Das Herz

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sufnus

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Das Herz

Sein Herz ist vom Verticken vieler Stunden
so alt geworden, fast schon leergelebt:
Die letzten Wunden kaum als Schmerz empfunden,
ein krankes Tier, das müd die Augen hebt

und sieht noch mal die Gitter, Mauern, Schranken
(aus denen hat es sich die Welt gebaut)
und flüchtet dann verzagt in den Gedanken,
dass übern Schlaf der nächste Morgen graut.
 
Zuletzt bearbeitet:

Scal

Mitglied
Tja - Du Lyrik liebst.
Was soll ich sagen ...

Der Blick ist durchs Vorüberziehn der Verse
so fein geworden, dass sein Herz, erhellt,
erkundet ob's ihm möglich, ob diverse
Beschauensweisen öffnen – neu die Welt.

LG
Scal
 

sufnus

Mitglied
Scal: Das ist cool. Dein Vers gefällt mir sehr.
Such meinen Dank nicht mit der Leselupe,
denn auf dem Tanzflur geb ich Fred Astaire

voll Lesefreude (und auch voll vom Wein)
und das ich nicht auf einer Trage liege,
macht, dass ich was von Dir zu Lesen kriege;
ich ruf Helau! und gieß mir noch was ein.

Wer da nicht froh wird, bleibt ein schwerer Fall
wer nicht beschwipst ist, muss im Trocknen sitzen,
und hält vielleicht auch nix von Dichterwitzen,
und wird sich denken: Alles Rausch & Schall
und soll mich, wenn ich bettwärts wanke, stützen.
 

fee_reloaded

Mitglied
Eins der wirklich raren Gedichte, lieber sufnus,

wo die Paarung von Herz und Schmerz nicht weh tut. Ganz im Gegenteil. :cool:
Erinnert mich in Gestalt und Klang ein wenig an den Panther. Ein Gedicht, das ich - obwohl ich in der Schule damit oberflächlichst und völlig uninspiriert gequält wurde, wirklich großartig finde (und natürlich in all seiner Tiefe erst viel später - sozusagen in Eigenregie - verstanden und zu schätzen gelernt habe. Dem Dickkopf sei Dank...also dem eigenen jetzt).

Sehr gerne gelesen. Immer schön zu lesen, wenn jedes einzelne Wort und jeder Reim und Klang ganz zielgerichtet seine Wirkung entfaltet!

Liebe Grüße,
fee
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Ich glaub, falls noch nicht bekannt, dir würde Ernst Goll gefallen, lieber sufnus!

Ich hab mein Herz in deine Hand gelegt,
Nun ist ihm gut –
Horch, wie es ruhvoll und beseligt schlägt
In deiner Hut.

Vielleicht ermattet sein gelinder Schlag,
Von Glück betört,
Dann hat es noch den letzten Lebenstag
Dir angehört.

Ernst Goll
 
G

Gelöschtes Mitglied 27550

Gast
lieber sufnus,
wie immer wunderschön...doch ich glaube, Du hast Dich vertippselt.

Liebe Grüße
S.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24962

Gast
Noch etwas Senf. Hat etwas gedauert, der Einfühlung wegen und dem Werk etwas Respekt zu zollen. Wie du weißt, Sufnus, wollte ich mich ja schon damals auf der Wiese mühen, mehr zurückgeben zu können. Wenn du etwas Hilfreiches sehen solltest, behalte es und nimm es mit! Und wenn nicht, dann wirf es in den Zeilenmülleimer! Aber: Diskurs schadet nicht.

Deine lyrische Darstellung des Herzens in diesem Gedicht ermöglicht mir, eine persönliche Verbindung zu meinen eigenen Erfahrungen herzustellen. Das Bild des Herzens, das durch die Vertickung zahlreicher Stunden gealtert ist, weckt Erinnerungen an Momente der Erschöpfung und des inneren Verschleißes. Ähnlich wie in Leonard Cohens Lied “Anthem”, in dem er die Risse als Ort des Lichts betrachtet (wenn ich nicht falsch liege;)), kann ich hier die Vorstellung von Alter und Erfahrung als gestaltende Elemente der individuellen Existenz erkennen.:) (“conditio sine qua non” interpretiert werden – eine unerlässliche Bedingung für die Existenz des Selbst)

