Das lila Krokodil (Spaltsonett in Alexandrinern)

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vor langer Zeit entschwand .. mein Bett aus meinem Raum
ein lila Krokodil ........................fraß all mein Butterbrot
es kratzte voller Stil ................das Salz aus meinem Traum
die Suppe von der Wand ...... die Zeiten sind verroht

Jedoch dabei entstand .......... aus Seife neuer Schaum
ein Rinnsal ohne Ziel ............. errettet mich vom Tod
an Kraft gab es zu viel ........... der Burgturm wackelt kaum
das ist der Welt bekannt ........den Styx durchquert mein Boot

Die Dichtung ist defekt, ........ doch Rettung naht von vorn
es fehlt ein Dichtungsring ,.. und mich ergreift der Zorn
ich habe ihn entdeckt, .......... ich färbe mich gleich grün

es war ein kleines Ding ........... ein Blitz schlug ein ganz vorn
mit Tücke und Effekt ............... begann im Rausch zu blühn
als ich es einst empfing .......... ich sah die Flammen glühn
 

sufnus

Mitglied
Jetzt musst Du Dich aber endlich mal selbst empfehlen, lieber Bernd! Oder vielleicht hilft ja ein anderer Mod mal aus. :)
Mindestens drei Gedichte zum Preis von einem - was will man mehr?
Mein einzigster Vorschlag wäre das Bett im zweiten Halbvers der ersten Zeile durch ein Subjekt zu ersetzen, das eher in der Lage ist, Butterbrot zu fressen, so dass die jeweils zweiten Halbzeilen noch etwas zwangloser ein eigenes Gedicht ergeben. :)
Ansonsten haben wir hier ebenfalls die metrischen Klapperprämissen vielfach erfüllt - ich würde aber dieses Gedicht sowieso eher der (sehr geistreichen) komischen Lyrik zuordnen, wo das Klappern i. A. einfach gar kein Thema oder sogar eine Auszeichnung ist.
LG!
S.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, Sufnus,
ich habe darüber nachgedacht, Sufnus. Ein gefräßiges Brett wäre möglich, aber das Bett ist stärker. Die Waschmaschine geht nicht, sie frisst nur Socken. Das Waschbrett aber passt nicht in den Rhythmus. Obwohl es welchen macht.

Aber ich denke über Verbesserungen nach.

mein Kühlschrank aus dem Raum - würde gehen.
 

mondnein

Mitglied
es war ein kleines Ding ........... ein Blitz schlug ein ganz vorn
endlich, endlich mal wieder ein surrealistisch-dadaistisches Sonett!
die von Walther waren ja immer sehr klassisch,
von meinen ganz zu schweigen, die so collagiert sein könnten wie Deine, wenn sie nicht im Abgrund der Seiten 2 ff versänken,
so freut es mich um so mehr, daß es nicht mit einem ein-zwei-drei-könig-sternchen hingerichtet wird, sondern empfohlen wird, von wem auch immer

grusz, hansz
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Bernd,
dein lila Krokodil ist sagenhaft!!!
Ha! Ich lese es nochmal und hoffe auf eine "Von Redakteur zu Redakteur"- Empfehlung. Anderweitig feiere ich das Krokodil weiter, allein im stillen Kämmerlein:)
Und zwar laut!!!
Liebe Grüße, ubertas
 

Ubertas

Mitglied
keine Ahnung, warum meine Wertung als Anonym angezeigt wurde...wo habe ich da nur draufgedrückt?
Ganz offiziell war es gedacht:)
 

mondnein

Mitglied
meine Wertung war auch weg, ich habe sie eben erneuert
ich habe wahrscheinlich wieder mal vergessen, das Feld nach oben zu scrollen, wo dann erst die Zeile ganz unten sichtbar wird, die eine Bestätigungs-Betätigung der gewählten Wertung abschließt.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke sehr.
Eine angekündigte Variante.

