Das lila Krokodil (Spaltsonett in Alexandrinern)

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es hängt davon ab, ob Frequenzen eine Rolle spielen. Das Ph wirkt tatsächlich bei Beckenbodengymnastik und ist Teil der Therapie.
Lösen des Zauberwürfels (Rubics Cube) war Teil einer Therapie.
Viele Dinge wirken.
 

James Blond

Mitglied
Lieber Bernd,
ich will dir deinen "Mathematikerglauben" nicht schlecht machen oder versuchen, ihn dir auszureden. Hier (und mir) geht es um Lyrik jenseits therapeutischer Absichten. Wenn ich auf Dada-Verse wie "ph ph ph ph ph ..." stoße, dann sind mögliche beckenbodengymnastische Übungen vollkommen irrelevant. Die mögen mich zwar in anderen Zusammenhängen (durchaus) interessieren, für die Lyrik sehe das Abgleiten ins Esoterische sehr kritisch.

Denn das setzt einen bestehenden Glauben voraus, in dessen Kontext man Bestimmtes goutiert - wie Schlüsselwörter, die in ein selbstgebasteltes Schloss passen. Das uns verbindende Element der Lyrik sollte aber nicht der Glaube, sondern die gemeinsame Sprache sein. Und selbst die ist bereits - auch jenseits aller Dadaismen - am Verschwinden. Wir Dichtenden sind damit aufgefordert, das Gemeinsamkeitsempfinden neu zu erwecken, indem wir die Lyrik in eine Sprache führen, die Vielen etwas zu geben vermag. Der private Rückzug ins eigene Lyrik-Türmchen mag da eine Reaktion auf die zunehmenden Komplexität(en) unserer Zeit sein; er ist ein Symptom, aber eine Therapie für die Welt wird er sicher nicht.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber James,
es ist nicht Esoterik (obwohl es sie nicht ausschließt), sondern Mechanik, Akustik, Rhythmik und Poetik.
Das betrifft all diese Sachen, auch das Gedicht, sogar Musik.

Ich glaube nicht, dass die lyrische Sprache verschwindet. Sie verändert sich einfach. Deutlich sieht man es, wenn man die deutsche Poeterey von Opitz vergleicht.
 

James Blond

Mitglied
Ich sage ja auch nicht, dass "die lyrische Sprache" verschwindet, sondern die gemeinsame Sprache. Das hat kein Verschwinden einer lyrischen Sprache zur Folge, sondern ihre Auflösung in sehr viele verschiedenen Lyriken.

Esoterik:
Hier hattest du einen für mich offensichtlich esoterischen Ansatz formuliert, der weit über physikalische Bezüge hinausreicht:
Es dient mir als Reparaturinstrument der Gegenwart und meiner Psyche. Vielleicht helfe ich auch anderen damit.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber James, ich habe lyrische Sprache verwendet, das stimmt, Metaphern. Dann habe ich nicht gesehen, dass "esoterisch" hier auch eine Metapher ist.
Viele lyrische Sprachen ist sehr gut, es liegt im Wesen der Lyrik. Ich erwähnte Opitz. Bei ihm sieht man deutlich, dass es das schon zu seiner Zeit gab. Er wollte es vereinheitlichen. Gelingen kann das zum Glück nicht, aber partiell ist es sinnvoll.
Viele Grüße von Bernd.
 

James Blond

Mitglied
Viele lyrische Sprachen ist sehr gut, es liegt im Wesen der Lyrik. Ich erwähnte Opitz. Bei ihm sieht man deutlich, dass es das schon zu seiner Zeit gab. Er wollte es vereinheitlichen. Gelingen kann das zum Glück nicht, aber partiell ist es sinnvoll.
Hmm, ich sehe Opitz eher als Begründer einer einheitlichen Deutschen Lyrik, indem er erstmalig für die deutsche Sprache die lyrischen Fundamente von Versmaß, Reim, Form und Stil beschrieb und der Lyrik so in Deutschland zu einem gehobenen Ansehen verhalf und zugleich den Grundstein zur Entwicklung der modernen Deutschen Lyrik legte. (Das sind Kriterien, auf die man auch nach 400 Jahren z. B. in der Leselupe stößt.) Diese grundlegende Leistung ist nicht zu vergleichen mit den Stilistiken der aktuellen Lyrik, denn was sind schon diverse Kleckerburgen am Strand im Vergleich zu einer gotischen Kathedrale? (Ich erlaube mir hier mal die Metapher.)