Die Beschreibung des müden Tieres, dessen Augen sich schwer öffnen, erzeugt für mich eine lebhafte Vorstellung von emotionaler Ermattung. Dies erinnert mich an T.S. Eliots “The Love Song of J. Alfred Prufrock”, in dem die Figur durch die Zeilen “I grow old… I grow old…” eine ähnliche Reflexion über das Altern und den emotionalen Abrieb durchlebt. Allerdings müsste ich meine Verweise nochmal überprüfen, da ad hoc, wird aber schon zutreffen, denke ich.

Die metaphorische Reise durch Gitter, Mauern und Schranken, die die Welt zu konstituieren scheint, eröffnet durchaus einen Raum für eine introspektive Korrespondenz mit den Tiefen unserer Seele. Ein „Blooming“ der Metaphorik. Hier sehe ich eine Parallele zu Franz Kafkas “Das Schloss”, in dem der Protagonist durch undurchsichtige Institutionen? und Barrieren navigieren muss. Dieser literarische Bezug will eigentlich ein sanfter Hinweis im Lyrikherzgschungel sein, der die Perspektive des Gedichts, indem es auf die Vielschichtigkeit individueller Lebenskonstruktionen hinweist, aufzeigen. Nunja, vielleicht auch nicht. So verballert wie ich manchmal bin. :cool:

Allerdings könnte eine präziserer Sprachhabung, dem Herz zu liebe, eine subtilere Verbindung zu der literarischen Referenz (Rilke) die Eindringlichkeit des Gedichts weiter stärken. Hier will ich zu Arno Schmidt und seinen Hippies in Bargfeld verweisen. Ich weiß nicht genau, in welche Richtung mich das Werk schlägt! Vielleicht ist mir der Wellengang zu intensiv (positiv!). Andererseits ist die Reduktion des Herzens auf eine Dingebene eine interessante, ja fast kühne, Maßnahme das Herz von Cholesterin zu befreien, und dem Muskel eine lyrische Stimme anzuhängen.
Für das Endprodukt würde ich dir vier Sterne geben. Der Mut jedoch verdient fünf!

Das soll’s gewesen sein, der Herr!

Gruß zur Nacht! Adios, adios.
 
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sufnus

Mitglied
Hey Fee, EV, stadtgeflüster, nochmal Scal, nochmal EV und Chandi!
Lieben Dank für die vielen lieben Kommentare und Astralspenden! Und lieben Dank auch stadtgeflüster für die Erspähung des drolligen Typo! :)
Den Rilke bzw. den Panther habt Ihr ansonsten genau richtig rausgehört, Scal, Fee & EV! Und Du, lieber EV, gibst zurecht zu bedenken, dass hier nur der Wort-Rhythmus u die semantische Struktur nachgebildet wurden, nicht aber die rilkeanische Sprachmelodie, dieses sychtige (sic!) Klangtreiben und auch nicht der hochveredelte Sprachschatz von RMR. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht mal sicher, ob dieser Text, mit seiner leichten Flapsigkeit, womöglich sogar eine Einsortierung im Gefilde der komischen Lyrik verdiente (nur der Schluss ist dafür wohl zu ernst). Also irgenndwie wohl ein etwas unklar verortbarer Zwitter, will mir scheinen.
Meine liebste Pantherreverenz ist übrigens vom wunderbaren F. W. Bernstein, mit dem ich mich natürlich in keinem Paralleluniversum messen kann (von diesem hier ganz zu schweigen): https://www.lyrikline.org/de/gedichte/rilkes-reissnagel-12760
LG!
S.
 

Mimi

Mitglied
Hola Sufnus,
wirklich reizend, Deine Herz-Rilke-Panther-Reverenz ...

Das wäre doch mal ein interessantes Thema für einen Wettbewerb: ein Rilke-Panther-Revival ...

Gruß
Mimi
 

sufnus

Mitglied
Hey Mimi!
Vielen lieben Dank!
Und Deine Idee find ich prima... Variationen über den Panther... da ließe sich eine schöne kleine Anthologie draus machen. :)
LG!
S.
 



 
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