Vor langer Zeit entschwand .. mein Kühlschrank aus dem Raum
ein lila Krokodil ........................fraß all mein Butterbrot
es kratzte voller Stil ................das Salz aus meinem Traum
die Suppe von der Wand ...... die Zeiten sind verroht

Jedoch dabei entstand .......... aus Seife neuer Schaum
ein Rinnsal ohne Ziel ............. errettet mich vom Tod
an Kraft gab es zu viel ........... der Burgturm wackelt kaum
das ist der Welt bekannt ........den Styx durchquert mein Boot

Die Dichtung ist defekt, ........ doch Rettung naht von vorn
es fehlt ein Dichtungsring ,.. und mich ergreift der Zorn
ich habe ihn entdeckt, .......... ich färbe mich gleich grün

es war ein kleines Ding ........... ein Blitz schlug ein ganz vorn
mit Tücke und Effekt ............... begann im Rausch zu blühn
als ich es einst empfing .......... ich sah die Flammen glühn
 

James Blond

Mitglied
Lieber Bernd,

gerne würde ich etwas zu diesem Sonett schreiben - schon allein deswegen, weil du dich mit meinen letzten Texten (incl. einem ähnlich aufgebauten Sonett) sehr intensiv befasst hast.

Aber ...
... leider hab ich's nicht so mit Dada. Ich kann damit nichts anfangen, es ist mir zu beliebig. Ich verorte das unter formalen Spielereien und sehe nur eine Fülle von Variationen, bzw. Neukombinationen; eine so gut oder schlecht wie die andere. Für mich entsteht hier kein Bild, ich kann dazu nichts sagen.

Schön, dass es hier noch andere Teilnehmer gibt, die diese Kunst anspricht.

Liebe Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Bernd,
...
Aber ...
... leider hab ich's nicht so mit Dada. Ich kann damit nichts anfangen, es ist mir zu beliebig. Ich verorte das unter formalen Spielereien und sehe nur eine Fülle von Variationen, bzw. Neukombinationen; eine so gut oder schlecht wie die andere. Für mich entsteht hier kein Bild, ich kann dazu nichts sagen.
...
Liebe Grüße
JB

Lieber James,

Das verstehe ich.

Eine Kritik trifft mich aber tief. Dada ist keine Beliebigkeit. Es ist keine formale Spielerei, sondern ein inhaltlich-logisches Spiel.

Nur ein kurzer Gedanke zu Dada: Die Bewegung entstand 1916 im Cabaret Voltaire in Zürich, mitten im Ersten Weltkrieg, als radikale Reaktion auf die Sinnentleerung der bürgerlichen Kunst und die Sprachlosigkeit gegenüber dem Grauen des Krieges. Dada ist keine Spielerei, sondern eine Form der Antikunst, die bewusst die Logik der Zerstörung mit der Zerstörung der Logik des Krieges ohne Ausweg beantwortet.

Ich schreibe deshalb Dada: Das stellt der scheinbar rationalen Irrationalität des Krieges die scheinbar irrationale Rationalität der Kunst entgegen. Nicht Beliebigkeit, sondern gezielte Verweigerung gegenüber Sinnzwang und ästhetischer Konvention. Dada ist für mich ein diagnostisches Gerät – ein Seismograph für die Risse im kulturellen Fundament. (Ich weiß, das klingt hochgestochen. Aber es ist Teil von Dada.)

Teilweise erfolgt das wie im kindlichen Spiel. Es ist mein fast einziges Werkzeug, was ich dafür noch habe.

Es dient mir als Reparaturinstrument der Gegenwart und meiner Psyche. Vielleicht helfe ich auch anderen damit.

Liebe Grüße
Bernd

Edit: Noch etwas verbessert.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Lieber Bernd,

danke für deine Informationen zu Dada - auch wenn sie mir - wie du dir sicher denken kannst - schon länger bekannt sind, auch die Bezüge zum Cabarett Voltaire. Und da Dada nicht deine Erfindung/Entdeckung ist, braucht dich meine Kritik auch nicht tiefer zu treffen, weil sie weder dir persönlich noch speziell deinen Texten gilt.

Dada als Seismograph für die Risse im kulturellen Fundament ist eine herausfordernde Formulierung, die ich nicht von der Hand weisen will. Allerdings bleibt zum einen die Frage, ab dies der geeignete Seismograph für die Risse des 21. Jahrhunderts sein kann - oder etwas grundsätzlicher, medizinisch formuliert:

Ist Dada nur Symptom oder auch Diagnose und sogar schon Therapie?
Mit der Antwort verbindet sich auch die Tauglichkeit als mögliches Reparaturinstrument.

Für mich bleibt zur Beantwortung die Entstehung von Dada entscheidend:
als radikale Reaktion auf die Sinnentleerung der bürgerlichen Kunst und die Sprachlosigkeit gegenüber dem Grauen des Krieges.
Genau: Dada trägt diese erfahrene Sinnentleerung bis in die Sprache hinein, sogar auch noch weiter bis hin zu wortfreiem Gebrabbel.