Die Sprachenvielfalt hingegen wird bereits im Alten Testament als Desaster beschrieben. Als "Gebabbel" mahnt sie an ein frühes Scheitern menschlicher Kultur durch den Ausfall der Kommunikation. Denn "Sprache" umfasst dabei weit mehr als nur Regeln und Definitionen. Sie bildet die Basis eines gemeinsamen Verständnisses von Welt als Voraussetzung für ein soziales Verstehen. Kultur entsteht immer dort, wo es gelingt, verschiedene Einflüsse zu einem großen Strom zu vereinen und nicht etwa im versandenden Delta eines aufgefächerten Mündungsgebiets winziger Seitenarme. (O je, schon wieder eine Metapher.) Insofern sehe ich dein letzten Satz aus dem obigen Zitat genau umgekehrt: Partiell mag die lyrische Vielsprachigkeit fruchtbaren Boden transportieren; ihn sinnvoll und gebührend zu nutzen, bleibt aber dem Mainstream überlassen.

Gern - wenn auch spät - geantwortet.

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke sehr, James.

Das ist die eine Seite. Er brachte neue Regel, zum Beispiel beseitigte er Tonbeugung von betonten Silben auf unbetonte. Und er übertrug Sonettformen in deutsche Formen. Er führte das erste moderne Regelbuch ein. Das trug sehr zur Vereinheitlichung bei. Gleichzeitig stärkte er aber auch die Vielfalt. Er führte eine Art natürliche Sprache ein.
Zu Babbeln schreibe ich hier nichts. Das ist ein anderes Thema, aber recht interessant.

Viele Grüße von Bernd
 

James Blond

Mitglied
Hallo Bernd,
nur kurz geantwortet:

Opitz schaffte etwas noch viel Grundlegenderes, indem der die Silbenbetonung als natürliche Akzentuierung der deutschen Lyrik einführte, die sich zuvor noch immer an der lateinischen Längenmetrik orientiert hatte.
 

mondnein

Mitglied
indem er erstmalig für die deutsche Sprache die lyrischen Fundamente von Versmaß, Reim, Form und Stil beschrieb
So ist es bekannt, alle stimmen darin überein.
Mit Superlativen und Einzigkeitsbehauptungen, eingeschlossen die "erstmalig"-Revolutionen, bin ich immer etwas skeptisch. Mir fallen oft zu viele Gegenbeispiele ein, aber was mir einfällt muß noch nicht mit guten Belegen gesättigt sein: Es können Meinungen sein, subjektiv verfestigte.
Mit fallen als eine typische Gruppe von formreflektierten Lyrikern die Meistersinger ein, also die Dichter, die die Brücke vom edlen Minnegesang zur bürgerlichen Lieder-Vergleichung gebildet haben.
Wenn man deren Beschreibung in Wagners "Meistersingern" glaubt, wurden alle Versmaß-Reim-Form-Stil-Kompositionen in einem System geordnet, dessen Titel-Gefüge eine Hundertschaft von "Weisen" mit einem "Weise"-Titel zum System fügt. Diese verschiedenen "Weisen" wurden auf ihre originellen Besonderheiten hin verglichen, wobei die Namengeber und Erstschöpfer der jeweiligen "Weise" maßgeblich waren: War es "neu", konnte es einen eigenen Titel bekommen.
Und natürlich waren die Lieder, wie ja auch schon die der Minnesänger, nicht lateinisch, sondern deutsch. Opitz hinkte noch hinterher: Er fing fleißig lateinisch an, sammelte zusammen mit dem humanistischen Schulleiter des Görlitzer Gymnasiums griechische Handschriften und Wiegendrucke, um sie herauszugeben, schrieb in griechischen Versformen, wie später Hölderlin, lateinische Gedichte, bis er zum Schöpfer der deutschen Dichtkunst wurde.
Oder war der Opitz früher als diese Renaissance-Gestalten aus dem 16. Jahrhundert? Hans Sachs scheint mir gar nicht so weit von Opitz entfernt zu sein, müßte ich mal nachschauen.

