Das Gefühl von nasser Seide

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Mimi

Mitglied
Ich setze den kleinen Teddybären ins Gras, lehne ihn an den Stamm der alten Eiche.
Er ist kaum zu sehen, so hoch sind die Grashalme an dieser Stelle inzwischen gewachsen.
Auf der Namensplakette, die am Baum hängt, steht ein einziger Name. Es sind genau drei Buchstaben.
Kayko zieht an ihrer Leine. Sie hat etwas im Wald gewittert. Ich halte die Leine fest, hocke am Rand des schmalen Kiespfades und schaue in das lächelnde Gesicht des Teddybären.
Immer wenn ich hier bin, umgeben von diesen hochragenden Eichenbäumen, fühle ich es am stärksten.
Ich kann die Vergangenheit zulassen, alle Sinneseindrücke zulassen.
Das Tasten meiner Hand in meinem brennenden Schoß. Das Gefühl von nasser Seide unter meinen Fingerspitzen. Unfassbar zart.
Die Stille nach den Schmerzen, die wie ein scharfes Schwert meine Atemluft durchschnitt.
Ich muss mir nichts mehr beweisen. Mein Körper muss mir nichts mehr beweisen. Er funktioniert. Es reicht dies zu wissen.
Kayko leckt mir stürmisch über das Gesicht. Fast hätte ich das Gleichgewicht verloren. Ihr Atem riecht nach Hähnchenfleisch.
Sie bellt kurz auf und schaut sichtlich aufgeregt zwischen die Bäume.
"Du bist ein gutes Mädchen", flüstere ich ihr in die aufgerichteten Ohren. Ich folge Kaykos konzentriertem Blick. Ein Hase hüpft aus dem Unterholz direkt auf den schmalen Kiesweg.
Ich spüre Kaykos mitreißende Energie, als ich sie von der Leine nehme und sie mit einem majestätischen Sprung dem Hasen hinterherjagt.
Langsam richte ich mich auf, lächle dem Teddybären kurz zurück , bevor ich Kayko tiefer in den Wald folge.
 

Inge. B

Mitglied
Guten Morgen Mimi!
Da fehlen am frühen Morgen manchmal die Worte. Muss man auch nicht viel zu sagen.
Gruß Inge
 

Ixolotl

Mitglied
Leider, liebe Mimi,

stolpert man bei deinem Kurztext schon über den Titel - "Das Gefühl von nasser Seide" sagt, dass im Folgenden nass gewordene Seide vorkommen wird, die sich irgendwie fühlt. Das ist natürlich Unsinn - Stoff hat keine eigenen Gefühle, sondern kann vielleicht welche hervorrufen. Besser, du überschreibst Deine Betrachtung mit "Das (ein) Gefühl nach nasser Seide". Dann stimmten Grammatik und die beabsichtigte Aussage besser überein. Vielleicht hast Du Dich ja von Jacques Audiards Film "De rouille et d’os" inspirieren lassen, dessen schöner Titel schmählich mit "Der Geschmack von Rost und Knochen" synchronisiert wurde?

Der folgende Text liest sich ein wenig bemüht und pathetisch: Ein Abscheid wohl von der Kindheit oder der Unschuld, wobei nicht recht klar wird, ob das Mädchen wirklich nackt auf dem Waldboden hockt, um, wie es schreibt,
Das Gefühl von (nach) nasser Seide unter meinen Fingerspitzen zu erkennen, in meinem brennenden Schoß.
Und weiter geht es:
Die Stille nach den Schmerzen, die wie ein scharfes Schwert meine Atemluft durchschnitt.
Stille kann doch nicht mehr wie ein scharfes Schwert sein, wenn die Schmerzen, die es vorher scheinbar gegeben hat, nicht mehr da sind. Dass Stille durch die Luft schneiden könnte, klingt kurios, ist jedenfalls eine unsinnige Metapher.

Völlig daneben am Ende die vorsätzliche Hunds-Hetze auf das Häschen - ein in der BRD strafbewehrter Naturfrevel. Das Lächeln des Mädchens wird bei der Brutalität, die einer Hetzjagd innewohnt, nicht recht verständlich - auch wenn es vielleicht nostalgisch gemeint sein sollte.

Es liest sich das Ganze nicht wie der betroffene Bericht eines Mädchens, das erwachsen geworden und dabei unter irgendwelche Räder gekommen ist, sondern ein bisschen bemüht, als ob eine Omi etwas von einem Mädchen erzählen will, das vor langer Zeit mal im Wald war. Aber man spürt, dass die Omi sich nicht mehr so genau an alles erinnern kann und zu improvisieren beginnt.

Das ist schade. Gerade bei so heiklen Geschichten wie jenen, wo's um Unschuld und Leiden geht, sollte man präziser sein, um nicht im Unterholz der üblichen Befindlichkeiten stecken zu bleiben. Und immer die Grammatik- und die Verkehrsregeln beachten, liebe Mimi!

lg

Ixo
 

Mimi

Mitglied
Hallo Inge,
vielen Dank für Deinen Kommentar und die Bewertung meiner Prosa...

