"
"Ne, nich' wirklich."
 

Ji Rina

Mitglied
Unlesbar wird es für mich dann, wenn sich in jeder Zeile die Adjektive die Hand reichen, jedes Ding, jede Person und jede Handlung mit einem Seviervorschlag versehen ist.
Oh ja...mir wird da immer ganz schwindelig...krieg dann ein ganz hohlen Kopf...
Übrigens: Man könnte auch einfach sagen:
"In Hamburg hat's 'ne Menge Regen gegeben."
"Ach, ja?"
"Und Sturm."
"Auch Hochwasser?"
"Denke, schon."
"Hm, schlimm."
"Meinst du?"
"Ne, nich' wirklich."
Naja, das hat dann aber nichts mehr mit meiner Geschichte zu tun... :)

Auf jedenfall bedanke ich mich für die guten Ratschläge und dass Du mir bis hierhin gefolgt bist!
Werde alles überdenken.
Dir alles Gute! - Ji
 
G

Gelöschtes Mitglied 19299

Gast
Hallo Ji Rina,
mir gefällt das Ein- und Aussteigen aus der Geschichte.
Der Dialog am Ende ist treffsicher.
Und auch der Titel überzeugt, denn der ist in mehrfacher Hinsicht stimmig.

Man ist richtig drin, empfindet mit - und denkt:
Wie schnell alles vorbei sein kann!

LG,
Keram
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

Ji Rina

Mitglied
Hallo Keram,
Ich habe mich über Deine Sterne gefreut - aber noch mehr über Deinen Kommentar.
Es ist gut zu wissen, dass dieser Text irgendwo angekommen ist. Das freut mich.
Dir einen schönen Feiertag!
Mit Gruss, Ji
 



 
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