Bernd:
der deutschen Lyrik einführte, die sich zuvor noch immer an der lateinischen Längenmetrik orientiert hatte
Schon die Minnesänger kümmerten sich nicht um Längen und Kürzen, sondern gliederten die Satzmelodien mit einer Wortbetonungsart, die die wesentlichen Hervorhebungen, in denen die längeren Wörter und Kombinationen wurzeln, etwas lauter akzentuiert. Wir beachten es kaum, nehmen es nicht bewußt wahr, weil es uns natürlich scheint, so wie du die Luft nicht siehst, die du atmest.
Das ist in der Antike anders: Die Betonung der Wörter kümmert sich in griechischen und römischen Versen nicht um das Hervorheben der Wort-Wurzeln zur Akzentuierung der Satz-Melodie, sondern singt sich an der Folge der Längen und Kürzen entlang, so als tanzte die Sprache, oder vielleicht eher: als wäre sie gesungene Melodie, in Tonlängen gegliedert.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Er war jedenfalls einer der ersten, von denen ein Lehrbuch der Lyrik überliefert wurde.
 

mondnein

Mitglied
indem er erstmalig für die deutsche Sprache die lyrischen Fundamente von Versmaß, Reim, Form und Stil beschrieb
So ist es bekannt, alle stimmen darin überein.
Mit Superlativen und Einzigkeitsbehauptungen, eingeschlossen die "erstmalig"-Revolutionen, bin ich immer etwas skeptisch. Mir fallen oft zu viele Gegenbeispiele ein, aber was mir einfällt muß noch nicht mit guten Belegen gesättigt sein: Es können Meinungen sein, subjektiv verfestigte.
Mit fallen als eine typische Gruppe von formreflektierten Lyrikern die Meistersinger ein, also die Dichter, die die Brücke vom edlen Minnegesang zur bürgerlichen Lieder-Vergleichung gebildet haben.
Wenn man deren Beschreibung in Wagners "Meistersingern" glaubt, wurden alle Versmaß-Reim-Form-Stil-Kompositionen in einem System geordnet, dessen Titel-Gefüge eine Hundertschaft von "Weisen" mit einem "Weise"-Titel zum System fügt. Diese verschiedenen "Weisen" wurden auf ihre originellen Besonderheiten hin verglichen, wobei die Namengeber und Erstschöpfer der jeweiligen "Weise" maßgeblich waren: War es "neu", konnte es einen eigenen Titel bekommen.
Und natürlich waren die Lieder, wie ja auch schon die der Minnesänger, nicht lateinisch, sondern deutsch. Opitz hinkte noch hinterher: Er fing fleißig lateinisch an, sammelte zusammen mit dem humanistischen Schulleiter des Görlitzer Gymnasiums griechische Handschriften und Wiegendrucke, um sie herauszugeben, schrieb in griechischen Versformen, wie später Hölderlin, lateinische Gedichte, bis er zum Schöpfer der deutschen Dichtkunst wurde.
Oder war der Opitz früher als diese Renaissance-Gestalten aus dem 16. Jahrhundert? Hans Sachs scheint mir gar nicht so weit von Opitz entfernt zu sein, müßte ich mal nachschauen.

... der deutschen Lyrik einführte, die sich zuvor noch immer an der lateinischen Längenmetrik orientiert hatte
Schon die Minnesänger kümmerten sich nicht um Längen und Kürzen, sondern gliederten die Satzmelodien mit einer Wortbetonungsart, die die wesentlichen Hervorhebungen, in denen die längeren Wörter und Kombinationen wurzeln, etwas lauter akzentuiert. Wir beachten es kaum, nehmen es nicht bewußt wahr, weil es uns natürlich scheint, so wie du die Luft nicht siehst, die du atmest.
Das ist in der Antike anders: Die Betonung der Wörter kümmert sich in griechischen und römischen Versen nicht um das Hervorheben der Wort-Wurzeln zur Akzentuierung der Satz-Melodie, sondern singt sich an der Folge der Längen und Kürzen entlang, so als tanzte die Sprache, oder vielleicht eher: als wäre sie gesungene Melodie, in Tonlängen gegliedert. Die Wörter halten ihre Kasus-Spannung durch längere Verse hindurch, damit man herausfindet, zu welchen Substantiven die Attribute mit den entsprechenden Endungen passen. Das durchgehende Stilmittel in Ovids "Metamorphosen" und Vergils Hirtenliedern ist das Hyperbaton, ein gelegentlich auch ineinander geschachteltes Beziehungsgeflecht ein-zwei-dreier Hyperbata. Ein melodisch gesungenes Durcheinander der kasus-bestimmten Satzteile.

Was im Deutschen völlig unmöglich ist,
es sei denn, die Wörter würden beziehungsfrei voneinander unabhängig,
Sinn neben Sinn,
Bedeutung neben Bedeutung,
mit schnellen Schnitten aufgeschlitzt.