Grüße zurück
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Nun, Ixo, ich glaube Du hast meine kleine Prosa gehörig missinterpretiert...

Der Titel ist bewusst gewählt, er trifft in dieser grammatikalischen Konstellation, genau das, was ich ausdrücken möchte...(ein bisschen Freiheit sei da schon erlaubt)

Wo schrieb ich, dass es in dieser Prosa um ein Mädchen geht?
Woher leitest Du diese Information?

Es ist eine Prosa um das Traumata einer sogenannten "Stillen Geburt"... vielleicht ist Dir das ja ein Begriff...
Eigentlich hätte man dies auch ( das ist meine Meinung) rauslesen können... sofern man das nun will oder auch kann.
Du konntest es anscheinend nicht.

Macht aber überhaupt nichts, Ixo, bloß spare Dir doch bitte den erhobenen "Fingerzeig" mit dem hier :

Völlig daneben am Ende die vorsätzliche Hunds-Hetze auf das Häschen - ein in der BRD strafbewehrter Naturfrevel. Das Lächeln des Mädchens wird bei der Brutalität, die einer Hetzjagd innewohnt, nicht recht verständlich - auch wenn es vielleicht nostalgisch gemeint sein sollte.
Eine Meinung sollte der allemal nicht ersetzen...

Gruß
Mimi
 
G

Gelöschtes Mitglied 22298

Gast
langsam mimi

das thema stille geburt ist keinesfalls aus deinem text herauszulesen
allerdings - ich sage mal allgemein - das thema 'kind'

der körper ist in ordnung
der (zurückgelassene!!) teddybär
der davon/in die welt stürmende hund

ein trauma hättest du aber durch eine kleine aber deutliche geste andeuten müssen (unruhige wolken, das zischeln einer schlange im hohen gras, das prosa-ich dreht eine zecke aus dem fell des hundes ... oder was anderes)
die von dir beschriebenen 'schmerzen' können falsch gelesen werden

seide ist viel zu erotisch - und irreführend
nasse seide ... na hör mal, damit bringt doch kein mensch eine traumatisierte frau in verbindung
einfach nur schlüpfer
weiß
blut

dennoch
dein prosastück ist nicht schlecht
das sujet ist dir gelungen - stofftier/hohe starke bäume/der quicklebendige vierbeiner
deshalb fünf sterne

gruß
gun.
 

Vitelli

Mitglied
Hallo Mimi,

mir hat dein Text sehr gut gefallen; ich mag es, wenn der Leser selbst etwas "erarbeiten" muss.

Mein Lesevergnügen (in order of appearance):

Titel: verwirrend. Nasse Seide? Gehört das nicht in den Lust-und-Liebe-Faden?

Dass der Teddy für Verlust steht, erscheint mir als offensichtlich; ein Verlust, der schon ein wenig zurückliegt (Länge der Grashalme). Aufgrund des Titels vermute ich, dass der Teddy für den Verlust der ersten Liebe (Sexualpartners) steht.

Dann kommt der Hund ins Spiel, der mir eine Art Ersatz zu sein scheint; hm, denke ich, das passt nicht ganz zum Verlust einer Liebschaft. Steht der Teddy vllt doch eher für den Verlust eines Kindes? Die folgenden Zeilen:
"immer wenn ich hier bin, umgeben von diesen hochragenden Eichenbäumen, fühle ich es am stärksten."
Ich kann die Vergangenheit zulassen, alle Sinneseindrücke zulassen."

bestärken in mich in meiner neuen Annahme. Doch dann:

"Das Tasten meiner Hand in meinem brennenden Schoß. Das Gefühl von nasser Seide unter meinen Fingerspitzen. Unfassbar zart."
Hm, brennender Schoß? Wohl doch was Sexuelles. Ja, nasse Seid, die Dame / das Mädchen war/ ist feucht. "Unfassbar zart" bestätigt meine neue alte Sichtweise.

Die Stille nach den Schmerzen verwirrt mich dann wieder, aber okay, es könnte sich um eine schmerzhafte Entjungferung handeln. Aber was soll das dann mit:
"Mein Körper muss mir nichts mehr beweisen. Er funktioniert"?
Hatte das Mädchen / die Frau vllt die Befürchtung frigide zu sein? Handelt es sich überhaupt um eine weibliche Protagonistin? Hab ich echt eine so eingeengte Sichtweise, dass ich sofort annehme, der Ich-Erzähler einer Frau müsse zwangsläufig eine Frau sein? Aber Moment, das mit der (nasser) Seide und dem brennenden Schoß ist schon mehr als hinweisgebend. Puh, Glück gehabt, hast doch keine Vorurteile. Bist vllt ein wenig chauvinistisch wegen der sexuellen Sichtweise, aber nun gut, keiner ist perfekt - und es könnte immer noch aufgehen. Also weiter.