Dazu meine Frage: Wie kann etwas, das einer Krankheit Ausdruck verleiht, diese heilen? Wird die Blindheit besiegt, indem sich alle die Augen ausstechen, oder die Dummheit, indem sich alle verblöden, entsteht neuer Sinn, indem alles mit Sinnlosigkeit überzogen wird?

Ich möchte das bezweifeln. :)

Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber James, das habe ich vermutet. Aber hier lesen viele mit. Deshalb habe ich es explizit geschrieben. Ich habe das Café Voltaire in Zürich sogar besucht. Und ich war in Paris bei der früheren Wohnung von Tristan Szara.

Ich denke, Dada ist nicht wirklich sinnentleert. Und selbst scheinbar sinnloses Gebrabbel hat Sinn und kann heilen.
Ein praktisches Beispiel außerhalb Dada:

Ph Ph Ph Ph
Ph Ph Ph Ph
Ph Ph Ph
Ph Ph Ph
Ph Ph Ph Ph

scheint sinnloses Gebrabbel zu sein, aber es hilft heilen. Ich habe es zur Beckenbodengymnastik in verschiedener Weise laut rezitiert.

Ich denke, Dada ist wirksam gegen den Krieg und war es. Wenn auch nur wenig.
Und Dada ist nicht unlogisch, es bedarf großer Exaktheit.

Dada begleitet mich seit den 1970er Jahren und öffnete mir die Tür zu vielen neuen Sachen in Poesie, Mathematik und Logik. Beispiel tropische Addition: 3+2=2=min (3,2) oder 3+2=3=max(3,2) -- es gibt beide Additionen.

Die klassische Logik führt zu "Wenn der Mond aus Käse ist, ist die Sonne aus Butter." (Beispiel aus der Schule, um 1970)

vergleiche: "Wenn 4 eine Primzahl ist, ist der Mond aus grünem Käse." ist wahr.
Geschichte und Methodologie Thomas Schmidt Wintersemester 2000/2001 Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie Uni Göttingen S. 17



edit: ergänzt.
 
Zuletzt bearbeitet:

mondnein

Mitglied
Dada ist keine Spielerei, sondern eine Form der Antikunst, die bewusst die Logik der Zerstörung mit der Zerstörung der Logik des Krieges ohne Ausweg beantwortet.
Das sind die Ursprünge.
Aber die Kunstwerke von Schwitters gehen weit weit darüber hinaus. Von Sinnentleerung kann da nicht mehr die Rede sein.
Und die diese Revolution aufgreifenden Surrealisten, seien es die französischen in Paris, seien es Nachexpressionisten wie Paul Klee, sind überaus fruchtbare Sinnfinder.
Die Dialektik von Sinn und Unsinn, von Symmetrie und Asymmetrie, von Revolution und Kinderfressen, von Allesistwahr und Nichtsistwahr - - ist so alt wie die Thesen des Georgias, die Sokrates sein Leben lang zu widerlegen suchte.

"summa scientia nihil scire" (die alles in sich konzentrierende Sentenz des Christian Rosenkreutz am Ende der "Chymischen Hochzeit")

grusz, hansz
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke für die Präzisierung. Dada war die Wurzel von vielen Gebieten unserer Gegenwartslyrik. Und beruhte selbst auf Wurzeln. Kabbala, Mystik, Werke wie Fatras und Fatrasien,Lügengedichte, Schelmengedichte und viele mehr.
Das besondere: Es ist meist äußerst exakt.

Und Merzdichtung ist mit bei meinen Vorzugswerken, obwohl ich bei der unvorbereiteten ersten Lesung der Ursonate in einem Klub Probleme hatte beim Zuhören.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Beispielsweise Kurt Schwitters "An Anna Blume" sehe ich auch nicht als ein typisches Dada-Gedicht. Es besitzt eine weit tiefere Ausstrahlung und ist mehr als nur Protest oder Auflehnung gegen eine normative Lyrik. Mit seinem "Ausbruch" einer unmittelbaren, überbordenden Verliebtheit hat es einen Eigenwert, der weit über die willkürliche oder zufallsgesteuerte Kombinatorik von standardisierten Satzteilen hinausreicht, wie ich sie hier erkennen kann. Dabei ist es im Zeitalter der KI fast schon wieder anachronistisch, noch Automaten zu programmieren, die vorgefertigte Satzbauteile beliebig zusammenfügen und so endlose Variationen hervorbringen können. Die KI hat sich längst der Sprache bemächtigt, die sich einige scheinbar abzugewöhnen bemühen. Doch wer darin sein Heil erblicken kann, der wird vielleicht auch an dadaistischen Yoga-Übungen genesen ... ;)

Selbst als Programmentwickler kann ich nicht unbedingt die Heilkraft mathematischer Gleichungen und Algorithmen nachvollziehen oder ergründen, mich baut eine andere Form Lyrik weit mehr auf. Und gerne überlasse ich Dada allen, die sich darin wiederfinden können. Ich bat hier nur um Verständnis für mein übliches Fernbleiben. :)

Liebe Grüße
JB
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Dada ist nicht nur Protest und Auflehnung, das war es nie. Es ist Erweiterung. Wie die Euklidische Geometrie durch die hyperbolische erweitert wurde und durch die parabolische. Oder die Standardanalysis durch Nichtstandardanalysis.
Dada erweitert den Wertebereich. Dada ist nie das Werk eines einzelnen Künstlers. Und es ist nicht die einzige mögliche Bezeichnung.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich empfehle ein leider unübersetzbares Buch von Hofstadter: Le Ton beau de Marot – Wikipedia von Douglas Hofstadter. Es geht um die Übersetzung eines einzelnen als unübersetzbar geltenden Gedichtes. Es wurde sehr oft übersetzt und oft unerwartet.

Ich sehe Dada auch als eine Wurzel der Lomografie. Und als Findwerkzeug für Auswege.

Edit: Erweitert.

PS: Anna Blume gehört auch zu meinen Lieblingswerken. Wir haben es oft in Dresden im Jugendklub für Kunst und Literatur rezitiert. Mitte der 1970er Jahre.


Und gerne überlasse ich Dada allen, die sich darin wiederfinden können. Ich bat hier nur um Verständnis für mein übliches Fernbleiben. :)
Kein Problem. Danke für die Diskussion, James.



Selbst als Programmentwickler kann ich nicht unbedingt die Heilkraft mathematischer Gleichungen und Algorithmen nachvollziehen oder ergründen
Mich haben sie geheilt, mehrfach. Direkt und im übertragenen Sinn. Mein Karzinom wurde mit Algorithmen entfernt, die einen OP-Roboter betrieben.
Und psychologisch, als ich im 9. Schuljahr von sehr guten auf mittelmäßige Leistungen rutschte. Da half Mathe. Ich erfand einige Rechenschieber für eigene Gleichungen. Und fand für alle Hausaufgaben Lösungen, selbst für unlösbare. Ich bewies, dass sie unlösbar war.
Das hilft sehr.
Rhythmik auch, als Musiker weißt Du das ja.
Wir müssen halt aufpassen, das Vokabular nicht zu vermischen.
Permutationsgeräte (von Dadaisten oft genutzt) sind keine KI. Die ist komplexer.

Liebe Grüße
Bernd


PS: Mit dem Alter brauche ich etwas länger. Und Nutzung von KI zur Textkontrolle sehe ich als Prothese. Text entwerfen ist etwas anderes. Ich mache zu vile Tippfehler. So kann ich heute nicht mehr als Technischer Redakteur arbeiten. Und in der Leselupe versuche ich, den Anforderungen noch gerecht zu werden.

Edit: zwei Antworten zusammengeführt, Duplikation gekürzt.
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
Permutationsgeräte (von Dadaisten oft genutzt) sind keine KI. Die ist komplexer.
Genau das wollte ich ja gesagt (geschrieben) haben. :)

Was die Heilkraft von Algorithmen anbelangt, so mögen sie - wie du anführst - "mittelbar" zu Erfolgen beitragen, wie zu Schulnoten, medizinischen Behandlungen, Preisgeldern etc., dass aber das Aufschreiben, bzw. Vortragen selbst, also die reine Darstellung, wie sie im lyrischen Kontext geschieht, von heilender Wirkung sein kann, möchte ich doch sehr bezweifeln.
Es erinnert mich an eine Sonderform des Fetischismus, dem Glauben, dass das Tragen von Amuletten eine schützende, bzw. heilende Wirkung haben kann. Ein psychologischer Effekt also, der aus dem Glauben an eine Sache gespeist wird, nicht aber von der Sache selbst ausgeht.

Grüße
JB
 



 
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