Und vielleicht auch mit dem Beziehungs-Geflecht,
das unter der Sinn-Collage dem hindurch-tauchenden Leser
andere Welten aufschließt.

grusz, hansz
 

mondnein

Mitglied
Lehrbuch der Lyrik
ja, wenn die Kriterien und Form-Lehren der Meistersinger nicht aufgeschrieben worden sind, sondern nur im Vergleich, in der Diskussion der konkreten Beispiele fortgelaufen sind.
Die ziemlich strengen Regeln und die systematische Gestaltungsreihe der "Weisen" lassen sich aus der Form der Lieder ablesen, die unter einem gegebenen Namen stehen. Kann schon mal ein einzelnes sein, das dann so etwa "Kolkrabenweise" heißt oder "Fahrradklingelweise".
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die ziemlich strengen Regeln und die systematische Gestaltungsreihe der "Weisen" lassen sich aus der Form der Lieder ablesen, die unter einem gegebenen Namen stehen. Kann schon mal ein einzelnes sein, das dann so etwa "Kolkrabenweise" heißt oder "Fahrradklingelweise".
Ja, sie sind bekannt. Jedoch war der Zugang eng begrenzt.

ja, wenn die Kriterien und Form-Lehren der Meistersinger nicht aufgeschrieben worden sind, sondern nur im Vergleich, in der Diskussion der konkreten Beispiele fortgelaufen sind.
Die ziemlich strengen Regeln und die systematische Gestaltungsreihe der "Weisen" lassen sich aus der Form der Lieder ablesen, die unter einem gegebenen Namen stehen. Kann schon mal ein einzelnes sein, das dann so etwa "Kolkrabenweise" heißt oder "Fahrradklingelweise".
Ja, sie sind bekannt. Jedoch war der Zugang eng begrenzt.

Ich sage ja auch nicht, dass "die lyrische Sprache" verschwindet, sondern die gemeinsame Sprache. Das hat kein Verschwinden einer lyrischen Sprache zur Folge, sondern ihre Auflösung in sehr viele verschiedenen Lyriken.
Es verschwindet sogar die gemeinsame Kultur, so konnte man 1960 noch davon ausgehen, dass fast alle die Märchen der Brüder Grimm kennen. Ich war um 1993 bei einem Lyrik-Lehrgang in Wolfenbüttel. dort wurde darauf hingewiesen, dass es fast nichts gäbe, was noch Gemeingut ist.
 

James Blond

Mitglied
ich sehe Opitz eher als Begründer einer einheitlichen Deutschen Lyrik, indem er erstmalig für die deutsche Sprache die lyrischen Fundamente von Versmaß, Reim, Form und Stil beschrieb
Mit Superlativen und Einzigkeitsbehauptungen, eingeschlossen die "erstmalig"-Revolutionen, bin ich immer etwas skeptisch
[...]
Mit fallen als eine typische Gruppe von formreflektierten Lyrikern die Meistersinger ein, also die Dichter, die die Brücke vom edlen Minnegesang zur bürgerlichen Lieder-Vergleichung gebildet haben.
Natürlich gab es bereits vor Opitz Versuche zur regelhaften Standardisierung Deutscher Lyrik. Die Meistersinger sind dafür ein gutes Beispiel. Ihre "Tabulatur" enthielt einen Regelkanon, der Ton, Form und Inhalt der Lieder vorgab. Die Meistersinger verstanden sich als eine am Handwerk orientierte Zunft bürgerlicher Dichter, die im Rahmen ihrer Regeln in einen Wettstreit traten.

Opitz hingegen gelang der generelle Transfer von der antiken Dichtung zur Deutschen Sprache. Seine Regeln waren allgemeiner, flexibler und themenreicher. Entscheidend für die Bezeichnung als "Begründer einer einheitlichen Deutschen Lyrik" ist aber vor allem die Wirkungsgeschichte seiner Werke, die weit über den Horizont einer Barocklyrik hinausreicht.
 

James Blond

Mitglied
Es verschwindet sogar die gemeinsame Kultur, so konnte man 1960 noch davon ausgehen, dass fast alle die Märchen der Brüder Grimm kennen. Ich war um 1993 bei einem Lyrik-Lehrgang in Wolfenbüttel. dort wurde darauf hingewiesen, dass es fast nichts gäbe, was noch Gemeingut ist.
... und das verlorene Gemeingut ist in den vergangenen 30 Jahren sicher nicht wieder angewachsen. So bleibt es m. E. die wichtigste Herausforderung für heutige Lyriker, eine zeitgemäße Sprache zu entwickeln, die sich weder in Avantgardismen noch in Historismen verliert. Keine leichte Aufgabe ...
 



 
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