-
Empfohlener Beitrag
- #1
Gero (vorher "Das Meer")
Der Wind zerrt an seiner offenen Jacke. Hartmut steckt die Hände in die Hosentaschen und zieht die Arme an den Körper. Sein Blick wandert über das aufgeraute Meer. Mit flatternden Haaren steht er vor der heranrollenden Brandung.
Ohne sich umzuwenden, tritt er zurück, bis er die ansteigende Düne spürt. Er hockt sich hin, umschlingt die Knie, birgt sein Gesicht darauf und schließt die Augen. Umhüllt vom Rauschen des Meeres gibt er sich seinem Inneren hin. Doch findet er keine Ruhe.
Er erhebt sich und lässt sich vom Wind auf den trockenen Strandstreifen treiben. Geleitet von schäumenden Wellen und Dünen bewegt er sich auf das Schiffswrack zu, das ihn in der Ferne erwartet. Schritt für Schritt erscheint es größer.
Gero, sein Freund aus Kindertagen, wurde Matrose. Das Reisebündel über der Schulter, verkündete er: „Ich fahre zur See. Lebt wohl! Ich werde euch schreiben, wie es ist,“ und ging davon. Zu Fuß zum nächsten Städtchen, von dort mit dem Überlandbus drei Tage in die große Hafenstadt, um anzuheuern.
Ein paarmal hat Gero geschrieben. Seine kleine Schwester lief, die Wangen rot, mit dem von der langen Reise zerknitterten Brief hoch in der Hand durchs Dorf: „Post von Gero! Post von Gero! Post von Gero!“
Bald darauf saßen sie in der Stube seines kleinen Elternhauses beisammen. Die Schwester las vor, alle hörten zu, mit aufmerksam gesenkten Köpfen. Seine Mutter bedeckte die Augen halb mit einer Hand, die andere hielt ein besticktes Taschentuch, und sein Vater stand aufrecht neben ihr, mit drei Fingerspitzen auf der Tischplatte abgestützt.
Sie hörten von fernen Ländern und fremden Völkern aber auch von Stürmen und harter Arbeit, von lieben Mädels und süßen Früchten, die sie niemals essen würden. Und immer wieder: „Macht euch keine Sorgen. Es geht mir gut. Ich denke an euch. Ich komme wieder!“
Bis eines Tages die Briefe ausblieben, und stattdessen die Frage im Dorfe umherging: „Lange nichts gehört von unserem Gero, wie es ihm wohl geht?“ Und man senkte den Blick. Eines Tages kam sein Vater zu Hartmut und bat ihn, einen Brief zu schreiben, an das Hafenamt in der großen Stadt: „Wisst ihr was über Gero? Seine Familie macht sich Sorgen“. Eine Antwort haben sie nie erhalten.
Hartmut nähert sich dem Schiffswrack und tritt heran an diesen einst stolzen, hölzernen Segler, dessen Mast auf halber Höhe weggesplittert ist, das löchrige Deck in Schräglage. Wie vom Meeresgrunde hochgespült liegt es da.
Durch die Lücken zwischen den Planken späht er in das dämmrige Innere. Es knarrt und wispert wie Stimmen im Wind.
„Gero?“
Kein vertrautes „Hallo Hartmut!“ schallt aus dem düsteren Gerippe, kein Lachen, bei dem man seine Zahnlücke sah, kein Schluchzen. Keine Spur von ihm, kein Taschentuch, keine Mütze. Nur Sand, spärlich Gras und ein paar Schnecken auf moderndem Holz.
Auf der zerbrochenen Takelage sitzen Möwen. Darunter schichtet sich ihr Dreck. Von hier fliegen sie zum Fischen hinaus, kehren zurück und ruhen oder schwatzen. Das Wrack ist ihr Heim.
Hartmut wendet sich ab. Er schließt seine Jacke und geht weiter. Die Schultern eingezogen, die Hände in den Hosentaschen. Den Blick dorthin gerichtet, wo er seine Spur tritt.
