Alexander K. Rosworld
Mitglied
Das Fenster
Kai saß am Fenster und sah dem schwarzen Wagen zu, der gerade die Einfahrt zum Haus hoch fuhr. Er wusste, was passieren würde, wusste, dass es unausweichlich war … und trotzdem. Er wollte nicht.
Zwei Männer in Uniform stiegen aus dem schwarzen Wagen. Die Orden an ihren Revers funkelten in der Abenddämmerung. Kai fluchte. Nicht laut oder leise, sondern innerlich. Er verfluchte diese Männer. Er verfluchte den Krieg, und er verfluchte seinen eigenen Vater. Wieso führten die Menschen Krieg?, hatte er sich jedes Mal gefragt, wenn seine Mutter das Radio angeschaltet und der Nachrichtensprecher neue Listen mit Namen vorgelesen hatte mit Menschen, die im Krieg gefallen waren. Die Männer nahmen – während sie die Veranda hoch gingen – langsam ihre Schirmmützen ab. Kai fragte sich, wie oft sie dies schon heute wohl gemacht hatten. Erst vor einer Woche, waren sie schon mal hier gewesen. Es klingelte. Sie waren damals genauso langsam vorgefahren, hatten genau an dem selben Platz gehalten und hatten ihre Schirmmützen auf der Veranda abgenommen, bevor sie geklingelt hatten. Es klingelte noch mal. Damals war Kai runter gerannt, als er die Männer in ihren schicken Uniformen erblickt hatte. Doch heute würde er in seinen Zimmer bleiben. Er wollte nicht runter. Er konnte nicht runter, sein ganzer Körper, ja seine ganze Seele sträubten sich runter zu gehen. Es klingelte ein drittes Mal und endlich begann das Haus auf die Friedensstörer zu reagieren. Kai hörte wie, Maroni, ihre Haushälterin, durch die Küche und den Flur eilte, um den beiden Männern die Tür zu öffnen. Vor einer Woche hatte Kais Mutter die Tür geöffnet. Sie war in Tränen ausgebrochen, ohne das die Männer auch nur ein Wort sagen mussten. Ohne ein Wort war sie am Türrahmen runter gerutscht, bis sie am Boden kraftlos zusammen gebrochen war. Die Männer hatten wie schon tausendmal in ihren Leben oder in diesen Krieg, ihre üblichen Floskeln aufgesagt: »Er ist für´s Vaterland gestorben.«, »Sein Tod war nicht umsonst« und alle anderen Sprüche die sie in ihrer Ausbildung auswendig gelernt hatten. Kai hasste diese Floskeln. Diese Sprüche. Diese Lügen!
Durch den Flur hörte Kai die Stimmen der Männer wie sie Maroni nach der Herrin des Hauses fragten, nach seiner Mutter fragten! Wut packte ihn. Doch die Wut verflog schnell und nur eine unendlich große Leere blieb zurück. Die Mutter von Kai lief an seinem Zimmer vorbei die Treppe runter. Sie hatte wohl auch das Klingeln gehört. Wusste sie wer unten stand?
Ein kurzes Gespräch entstand zwischen Kai´s Mutter und den Männern. Dann hörte Kai die unausweichlichen Worte. Die Worte, auf die er sich schon seit Monaten vorbereitete. Die Worte, die sein ganzes Leben verändern würden. Die das Leben, was er führte, aus den Angeln heben würde und zu Staub zermahlen würde. Die Worte, die er voller Wut, voller Verzweiflung und voller ernüchternder Realität erwartet hatte, seit dem der Krieg ausgebrochen war.
Sie fragten nach seinem Vater.
Wie aufs Kommando hörte Kai die bedächtigen langsamen Schritte seines Vaters hinter sich. Er drehte nicht den Kopf vom Fenster, als sein Vater seinen Namen leise flüsterte. Er antwortete nicht, als sein Vater sich verabschieden wollte. Ja, er zeigte noch nicht mal eine Reaktion ,als sein Vater ihm die Hand beruhigend auf die Schulter legte. Er wollte nicht. Er konnte nicht seinem Vater in die Augen sehen. Sein Vater ging zur Tür und schloss sie hinter sich. Das Geräusch, das die Tür machte als sie ins Schloss viel, hämmerte Kai in den Ohren, davor und danach war nur Stille. Kein Ton drang an seine Ohren und wenn dann nur dumpf, wie als wenn er unter einer Dusche stehen würde. Wie als wenn er durch einen dicken, alles verschlingenden Nebel horchen musste. Es dauerte nicht lang bis Kai seinen Vater und die beiden anderen Männer sah, wie sie die Veranda hinunter wieder zum Wagen liefen. Der eine trug die Koffer von seinem Vater, der andere hielt ihm die Beifahrertür auf, als er einstieg. Ja, jetzt kümmerten sie sich noch um ihn, wie um einen Helden. Doch was würde passieren wenn er starb? Sie würden ihn vergessen. Vielleicht noch einmal pro Jahr hier herkommen, solange seine Mutter noch lebte und dann wäre sein Vater nur noch eine Randnotiz, nur noch ein Name auf einen Grabstein oder Papier. Der Wagen fuhr los, der untergehenden Sonne entgegen. Kai spürte nichts, nur die Leere in sich. Er wusste, dass er seinen Vater wie seinen Bruder vor ihm nie wieder sehen würde. Keiner kam wieder. Sein Kopf legte er vorsichtig ans Fenster an. Es war kalt, das Glas.
Kalt wie der Krieg.
Kalt wie die Leere in ihm.
Keiner würde wiederkommen.
Keiner.
Kai saß am Fenster und sah dem schwarzen Wagen zu, der gerade die Einfahrt zum Haus hoch fuhr. Er wusste, was passieren würde, wusste, dass es unausweichlich war … und trotzdem. Er wollte nicht.
Zwei Männer in Uniform stiegen aus dem schwarzen Wagen. Die Orden an ihren Revers funkelten in der Abenddämmerung. Kai fluchte. Nicht laut oder leise, sondern innerlich. Er verfluchte diese Männer. Er verfluchte den Krieg, und er verfluchte seinen eigenen Vater. Wieso führten die Menschen Krieg?, hatte er sich jedes Mal gefragt, wenn seine Mutter das Radio angeschaltet und der Nachrichtensprecher neue Listen mit Namen vorgelesen hatte mit Menschen, die im Krieg gefallen waren. Die Männer nahmen – während sie die Veranda hoch gingen – langsam ihre Schirmmützen ab. Kai fragte sich, wie oft sie dies schon heute wohl gemacht hatten. Erst vor einer Woche, waren sie schon mal hier gewesen. Es klingelte. Sie waren damals genauso langsam vorgefahren, hatten genau an dem selben Platz gehalten und hatten ihre Schirmmützen auf der Veranda abgenommen, bevor sie geklingelt hatten. Es klingelte noch mal. Damals war Kai runter gerannt, als er die Männer in ihren schicken Uniformen erblickt hatte. Doch heute würde er in seinen Zimmer bleiben. Er wollte nicht runter. Er konnte nicht runter, sein ganzer Körper, ja seine ganze Seele sträubten sich runter zu gehen. Es klingelte ein drittes Mal und endlich begann das Haus auf die Friedensstörer zu reagieren. Kai hörte wie, Maroni, ihre Haushälterin, durch die Küche und den Flur eilte, um den beiden Männern die Tür zu öffnen. Vor einer Woche hatte Kais Mutter die Tür geöffnet. Sie war in Tränen ausgebrochen, ohne das die Männer auch nur ein Wort sagen mussten. Ohne ein Wort war sie am Türrahmen runter gerutscht, bis sie am Boden kraftlos zusammen gebrochen war. Die Männer hatten wie schon tausendmal in ihren Leben oder in diesen Krieg, ihre üblichen Floskeln aufgesagt: »Er ist für´s Vaterland gestorben.«, »Sein Tod war nicht umsonst« und alle anderen Sprüche die sie in ihrer Ausbildung auswendig gelernt hatten. Kai hasste diese Floskeln. Diese Sprüche. Diese Lügen!
Durch den Flur hörte Kai die Stimmen der Männer wie sie Maroni nach der Herrin des Hauses fragten, nach seiner Mutter fragten! Wut packte ihn. Doch die Wut verflog schnell und nur eine unendlich große Leere blieb zurück. Die Mutter von Kai lief an seinem Zimmer vorbei die Treppe runter. Sie hatte wohl auch das Klingeln gehört. Wusste sie wer unten stand?
Ein kurzes Gespräch entstand zwischen Kai´s Mutter und den Männern. Dann hörte Kai die unausweichlichen Worte. Die Worte, auf die er sich schon seit Monaten vorbereitete. Die Worte, die sein ganzes Leben verändern würden. Die das Leben, was er führte, aus den Angeln heben würde und zu Staub zermahlen würde. Die Worte, die er voller Wut, voller Verzweiflung und voller ernüchternder Realität erwartet hatte, seit dem der Krieg ausgebrochen war.
Sie fragten nach seinem Vater.
Wie aufs Kommando hörte Kai die bedächtigen langsamen Schritte seines Vaters hinter sich. Er drehte nicht den Kopf vom Fenster, als sein Vater seinen Namen leise flüsterte. Er antwortete nicht, als sein Vater sich verabschieden wollte. Ja, er zeigte noch nicht mal eine Reaktion ,als sein Vater ihm die Hand beruhigend auf die Schulter legte. Er wollte nicht. Er konnte nicht seinem Vater in die Augen sehen. Sein Vater ging zur Tür und schloss sie hinter sich. Das Geräusch, das die Tür machte als sie ins Schloss viel, hämmerte Kai in den Ohren, davor und danach war nur Stille. Kein Ton drang an seine Ohren und wenn dann nur dumpf, wie als wenn er unter einer Dusche stehen würde. Wie als wenn er durch einen dicken, alles verschlingenden Nebel horchen musste. Es dauerte nicht lang bis Kai seinen Vater und die beiden anderen Männer sah, wie sie die Veranda hinunter wieder zum Wagen liefen. Der eine trug die Koffer von seinem Vater, der andere hielt ihm die Beifahrertür auf, als er einstieg. Ja, jetzt kümmerten sie sich noch um ihn, wie um einen Helden. Doch was würde passieren wenn er starb? Sie würden ihn vergessen. Vielleicht noch einmal pro Jahr hier herkommen, solange seine Mutter noch lebte und dann wäre sein Vater nur noch eine Randnotiz, nur noch ein Name auf einen Grabstein oder Papier. Der Wagen fuhr los, der untergehenden Sonne entgegen. Kai spürte nichts, nur die Leere in sich. Er wusste, dass er seinen Vater wie seinen Bruder vor ihm nie wieder sehen würde. Keiner kam wieder. Sein Kopf legte er vorsichtig ans Fenster an. Es war kalt, das Glas.
Kalt wie der Krieg.
Kalt wie die Leere in ihm.
Keiner würde wiederkommen.
Keiner.