Hm, nun kommt nur noch was mit dem Hund ... Okay, also das Sexuelle geht nicht auf, wird wohl der Verlust eines Kindes sein, der Teddybär und das Namensschild sind zu hinweisgebend. Les ich mal die Kommentare.

Mimi, ich wollte nur mal veranschaulichen, wie ich deine Geschichte gelesen hab. Wie gesagt, ich finde die sehr schön, nur das hier:
"Das Tasten meiner Hand in meinem brennenden Schoß. Das Gefühl von nasser Seide unter meinen Fingerspitzen. Unfassbar zart."
hat mich - in meiner Interpretation - aus dem Konzept gebracht. Mag in der Tat daran liegen, dass ein brennender Schoß und nasse Seide Synapsen aktivieren, die meine Gedanken einen Weg ohne Wiederkehr einschlagen lassen.

Abgesehen von diesen wenigen Zeilen, finde ich das eine sehr treffende und stimmige Beschreibung eines Verlustes. Scheinbar unwichtige Details wie der Atemgeruch des Hundes, geben deiner Story nochmal einen besonderen Drive, genauso wie der Schluss, der tief in den metaphorischen Wald hineinführt.

Liebe Grüße,
Vitelli









 

Mimi

Mitglied
seide ist viel zu erotisch - und irreführend
nasse seide ... na hör mal, damit bringt doch kein mensch eine traumatisierte frau in verbindung
einfach nur schlüpfer
weiß
blut
Ich glaube, damit hast Du nicht ganz Unrecht, Gunnar...
An dieser Stelle ist es für den Leser zu skizzenhaft...

Ich bedanke mich für Deine Ausführungen zu meiner Kurzprosa, die ich sehr interessant fand.

Viele Grüße
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Hallo Vitelli,
auch Dir vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Hm, nun kommt nur noch was mit dem Hund ... Okay, also das Sexuelle geht nicht auf, wird wohl der Verlust eines Kindes sein, der Teddybär und das Namensschild sind zu hinweisgebend. Les ich mal die Kommentare.
Ja, das hast Du richtig interpretiert... (was mich freut)
Ich wollte das Thema in diesem Prosastück nur skizzieren, also nichts in deutlichen Farben zeichnen, sondern lediglich andeuten...

Aber das hier :
Das Tasten meiner Hand in meinem brennenden Schoß. Das Gefühl von nasser Seide unter meinen Fingerspitzen. Unfassbar zart.
Die Stille nach den Schmerzen, die wie ein scharfes Schwert meine Atemluft durchschnitt.
...war wohl zu "mehrdeutig", glaube ich...

Diese Stelle geht etwas in die Tiefe, es sind Sequenzen aus Erlebtem, ( wenn auch nicht persönlich) aus Empfindungen und natürlich ist es eine weibliche Perspektive ( auch da lagst Du richtig, lieber Vitelli ;) ... auch wenn es keinen erotischen oder sexuellen Hintergrund hat)

Das Gefühl nasser Seide unter meinen Fingerspitzen....

Beschreibt das nasse, feine und sehr seidige Haar auf einem winzigen Babyköpfchen, wenn es mit eben diesem, bereits den Geburtskanal passiert hat und für die Mutter ertastbar wird, wenn sie ihre Finger darüber gleitet lässt...

Die Stille, nach den Schmerzen , die wie ein scharfes Schwert meine Atemluft durchschnitt.

Eine weitere Skizzierung... direkt nach dem Geburtsschmerz... Nichts, nur diese Stille...

Dass der Teddy für Verlust steht, erscheint mir als offensichtlich; ein Verlust, der schon ein wenig zurückliegt (Länge der Grashalme).
Richtig!
Es ist ein Bestattungsbaum auf einem Bestattungswald...

Abgesehen von diesen wenigen Zeilen, finde ich das eine sehr treffende und stimmige Beschreibung eines Verlustes. Scheinbar unwichtige Details wie der Atemgeruch des Hundes, geben deiner Story nochmal einen besonderen Drive, genauso wie der Schluss, der tief in den metaphorischen Wald hineinführt.
Das freut mich doch sehr!

Liebe Grüße
Mimi
 

Vitelli

Mitglied
Hallo Mimi,
Beschreibt das nasse, feine und sehr seidige Haar auf einem winzigen Babyköpfchen, wenn es mit eben diesem, bereits den Geburtskanal passiert hat und für die Mutter ertastbar wird, wenn sie ihre Finger darüber gleitet lässt...
mit diesem Wissen liest sich diese (zutiefst traurige) Geschichte nochmal ganz anders. Aber ja, es
..war wohl zu "mehrdeutig", glaube ich...
Liebe Grüße,
Vitelli
 



 
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