(Bitte meinen Kommentar #23 auf Seite 2 lesen)
Der Wind zerrt an seiner offenen Jacke. Hartmut steckt die Hände in die Hosentaschen und zieht die Arme an den Körper. Sein Blick wandert über das aufgeraute Meer. Mit flatternden Haaren steht er vor der heranrollenden Brandung.
Ohne sich umzuwenden, tritt er zurück, bis er die ansteigende Düne spürt. Er hockt sich hin, umschlingt die Knie, birgt sein Gesicht darauf und schließt die Augen. Umhüllt vom Rauschen des Meeres gibt er sich seinem Inneren hin. Doch findet er keine Ruhe.
Er erhebt sich und lässt sich vom Wind auf den trockenen Strandstreifen treiben. Geleitet von schäumenden Wellen und Dünen bewegt er sich auf das Schiffswrack zu, das ihn in der Ferne erwartet. Schritt für Schritt erscheint es größer.
Gero, sein Freund aus Kindertagen, wurde Matrose. Das Reisebündel über der Schulter, verkündete er: „Ich fahre zur See. Lebt wohl! Ich werde euch schreiben, wie es ist,“ und ging davon. Zu Fuß zum nächsten Städtchen, von dort mit dem Überlandbus drei Tage in die große Hafenstadt, um anzuheuern.
Ein paarmal hat Gero geschrieben. Seine kleine Schwester lief, die Wangen rot, mit dem von der langen Reise zerknitterten Brief hoch in der Hand durchs Dorf: „Post von Gero! Post von Gero! Post von Gero!“
Bald darauf saßen sie in der Stube seines kleinen Elternhauses beisammen. Die Schwester las vor, alle hörten zu, mit aufmerksam gesenkten Köpfen. Seine Mutter bedeckte die Augen halb mit einer Hand, die andere hielt ein besticktes Taschentuch, und sein Vater stand aufrecht neben ihr, mit drei Fingerspitzen auf der Tischplatte abgestützt.
Sie hörten von fernen Ländern und fremden Völkern aber auch von Stürmen und harter Arbeit, von lieben Mädels und süßen Früchten, die sie niemals essen würden. Und immer wieder: „Macht euch keine Sorgen. Es geht mir gut. Ich denke an euch. Ich komme wieder!“
Bis eines Tages die Briefe ausblieben, und stattdessen die Frage im Dorfe umherging: „Lange nichts gehört von unserem Gero, wie es ihm wohl geht?“ Und man senkte den Blick. Eines Tages kam sein Vater zu Hartmut und bat ihn, einen Brief zu schreiben, an das Hafenamt in der großen Stadt: „Wisst ihr was über Gero? Seine Familie macht sich Sorgen“. Eine Antwort haben sie nie erhalten.
Hartmut nähert sich dem Schiffswrack und tritt heran an diesen einst stolzen, hölzernen Segler, dessen Mast auf halber Höhe weggesplittert ist, das löchrige Deck in Schräglage. Wie vom Meeresgrunde hochgespült liegt es da.
Durch die Lücken zwischen den Planken späht er in das dämmrige Innere. Es knarrt und wispert wie Stimmen im Wind.
„Gero?“
Kein vertrautes „Hallo Hartmut!“ schallt aus dem düsteren Gerippe, kein Lachen, bei dem man seine Zahnlücke sah, kein Schluchzen. Keine Spur von ihm, kein Taschentuch, keine Mütze. Nur Sand, spärlich Gras und ein paar Schnecken auf moderndem Holz.
Auf der zerbrochenen Takelage sitzen Möwen. Darunter schichtet sich ihr Dreck. Von hier fliegen sie zum Fischen hinaus, kehren zurück und ruhen oder schwatzen. Das Wrack ist ihr Heim.
Hartmut wendet sich ab. Er schließt seine Jacke und geht weiter. Die Schultern eingezogen, die Hände in den Hosentaschen. Den Blick dorthin gerichtet, wo er seine Spur tritt.
(Bitte meinen Kommentar #23 auf Seite 2 lesen)
Zuletzt bearbeitet: